Staatsstreich in Haiti

USA erzwingen Rücktritt Aristides

Im gewaltsamen Sturz und erzwungenen Exil des haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide zeigt sich der brutale und raubgierige Charakter des wiederauflebenden Imperialismus, der sich hinter der demokratischen Pose Washingtons und anderer beteiligter Großmächte verbirgt. Das Vorgehen der US-Regierung in Haiti unterstreicht die Verlogenheit ihrer Behauptung, dass der Einmarsch im Irak im Mittleren Osten und weltweit ein Zeitalter der Demokratisierung und der Freiheit eingeleitet habe.

Aristides Sturz ist das Ergebnis eines gewaltsamen Staatsstreichs, der von der Bush-Regierung mit Unterstützung der Regierung Chirac gesteuert wurde. Ausführende Organe waren Killerkommandos, die sich aus der aufgelösten haitianischen Armee rekrutieren, und von der CIA unterstützte Todesschwadronen, die bereits unter der Militärdiktatur zu Beginn der 1990er Jahre die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten.

Ein Anführer der bewaffneten Banden, die das Land überrannten, ist Louis-Jodel Chamblain, ein ehemaliger Offizier der haitianischen Armee. Er wurde zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, weil er 1993 in den Mord an dem politischen Aktivisten Antoine Izmérym beteiligt gewesen war. Ein anderer Anführer, Jean-Pierre Baptiste, erhielt wegen seiner Beteiligung an einem Massaker im Jahr 1994 ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe. Beide gehörten zur Führung der FRAPH ("Haitianische Front für Entwicklung und Fortschritt"), der von der CIA gesponserten paramilitärischen Todesschwadron, die in den Jahren 1991 bis 1993 die Gegner des damals herrschenden Militärregimes terrorisierte.

Zu den Anführern gehört des weiteren Guy Philippe, ein ehemaliger Angehöriger des haitianischen Militärs, der in den 1990er Jahren in Ecuador von Spezialeinheiten der US-Armee ausgebildet und dann zurück nach Haiti geschickt wurde, wo er sich als brutaler Polizeichef einen Namen machte und im Jahr 2000 einen Putsch anzuzetteln versuchte. Er wird darüber hinaus des Kokainhandels verdächtigt.

Diese schwer bewaffneten Terroristen drangen von der Dominikanischen Republik aus in Haiti ein. Es gibt überzeugende Hinweise darauf, dass sie von Washington ausgebildet, finanziert und bewaffnet wurden. Sie verfügen über Maschinengewehre, Granatwerfer und andere Waffen aus Beständen, die ursprünglich an die Dominikanische Armee geliefert worden waren.

Hunderte Haitianer kostete dieser von den USA organisierte Putsch das Leben. Reporter vor Ort haben berichtet, dass die bewaffneten Trupps in den von ihnen eroberten Städten - Gonaives und Cap Haitien - die Wohnviertel systematisch nach Aristide-Anhänger durchkämmten und alle hinrichteten, die nicht rechtzeitig geflohen waren.

Auch in Port-au-Prince droht ein Blutbad. Seine Einwohner haben Barrikaden errichtet und sich bewaffnet, um einen Angriff auf die Hauptstadt abzuwehren. Ungeachtet Aristides Flucht ins Exil haben die Führer der bewaffneten Banden geschworen, sie würden Port-au-Prince erobern, um die "Ordnung" wiederherzustellen.

Washington verhält sich dieser Drohung gegenüber ambivalent, wehrte jedoch zuvor jeden Versuch ab, einen gewaltsamen Sturz der demokratisch gewählten Regierung Aristide zu verhindern. "Die Rebellen sind der Joker. Bleiben sie auf Linie?", erklärte ein Vertreter des US-Außenministeriums gegenüber der Nachrichtenagentur Reuter. "Wir legen Wert darauf, sie zu neutralisieren. Dazu müssen wir sie nicht unbedingt jagen, aber ihnen auf jeden Fall zum richtigen Zeitpunkt einen Dämpfer verpassen."

Doch wann ist "der richtige Zeitpunkt"? Die Umwälzung, die in Haiti unter Einsatz eines gewaltsamen, verfassungswidrigen Staatsstreichs betrieben wird, kann nur durch ein Terrorregime gegen die Arbeiter und die arme Bevölkerung des Landes gefestigt werden. Die so genannte "politische Opposition" und ihre Herren in Washington könnten es also durchaus für angebracht halten, den Todesschwadronen in Port-au-Prince für eine Weile freie Hand zu lassen.

Die "politische Opposition", die in der Gruppe der 184 und der Demokratischen Plattform organisiert ist, steht unter der Kontrolle der privilegierten Klassen Haitis, die von einem geradezu pathologischen Hass auf Aristide getrieben werden, weil dieser in den letzten Tagen der Duvalier-Diktatur die Anliegen der armen Bevölkerung aufgriff. Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, und ein Prozent der Bevölkerung verfügt über nahezu die Hälfte seines Gesamtvermögens.

Diese wohlhabende Elite hat Aristide seinen Appell an die Unterdrückten nie verziehen. Daran konnte auch seine spätere Korruption und Kapitulation vor dem internationalen Finanzkapital nichts ändern. Ihnen geht es nicht nur um den Sturz Aristides, sondern um eine Abrechnung mit den unterdrückten Massen.

Ob diese sofort erfolgen oder sich über mehrere Monate hinziehen wird, bleibt abzuwarten. Eine der Hauptforderungen der Todesschwadronen ist die Wiederherstellung der haitianischen Armee, vorzugsweise unter ihrer Führung. Diese Armee, die von Aristide 1995 aufgelöst wurde, war ein bestialisches innenpolitisches Unterdrückungsinstrument, das den Reichtum und die Macht der herrschenden Clans mit allen Mitteln verteidigte.

Wie am Sonntag gemeldet wurde, steht ein 2.200 Mann starkes Einsatzkommando von US-Marineinfanteristen bereit, das innerhalb weniger Stunden in Haiti landen könnte. Ob es tatsächlich dazu kommen wird, und welche Mission das Kommando schließlich erhält, steht doch nicht fest. Washingtons Bereitschaft zu einer solchen Intervention widerlegt jedenfalls die früheren Behauptungen der Bush-Regierung, sie versuche zwischen Aristide, der herrschenden Elite Haitis und den ultrarechten Terroristen zu vermitteln.

Noch vor weniger als zwei Wochen erklärte Außenminister Colin Powell: "Im Moment möchten wir eigentlich keine militärischen oder polizeilichen Einsatzkräfte entsenden, um die dortige Gewalt zu unterbinden." Er befürwortete eine "politische Lösung" in Form eines Abkommens zwischen Aristide und der Opposition, das den gewählten Präsidenten zum bloßen Aushängeschild einer weitgehend von Washington kontrollierten Regierung gemacht hätte.

Während Aristide einer solchen Lösung zustimmte, lehnte die Opposition ab. Sie forderte die bedingungslose Absetzung des Präsidenten. Die Bush-Regierung reagierte auf dieses Aufbegehren, indem sie sich der Forderung der Opposition nach Aristides Rücktritt anschloss. Entsprechend gab der Pressesprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, eine Erklärung heraus, in der Aristide aufgefordert wurde, "seine Haltung genau zu überdenken, seiner Verantwortung gerecht zu werden und zum Wohle des haitianischen Volkes zu handeln".

In der Erklärung hieß es weiter, das Chaos in Haiti sei "weitgehend Aristides Werk" - obwohl es eindeutig durch den von der CIA unterstützten Aufstand ausgelöst worden war. Die Erklärung segnete im wesentlichen das Vorgehen der Todesschwadronen ab und erteilte Aristides schwacher Hoffnung, ein Eingreifen der USA könnte seinen Sturz verhindern, eine schroffe Abfuhr. Nun, da die angestrebte "politische Lösung" - der Sturz des gewählten Präsidenten - erreicht ist, stehen amerikanische Truppen zum Einmarsch bereit.

Dies bekräftigte der US-Botschafter in Haiti, James Foley, als er der Vereidigung des Übergangspräsidenten, des Richters am Obersten Gerichtshof Boniface Alexandre, in offizieller Funktion beiwohnte. "Internationale Militärstreitkräfte, darunter US-Truppen, werden in Kürze in Haiti eintreffen, um den Menschen wieder das Gefühl der Sicherheit zu geben", sagte er.

Foley warf den Anhängern Aristides "Brandstiftung, Plünderungen und Mord" vor - und dies, nachdem er zuvor ungerührt zugesehen hatte, wie die Todesschwadronen Hunderte Menschen abschlachteten. Seine Aussagen lassen wenig Zweifel daran, wen die US-Marineinfanteristen unterdrücken sollen.

Die Regierung Frankreichs trägt diese Verschwörung uneingeschränkt mit. Ihr Außenminister Dominique de Villepin hat wiederholt betont, dass der Rücktritt Aristides die einzige Lösung für die Krise Haitis sei. Paris war direkt an der Herbeiführung der Krise beteiligt, indem es die politischen Gegner Aristides mit üppiger finanzieller Unterstützung versah.

Wer nach Frankreichs Opposition gegen den unilateralen Einmarsch der USA im Irak geglaubt hatte, dass der französische Imperialismus eine Art gutartige Alternative zum amerikanischen sei, den sollten die Ereignisse in Haiti eines Besseren belehrt haben.

Frankreich, die ehemalige Kolonialmacht in Haiti, gab die Kontrolle über das Land erst auf, nachdem es Anfang des 19. Jahrhunderts von einem Sklavenaufstand unter der Führung von Toussaint L'Ouverture militärisch besiegt worden war. Anschließend setzte es die um ihr Überleben kämpfende schwarze Republik finanziell unter Druck, indem es horrende Schadensersatzforderungen erhob, und lockte L'Ouverture nach Frankreich, wo man ihn in Fort Joux einsperrte und verhungern ließ.

Die französische herrschende Klasse sorgte dafür, dass das unabhängige Haiti auf Ruinen errichtet wurde und nicht die Kraft hatte, sich aus Armut und Unterdrückung zu befreien. Das Land wurde zum Opfer der aufsteigenden imperialistischen Macht des Westens, der USA. Washington entsandte im Jahr 1915 Marineinfanteristen nach Haiti und hielt das Land nahezu 20 Jahre lang besetzt. Bei ihrem Abzug hinterließen die USA eine haitianische Armee, die ein Bollwerk repressiver Gewalt darstellte und anschließend die blutige, dreißigjährige Diktatur des Duvalier-Clans unterstützte.

Die Vertreibung Aristides und die jetzige Intervention ausländischer Truppen sind ein unverkennbares Anzeichen für die Wiedererstehung des Imperialismus auf internationaler Ebene. Haiti wurde auf den Status eines "gescheiterten Staates" abgewertet. Unter diese Kategorie fallen diejenigen Länder, deren Volkswirtschaft und soziale Struktur durch die Ausplünderung des internationalen Finanzkapitals zerstört wurden. Washington - und Paris - maßen sich das Recht an, die Regierungen solcher Länder, ob gewählt oder nicht, nach Gutdünken abzusetzen, um ihre strategischen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen zu sichern. Das Ergebnis ist eine Wiederbelebung desselben arroganten Kolonialismus, der das frühe 20. Jahrhundert kennzeichnete.

Der Einsatz internationaler Truppen unter Führung der USA wird die Unterdrückung der acht Millionen Einwohner Haitis nur verstärken und die Grundlagen für eine neue, von den USA abgesegnete Diktatur legen. Er ist Bestandteil desselben Wütens des amerikanischen Imperialismus, der in den vergangenen knapp zweieinhalb Jahren zu zwei Kriegen und zum Einsatz von US-Truppen in mehr als 100 Ländern geführt hat.

Darüber hinaus beweist die Flucht Aristides ins Exil das Scheitern nicht nur seiner populistischen Bewegung in Haiti, sondern der gesamten Perspektive, man könne dem Imperialismus gestützt auf kleinbürgerlichen Nationalismus beikommen. Die Tatsache, dass ein paar Hundert gut bewaffnete Schlägertrupps ein ganzes Land erobern und seinen Präsidenten zur Flucht zwingen können, ist ein Zeugnis für den Bankrott dieser politischen Konzeption.

Als Aristide nicht in der Lage war, auf der Grundlage seiner nationalistischen Politik irgendeine wichtige soziale Errungenschaft zu erreichen oder zu halten, schmolz seine Unterstützung in der Bevölkerung dahin. Während die Masse der Haitianer der wohlsituierten politischen Opposition nach wie vor mit Ablehnung begegnete, glaubte sie nicht mehr daran, dass die Regierung Aristide einen Kampf gegen die privilegierte Elite und ihre Schlägerbanden führen werde, hatte sie doch gegenüber der drakonischen Politik des Internationalen Währungsfonds und der internationalen Banken stets nachgegeben.

Ungeachtet seiner anti-imperialistischen Rhetorik versuchte Aristide zu keinem Zeitpunkt, die staatlichen Strukturen abzuschaffen, die das Erbe von zweihundert Jahren ausländischer Unterdrückung sind. Er unternahm keinen Versuch, alternative Formen der Volksherrschaft zu begründen, die sich auf die Arbeiterklasse gestützt hätten.

Die Arbeiter und die arme Bevölkerung Haitis hatten bereits die Erfahrung des Jahres 1991 hinter sich. Damals wurde der neu gewählte Aristide durch einen von den USA unterstützen Militärputsch gestürzt. Er selbst setzte sich damals in die USA ab, während seine Anhänger die Konsequenzen tragen mussten. Fünftausend Menschen sollen damals ermordet worden sein.

Ein abermaliges Eingreifen der USA setzte ihn wieder ins Amt, nachdem er offenbar zugesagt hatte, den Forderungen des IWF nachzukommen und die sozialen Kämpfe der haitianischen Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Das Ergebnis war ein korruptes und handlungsunfähiges Regime, unter dem sich die Lebensbedingungen ständig verschlechterten.

Der tragische Ausgang der Kämpfe, die sich seit dem Sturz der Duvalier-Diktatur nun schon zwanzig Jahre hinziehen, bezeugt die Fruchtlosigkeit der "linken" nationalistischen Demagogie, wie sie Aristide in Haiti betrieb. Die Bemühungen Washingtons und seiner Klientel unter den haitianischen Wirtschaftsführern, wieder eine Diktatur nach kolonialem Vorbild einzusetzen, werden die sozialen Spannungen und Klassengegensätze unweigerlich verschärfen.

Die politisch bewusstesten Schichten der arbeitenden Bevölkerung in Haiti müssen diese bittere strategische Erfahrung und ihre wichtigste Lehre kritisch überdenken: Auf der Grundlage einer national orientierten Politik kann die imperialistische Unterdrückung nicht überwunden werden. Die Arbeiterklasse und die verarmten Massen in Haiti, der gesamten Karibik und auch der USA selbst müssen sich gegen den Kapitalismus als Weltsystem zusammenschließen.

Siehe auch:
Aristide beschuldigt die USA ihn entführt zu haben
(3. März 2004)
Kissinger und Argentinien - eine Fallstudie über die Unterstützung von staatlichem Terror durch die USA
( 8. Januar 2004)
Planen die USA die Ermordung des venezolanischen Präsidenten?
( 16. Oktober 2003)
"Streik" in Venezuela: Anatomie einer von den USA gestützten Provokation
( 29. Januar 2003)