Die US-Regierung rechnet mit einem Haushaltsdefizit von einer halben Billion Dollar

Die Ankündigung der Bush-Regierung, sie rechne für das Haushaltsjahr 2004 mit einem Defizit von 521 Milliarden Dollar - ein absoluter Rekord -, wird mit Sicherheit weitere Warnungen vor den Gefahren hervorrufen, die diese ausufernde Neuverschuldung für das Weltfinanzsystem heraufbeschwört.

In einem Bericht, der letzten Monat erschien, warnt der Internationale Währungsfonds in diesem Zusammenhang vor "erheblichen Risiken" für die amerikanische Volkswirtschaft und die gesamte Welt. Die gleichen düsteren Prognosen enthält ein Papier, das Anfang Januar auf einer Tagung der American Economic Association, der größten Vereinigung von Ökonomen in den USA vorgestellt wurde.

Die Verfasser waren der ehemalige US-Finanzminister Robert Rubin und zwei bekannte Wirtschaftswissenschaftler, Peter Orszag vom Brookings Institute und Allan Sinai von Decision Economics. Die Entwicklung des Staatshaushalts der USA ist ihrer Einschätzung nach "unhaltbar". Ohne einen einschneidenden politischen Kurswechsel werde sich die kumulierte Verschuldung in den nächsten zehn Jahren auf etwa fünf Billionen Dollar belaufen.

"Der prognostizierte Haushaltsfehlbetrag unseres Landes hat derartige Ausmaße erreicht, dass das Risiko schwerwiegender Folgen sehr ernst genommen werden muss, wenn sich auch der genaue Zeitpunkt ihres Eintretens nicht vorhersagen lässt."

Die Bush-Regierung versucht solche Sorgen mit der Versicherung zu beschwichtigen, dass sie das Defizit bis 2009 halbieren werde. Diesen Zusagen wird allerdings kein großes Gewicht beigemessen, weil die Regierung erst vor zwei Jahren für das Haushaltsjahr 2004 ein Defizit von gerade einmal 14 Milliarden Dollar angekündigt hatte.

Eine zentrale Aussage des Rubin-Orszag-Sinai-Papiers lautet, die "gängige Auffassung", dass sich Haushaltsdefizite normalerweise allmählich aufbauen und nicht plötzlich entstehen, sei möglicherweise nicht richtig.

"Für die ferne Zukunft prognostizierte umfangreiche Defizite", schreiben sie, "können eine grundlegende Erwartungsänderung des Marktes und damit einen Vertrauensverlust im In- und Ausland auslösen. Die ungünstigen dynamischen Effekte, die sich daraus ergeben können, werden in der konventionellen Analyse von Haushaltsdefiziten kaum oder gar nicht berücksichtigt. Diese Auslassung ist im Zusammenhang mit kleinen und zeitweiligen Defiziten verständlich und angemessen; im Falle großer und dauerhafter Defizite wird sie aber irreführend.

Erhebliche laufende Defizite können Erwartungen und Vertrauen stark nachteilig beeinflussen, was wiederum eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale für das zugrundeliegende Haushaltsdefizit, für die Finanzmärkte und die Realwirtschaft hervorrufen kann."

Im Zusammenhang mit dieser Abwärtsspirale könne sich ein Vertrauensverlust bei den Investoren einstellen, sodass die internationalen Investoren ihr Vermögen aus Dollaranlagen abziehen. Die Folge wäre eine Abwertung des Dollar und ein Ansteigen der Zinssätze, was zu einem Sinken der Aktienkurse und einem Rückgang des verfügbaren Einkommens der Privathaushalte führen könnte. Das Ergebnis wäre ein weiterer Vertrauensverlust.

Je später das Problem angepackt werde, desto schwieriger werde es zu lösen sein, und dies mache "ein haushaltspolitisches und finanzielles Chaos für die Zukunft wahrscheinlich".

Andere Analysen der Haushaltsprognose zeigen, dass das Problem jetzt schon größer ist, als man offiziell zugibt.

Am 6. Januar veröffentlichte das Congressional Budget Office (CBO) - ein überparteiliches Gremium des Parlaments, das für die Überwachung der Staatsfinanzen zuständig ist - neue Prognosen, die davon ausgehen, dass sich die Defizite von 2004 bis 2013 auf 2,3 Billionen Dollar addieren werden. Aber das wird allgemein für eine Untertreibung gehalten.

Das Center on Budget and Policy Priorities - ein regierungsunabhängiges Informationszentrum zur Haushalts- und Sozialpolitik - kam in einer Studie vom 1. Februar zu dem Schluss, dass die Defizitprognose für die nächsten zehn Jahre auf 5,2 Billionen Dollar ansteigen würde, wenn man die wahrscheinlichen oder fast unausweichlichen Kosten, die aus der CBO-Prognose ausgeklammert wurden, wieder einfüge.

Diese Analyse stellt klar, dass die explosionsartige Ausweitung des Haushaltsdefizits nicht die Folge innenpolitischer Ausgabensteigerungen ist, sondern das Ergebnis von Bushs Steuersenkungen - die hauptsächlich den Reichen zugute kommen - sowie der steigenden Ausgaben für das Militär und die "Innere Sicherheit". Infolge der Steuersenkungen werden die Staatseinnahmen 2004 nur 15,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen - der niedrigste Wert seit 1950. In den nächsten zehn Jahren werden sie sich durchschnittlich auf 17,1 Prozent des BIP belaufen - ein geringerer Durchschnittswert, als in irgendeinem anderen Jahrzehnt in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.

Der CBO-Bericht vom Januar 2001 ging noch von einem Überschuss von fünf Billionen Dollar in der Zehnjahresperiode bis 2011 aus. Aber jetzt wird für die gleiche Periode ein Defizit von 4,3 Billionen Dollar errechnet. Der oben erwähnten Studie zufolge sind ca. 35 Prozent der Differenz von 9,3 Billionen Dollar Bushs Steuersenkungen geschuldet. Weitere 28 Prozent sind die Folge höherer Ausgaben, von denen zwei Drittel auf Militärausgaben, Ausgaben für die Innere Sicherheit und den "Krieg gegen den Terrorismus" entfallen. Nur vier Prozent der höheren Ausgaben im Inland werden nicht für Terrorabwehr im Innern verwendet. Der Rest der Differenz ist eine Folge der zu optimistischen Schätzungen des CBO im Jahr 2001.

Neben den finanziellen Gefahren befürchtet man, das wachsende Haushalts- und Handelsbilanzdefizit könnte auch nachteilige Auswirkungen auf die amerikanische Außenpolitik haben. Ein Artikel von Sherle R. Schwenninger in der jüngsten Ausgabe des Atlantic Monthly trägt den Titel "Amerikas ‚Suez-Moment'". Der Artikel weist darauf hin, dass Amerikas Militärmacht heute zwar unangefochten sei, seine Wirtschaft aber vom ständigen Zufluss von Auslandskapital abhänge, wobei Japan und China so viele US-Schulden halten, dass sie eigentlich "einen enormen Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik ausüben" könnten. Würde China eine bestimmte politische Initiative, wie z. B. einen Einmarsch in Nordkorea ablehnen, könnte es US-Schatzbriefe und andere in Dollar notierte Anlagen abstoßen und dadurch einen Kurssturz des Dollar und eine "schwere Krise" der US-Wirtschaft heraufbeschwören.

"China und Japan", so der Artikel weiter, "müssten nicht einmal gezielt feindlich vorgehen, um ein Chaos anzurichten; sie könnten auch zufällig durch falsche politische Entscheidungen oder Schwachpunkte ihrer eigenen Volkswirtschaften eine Währungskrise auslösen. Beide Länder haben ein instabiles Bankensystem, das mit faulen Krediten belastet ist, die niemals zurückgezahlt werden. Ökonomen warnen seit langem, dass ein Kollaps des japanischen Bankensystems in den USA zu chaotischen Zuständen führen könnte. Eine Bankenkrise in China könnte zu ähnlich ernsten Problemen führen."

Schwenninger erinnerte daran, dass Großbritannien auf den Höhepunkt seiner Rolle als imperialistische Weltmacht ein Nettoexporteur von Kapital war - im Gegensatz zu den USA heute. Aber das Empire war im Niedergang begriffen und büßte 1956, im Konflikt mit den USA um den Suezkanal, seinen Großmachtstatus ein. "Eine wichtige Lehre für die Politiker der USA: Großbritannien wurde nicht durch eine militärische Niederlage in die Knie gezwungen, sondern durch eine ökonomische - insbesondere durch die Weigerung der USA, das britische Pfund zu stützen, was die britische Regierung mit einer Währungskrise konfrontierte und sie zwang, den schlecht durchdachten Feldzug an der Seite Frankreichs und Israels zur Rückeroberung des von Ägypten enteigneten Suezkanals abzubrechen. Mit dem Anwachsen der Auslandsverschuldung gehen die USA ihrem eigenen Suez-Moment entgegen."

Schwenninger, der die Rückkehr zu einer multilateraleren Außenpolitik wünscht, hofft offenbar, dass die wachsenden ökonomischen Probleme die Bush-Regierung zwingen werden, von ihrer kriegerischen Politik abzulassen. Solche Hoffnungen sind fehl am Platz. Anstatt zu einer weniger aggressiven Außenpolitik zu führen, werden die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der USA immer intensivere Bemühungen hervorbringen, ihren wirtschaftlichen Niedergang durch den Einsatz militärischer Stärke wettzumachen, und zwar ganz unabhängig davon, was für eine Regierung in Washington an der Macht ist. Auf diese Dialektik wies Leo Trotzki schon vor mehr als 70 Jahren hin, als er in den zwanziger Jahren den Aufstieg des amerikanischen Imperialismus analysierte.

Die Vorstellung, seine wirtschaftlichen Probleme würden den amerikanischen Imperialismus zügeln, schrieb er, könne nur zu groben strategischen Fehlern führen. "Während der Krise wird sich die Hegemonie der Vereinigten Staaten noch viel vollständiger, offener, schärfer und rücksichtsloser auswirken als während der Aufstiegsperiode." Die USA würden versuchen, sich auf Kosten ihrer Rivalen von ihren Problemen zu befreien, "ob auf friedlichem oder kriegerischem Wege" (Leo Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, Essen 1993, S. 29).

Siehe auch:
Weltwirtschaft: 2004 kein reibungsloser Weg zum Wachstum
(14. Januar 2004)
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