Kommunalwahl in Brandenburg

Aderlass für die SPD

Die Brandenburger Kommunalwahl vom vergangenen Sonntag galt als letzter politischer Stimmungstest in diesem Jahr. Sie hat bestätigt, was schon die bayrische Landtagswahl im September zeigte: Der SPD laufen die Wähler in Scharen davon, während Union und FDP gestärkt aus der Wahl hervorgehen - nicht weil sie zusätzliche Wähler gewinnen, sondern weil sie mangels einer politischen Alternative weniger stark von der Empörung über die offizielle Politik betroffen sind.

Die CDU ist mit 28 Prozent der Stimmen erstmals seit 1990 wieder stärkste Partei in den Brandenburger Kommunen, nachdem sie vor fünf Jahren nur etwa halb so viele Stimmen wie die SPD erhalten hatte. Die SPD ist von 39 auf 24 Prozent abgesackt und liegt nur noch knapp vor der PDS, die ihren Stimmanteil von 21 Prozent halten konnte. Die Grünen liegen wie schon vor fünf Jahren bei 4 Prozent, während sich die FDP von 4 auf 6 Prozent steigern konnte.

Diese Zahlen verblassen jedoch, wenn man sie an der realen Wahlbeteiligung misst. Diese ist von 78 Prozent vor fünf Jahren auf 46 Prozent gefallen. Die CDU als stärkste Partei wird demnach gerade von 12 Prozent der Wahlberechtigten unterstützt, die drei großen Parteien CDU, SPD und PDS zusammengenommen von einem Drittel - kaum eine repräsentative Mehrheit!

Kommentatoren waren sich weitgehend einig, dass das Wahlergebnis die Quittung für die "Agenda 2010" der Bundesregierung ist. Der SPD-Vorsitzende und Bundeskanzler Gerhard Schröder räumte eine "Mitverantwortung" für das Wahlergebnis ein. Auch der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der sich in elf Monaten einer Landtagswahl stellen muss, sah die Hauptursache für die Niederlage in der Bundespolitik.

Doch wie schon nach der Bayernwahl lautet die Schlussfolgerung der SPD: Weiter so! Sollten einige Wähler gehofft haben, sie könnten die SPD durch einen Denkzettel an den Urnen zu einem Kurswechsel bewegen, wurden sie von Schröder umgehend eines esseren belehrt. Der SPD bleibe nur die Möglichkeit, den Reformprozess geschlossen und entschlossen fortzusetzen, sagte er.

Ansonsten übten sich Schröder und Platzeck in Wählerbeschimpfung. Diese hätten die SPD-Reformpolitik immer noch nicht richtig verstanden, erklärten sie einvernehmlich. Man fühlt sich an den bekannten Ausspruch Bertolt Brechts erinnert, der den 17. Juni 1953 mit den Worten kommentierte, es sei Zeit, dass sich die Regierung ein neues Volk wähle. Tatsächlich zeigt das Brandenburger Wahlergebnis, dass die Wähler die Reformpolitik der SPD sehr gut verstanden haben - und entschieden ablehnen.

Während SPD und CDU miteinander wetteifern, wer die schärferen Angriffe gegen soziale Errungenschaften durchsetzen kann, und sich die PDS - zeitgleich mit der Brandenburger Kommunalwahl - nun auch offiziell zu Gewinnstreben und Marktwirtschaft bekannt hat, sehen mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten keinen Sinn mehr darin, zu den Wahllokalen zu gehen. "Die Mehrheit der Nichtwähler in Brandenburg (56 Prozent) entspricht fast genau dem Ergebnis einer bundesweiten Umfrage: 58 Prozent trauen keiner Partei die Lösung der sozialen Probleme zu," kommentierte denn auch die Frankfurter Rundschau.

Der brandenburgische CDU-Vorsitzende Jörg Schönbohm, der in der großen Koalition mit der SPD als Innenminister amtiert, sah sich nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses bereits als zukünftiger Ministerpräsident. Doch der Jubel des ehemaligen Generals, der am äußersten rechten Flügel der Union steht, könnte verfrüht sein. Die gegenwärtige "Stärke" der Union beruht ausschließlich darauf, dass niemand den Bedürfnissen und Sorgen der breiten Bevölkerungsmehrheit Ausdruck verleiht, geschweige denn eine Antwort darauf weiß. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik war die Kluft zwischen der Masse der Bevölkerung und der offiziellen Politik so tief.

Nicht nur die offiziellen Parteien, auch die Gewerkschaften haben jegliche Opposition gegen die "Agenda 2010" an den Nagel gehängt. "'Vorwärts und vergessen', lautet die neue Losung beim DGB", berichtet Der Spiegel, "und der Mann an der Spitze wirbt bei den Kollegen der acht Einzelgewerkschaften für einen ‚konstruktiven Dialog' mit der Regierung."

Offenbar mit Erfolg. Ver.di und IG Metall, die sich bisher als Gegner der "Agenda 2010" gaben, beteiligen sich nicht an der bundesweiten Demonstration gegen Sozialabbau vom 1. November. Es gebe für SPD und Gewerkschaften "keine Alternative zum Dialog, sonst schwächen sich die Akteure gegenseitig", kommentierte der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, der sich demnächst zu einem persönlichen Gespräch mit dem Kanzler trifft.

Ähnlich äußert sich der frischgekürte IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters, den noch aus gemeinsamer Zeit in Niedersachsen und bei VW enge Bande mit dem Kanzler verknüpfen. "Gewerkschaften und Sozialdemokratie, das ist nicht dasselbe, aber das eine ist nicht ohne das andere denkbar", verkündete er.

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer schaut sich inzwischen bereits weiter rechts nach Bündnispartnern um. Am Montag weilte er - erstmals in der Geschichte des DGB - beim Präsidium der CSU zu Gast und vereinbarte, dass DGB und CSU bei der Reform der Gesundheitssysteme zusammenarbeiten. Sommer sage, er sei "sehr dankbar" für das Treffen und pries die Partei von Strauß und Stoiber "als Schutzmacht der kleinen Leute".

Ein politisches Vakuum kann nicht ewig bestand haben. Es muss gefüllt werden. Das fordern die Gesetze der Politik ebenso wie die der Physik. Dass dazu weder die SPD, noch die PDS oder gar die Grünen in der Lage sind, haben die letzten Monate unmissverständlich gezeigt. Diese Parteien reagieren auf die wachsende Empörung über Sozialabbau und wachsende Ungleichheit, indem sie ständig weiter nach rechts rücken. Weder Druck von der Straße noch Abstrafung an den Wahlurnen kann sie von ihrem Kurs abbringen.

Um den Bedürfnissen der breiten Bevölkerung Geltung zu verschaffen und sie aktiv in die Politik einzubeziehen, muss eine neue Arbeiterpartei aufgebaut werden, die gesellschaftlichen Bedürfnisse höher stellt als die Profitinteressen der Wirtschaft und der Reichen.

Siehe auch:
Die Verbindungen der CDU zur äußersten Rechten
(4. Januar 2003)
Loading