Wofür steht Horst Köhler?

Geschäftsführender Direktor des IWF zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert

Die Nominierung des bisherigen IWF-Direktors Horst Köhler zum Kandidaten für das Amt des deutschen Bundespräsidenten ist einer der Reflexe, mit denen die europäische Politik auf das aggressive Auftreten der USA im Irakkrieg reagiert. Köhler steht für einen rabiaten Kurs sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik, der die herrschende Schicht in die Lage versetzen soll, auf Weltebene mit Amerika zu konkurrieren. Nach innen wird Köhler die von Bundeskanzler Schröder begonnene Zerschlagung des Sozialstaats forcieren. Außenpolitisch wird er mit verstärktem Nachdruck die Interessen Deutschlands in der Weltpolitik anmelden.

Die Wahl des Bundespräsidenten erfolgt am 23. Mai durch ein besonderes Gremium, die Bundesversammlung, das ausschließlich zu diesem Zweck zusammentritt. Unter den 1206 Delegierten der Bundesversammlung, die zur Hälfte aus dem Bundestag und zur Hälfte aus den Länderparlamenten stammen, verfügen die Oppositionsparteien CDU /CSU und FDP über eine klare Mehrheit. Ihr Kandidat steht als Sieger von vornherein fest.

Die Kandidatensuche war ein Schauspiel, mit dem diese Parteien dem ganzen Land ihre Zerstrittenheit und Zerrüttung vor Augen führten. Obwohl die CDU in Meinungsumfragen derzeit um die 50 Prozent Zustimmung erhält und die jüngsten Wahlen in Hamburg haushoch gewann, ist ihr innerer Zustand kaum besser als jener der SPD, die in den Landtags- und Kommunalwahlen der jüngsten Vergangenheit schwere Niederlagen hinnehmen musste und in den Meinungsumfragen mittlerweile um die 25 Prozent schwankt.

Die wochenlangen Machtkämpfe, die der Nominierung Horst Köhlers vorausgingen, drehten sich im Wesentlichen um den nächsten Kanzlerkandidaten von CDU/CSU. Dabei stehen sich die Parteivorsitzende Angela Merkel (CDU), der bayerische Ministerpräsident und frühere Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) sowie eine Gruppe um den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) gegenüber. Mit der Nominierung einer Frau wäre beispielsweise Merkel als künftige Kanzlerkandidatin ausgeschaltet gewesen. Stoibers Nominierung, von Merkel zeitweise angestrebt, hätte ihn aus dem Rennen um die Kanzlerschaft geworfen. Wolfgang Schäuble, der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, auf den sich Merkel und Stoiber einigten, wurde wiederum vom Vorsitzenden der FDP nicht akzeptiert.

Aus all dem Gerangel und ebenso langen wie undurchsichtigen Intrigen stieg schließlich wie der Phönix aus der Asche der Caudillo der internationalen Kapital- und Finanzmärkte, Horst Köhler hervor. Köhler wurde von Merkel vorgeschlagen, die offenbar bereits Anfang des Jahres bei ihm vorgefühlt hatte.

Die immer etwas unbeholfen wirkende Angela Merkel galt bisher innerhalb der CDU/CSU als kleinster gemeinsamer Nenner, auf den sich die auseinanderstrebenden Parteiflügel einigen konnten. Das Fehlen einer klaren politischen Identität machte sie zur passenden Kompromissbesetzung für den Führungsposten einer Partei, die von starken inneren Widersprüchen gekennzeichnet wird. Die CDU beherbergt aufgrund ihrer Nachkriegsgeschichte neben einem stramm rechten Flügel immer noch Kräfte, denen der Bruch mit den Traditionen des Sozialkompromisses weniger leicht fällt, weil ihre eigene Klientel davon betroffen ist.

Indem Merkel Horst Köhler aus dem Hut zauberte, bezog sie eindeutig Stellung auf Seiten des äußersten rechten Flügels der Wirtschaftsliberalen, der sich damit auf dem Weg zur Macht in die Führungsposition schiebt.

Horst Köhler ist ein internationaler Top-Banker mit reichlich außenpolitischer Erfahrung. Als Geschäftsführender Direktor des IWF gewöhnte er sich daran, das Leben der Nationen von der Warte der internationalen Finanzelite aus zu beurteilen. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung war er gerade aus Brasilien zurückgekehrt und hatte davor Korea und Japan besucht. Überall diktierte er in offizieller Funktion eine Politik im Sinne des Wirtschaftsliberalismus. In einer Presseerklärung des IWF vom 1. März 2004 lobt er beispielsweise die Regierung Brasiliens, weil es ihr endlich gelungen sei, "langjährige Strukturprobleme" zu lösen, indem sie "das Renten- und Steuersystem reformierte".

Köhler betrachtet die Bundesrepublik Deutschland aus dem gleichen Blickwinkel, wie alle anderen Nationen auch, und beurteilt sie anhand der üblichen IWF-Kriterien, zu denen in erster Linie die Rendite auf das eingesetzte Kapital gehört: günstige Investitionsmöglichkeiten, Freizügigkeit für Kapitalbewegungen, liberale Steuergesetzgebung, ein ausgeglichener Staatshaushalt (sprich Abbau von Sozialleistungen) - der ganze heilige Profitkanon.

Obwohl Horst Köhler seit 1981 der CDU angehört, wurde er im Jahr 2000 von Gerhard Schröder für den obersten Posten des Internationalen Währungsfonds vorgeschlagen. Er hat angekündigt, dass er sich nicht von parteipolitischen Erwägungen leiten lassen werde, und Schröder bescheinigte ihm prompt eine hohe fachliche Kompetenz.

Köhler bezeichnete Schröders "Agenda 2010" als "historisch", erklärte aber, noch in seiner Funktion als IWF-Direktor: "Aus meiner Sicht gehen die Vorschläge nicht weit genug." Er forderte "nachhaltige Reformen des Arbeits-, Sozial- und Steuersystems" und äußerte die Einschätzung, dass sich "zentralistische Lohnabschlüsse immer mehr als Arbeitsplatzvernichter" erweisen. "Es fehlt in Deutschland der Wille zur schöpferischen Zerstörung alter Strukturen", erklärte er im Herbst 2003 in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die FAZ zitierte ihn außerdem mit der "Selbstkritik", dass er während seiner Zeit in der Regierung Kohl an groben Fehlern beteiligt gewesen sei, weil die christlich-liberale Koalition nach der Wiedervereinigung und den damit verbundenen Soziallasten die Sozialsysteme viel zu großzügig ausgebaut habe.

Horst Köhler war von 1990 bis 1993 als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium für internationale finanzielle und monetäre Beziehungen zuständig und handelte in dieser Funktion die Verträge über die Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR aus. Bei den Vertretern Russlands hinterließ er als Verhandlungsführer in Sachen Rückführung der ehemaligen Sowjetstreitkräfte den Eindruck eines ziemlich ruppigen Zeitgenossen.

Außerdem führte er im Auftrag der Bundesregierung die Verhandlungen über die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, deren Ergebnisse 1992 im Maastricht-Vertrag festgehalten wurden. Auf seine maßgebliche Initiative gehen also die berüchtigten Maastricht-Kriterien zurück, mit denen in ganz Europa eine rigide Spar- und Kürzungspolitik begründet wird. Außerdem war Köhler persönlicher Vertreter von Bundeskanzler Kohl bei der Vorbereitung der vier G7-Wirtschaftsgipfel von 1990 bis 1993.

Das Amt des Bundespräsidenten wurde bisher mit eher repräsentativen und symbolischen Aufgaben in Verbindung gebracht. Man wählte honorige Figuren, deren realer politischer Einfluss kaum über Versuche hinaus ging, das öffentliche Klima in der einen oder anderen Richtung zu beeinflussen. Der gegenwärtige Amtsinhaber Johannes Rau (SPD) gehört ebenso in diese Kategorie wie sein Vorgänger Roman Herzog (CDU).

Horst Köhler fällt in der Reihe der bisherigen Bundespräsidenten eindeutig aus dem Rahmen. Weshalb wurde er nominiert?

Die Auswahl früherer Anwärter auf dieses Amt war oft mit Fragen der parlamentarischen Machtverteilung verbunden. Der Spiegel verweist in seiner jüngsten Ausgabe auf die Auseinandersetzung zwischen Herbert Wehner und Willy Brandt in den 1960er Jahren. Wehner setzte die Zustimmung der SPD zu Heinrich Lübke (CDU) durch und ebnete damit den Weg in die große Koalition, während Brandt durch die Installierung seines Favoriten, Gustav Heinemann (SPD), 1969 die Weichen für die sozialliberale Koalition stellte.

Oberflächlich gesehen ist auch die Nominierung Köhlers das Ergebnis innerparteilicher Intrigen und Richtungskämpfe in den Reihen einer Opposition, die sich auf die Regierungsübernahme vorbereitet. Doch es geht um weitaus mehr als die Neuverteilung der Mehrheiten im Bundestag. Horst Köhler taugt nicht für die Rolle eines bloßen Symbols parlamentarischer Bündnisverschiebungen. Der Mann ist gewohnt im Befehlston zu sprechen, und nicht beschaulich zu repräsentieren.

Die Vorgeschichte von Köhlers Kandidatur verweist darauf, dass sowohl der Einbruch der SPD als auch die Krise der CDU tiefere Ursachen haben, die in der Entwicklung der Weltwirtschaft liegen. Mit der Nominierung Köhlers bricht sich eine objektive Tendenz der Globalisierung Bahn: die Unterwerfung der nationalen bürgerlichen Politik unter die Bedürfnisse der mächtigsten internationalen Kapitalinteressen.

Unverkennbar zeichnet sich eine Neudefinition des Amts des Bundespräsidenten ab: In der bundesdeutschen Nachkriegsverfassung von 1949 waren seine Vollmachten bewusst beschnitten worden. Man zog gewisse Lehren aus der Rolle des Reichspräsidenten in der Weimarer Republik, der befugt war, über parlamentarische Beschlüsse hinweg mit Notverordnungen zu regieren. Diese Entwicklung des Reichspräsidenten zu einer über dem Parlament stehenden staatlichen Machtinstanz gipfelte in der fatalen Entscheidung von Präsident Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen.

Die jetzt bevorstehende hochkarätige Besetzung mit Horst Köhler stellt eine beginnende Abkehr von diesen Lehren durch eine politische Aufwertung des Bundespräsidentenamtes dar. Und wenn erst einmal der politische Bedarf besteht, kann man sicher sein, dass sich auch in der bestehenden Verfassung Ansatzpunkte zu seiner stärkeren Gewichtung finden werden. (Bei parlamentarischen Patt-Situationen kann der Bundespräsident das entscheidende letzte Wort haben. So entschied Johannes Rau im Juni 2002 den Streit um das Stimmverhalten Brandenburgs bei der Entscheidung des Bundesrats über das Zuwanderungsgesetz - das allerdings später vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde.)

Die Bevölkerung hatte in dem ganzen Verfahren und in den Auseinandersetzungen, die der Kür des IWF-Chefs zum voraussichtlichen nächsten Staatsoberhaupt vorangingen, überhaupt keine Stimme.

Neben dem innenpolitischen hat der Kandidat Köhler einen starken außenpolitischen Aspekt. Bundeskanzler Schröder hatte ihn im Jahr 2000 mit einigem Nachdruck als IWF-Chef durchgesetzt, nachdem die USA den ursprünglich von Europa nominierten Bewerber nicht zulassen wollten. (Traditionell wird der IWF von einem Europäer und die Weltbank von einem US-Amerikaner geführt.) Der jetzt erfolgte Abzug Köhlers wurde von den übrigen europäischen Regierungen nicht unbedingt gern gesehen und löste sofort Auseinandersetzungen um seine Nachfolge aus.

Der Abstieg Köhlers von der internationalen auf die nationale Ebene bedeutet eine Verlagerung des Schwerpunkts der deutschen Außenpolitik. Der damit verbundene Verzicht Deutschlands auf den Spitzenposten des Internationalen Währungsfonds kommt einer Abwertung des IWF seitens des Berliner Politikbetriebs gleich. Er folgt damit dem Verhalten der USA, die durch ihre abschätzige Behandlung der Vereinten Nationen eben diese Entwertung der internationalen Institutionen vorexerzierten.

Köhler ist ein erfahrener Außenpolitiker, der zahlreiche Regierungschefs der Welt persönlich kennt und gewohnt ist, ihnen in der weisungsgebenden Funktion des IWF-Direktors gegenüber zu treten. Seine Nominierung verheißt neue Spannungen im europäischen Einigungsprozess. Die von Köhler in wirtschaftlicher Hinsicht maßgeblich geprägte Wiedervereinigung zeichnete sich dadurch aus, dass Deutschland durch seinen Einfluss auf die europäische Geld- und Währungspolitik die Kosten dieses Prozesses teilweise auf die anderen EU-Staaten abwälzte.

Verblüffend ist, in welcher Vollkommenheit die Person dieses fast zufällig aufgetauchten Kandidaten grundlegende historische Entwicklungstendenzen verkörpert. Horst Köhler steht für das Scheitern des sozialen Ausgleichs im nationalen Rahmen, das die CDU mit seiner Nominierung eingesteht. Er steht für die unbedingte Dominanz der internationalen Finanzmärkte über die nationale Politik. Er steht für den erneuten Anspruch Deutschlands auf eine eigene, offenere Interessenspolitik auf Weltebene. Er steht für die politische Entmündigung der einfachen Bevölkerung und für die Unterhöhlung des bestehenden parlamentarischen Systems.

Die demokratischen Rechte der vergangenen Jahrzehnte waren direkt mit den sozialen Zugeständnissen an die arbeitende Bevölkerung verbunden, mit denen die kapitalistische Wirtschaftsordnung in Westeuropa nach 1945 gerettet wurde. Das Scheitern der reformistischen Arbeiterorganisationen - der SPD und der Gewerkschaften - an der Globalisierung bringt heute die akute Gefährdung dieser Rechte mit sich.

Vierzehn Jahre nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten stehen im wiedervereinigten Deutschland Veränderungen auf der Tagesordnung, mit denen die alten Widersprüche, die den Beginn des 20. Jahrhunderts prägten, wiederaufflammen werden: tiefe Klassengegensätze und der Kampf um die Vorherrschaft in Europa.

Wer auf der Grundlage dieser Einschätzung für die sozialen und demokratischen Rechte der arbeitenden Bevölkerung aktiv werden möchte, sollte die Wahlkampagne der Partei für Soziale Gleichheit und der Socialist Equality Party unterstützen.

Siehe auch:
Die Thatcherisierung der CDU
(13. Dezember 2003)
Partei für Soziale Gleichheit kandidiert zur Europawahl
( 7. Februar 2004)
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