Hamburger Bürgerschaftswahl:

SPD im freien Fall

Eindeutiger hätte die Wahlschlappe für die SPD bei den vorgezogenen Bürgerschaftswahl in Hamburg nicht ausfallen können. Mit 30,5 Prozent der Stimmen (- 6 Prozent) erzielte die SPD ihr schlechtestes Ergebnis in der Hansestadt in der Nachkriegszeit. Die zweitgrößte deutsche Stadt war traditionell eine Hochburg der SPD, sie bekam dort bis in die 1980er Jahre 50-60 Prozent der Stimmen und regierte daher jahrzehntelang allein.

Scharen von Arbeitern, Arbeitslosen und Rentner straften die SPD für ihren pausenlosen Sozialabbau ab, der mit der Agenda 2010 seinen jüngsten Höhepunkt gefunden hatte. Überall, wo der farblose Spitzenkandidat der SPD, Thomas Mirow, mit seinem Wahlkampfteam auftrat, musste er sich für die Sozialkürzungen und die Gesundheitsreform der Schröder-Regierung rechtfertigen.

Schon bei der letzten Bürgerschaftswahl 2001 erhielt die SPD nur 36,5 Prozent, hatte damit aber noch die meisten Stimmen erhalten. Die CDU kam damals auf 26,2 Prozent und die neu gegründete rechte Schill-Partei erreichte auf Anhieb 19,4 Prozent.

Diesmal heimste die CDU mit ihrem amtierenden Bürgermeister Ole von Beust 47,2 Prozent der Stimmen ein. Dieser außergewöhnlich hohe Zuwachs von 21 Prozent brachte der Hamburger CDU ihr mit Abstand bestes Ergebnis. Die rechte Schillpartei, die sich nach ihrem Rauschmiss aus der Regierung gespalten hatte und sich jetzt Pro DM/Schill nannte, erhielt nur noch 3,1 Prozent und scheiterte ebenso wie die FDP mit 2,8 Prozent deutlich an der 5 Prozent-Hürde. Die Grünen bekamen 12,3 Prozent und legten damit um 3,7 Prozent zu.

Der fortgesetzte Niedergang der Sozialdemokratie kommt weder überraschend noch ist er zu bedauern. Abgesehen von den letzten Bundestagswahlen ist es die vierte schwere Niederlage für die SPD in Folge. Bei den Landtags- und Kommunalwahlen in Niedersachsen, Bayern und Brandenburg ging der Stimmenanteil der SPD um nahezu 10 Prozent zurück. Überdies zeigen die Massenaustritte aus der SPD, die unvermindert anhalten, dass diese Partei auch ihre letzte traditionelle Basis verliert. Seit Anfang der 90er Jahren hat die SPD 300.000 Mitglieder unwiederbringlich verloren.

Die SPD konnte zu Zeiten des Kalten Krieges, als der Kapitalismus sich im wirtschaftlichen Aufschwung befand, einige soziale Zugeständnisse für sich verbuchen. Für viele Arbeiter stand die SPD synonym für einen sozialen Ausgleich. Die SPD pries die soziale Marktwirtschaft als Gesellschaftsform, die der arbeitenden Bevölkerung eine sorgenlose Zukunft zu bieten hätte - Wohlstand, Demokratie und ein friedliches Europa lägen in unmittelbarer Reichweite, hieß es.

Was ist davon übrig geblieben? Die einfache Bevölkerung erlebt heute eine andere Realität. Eine rot-grüne Regierung tritt ihr seit fünf Jahren zunehmend feindlich gegenüber. Mit Bestürzung verfolgen ehemalige SPD-Wähler, wie diese Regierung die Axt an den Sozialstaat und die Demokratie anlegt.

Die großen Verschiebungen bei der Hamburg-Wahl und der scheinbar überwältigende Wahlsieg der CDU sind in erster Linie ein Ergebnis der bankrotten Politik der SPD.

Diejenigen Wähler, die 2001 aus Protest gegen die SPD der Schill-Partei auf den Leim gegangen sind, haben jetzt überwiegend die CDU gewählt. Sie taten dies aber nicht, weil sie Vertrauen in die CDU-Politik hätten. Die völlig inhaltslose One-Man-Show des Ole von Beust konnte nur deshalb Wirkung zeigen, weil weit und breit keine politische Alternative in Sicht war. Laut der letzten Emnid-Umfrage wussten 40 Prozent der Befragten kurz vor der Wahl noch nicht, wen sie wählen, oder ob sie überhaupt wählen sollten. 64 Prozent waren mit dem im Dezember aufgelösten Senat aus CDU, FDP und Partei Rechtsstaatliche Offensive (Ex-Schill-Partei) unzufrieden, während 71 Prozent auch der Opposition (SPD) nichts abgewinnen konnten.

Politisch inhaltslose, von Werbeagenturen gestylte Wahlkämpfe haben seit geraumer Zeit die politische Debatte und Auseinandersetzung über die eigentlichen gesellschaftliche Fragen ersetzt. Die banalen Darbietungen, die beim Hamburg Wahlkampf allerdings geboten wurden, erreichten einen neuen Tiefpunkt.

Der Springer-Verlag nutzte seine Monopolstellung auf dem Hamburger Zeitungsmarkt aus und führte den Wahlkampf für Ole von Beust in einer Art und Weise, die man nur als undemokratisch bezeichnen kann. Sie verpasste Beust ein Image, das ihn modern, weltoffen und vor allem hanseatisch erscheinen ließ. Wochenlang war er der Titelheld mit Schlagzeilen wie: "Ole-Superstar", "Promis kämpfen für Ole von Beust" oder "Hamburger outen sich für Ole von Beust". Damit sollte geflissentlich von seiner katastrophalen Landespolitik ablenkt werden - Stichwort: Bildungsmisere, Privatisierung von Krankenhäusern, steigende Arbeitslosigkeit usw.

Bei den letzten Wahlen hatte die Springerpresse den Rechtsaußen Ronald Schill auf ihr Schild gehoben, der versprach, in Hamburg "aufzuräumen" und damit vor allen Dingen Asylbewerber, Sozialhilfeempfänger, Drogenabhängige und Homosexuelle meinte.

Damals hatte Beust den Rechtsaußen Schill, besser bekannt als "Richter Gnadenlos", ins Rathaus geholt und zum Innensenator gemacht, denn er selbst konnte nur mit Schills Unterstützung Bürgermeister werden. Zusammen mit der FDP, die mit 5,1 Prozent knapp ins Parlament gekommen war, führte er fortan eine Regierung an, die praktisch nichts zu Stande bekam. Schill und seine "Partei Rechtsstaatliche Offensive" (PRO) glänzten nur durch Korruptionsskandale ihrer Senatoren.

Im Sommer 2002 kam es dann zum ersten Eklat mit Schill. Als Vertreter des Landes Hamburgs sprach er im Bundestag und nutzte eine Debatte über die Flutkatastrophe, um wüste rassistische Äußerungen gegen Asylbewerber vom Stapel zu lassen. Er überzog mehrmals die Redezeit und konnte nur mit Mühe von der Bundestagsvizepräsidentin gestoppt werden, die ihm schließlich das Mikrophon abdrehte. Doch Beust scherten solche Dinge wenig. Auch die Bekanntgabe von ständig neuen Mauscheleien sowie finanzielle Unregelmäßigkeiten, in die Regierungspolitiker der PRO verwickelt waren, konnten Beusts Koalitionstreue mit Schill nicht erschüttern.

Erst als Schill auf dem Höhepunkt der Koalitionskrise damit drohte, Beusts Homosexualität an die Öffentlichkeit zu tragen, warf Beust seinen Innensentor aus der Regierung. Schill hatte seinen "per Du"-Kollegen Ole vorgeworfen, er unterhalte eine angebliche homosexuelle Beziehung mit Justizsenator Roger Kusch (CDU) und er würde Privates und Dienstliches miteinander verquicken.

Beust sah sich daraufhin gezwungen, seinen Innensenator zu feuern - mit der für ihn selbst nicht gerade schmeichelhaften, plötzlichen Feststellung, Schill sei für das Amt des Innensenators "charakterlich nicht geeignet". Doch an der Koalition mit der Schill-Partei hielt von Beust auch weiterhin fest.

Der Grund dafür ist einfach: Inhaltlich gab es zwischen von Beust, Justizsenator Kusch und Schill keine wesentlichen politischen Meinungsverschiedenheiten. Ganz im Geiste von Schill treten auch Beust und Kusch für eine verstärkte Polizei- und Staatsaufrüstung ein. Kusch hat sich einen Namen gemacht als glühender Verfechter eines verschärften Maßregelvollzugs. Im Herbst 2002 verabschiedeten die Abgeordneten von CDU und FDP ein von der Schill-Partei gefordertes Gesetz, das die Abhörbefugnisse des Geheimdiensts drastisch ausweitet. Das Hamburger Gesetz geht noch weit über das von Bundesinnenminister Schily initiierte Sicherheitspaket hinaus und lässt den Geheimdienst völlig unkontrolliert agieren.

Als im Frühjahr letzten Jahres Zehntausende Schüler in Hamburg gegen den Irakkrieg demonstrierten, ließen Beust und Schill die friedliche Demonstration von der Polizei einkesseln und brutal mit Wasserwerfern und Schlagstöcken auflösen.

Im Wahlkampf dagegen wurden diese Geschehnisse sorgfältig ausgeblendet. Die Plakate von der CDU unterboten gar noch das Niveau der Bildzeitung. Außer dem ewig lächelnden Blondschopf Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust (sein vollständiger Name, den er sicherheitshalber mit 18 Jahren verkürzen ließ), verkündete die CDU drei wichtige politische Botschaften: "Michel, Alster, Ole". Nur die Freidemokraten waren in der Lage dieses noch zu toppen. Ihre plakatierte Losung lautete - ohne Witz - "Olé! Olé! Nur mit der FDP!"

Was und welche Politik verkörpert Ole von Beust eigentlich? Diese Frage können erklärtermaßen nicht einmal seine eigenen Parteifreunde schlüssig beantworten. Es wäre vielleicht am zutreffendsten, ihn den Mann ohne Eigenschaften zu nennen. Ähnlich wie seine CDU-Chefin Angela Merkel scheint er eine ideale Projektionsfläche zu bieten für sehr unterschiedliche und nicht klar erkennbare politische Ziele. Dieser Typus von Politiker, der scheinbar liberal, freundlich-zaudernd und unverbindlich daherkommt, verzichtet auf eigene politische Überlegungen und Konzeptionen. Politische Prinzipien sind ihm fremd. Ein Ole von Beust kann heute mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill regieren, morgen einige tolerante und liberale Bemerkungen machen und, wie im Wahlkampf wiederholt geschehen, mit den Grünen liebäugeln, um dann übermorgen, wie übrigens schon beschlossen, sämtliche städtischen Krankenhäuser in Hamburg privatisieren.

Ole von Beust wurde vermutlich Politiker, weil bereits sein Vater Achim-Helge Freiherr von Beust der erste Vorsitzende der Jungen Union in der Hansestadt war und dann von 1954-1980 Bezirksamtsleiter von Wandsbek. Der junge Beust erbte 1977 gewissermaßen den Vorsitz der Jungen Union von seinem Vater. Und 1994 übernahm er dann schließlich auch den Parteivorsitz in Wandsbek, dem mitgliederstärksten CDU-Kreisverband. Im September 1997 wurde er als Spitzenkandidat seiner Partei in die Bürgerschaft gewählt. Seitdem sucht man vergeblich nach irgendwelchen politischen Glanztaten, mit denen er in Erscheinung getreten wäre.

Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte am Montag nach den Wahlen, seine Partei werde ungeachtet der Opposition der Bevölkerung an ihrem rabiaten Sozialabbau festhalten. Zwar sei der Einfluss des Reformprozesses auf die Hamburg-Wahl eindeutig nicht positiv gewesen, meinte er, fügte jedoch hinzu: "Wir werden ihn aber fortsetzen, weil es dazu eine vernünftige Alternative nicht gibt."

Siehe auch:
Kommunalwahl in Brandenburg: Aderlass für die SPD
(29. Oktober 2003)
Schill-Partei gibt im Hamburger Senat den Ton an
( 2. November 2002)
Die Hamburg-Wahl und ihre Folgen
( 27. September 2001)
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