Europawahl

Lebhafte Unterstützung für PSG-Kandidatur

In diesen Tagen sammelten Wahlhelfer die letzten Unterstützungsunterschriften, damit die Partei für Soziale Gleichheit am 13. Juni zur Europawahl antreten kann. Insgesamt müssen über 4.000 wahlberechtigte Bürger unterschreiben, um eine Kandidatur der Vierten Internationale sicherzustellen.

Die Resonanz war außerordentlich gut. Sie zeugt von der wachsenden Bereitschaft, den Aufbau einer neuen internationalen Arbeiterpartei zu unterstützen. Zahlreiche wütende und erbitterte Äußerungen über die Politik der Schröder-Regierung machten deutlich, dass die Sozialdemokratie dabei ist, den letzten Rest an Autorität zu verlieren.

So erzählte ein junger Mann aus Offenbach auf dem Weg zum Arbeitsamt, er habe seinen Arbeitsplatz in einem SPD-Unternehmen verloren - er sei nämlich aus der SPD ausgetreten. Er habe die Gefahr, arbeitslos zu werden, bewusst in Kauf genommen, weil er "die Selbstbereicherung der Funktionäre bei gleichzeitiger ungehemmter Kürzungspolitik" nicht mehr länger mitmachen wolle.

Viele gaben die Verantwortung für ihre schlechte soziale Lage direkt der SPD und der rot-grünen Regierung.

Doreen aus Dessau, die auf Arbeitsuche in den Westen kam und dann von einer Zeitarbeitsfirma entlassen wurde, während sie krank war, sagte über die Schröder-Regierung:

"Viel versprochen, nichts gehalten. Heute gibt es ja noch viel mehr Arbeitslose als zu der Zeit, als ich aus dem Osten hierher kam. Wir waren damals praktisch gezwungen, aus der ehemaligen DDR wegzuziehen, weil es nach der Wende überhaupt keine Arbeit mehr gab. Es blieb uns nichts anderes übrig. Aber jetzt ist es mit der Arbeitslosigkeit überall so schlimm wie damals im Osten.

Was hat das Ganze gebracht? Man arbeitet im Westen und hat die doppelte Belastung, weil man im Osten ja auch noch seine Wohnung und Familie finanzieren muss. Jetzt streicht man den Leuten das Arbeitslosengeld, wenn sie nicht jede Arbeit annehmen. Das ist die Politik des Herrn Schröder. Es kümmert sich keiner mehr darum, ob man finanziell irgendwie zurechtkommt, ob man überhaupt seine Wohnung behalten kann oder nicht - das interessiert keinen."

Franco Brunetti, ein 35-jähriger italienischer Tankreiniger aus Offenbach, sagte:

"Die SPD war einmal Arbeitnehmerpartei, aber das stimmt heute alles nicht mehr. Das ist nicht mehr die SPD von früher. Die denken nur noch an sich. Die sollten mal selbst hergehen und mit tausend Euro im Monat leben wie wir Kleinen auch..."

Brunetti bedauerte, nicht unterschreiben zu können, weil er keinen deutschen Pass besitzt. Er sagte: "Ich bin in Deutschland geboren, aber trotzdem habe ich kein Wahlrecht. Das ist ungerecht. Du kannst zwar Steuern zahlen, aber nicht wählen gehen."

Er berichtete, er sei entlassen worden, weil er gegen seine Firma geklagt habe. Monatelang habe er keinen Lohn erhalten, bis er seine Miete nicht mehr bezahlen konnte. Da habe er einen Rechtsanwalt eingeschaltet:

"Daraufhin hat mich meine Firma gekündigt. Wir sind weniger als sechs Mitarbeiter, was auf Deutsch heißt: Ich habe keinen Kündigungsschutz. Die Firma kann mit ihren Mitarbeitern machen, was sie will. Wir haben jetzt den vierten März, und ich habe meinen Januarlohn noch nicht bekommen. Ist das vielleicht gerecht? Die Firma erklärt, sie hätte Außenstände. Aber was ist mit mir? Ich habe eine Räumungsklage am Hals, weil ich die Miete nicht bezahlen konnte."

Von der Gewerkschaft sei keine Hilfe zu erwarten. "Die Gewerkschaften tun nichts mehr für die Arbeitnehmer", sagte Brunetti. "Ich war früher Gewerkschaftsmitglied, das war die IG Bergbau-Chemie, aber die haben mir schon in einem früheren Fall nicht geholfen. Was macht die Gewerkschaft? Sie haben sich auf die Seite der Politiker gestellt und Wahlkampf für die SPD gemacht. Damals, als Kohl abgewählt wurde, da war die Gewerkschaft ganz aktiv. Und was hat Schröder in diesen acht Jahren gemacht? Heute werden wir noch schlimmer abgezockt als bei Kohl. Jetzt muss man auch noch beim Arzt bezahlen und für jedes Medikament noch extra zahlen - das heißt auf deutsch: die Leute können genauso gut zugrunde gehen. Ob das gerecht ist, weiß keiner."

Wie Brunetti schilderten auch viele andere ihre bitteren Erfahrungen mit den Auswirkungen der sozialen Kahlschlagpolitik und machten ihrer Wut über die Politik Luft.

Peter Nachtweh aus Hanau sagte: "Die da oben in Berlin haben doch nur eins im Sinn. Die einzige Ideologie, die sie kennen, lautet: ‚Taschen-voll(ks)-Wirtschaft' - dem kleinen Mann ans Portemonnaie gehen, wo's nur geht. Sie sollten sich mal überlegen, warum es Gesetze gibt, und nicht alles über den Haufen werfen. Früher war es mal so gedacht, dass das Volk mit seiner Wahlberechtigung die Macht ausüben sollte. Das ist ja das einzige, was wir haben, die Wahlberechtigung. Aber was ist draus geworden?"

Nachtweh selbst hatte in einer Schlosserei, einem kleinen Familienbetrieb, gearbeitet. Er berichtet: "Jetzt ist die Auftragslage dermaßen im Keller, gerade auch im Winter, dass sie die älteren Leute nicht mehr gebrauchen können. Da wird man schon mit fünfzig abgestempelt und kommt sofort in die unterste Schublade. Ich habe eine Anstellung mit Förderung des Arbeitsamts. Das sieht so aus, dass die Firma ein halbes Jahr lang fünfzig Prozent der Lohnkosten vom Arbeitsamt erstattet bekommt, und wenn sie nach einem halben Jahr immer noch jemanden brauchen, nehmen sie wieder einen Neuen."

Peter Treichel aus Hanau meinte: "Eins ist sicher: in der Regierung sind keine Arbeiter vertreten. Das sind nur Führungskräfte, die auch in der großen Industrie in der Führung sitzen. Das beste Beispiel dafür ist die Toll Collect. Ich gehe schwer davon aus, dass irgendeiner in unserer Regierung gleichzeitig auch im Vorstand von Toll Collect sitzt. So haben sie sich diesen Auftrag an Land gezogen. Und was haben wir davon? Nichts außer einem Riesen-Haushaltsloch. Das ist eine Geldverpulverei ohne Ende. Wofür, frage ich mich, das bringt absolut nichts. Die Regierung schmeißt das Geld zum Fenster hinaus, und wir, wir sollen sparen, sparen, sparen."

Auch Hunderte Jugendliche unterschrieben für die Kandidatur der PSG. Viele waren schon zu einer Unterschrift bereit, wenn sie die Worte "soziale Gleichheit" hörten. Einige hatten über Internet von der Kampagne erfahren, andere, die sich erst informieren wollten, kamen anschließend mit dem Handzettel zurück und wollten unterschreiben.

Leane H. aus Offenbach gab ihre Unterschrift ohne Zögern. Sie berichtete: "1998 konnte ich zum ersten Mal wählen - da habe ich noch Grün gewählt. Das war vor allem, weil ein zentraler Punkt ihrer Kampagne das Versprechen war, die Kernkraftwerke zu schließen - der ganze Umweltgedanke. Doch dann hat Trittin selbst den Verlängerungsvertrag mit den Atomkraftwerken über Jahrzehnte hinaus unterschrieben. Da habe ich meine Illusionen verloren."

Leane hat eine Ausbildung in der Druckvorbereitung abgeschlossen und ist zur Zeit immer noch arbeitsuchend, weil arbeitslose Akademiker mit Graphik- und Kunst-Diplomen in ihren Beruf drängen.

"Bei den Landtagswahlen", berichtete sie, "bin ich zwar extra hingegangen - ich wollte ja nicht, dass mir jemand Faulheit vorwerfen kann. Aber ich habe ‚ungültig' eingelegt, ich habe alle Parteien durchgestrichen, um damit meine Unzufriedenheit mit der Politik auszudrücken. Ich bin schon der Meinung, dass man wählen muss. Aber im allgemeinen gibt es ja keine Partei, die man wählen kann."

Wieder andere berichteten über ihre bitteren Erfahrungen mit Minijobs und Billiglohnarbeit und klagten besonders darüber, dass sie vom Arbeitsamt in unsichere und schlechte Zeitarbeitsfirmen gedrängt wurden.

Als "deprimierend und absurd" bezeichnete eine arbeitslose Frau, der man gerade einen Job für 400 Euro im Monat vorgeschlagen hatte, ihre Situation. "Wir müssten eigentlich alle zusammen nach Berlin marschieren und diese Regierung absetzen", sagte sie. "Dann könnte man vielleicht einen neuen Anfang machen."

Silvia Klein aus Frankfurt seufzte: "Man ist gezwungen, jede Arbeit anzunehmen, die sie einem bieten, obwohl man genau weiß, dass man nach ein paar Wochen wieder auf der Straße steht."

Sie hat schon Erfahrungen mit zwei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen hinter sich. "Es ist jetzt oft so, dass auch bei Zeitarbeitsfirmen keine Arbeit mehr da ist, und man auch dort auf die Straße fliegt."

Eine Bürokauffrau aus Darmstadt berichtete über ihre Erfahrungen mit der Personalservice-Agentur Maatwerk, die im Rahmen der Hartz-Konzepte mit den Arbeitsämtern zusammenarbeitete, ehe sie im Februar bankrott ging. Danach habe sie erst einmal vier Wochen lang von ihrem Ersparten leben müssen, weil sie vom Arbeitsamt nichts bekommen konnte, solange sie keine ordentliche Kündigung hatte und das Insolvenzverfahren gegen Maatwerk nicht eröffnet war.

Sie berichtete: "Maatwerk hat auch Arbeitslose aufgenommen, für die gar keine Arbeitsplätze vorhanden waren, nur um das Geld vom Arbeitsamt - soviel ich weiß 1.100 Euro im Monat - zu kassieren. Die haben noch kurz vor der Pleite Leute eingestellt. Da müssen sie in der Zentrale doch schon genau gewusst haben, dass sie pleite sind."

Maatwerk habe auch für sie kein vernünftiges Stellenangebot gehabt, sondern sie zu Einsatzorten geschickt, für die sie überhaupt nicht qualifiziert war.

Ein besonderes Armutszeugnis für den maroden Zustand des Sozialstaats stellen die vielen jungen, arbeitslosen Mütter dar. Mehrmals trafen wir auf junge Frauen mit kleinen Kindern, die mit der vagen Hoffnung auf einen Job zum Arbeitsamt kamen, weil sie so der nackten Not zu entkommen hofften.

Verena Wicht kam Anfang März mit ihrem Baby zum Offenbacher Arbeitsamt und berichtete uns dort: "Morgen wird der Kleine ein Jahr alt. Pünktlich zu seinem Geburtstag wird mir dann der Strom abgestellt. Es sind monatlich 37 Euro, aber weil der Betrag von der falschen Bank abgebucht wurde, soll ich jetzt 200 Euro auf einmal bezahlen. Sie geben einfach mir die Schuld, obwohl ich fünfmal da angerufen habe. Ich kann überhaupt nicht bezahlen - ich lebe von Sozialhilfe, das sind 305,55 Euro plus Miete im Monat. Schon normalerweise reicht das Geld hinten und vorne nicht. Wenn der Strom abgestellt wird, weiß ich nicht einmal, wie ich noch für den Kleinen kochen soll."

Auch Verena unterschrieb für die Europawahlkampagne der PSG. Zuletzt sagte sie: "Ich würde am liebsten eine Ausbildung mit Fremdsprachen machen. Ich würde gerne arbeiten, wenn das nur ginge."

Viele Menschen, die uns die Unterschrift gaben, unterstützten die prinzipielle Haltung der Vierten Internationale gegen den Irakkrieg. Besonders in Hanau, wo bis vor wenigen Jahren eine umfangreiche Militärbasis der US-Armee stand, war der Krieg allgegenwärtiges Thema bei ehemaligen Soldaten oder deren Angehörigen.

Joseph Barnes berichtete, er habe den Vietnam-Krieg miterlebt und seine Brüder seien im ersten Golfkrieg gewesen. Barnes sagte: "Krieg sollte doch nur das letzte Mittel sein. Es tut mir leid, dass das geschehen musste. Ich habe selbst Brüder, die im Irak kämpfen mussten. Bush ist meiner Meinung nach das Schlimmste, was wir in Amerika je hatten. Er hat seine Präsidentschaft nicht ehrlich erworben.

Der 11. September war schlimm, das ist wahr, ich habe sogar selbst Verwandte verloren. Aber ich frage mich wirklich, wie das passieren konnte, wenn doch, wie später herauskam, das FBI und all die anderen großen Ministerien schon vorher wussten, dass so etwas bevorstand. Das war alles ein Plot, damit Bush wie ein Held dastehen kann. Aber jetzt ist es rausgekommen, dass er gar kein Held ist. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass er diese Wahl nicht mehr gewinnt."

Thomas Halbschmidt, ein "Langzeitarbeitsloser" aus Hanau, war von 1982-92 Soldat in der US-Armee gewesen. Er berichtete: "Mein letzte Einsatz war im ersten Irakkrieg. Danach bin ich wieder nach Deutschland gekommen. Für Bush geht es heute nur darum, dass sein Vater damals nicht gewonnen hat, jetzt muss er unbedingt dort aufräumen. Sein Vater war nur scharf aufs Öl, weil der Irak ein ölreiches Land ist. Die kommen aus Texas, das ist auch ein Ölstaat, da geht's um nichts anderes.

Momentan herrscht in den USA eine Regierung, die nur nach solchen Interessen handelt. Aber ich habe mir gesagt: Damit muss Schluss sein. Meinen Arsch hinzuhalten für ‚nen Tropfen Öl' - da nehme ich doch lieber Holz und heize wie die Neandertaler. Für mich sind die heutigen amerikanischen Soldaten so was wie Sklaven. Das finde ich unfair."

Halbschmidt konnte die letzten Jahre in Hanau keine Arbeit finden. Er sagte: "Ich komme mir vor wie im Dschungel: Man hängt an einer Liane und findet keinen Baum, auf dem man landen kann. Es ist schwer zu beschreiben. Ich habe mich mittlerweile schon fast mit der Arbeitslosigkeit abgefunden, obwohl ich immer noch alles Mögliche tue, um davon wegzukommen. Aber jeden Tag erfährt man nur: Es ist aussichtslos."

Im übrigen gab es Leute, die sich aufrichtig freuten, die PSG einmal auf der Straße zu treffen, nachdem sie bereits bei anderer Gelegenheit auf sie gestoßen waren. Hier zum Abschluss die Stimme eines Lehramtsanwärters, den wir in Darmstadt trafen. Er hatte seine Diplomarbeit über "kleine Parteien" geschrieben und kannte uns von der Hessenwahl, an der die PSG vor einem Jahr teilgenommen hatte. Er war der Meinung, dass unser Auftritt in der Wahlsendung mit den kleinen Parteien sehr gut gewesen sei, aber bedauerte: "Nur schade, dass die PSG zwischen dem ganzen Politschrott der andern Parteien hat auftreten müssen."

Siehe auch:
Aufruf der Partei für Soziale Gleichheit zur Europawahl
(20. März 2004)
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