Afrika im Visier der deutschen Außenpolitik

Wie ein Who-is-Who der deutschen Wirtschaft liest sich die Namensliste der Konzernvorstände, die Bundeskanzler Schröder vergangene Woche auf seiner Afrika-Reise begleiteten: Jürgen Schrempp von Daimler-Chrysler, Wolfgang Mayrhuber von Lufthansa, Rolf Kunisch von Beiersdorf und Commerzbank-Aufsichtsratschef Martin Kohlhaussen. Insgesamt 23 Wirtschaftsvertreter reisten mit Schröder durch Äthiopien, Kenia, Ghana und Südafrika.

Schon diese Zusammensetzung der Delegation machte deutlich, dass es bei Schröders Reise um handfeste Interessen ging. Der afrikanische Kontinent ist in den vergangenen Jahren verstärkt ins Blickfeld der Großmächte geraten, und Deutschland will dabei nicht abseits stehen. Neben verstärkten wirtschaftlichen Initiativen laufen auch diskrete Planungen für militärische Interventionen. Dabei ziehen Deutschland, Frankreich und Großbritannien ausnahmsweise an einem Strang. Nachdem sich die USA ohne Rücksicht auf europäische Einwände im Irak festgesetzt haben, soll Afrika zum bevorzugten Einsatzgebiet der im Aufbau befindlichen EU-Streitkräfte werden. Schröders Reise diente nicht zuletzt dazu, dafür das politische Terrain zu sondieren.

Stationen der Schröder-Reise

Zunächst traf Schröder in Addis Abeba auf den äthiopischen Premier Zenawi und auf Vertreter der Afrikanischen Union, die in der äthiopischen Hauptstadt ihren Sitz hat. Er versprach den afrikanischen Staaten bei einer Rede vor der Afrikanischen Union eine "aufrichtige Partnerschaft". "Das ist gewiss eine Frage der Moral", so Schröder, aber "auch eine Frage der ökonomischen und politischen Vernunft". Europa könne nicht in Frieden leben, solange es in seiner Nachbarschaft Uneinigkeit und Streit gebe.

Ähnliche Stellungnahmen hatte es schon im Vorfeld der Reise aus Regierungskreisen gegeben. Die Behauptung, Instabilität und Gewalt in Form von Terrorismus könnten von Afrika nach Europa herüberschwappen, dient dabei der Rechtfertigung für eine aggressive politische und militärische Einmischung in afrikanische Angelegenheiten.

Nach Äthiopien war Kenia die zweite Station des Bundeskanzlers. Das Land wird seit Anfang letzten Jahres von einer "Regenbogenkoalition" unter Mwai Kibaki regiert, die unter dem Banner der "Korruptionsbekämpfung" aufs engste mit den westlichen Großmächten kooperiert. Schröder lobte die Regierung Kibaki denn auch für ihren Kampf gegen Korruption und für Stabilität, auch in der umliegenden Region.

Er versprach, die deutsche Entwicklungshilfe für das Land auf 50 Millionen Euro zu verdoppeln - ein eher lächerlicher Betrag, der pro Kopf der Bevölkerung weniger als zwei Euro ergibt. Das Geld solle in den Ausbau der Infrastruktur in den Bereichen Wasser- und Energieversorgung, in die Förderung der privaten Landwirtschaft sowie die Ausbildung von Polizeikräften fließen. Zu diesem Zweck wurde eine Kooperation mit deutschen Experten in Aussicht gestellt - und auch die beiden nationalen Geheimdienste wollen ihre Zusammenarbeit in Zukunft intensivieren.

Des weiteren versprach Schröder, sich für den Abbau von Handelsbeschränkungen der EU einzusetzen. Die Entwicklungsländer fordern seit langem den Abbau der hohen Subventionen, mit denen die EU insbesondere die europäische Landwirtschaft stützt und die es afrikanischen Staaten schier unmöglich machen, ihre Erzeugnisse in westliche Staaten zu exportieren.

Es zeugt aber nicht einfach von Humanität, wenn Schröder sich für den Abbau derartiger Beschränkungen einsetzt. Einerseits wird das Thema als Hebel benutzt, um europäischen Bauern die Fördermittel zu kürzen; andererseits soll die Verlagerung von Industrieproduktion ins Ausland erleichtert werden. Denn auch für westliche Unternehmen, die in Afrika beispielsweise für den Reimport nach Europa produzieren wollen, sind Handelsbeschränkungen ein Hemmschuh.

In Südafrika traf Schröder dann mit Staatschef Thabo Mbeki zusammen. Nach dem Gespräch betonte er die weitgehende Übereinstimmung zwischen den beiden Regierungen: "Wir haben überlegt, wo Differenzen bestehen - und keine gefunden."

Tatsächlich gab es Differenzen über die Haltung gegenüber Simbabwe. Die EU drängt seit langem auf die Ablösung von Präsident Robert Mugabe durch eine Regierung, die zu einer engeren Zusammenarbeit bereit ist. Anfang 2002 verhängte sie diplomatische Sanktionen gegen das Land und fror Hilfsmittel ein. Von Südafrika wird Mugabe dagegen gestützt.

Am Tage vor Schröders Gesprächen mit Mbeki urteilte die südafrikanische Zeitung This Day : "In Gesprächen mit Präsident Thabo Mbeki wird er wohl Robert Mugabe verurteilen. Simbabwe ist ein einfaches Ziel für Menschenrechtsverurteilungen, da Deutschland dort keine Geschäftsinteressen hat. Bei seinem Chinabesuch hatte Schröder kein Wort verloren über die Menschenrechtsverletzungen eines Regimes, das er zum Partner der deutschen Wirtschaft gemacht hat."

Letzte Station der Reise schließlich war Ghana, wo Schröder das "Kofi-Annan-Trainingszentrum" für afrikanische "Peacekeeping"-Soldaten besuchte. Diese Kräfte sollen nach ihrer Ausbildung auf dem ganzen Kontinent zur Beilegung von Konflikten eingesetzt werden. Bundesregierung und Bundeswehr unterstützen das Camp nach Kräften - mit bislang 2,15 Millionen Euro ist Deutschland maßgeblich an seiner Finanzierung beteiligt.

Ghana verstärkt durch das Trainingslager seine Bedeutung als afrikanische Ordnungsmacht - schon seit 1960 stellt das Land Blauhelme für beinahe jeden UN-Einsatz. Das Land stellt somit einen wichtigen Faktor für all jene dar, die sich in Afrika engagieren wollen.

Im Visier der Großmächte

Deutschland zeigt seit langem ein verstärktes außenpolitisches Interesse an Afrika. Es sei der Kontinent, der Außenminister Joschka Fischer "momentan am meisten umtreibt", berichtete jüngst Der Spiegel. "Wir dürfen Afrika nicht aus den Augen lassen", habe der Grüne anlässlich eines Besuches in der Kommandozentrale der Bundeswehr für internationale Einsätze gemahnt.

Schon für November 2001 waren Besuche Schröders in mehreren afrikanischen Ländern geplant - die sich jedoch aufgrund des Engagements der Bundeswehr im Afghanistan-Krieg zerschlugen. Im letzten Sommer beteiligte sich die Bundeswehr dann mit 20 Soldaten an der von Frankreich geführten Intervention in der Demokratischen Republik Kongo. Dabei trat die Europäische Union erstmalig als gemeinsamer Militärakteur auf. Im Oktober schließlich bereiste Bundesaußenminister Fischer Südafrika und Namibia.

Doch nicht allein Deutschland - auch andere Großmächte entwickeln in jüngster Zeit verstärkte diplomatische und militärische Aktivitäten auf dem Kontinent. So engagierte sich Frankreich im letzten Jahr neben der Kongo-Intervention auch in der ehemaligen Kolonie Elfenbeinküste.

Dem Engagement europäischer Mächte steht das der USA gegenüber. Bereits 1997 spielten sie eine aktive Rolle beim Sturz des von Frankreich gestützten Mobutu-Regimes in Zaire (der heutigen Demokratischen Republik Kongo). Die Milizen des Rebellenführers Laurent Kabila waren damals von CIA-Agenten ausgebildet und mit Waffen versorgt worden. Im letzten Jahr entsandte Washington dann Truppen in das von jahrelangem Bürgerkrieg zerrüttete Liberia. Die Afrika-Reise von George W. Bush im letzten Jahr stellt einen weiteren Schritt auf diesem Weg dar.

Die Motive für dieses neu erstarkte Interesse westlicher Großmächte an Afrika, das lange Zeit als der "vergessene Kontinent" bezeichnet wurde, liegen auf der Hand. Der Kontinent birgt reichhaltige Rohstoffvorkommen, noch ungesättigte Absatzmärkte und billige Produktionsmöglichkeiten. Ölreiche Länder wie Nigeria und auch der Kongo gewannen darüber hinaus besonders nach dem Irakkrieg für die europäischen Mächte eine neue Bedeutung.

Deutsche Wirtschaftsinteressen

Der deutsche Handel mit Afrika stieg im letzten Jahr auf ein Volumen von 23 Milliarden Euro. Dieses Anwachsen setzte einen jahrelangen Trend fort. Allein in Südafrika beschäftigen heute um die 450 deutschen Unternehmen über 70.000 Menschen - besonders in den Branchen Chemie, Automobilindustrie, Elektrotechnik und Maschinenbau. 2,6 Milliarden Euro stecken in diesen Investitionen. Auch Kenia gilt als zukunftsträchtiger Absatzmarkt und Produktionsstandort.

Schröder sprach davon, mit Kenia eine Art "privilegierte Partnerschaft" aufzubauen. Das Land gilt zwar als ein Muster an Stabilität in der Region, doch wurde dieses Bild in der jüngeren Vergangenheit von Terroranschlägen - wie 1998 auf die US-Botschaft in Nairobi und 2002 auf Ferienhotels - überschattet. Zur Stabilisierung des Landes sollen nun die polizeiliche und geheimdienstliche Kooperation erweitert werden.

Neben Großbritannien ist Deutschland größter Investor in dem Land am Indischen Ozean - im Jahr 2001 flossen 150 Millionen Euro Direktinvestitionen. Kenia ist seit Jahren bemüht, sich als günstiger Produktionsstandort zu etablieren. Neben staatlichen Beratungsstellen für ausländische Investoren richtete das Land 22 sogenannte Export Processing Zones ein, in denen bedeutende Wirtschaftsanreize geboten werden: Befreiung von Mehrwertsteuer und Steuern auf Vorprodukte sowie von Managementauflagen.

Südafrika als stärkste Wirtschaftsnation Afrikas spielt eine noch größere Rolle für deutsche Unternehmen. Daimler-Chrysler ist hier bereits seit über fünfzig Jahren tätig und produziert für den Export nach Asien und Australien. Doch speziell seit dem Ende des Apartheidregimes bietet das Land große wirtschaftliche Möglichkeiten.

Claus E. Daun, ein Mitglied von Schröders Delegation, kontrolliert in Südafrika eine Gruppe von 16 Unternehmen mit insgesamt 14.000 Beschäftigten. Daun äußerte sich im Vorfeld der Reise in der Frankfurter Rundschau. Auf die Frage, warum er in Südafrika, und nicht etwa in China produziere, antwortete er: "Wenn Sie etwas für den Re-Import nach Deutschland produzieren wollen, dann sollten Sie vielleicht nach China gehen. Mit den dortigen Arbeitskosten kommen die Südafrikaner tatsächlich nicht mit. Aber wenn Sie etwas für den lokalen Markt produzieren wollen, dann sind Sie hier an der richtigen Stelle. In Südafrika leben 45 Millionen Menschen, von denen 80 Prozent als Verbraucher noch nicht zugepackt sind. Wenn die Geld haben, dann kaufen die auch. Im Dezember gab es hier Zuwachsraten von 15 bis 20 Prozent."

Weiter lobte Daun den ANC, der einst dem Sozialismus das Wort redete, für dessen Wirtschaftspolitik: "Für mich war faszinierend zu sehen, wie schnell die ANC-Führung die alten Ideen in den Papierkorb warf und die Globalisierung begriff. Vorneweg Nelson Mandela. Er hatte sofort verstanden, dass das mit den sozialistischen Ideen nun Geschichte war. Das ist schon ein tolles Paradox: In Südafrika machen jetzt die Kommunisten die bessere Wirtschaftspolitik als damals die Apartheidregierung. Und in Deutschland muss die SPD den so genannten Wohlfahrtsstaat abbauen." Daun spricht von "Dynamik und Aufbruchsstimmung", und nennt auch gleich den Grund dafür: "Die große Mehrheit der Bevölkerung hier hat gar keine Wahl, als sich zu bewegen."

Auf die Frage nach den Gewerkschaften antwortete er: "Ja, die sagen oft: Wir wollen keine chinesischen Verhältnisse. (...) Ich halte dem entgegen: Ist es nicht besser, mit halbem Lohn hier zu produzieren, als hundert Prozent aus China einzuführen? Der halbe Lohn bringt den Beschäftigten noch immer etwas und sie erwerben sich so auch Fertigkeiten."

Auch die Firma Siemens ist dabei, groß ins Afrika-Geschäft einzusteigen. Gemeinsam mit einer südafrikanischen Firma will sie einen Staudamm in der Demokratischen Republik Kongo instandsetzen und den gewonnenen Strom bis nach Südafrika exportieren.

Militärische Pläne

Hand in Hand mit dem wirtschaftlichen und diplomatischen Engagement geht die verstärkte militärische Präsenz auf dem südlichen Nachbarkontinent.

Laut einem Bericht des Spiegel drängen der französische Präsident Chirac und der britische Premier Blair seit Monaten darauf, "dass sich die EU in den Krisenregionen des zerstrittenen Kontinents stärker engagiert - wenn nötig auch mit europäischen Truppen". In Afrika solle "sich nach ihren Vorstellungen die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Praxistest bewähren. Vor allem die Franzosen verbinden damit den kühnen Anspruch, Europa könnte neben den USA auch militärisch als Global Player auftreten. Afrika ist dafür die ideale Weltregion, denn anders als im Nahen Osten lassen sich dort die meisten Konflikte mit begrenzten Kräften eindämmen."

Die früheren Rivalen, so das Nachrichtenmagazin, hätten in Brüssel bereits einen Plan für künftige Afrika-Einsätze der Europäischen Union hinterlegt. Als mögliche Eingreifgebiete werden darin Burundi, Elfenbeinküste, Guinea, Sierra Leone, Sudan und Simbabwe genannt. Deutschland, dass 18.000 Mann der geplanten 60.000 Mann starken EU-Eingreiftruppe stellen wird, soll sich an derartigen Einsätzen intensiv beteiligen.

Im Kanzleramt und im Außenministerium herrscht darüber offenbar Einigkeit. Aufgrund des zu erwartenden innenpolitischen Widerstands soll das militärische Engagement allerdings - wie schon auf dem Balkan - scheibchenweise erfolgen: Als erstes "humanitäre" Hilfe durch Sanitätssoldaten, dann die Entsendung von "Beobachtern", Stabsoffizieren und Spezialisten, darauf kleinere Truppenkontingente zu deren Schutz, und schließlich größere Kampfeinheiten.

Wie immer bleibt es dem Grünen Joschka Fischer überlassen, für die neuerwachten militärischen Gelüste eine historische Begründung zu finden. War es auf dem Balkan das Erbe des Holocaust, das Deutschland verpflichtete, einen angeblichen Völkermord an den Kosovaren zu verhindern und Belgrad zu bombardieren, so ist es nun die Berliner Konferenz von 1884/85. In Berlin hatten Frankreich und England unter Vermittlung des deutschen Reichskanzlers Bismarck unter anderem große Teile des afrikanischen Kontinents unter sich aufgeteilt. Jetzt, wo es um das blutige Erbe des Kolonialismus gehe, müssten die Europäer zusammenstehen. "Das kann man nicht allein den beiden Kolonialmächten überlassen", schwadronierte Fischer im Kabinett.

Man kann es auch einfacher sagen: Nachdem Afrika im 19. Jahrhundert zwischen den Großmächten aufgeteilt wurde, ohne dass Deutschland (mit Ausnahme Kameruns und dem heutigen Namibia) etwas abbekam, will es im 21. Jahrhundert mit dabei sein.

Siehe auch:
Mois designierter Nachfolger verliert die Wahlen in Kenia
(4. Januar 2003)
Bushs Afrikareise und die Absichten des US-Imperialismus
( 18. Juli 2003)
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