Großbritannien: 20 Jahre nach dem einjährigen Bergarbeiterstreik

Teil 2

Im folgenden veröffentlichen wir den Schlussteil einer zweiteiligen Untersuchung über die Lehren aus dem britischen Bergarbeiterstreik. Teil 1 erschien am 6. April 2004.

Scargill weigert sich, TUC und Labour herauszufordern

Die tonangebenden Teile der Labour Party und der Gewerkschaften lehnten jegliche Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Regierung entschieden ab. Die Perspektive Scargills, des linken Flügels der Labour Party und der verschiedenen radikalen Gruppen Großbritanniens beschränkte sich darauf, innerhalb der Gewerkschaften eine kämpferische Bewegung anzustacheln, unter deren Druck dann Labour und der TUC gegen die Regierung vorgehen sollten. Der Aufbau einer Bewegung, die zu einem politischen Bruch mit der Bürokratie geführt hätte, kam für sie nie in Betracht.

Das sollte sich bei der Niederlage des Bergarbeiterstreiks als entscheidend herausstellen. In der offiziellen Geschichtsschreibung des TUC heißt es vielsagend: „In den frühen 1980er Jahren bestand die Politik des TUC in der aktiven Opposition gegen die Antigewerkschaftsgesetze; die Aktivisten hofften, die erfolgreiche (wenn auch oft inoffizielle) Bewegung gegen den ‚Industrial Relations Act‘ von 1971 wiederholen zu können.... In kritischen Momenten, wenn die eigene Position geschwächt war, erwarteten einige Gewerkschaften vom Vorstand des TUC Hilfsaktionen; dem kam dieser aber nie nach. Die Generalsekretäre (Len Murray, 1973-84 und Norman Willis, 1984-93) wollten nie direkt das Gesetz brechen (so widerwärtig dieses Gesetz auch war).“

Der Streik begann am 5. März 1984 und endete am gleichen Tag des nächsten Jahres. Einige Bergarbeiter in Kent und Yorkshire blieben noch ein paar Tage länger im Ausstand. Unmittelbarer Auslöser des Streiks war die Ankündigung, die Grube Corton Wood zu schließen - der erste Schritt der Regierung, alle unrentablen Zechen stillzulegen und den Rest zu privatisieren. Demgegenüber trat Scargill dafür ein, Zechen nur bei Erschöpfung der abbauwürdigen Kohlevorräte zu schließen und den Bergbau als verstaatlichte und subventionierte Branche weiterzuführen.

Während eines ganzen Jahres erbitterter Kämpfe waren die Maßnahmen des TUC und Labours darauf angelegt, die Bergarbeiter zu isolieren und zu gewährleisten, dass die in der Arbeiterklasse weit verbreitete Solidarität nicht in Kampfmaßnahmen gegen die Regierung umschlug.

Während sich der Streik in die Länge zog, beschränkten sich ihre Solidaritätsaktionen meist auf das Sammeln von Geld oder Lebensmitteln. (Es kamen ungefähr 60 Millionen Pfund zusammen - ein deutlicher Hinweis auf die starke Unterstützung für den Kampf der Bergarbeiter.) Bahnarbeiter, Hafenarbeiter und LKW-Fahrer setzten partielle und nicht offizielle Blockaden der Kohletransporte durch, offizielle Solidaritätsstreiks jedoch wurden von den TUC-Gewerkschaften abgelehnt. Zweimal provozierten die Versuche, ihr Kohleembargo zu brechen, Streiks der Hafenarbeiter, die aber von den Gewerkschaftsführern eilends wieder abgebrochen wurden. Auch ein Streik von Aufsehern, den sogenannten „Grubendelegierten“ wurde durch einen faulen Kompromiss beendet. Man muss wissen, dass keine Grube ohne die Delegierten betrieben werden darf und eine konzertierte Kampagne der Tories und der Polizei zur Rekrutierung von Streikbrechern keine Erfolgschancen gehabt hätte.

Scargill und seine Anhänger nahmen eine zweideutige Haltung zum TUC ein. Anfangs hielten sie eine gewisse Distanz zu dem Gewerkschaftsbund, um, wie sie argumentierten, ihn daran hindern zu können, den Streik auszuverkaufen. Am 16. März schickte die NUM einen geheimen Brief an den TUC, in welchem ausdrücklich gesagt wurde: „Unsere Gewerkschaft fordert kein Eingreifen und keine Unterstützung des TUC.“

Aber Scargills Versuch, die Arbeiterbewegung im Mai und Juni durch Massenstreikposten vor den Kokereien von Orgreave nahe Sheffield „zusammenzuschweißen“, endete im Fiasko. Er verschaffte lediglich Tausenden von Polizisten eines Sondereinsatzkommandos die Gelegenheit, in schwerer Kampfmontur auf Bergarbeiter loszugehen, die nur mit Jeans und T-Shirts bekleidet waren. Hunderte wurden verhaftet und Dutzende schwer verletzt, unter ihnen auch Scargill.

Während der letzten Streikmonate waren Scargill und die NUM wiederholt gezwungen, an Verhandlungen mit der Nationalen Kohlebehörde teilzunehmen, die der TUC angesetzt hatte.

Dabei hätte der Führer der NUM eine beispiellos günstige Gelegenheit gehabt, die TUC- und Labour-Bürokratie herauszufordern, wenn er nur gewollt hätte. Hätte er einen klaren Aufruf an die Arbeiterklasse gerichtet, gegen den Willen ihrer Führer die Arbeit niederzulegen, um die Bergarbeiter zu unterstützen, dann wäre er zweifellos auf große Resonanz gestoßen. Statt dessen ließ er seine Mitglieder einen immer aussichtsloseren Kampf fortsetzen, bis er schließlich die Niederlage eingestehen musste, ohne der Regierung oder der Nationalen Kohlebehörde auch nur ein einziges Zugeständnis abgetrotzt zu haben.

Die Rolle der Workers Revolutionary Party

Obwohl sich Scargill bei militanten Arbeitern eines beträchtlichen Ansehens erfreute und als prinzipielle Alternative zu Leuten wie dem Labour-Vorsitzenden Neil Kinnock galt, wäre seine Führung während der monatelangen Entbehrungen nicht unangefochten geblieben, wenn ihm die Workers Revolutionary Party nicht den Rücken freigehalten hätte.

Damals war die WRP die britische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), aber sie hatte schon lange die revolutionäre Perspektive zugunsten einer Kapitulation vor der bürokratischen Führung der Arbeiterbewegung aufgegeben.

Die Anpassung an Scargill war ein besonders grotesker Ausdruck ihrer langjährigen politischen Degeneration. In seiner Erklärung „Wie die Workers Revolutionary Party den Trotzkismus verraten hat, 1973-1985“ analysiert das IKVI:

„Dieser Kampf dauerte ein volles Jahr lang und die WRP stellte zu keinem Zeitpunkt auch nur eine einzige Forderung an die politische Massenorganisation der Arbeiterklasse - die Labour Party. Sie rief nicht zur Mobilisierung der Arbeiterklasse auf, um die Tory-Regierung zum Rücktritt zu zwingen, Neuwahlen durchzusetzen und die Labour Party auf der Grundlage eines sozialistischen Programms an die Macht zu bringen....

Bei aller linken Rhetorik ermöglichte die Linie der WRP der Healy-Clique während des gesamten Bergarbeiterstreiks, einem Konflikt mit ihren opportunistischen Freunden in der Labour Party und in der Scargill-Führung der NUM geflissentlich auszuweichen. Trotz des ganze Geredes über eine revolutionäre Situation schlossen die WRP-Führer bewusst jede Kritik an Scargill aus - und bewiesen damit, dass ihr eigener Aufruf zu einem Generalstreik völlig hohl war.“

Die Erklärung des IKVI fährt fort: „In der Situation von 1984 hätte die zentrale Losung, die Tories zu stürzen und Labour auf der Grundlage sozialistischer Politik an die Macht zu bringen, eine gewaltige Wirkung auf die Massenbewegung ausgeübt und Bedingungen für die Entlarvung der Labour-Führer geschaffen. Insoweit die Labour Party - und zwar auch und vor allem die Linken - es abgelehnt hätte, diese Forderung zu unterstützen und für sie zu kämpfen, wäre ihre Glaubwürdigkeit in der Arbeiterklasse erschüttert worden. Wenn dagegen die Tories trotz der Sabotage der Sozialdemokraten zum Rücktritt gezwungen worden wären (oder sie trotz massiver Opposition in der Bevölkerung versucht hätten, an der Macht zu bleiben), hätte durchaus eine vorrevolutionäre Situation in Großbritannien entstehen können....

Die Kampagne für einen Generalstreik hätte sich nur in einem politischen Kampf in der Arbeiterklasse gegen diese objektiv reaktionäre Linie entwickeln können. Sie hätte einen kompromisslosen tagtäglichen Kampf gegen Scargills zentristische Politik, eine klare Analyse der Grenzen des Syndikalismus, die Entlarvung von Scargills Bindungen an die Stalinisten und eine unzweideutige Verurteilung seiner Weigerung erfordert, für den sofortigen Sturz der Tories zu kämpfen. Nur mit dieser Linie hätte die WRP bei den Bergarbeitern und in der gesamten Arbeiterklasse das für einen Generalstreik notwendige politische Bewusstsein schaffen können.“ (Vierte Internationale, Jg. 13, Nr. 1, Essen 1986, S. 88-90)

Die Weigerung der WRP, einen grundsätzlichen Kampf gegen Scargill zu führen, entwaffnete letzten Endes die vielen Tausend Arbeiter, die sich an ihr orientierten, und sorgte für die Niederlage des Streiks.

Lehren aus dem Streik

Die Notwendigkeit, politisches Bewusstsein, das heißt, wirklich sozialistisches Bewusstsein in der Arbeiterklasse zu entwickeln - das ist die entscheidende Lehre, die aus dem Bergarbeiterstreik gezogen werden muss.

Der Streik war ein Schlüsselerlebnis für eine ganze Arbeitergeneration, das immer noch verarbeitet und ausgewertet werden muss.

Ein Merkmal des Streiks war, dass er trotz der Entbehrungen, die er mit sich brachte, die Bindungen zwischen Freunden und innerhalb der Familien stärkte. Beispielsweise anerkennen selbst seine Kritiker notgedrungen, dass die wichtige Rolle der Frauen bestimmte Vorstellungen ins Wanken brachte, die bis dahin in den stark von Männern dominierten Gemeinden vorgeherrscht hatten. Nach dem Streik aber zerbrachen ganze Gemeinden und viele Familien. Der Grund lag nicht einfach in der schrecklichen Niederlage als solcher. Große persönliche Probleme und das Gefühl der Ausweglosigkeit ergaben sich vielmehr daraus, dass nur ganz wenige Teilnehmer des Streiks verstanden, weshalb sie trotz persönlichem Mut und Opferbereitschaft besiegt worden waren.

Thatcher verdankte ihren Sieg über die Streikenden keiner eigenen Stärke, sondern der Unfähigkeit ihrer politischen Gegner. Und obwohl der Bergarbeiterstreik damals als Höhepunkt des gewerkschaftlichen Kampfs dargestellt wurde, erwies er sich als dessen Abgesang. 1984 waren die alten Organisationen der Arbeiterklasse bereits im Zustand fortgeschrittenen Zerfalls. Und die Perspektive des Nationalreformismus, auf der sie gründeten, bot keine Handhabe mehr, um Erreichtes zu verteidigen, geschweige denn, Neues zu erringen.

In diesem Sinne stellen Tony Blair und New Labour keinen Bruch mit der Geschichte der Arbeiterbewegung dar, sondern den Ausfluss ihrer schlimmsten Gebrechen - der ideologischen Unterordnung unter die Bourgeoisie und das Profitsystem.

Der Bergarbeiterstreik zeigte der Arbeiterklasse die Notwendigkeit, sowohl organisatorisch als auch politisch mit dem Programm des Sozialreformismus zu brechen und neue Organisationen und Kampfmethoden zu entwickeln, die auf der revolutionären, internationalen Perspektive des Marxismus basieren - eben der Perspektive, gegen die sich die Labour Party seit ihrer Gründung gerichtet hatte.

Aber damals glaubten selbst die standhaftesten Schichten der Bergarbeiter und der Arbeiterklasse im Allgemeinen, dass bloße Militanz ausreichen werde, um ihrer Führung den Rücken zu stärken und den Sieg zu sichern. Diese Illusion kam sie teuer zu stehen.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei bei dem Bergarbeiterstreik wenig Fortschrittliches herausgekommen. Mit Sicherheit stärkte er die Herrschaft einer korrupten Clique über die Arbeiterbewegung, die die Niederlage ausnutzte, um das Ende des Klassenkampfes zu proklamieren und ihre eigene rechte Politik durchzusetzen.

Doch ihr Sieg ist von sehr begrenzter Natur.

Die letzten zwanzig Jahre brachten derart durchgreifende Veränderungen mit sich, dass alle früheren Vorstellungen auf den Kopf gestellt wurden. Nicht nur die alte sozialreformistische Perspektive wurde diskreditiert, die Alternativen der Rechten entlarvten sich noch viel schneller. Thatchers „Volkskapitalismus“ erwies sich als Rezept für gesellschaftspolitischen Abriss, und dessen Neuauflage unter Blair, der so genannte „Dritte Weg“, war nicht minder zerstörerisch.

Am gründlichsten entkräftet wurde die Vorstellung, die Labour Party stelle in irgendeiner Art und Weise eine politische Alternative für die arbeitende Bevölkerung dar. Die ideologische Inbesitznahme der alten Arbeiterbewegung durch offene Verfechter des Profitsystems und die Umwandlung der Labour Party und der Gewerkschaften in Anhängsel der Wirtschaft ist so vollkommen, dass sie nicht länger auf die Treue breiter Arbeiterschichten zählen können.

Wo immer es um soziale und demokratische Rechte geht, steht die Arbeiterklasse heute in direktem Gegensatz zu ihren alten Organisationen. Seinen deutlichsten Ausdruck fand dies in den Massendemonstrationen gegen den Irakkrieg, in denen die verbreitete Ablehnung von Blairs unternehmerfreundlicher Agenda mit offener Opposition gegen den völkerrechtswidrigen Angriff auf ein wehrloses Land zusammenfloss.

Der Klassenkampf ist noch lange nicht vorbei. Vielmehr kündigt die Antikriegsbewegung an, dass er in der kommenden Periode nicht auf die alten Strukturen begrenzt bleiben und den Charakter einer politischen Rebellion gegen die Gewerkschafts- und Labourbürokratie annehmen wird. Die Beschäftigung mit den Lehren aus dem Bergarbeiterstreik ist von vitalem Interesse, um die Grundlage für eine solche Bewegung zu legen.

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