Margarete von Trottas "Rosenstraße"

David Walsh besprach den Film "Rosenstraße" im Rahmen eines mehrteiligen Berichts über das diesjährige Filmfestival von Toronto, der am 17. September 2003 unter dem Titel "Encouraging signs" (Ermutigende Anzeichen) in der englischen Ausgabe der World Socialist Web Site erschien.

"Rosenstraße" oder "Die Frauen von der Rosenstraße", wie die englische Fassung heißen könnte (die Filmrechte hat sich der Samuel Goldwyn Filmvertrieb auf dem Festival von Toronto gesichert), ist vielleicht der stärkste Film von Margarete von Trotta seit "Rosa Luxemburg". Acht Jahre brauchte sie, um diesen Film vorzubereiten und schließlich herzustellen.

Er erzählt eine wenig bekannte Episode, die sich Ende Februar, Anfang März 1943 in Berlin abspielte. Die jüdischen Ehepartner "arischer" Frauen und Männer, die bis dahin einigermaßen vor Verfolgung geschützt waren, wurden plötzlich von den Nazibehörden zusammengetrieben. Ihnen drohten Tod und Konzentrationslager. Hunderte von Frauen versammelten sich in einer spontanen Demonstration vor dem Gebäude in der Rosenstraße 2-4, in dem ihre jüdischen Männer gefangengehalten wurden. Die Frauen ignorierten die Maschinengewehre, die auf sie gerichtet wurden.

Um ihre Geschichte erzählen zu können, erfindet von Trotta (geboren 1942) Charaktere und lässt den Film auf mehreren Zeitebenen spielen. Er beginnt mit einer jüdischen Frau, Ruth (Jutta Lampe), im heutigen New York, die soeben ihren Ehemann verloren hat. Völlig unerwatet spielen plötzlich religiöse jüdische Traditionen, die sie bis dahin nie besonders beachtet hatte, eine große Rolle für sie. Ihre Tochter Hannah (Maria Schrader) ist darüber entnervt und versucht, dieser Veränderung ihrer Mutter auf den Grund zu kommen. Sie versucht, etwas über deren Vergangenheit herauszufinden, die ihr bis dahin einigermaßen mysteriös geblieben ist. Ihre Suche führt sie nach Berlin, wo sie die nicht-jüdische Lena Fischer (Katja Riemann) kennen lernt, die Ruth als Kind aufgenommen hatte, als deren Mutter von den Nazis deportiert und ermordet worden war.

Im Mittelpunkt des Films steht die Geschichte von Lenas Kampf im Winter 1943, um ihren jüdischen Ehemann Fabian (Martin Feifel) aus dem Internierungszentrum in der Rosenstraße frei zu bekommen. In einer Rückblende sehen wir, wie sich die Beziehung zwischen ihnen - er, ein begnadeter Geiger, sie, eine Pianistin aus adliger Familie - entwickelt hat. Ihre Familie stellt sich mit aller Kraft gegen diese Verbindung. Aber Lena, Fabian und ihr Bruder (Jürgen Vogel) besuchen gemeinsam Berliner Nachtclubs und tanzen zu Jazzmusik und hören schwarzen Sängern zu. Hier wird ein außerordentliches soziales und kulturelles Milieu in Erinnerung gerufen. Antisemitismus und der drohende Naziterror scheinen sehr weit weg zu sein.

Als sich die politische Situation verschlimmert, werden die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Fischers immer schwerer erträglich. Sie leben in einer kleinen Wohnung, alles wird ihnen genommen: Karriere, Instrumente und selbst die Musik. Fabian wird gezwungen, in einer Munitionsfabrik zu arbeiten. Schließlich wird er festgenommen. Lenas Bruder kehrt aus Stalingrad zurück. Er hat ein Bein verloren. Bei dem Versuch, Fabian zu befreien, übernimmt er eine führende Rolle. "Ich weiß, was sie mit den Juden machen, ich hab es gesehen," berichtet er einem befreundeten Offizier. Lenas Appelle an ihre Familie und an einen hohen Nazifunktionär sind "verzweifelt" und vergeblich. In der Zwischenzeit hat sie Ruth "adoptiert", deren Mutter dank ihres "arischen" Ehemanns bereits deportiert worden ist. Er hatte sich aus Furcht und Schwäche von ihr scheiden lassen.

Die Demonstrationen auf der Rosenstraße werden immer lauter und aggressiver. Es ist ein aufrüttelnder Moment, wenn die Rufe erklingen: "Gebt uns unsere Männer zurück!" und später "Mörder!" Die Truppen feuern in die Luft. Die Frauen zerstreuen sich, aber versammeln sich erneut. Sie haben offenbar nichts zu verlieren. Vielleicht ahnen sie, dass die Niederlage von Stalingrad das Ende des Krieges und das Ende des Regimes bedeutet. Jedenfalls erweisen sie sich als äußerst mutig.

Dieser Film von Margarete von Trotta ist zutiefst prinzipiell und human. Ob es ihr bewusst ist oder nicht, Rosenstraße ist ein schlagendes Argument gegen alle, die behaupten, die Verbrechen der Nazis drückten den Willen des gesamten deutschen Volkes aus. Die Filmemacherin weicht harten Tatsachen nicht aus, aber sie behält die Realität insgesamt im Auge. Die deutsche Kultur blühte in den 1920er Jahren in Erwartung einer sozialistischen Revolution, die jedoch auf Grund der verbrecherischen Politik von sozialdemokratischen und der stalinistischen Parteien niemals stattfand. Die kurze Szene im Nachtclub, in der sich die "hohe" mit der "niedrigen" Kultur und die "Rassen" in einem geradezu exstatischen Augenblick der Freiheit mischen, gibt einen winzigen Hinweis auf diese Möglichkeit. Die Unterstellung, dass das Naziregime ein unausweichliches Ergebnis der deutschen Geschichte war, wird schon vor dem Hintergrund dieser kleinen Szene unglaubwürdig. Dies ist von Trottas großes Verdienst. Sie zeigt, dass Kunst gleichsam unabsichtlich angesichts von Lügen und Verleumdungen die objektive Wahrheit aufscheinen lassen kann.

Es gibt auch weniger gelungene Teile in diesem Film. Die Gegenwart und Geschichte verbindende Rahmenhandlung ist ziemlich durchsichtig und die Szenen in New York sind recht steif und nicht ganz überzeugend. Von Trotta, die selbst Schauspielerin ist, ist vielleicht nicht die beste Dirigentin ihrer Schauspieler. Man spürt, dass diejenigen, die starke Persönlichkeiten sind, sich in ihren Filmen voll entfalten können. Die, die sie führen müsste, sind dagegen weniger erfolgreich. Riemann und Vogel hinterlassen in Rosenstraße den stärksten Eindruck.

Von Trottas Film war einer der Höhepunkte des Filmfestivals von Toronto.

Siehe auch:
David Walsh über das Toronto International Film Festival 2003
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