Libysche Regierung unterstützt US-Aggression im Nahen Osten

Libyens Erklärung, seine "Massenvernichtungswaffen" (WMD) aufzugeben, ist der Endpunkt eines Prozesses, durch den das Regime von Oberst Muammar Gaddafi sich mit den Plänen der USA zur Neuaufteilung der Welt zu arrangieren versucht.

In einem zwischen den Regierungen Libyens, der USA und Großbritanniens ausgehandelten Abkommen, das am 19. Dezember bekannt gegeben wurde, gab Libyen zu, atomare und chemische Waffen"programme" zu verfolgen, die es jetzt unter internationaler Aufsicht abwickeln werde. Von jetzt ab sollen seine Raketen auf eine Reichweite von 300 km beschränkt sein. Dokumente wurden übergeben und Inspektoren der Internationalen Atomenergieagentur werden nach Libyen reisen. Im Gegenzug wurde der libyschen Regierung ein Ende der Wirtschaftssanktionen in Aussicht gestellt, die seit fünfzehn Jahren amerikanische Investitionen in dem Land verhindern. Sanktionen der Vereinten Nationen wurden schon kürzlich ausgesetzt.

Das Abkommen, das US-Präsident George W. Bush und der britische Premierminister Tony Blair gleichzeitig bekannt gaben, wurde nur Tage nach der Verhaftung Saddam Husseins als ein weiterer Erfolg für beide Regierungen und als Bestätigung für den "Krieg gegen den Terror" hingestellt. Die Bush-Regierung prahlte, die Kapitulation Gaddafis beweise, dass die militärische Macht der USA "Schurkendiktatoren Angst und Schrecken einjagt", so Pentagonberater Kenneth Adelman. Der Kolumnist William Safire dozierte, Gaddafi habe "eine Strategie entwickelt, nicht der nächste auf der Liste der Regimeänderungen zu sein: nämlich präemptive Kapitulation." Gaddafi sei "durch die Kraft amerikanischer Waffen zu einem schnurrenden Kätzchen geworden".

Angesichts der blutigen Besetzung des Irak war die Nachricht aus Libyen ein dringend benötigter Schub für die Bush-Regierung - die scheinbar beweist, dass Gewalt funktioniert.

Im britischen Lager bot Blair seine volle Unterstützung bei der Reintegration Libyens in die "internationale Gemeinschaft" an. Der Guardian behauptete allerdings, das Abkommen sei kein Triumph der Gewalt, sondern vielmehr "ein wirklich eindrucksvoller Erfolg" für das Außenministerium und den früheren Außenminister Robin Cook, der die Annäherung an Libyen initiiert hatte und der gegen den Angriff auf den Irak gewesen war. Ein Leitartikel flötete, dass "geduldige Diplomatie, Dialog, Verhandlungen, klar formulierte Prinzipien und rote Linien, Respekt, gegenseitiges Vertrauen und attraktive Anreize die zivilen Mittel sind, die... den bedeutendsten... Abrüstungserfolg" nach der Ära des kalten Kriegs gebracht hätten.

Im Wesentlichen zeigt die Annäherung die Unfähigkeit der nationalen Bourgeoisie in den ehemaligen Kolonien - selbst ihrer radikaleren Vertreter -, sich den räuberischen Ambitionen der imperialistischen Mächte entgegenzustellen. Sie wird weiteren militärischen Aggressionen der USA im Nahen Osten, Nordafrika und anderswo den Weg ebnen.

Gaddafis Regime

Gaddafi kam 1969 an die Macht und versprach, die ehemalige italienische Kolonie nach den Vorstellungen seines Vorbilds, des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, zu entwickeln. Die bedeutende Ölindustrie des Landes wurde verstaatlicht und die Monarchie gestürzt. Gaddafi konnte sich, wie andere radikale nationalistische Führer der ehemaligen Kolonialländer auch, als an die Sowjetunion Gegengewicht gegen die USA und Westeuropa anlehnen. Dies ermöglichte der libyschen Regierung ein gewisses Maß an Unabhängigkeit. Gaddafi nahm eine prononciert antiimperialistische Haltung ein und stellte sich weltweit auf die Seite nationaler Befreiungsbewegungen.

Ab den 80er Jahren geriet Libyen im Rahmen der Politik der Reagan-Regierung, die Sowjetunion zurückzudrängen, mehr und mehr ins Visier amerikanischer Feindseligkeiten. Die USA organisierten eine Serie militärischer Provokationen mit Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen, die ihren Höhepunkt in der Bombardierung von Tripolis fanden, bei der Gaddafis eigene Tochter getötet wurde. Gleichzeitig verhängten die USA Wirtschaftssanktionen. Nach dem Tod einer Polizistin während der Belagerung der libyschen Botschaft und der Ermordung mehrerer Gegner des Gaddafi-Regimes in Großbritannien wurden libysche Diplomaten aus London ausgewiesen.

1992 wurden nach einer Kampagne der USA und Großbritanniens, Libyen für den Absturz einer PanAm Maschine über dem schottischen Lockerbie verantwortlich zu machen, UN-Sanktionen verhängt. Schließlich nahm eine Kombination aus westlichen Sanktionen und dem Zusammenbruch der Sowjetunion Gaddafi jeden Spielraum zum Manövrieren. Angesichts des drohenden wirtschaftlichen Ruins strebten er und die reiche bürgerliche Schicht, die ihn umgibt, wieder freundlichere Beziehungen mit den imperialistischen Großmächten und besonders den USA an.

Nach einer von Großbritannien ausgehandelten Vereinbarung, zwei für den Absturz des Lockerbie-Jets verantwortlich gemachte Libyer für ein Gerichtsverfahren zu überstellen, wurden die UNO-Sanktionen 1999 ausgesetzt. Umfangreiche Investitionen begannen nach Libyen zu fließen, vor allem aus Europa. Die US-Sanktionen wurden hingegen nicht aufgehoben, was es den europäischen Mächten ermöglichte, eine beherrschende Position in Libyen aufzubauen. Die italienische ENI, die französische TotalFinaElf und andere Konzerne entwickelten beträchtliche Interessen in Libyen. Sie bemühten sich um die Ausbeutung des hochqualitativen, leicht zu fördernden und bisher wenig erschlossenen Öls in einem Land, dass drei Prozent der bekannten Ölreserven der Welt beherbergt.

Aus Sorge, eine Bonanza zu verpassen, setzten sich amerikanische Ölkonzerne wie Conoco, Occidental, Amerada Hess und Marathon für die völlige Aufhebung von Sanktionen und die Wiederherstellung normaler Handelsbeziehungen mit Libyen ein. Vor 1986 hatten Amerada Hess, Marathon und Conoco gemeinsam mit der nationalen libyschen Ölgesellschaft täglich 850.000 Barrel Öl produziert. Die libysche Regierung hat das Vermögen der amerikanischen Konzerne nie enteignet.

Trotz der engen Beziehungen dieser Konzerne zur Bush-Regierung, war es nicht aus dem Stand möglich, die zwei Jahrzehnte alte anti-libysche Hysterie im Bush-Lager und in den höchsten Ebenen des Staatsapparats zu überwinden. Erst kürzlich wurde Libyen auf Bushs "Achse des Bösen" gesetzt und dadurch zu einem möglichen Ziel eines amerikanischen militärischen Angriffs gemacht.

Austausch von Geheimdienstmaterial mit den USA

Die libysche Regierung tat alles in ihrer Macht stehende, um die Beziehungen zu verbessern. Sie nutzte den Anschlag vom 11. September auf das World Trade Center als Gelegenheit, die Beziehungen zu den USA zu verbessern. Der Observer berichtete kürzlich, dass der Chef des libyschen Geheimdienstes Musa Kousa, der in den achtziger Jahren aus Großbritannien ausgewiesen worden war, sich im Oktober 2001 auf dem Londoner Flughafen Heathrow mit dem stellvertretenden italienischen Außenminister, dem Vorsitzenden der Nordafrika-Abteilung des US-Außenministeriums, dem US-Botschafter in London und mehreren Agenten von CIA und MI6 getroffen habe.

Angeblich sollten auf dem Treffen Entschädigungszahlungen Libyens an die Opfer der Lockerbie-Bombe diskutiert werden. Doch anscheinend wurde dort der politische Rahmen geschaffen, um die US-Sanktionen unter der Voraussetzung zu beenden, dass Libyen nicht nur die Verantwortung für Lockerbie übernimmt, sondern auch mit den USA gegen al-Qaida zusammenarbeitet und jeden Versuch aufgibt, in den Besitz von nuklearen, biologischen und chemischen Waffen zu gelangen. Dem Observer zufolge übergab Kousa umfangreiche Dokumente mit Details über in Afrika, Europa und dem Nahen Osten operierende islamische Terroristen und ihre Organisationseinheiten.

In den letzten beiden Jahren wurden die Beziehungen zwischen Libyen und den USA, Großbritannien und ihren Verbündeten dann zunehmend freundlicher. Libyens Zugehörigkeit zur "Achse des Bösen" wurde heruntergespielt. Im August 2003 drängte das einflussreiche amerikanische Nahostinstitut die Bush-Regierung, ihre Sanktionspolitik zu überprüfen, und warnte die Regierung, "sich irgendwelche Illusionen über eine auch nur teilweise Wirksamkeit unilateraler US-Sanktionen zu machen".

Man einigte sich über die Wiedergutmachung für Lockerbie. Libyen stellt Mittel für die Verwandten der Opfer der Katastrophe bereit. Im Gegenzug stimmte der UN-Sicherheitsrat im September zu, seine schon ausgesetzten Sanktionen endgültig zu beenden. Frankreich, das sich ebenfalls wegen eines abgestürzten Flugzeuges mit Libyen im Streit befindet, und die USA enthielten sich, machten aber von ihrem Vetorecht keinen Gebrauch. Bald darauf besuchte der spanische Premierminister und Bush-Freund Jose Maria Aznar Libyen mit dem Ziel, die Handelsbeziehungen auszuweiten.

Libyen hat auch die britische Politik zu Simbabwe unterstützt, die das belagerte Regime von Robert Mugabe von der Ölversorgung abschnitt.

Der US-Botschafter bei der UNO, James Cunningham, empfahl Libyen, den noch verbleibenden Zankapfel zwischen Washington und Tripolis aus der Welt zu schaffen - "Massenvernichtungswaffen und die Mittel zu ihrer Fertigung".

Zu diesem Zweck trafen Kousa und die libyschen Botschafter in Rom und London im Dezember im exklusiven Traveller's Club an der Londoner Pall Mall mit dem Generaldirektor des britischen Außenministeriums und führenden MI6-Agenten zusammen. Die Runde vereinbarte eine Erklärung, die an Blair, den britischen Außenminister Jack Straw und die nationale Sicherheitsberaterin der USA, Condoleezza Rice, weitergeleitet wurde. Libyen sei einverstanden, seine primitive Nuklearwaffenforschung, seine biologischen Waffen - die, wie es anderswo heißt, nie über das Niveau von mit menschlichen Fäkalien präparierten Sprengladungen hinausgingen - und seine chemischen Waffen aufzugeben. Letztere stellen für die libysche Bevölkerung einer weit größere Gefahr dar als für die Großmächte. Im Gegenzug wollten die Vereinigten Staaten die Sanktionen aufheben, die sie ohnehin als erfolglos einschätzten, und ihren großen Ölfirmen erlauben, auf dem Markt tätig zu werden, von dem sie seit 1986 ausgeschlossen waren und auf dem ihre europäischen Rivalen sie zu überholen drohten. Die Vereinigten Staaten boten auch an, Libyen mehr konventionelle Waffen zu verkaufen.

Libyen hat der Bush-Regierung einen Propagandacoup frei Haus geliefert. Die nationale Sicherheitsberaterin der Vereinigten Staaten, Condoleezza Rice, bestand darauf, das heruntergekommene libysche Arsenal groß zu reden und in die Abschlusserklärung in jedem Fall den Begriff "Waffenprogramme" aufzunehmen. Das erleichtert Vergleiche mit dem Irak, wo der missglückte Versuch der Besatzungstruppen, Massenvernichtungswaffen zu finden, Washington veranlasst hat, zu der etwas milderen Beschuldigung überzugehen, Saddam Hussein habe "Waffenprogramme" verfolgt.

Indem er das Land eng an die Vereinigten Staaten und Großbritannien bindet und Waffeninspekteure auf libyschen Boden einlädt, trägt Gaddafi gleichzeitig in bedeutendem Maße zur Isolation des Iran und Syriens bei, denen die USA wegen ihrer angeblichen WMD-Programme und der Beschuldigung, den Terrorismus zu unterstützen, Ultimaten gestellt haben.

Während sie ihren Frieden mit dem US-Imperialismus schließt, setzt die libysche Regierung innenpolitisch ein Programm von umfangreichen Privatisierungen durch, das den Zweck hat, Gaddafis Umfeld zu bereichern - und das in einem Land mit einer Arbeitslosenquote von 30 Prozent.

Letzten Juni ernannte Gaddafi Shukri Ghanem, den ehemaligen Vorsitzenden des Kartells der Ölproduzenten OPEC, zum Wirtschaftsminister. Ghanem ist jetzt zum Vorsitzenden der Allgemeinen Volksversammlung gewählt worden, was ihn praktisch zum Premierminister macht. Seine Aufgabe besteht in der Privatisierung von 300 staatlichen Unternehmen. Diese Maßnahme wird von Gaddafi als "Volkskapitalismus" bezeichnet.

Kurz vor Bekanntgabe seiner Vereinbarung mit dem US Imperialismus, hatte Gaddafi vor einer Versammlung libyscher Frauen erklärt, dass "die Zeiten des arabischen Nationalismus und der arabischen Einheit für immer vergangen sind... diese Ideen, die einmal die Massen mobilisiert haben, sind jetzt bloß noch eine wertlose Währung." Eigentlich als eine Kritik an Libyens Nachbarn gedacht, sind Gaddafis Worte eine Verurteilung seines eigenen Regimes und kennzeichnen die Unfähigkeit des bürgerlichen Nationalismus in allen seinen Erscheinungsformen, die sozialen Bedürfnisse und grundlegenden demokratischen Rechte der arabischen Arbeiterklasse und unterdrückten Massen zu befriedigen.

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