Zypern: Volksabstimmung über den Annan-Plan

Am 24. April finden in Zypern Volksabstimmungen über den von UNO-Generalsekretär Kofi Annan vorgelegten Plan zur Wiedervereinigung der Insel statt. Im türkischen Norden und im griechischen Süden wird getrennt abgestimmt. Akzeptieren beide Teile den Annan-Plan, wird Zypern am 1. Mai geschlossen der EU beitreten. Lehnen ihn ein Inselteil oder beide ab, so tritt nur der griechische Teil der EU bei.

Den letzten Meinungsumfragen zufolge wird im türkischen Teil eine Mehrheit für den Plan stimmen, im griechischen Teil dagegen wird er vermutlich mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.

In Nordzypern treten nur Präsident Rauf Denktasch und eine Minderheit extrem rechter Nationalisten, die sich oft auf Siedler vom türkischen Festland stützen, öffentlich für die Ablehnung des Annan-Plans ein. Denktasch und seine Clique hatten die Türkische Republik Nordzypern, die von niemandem außer der Türkei anerkannt wurde, vor dreißig Jahren geschaffen und seither beherrscht. Bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Dezember erlitten die Denktasch nahe stehenden nationalistischen Parteien aber eine verheerende Niederlage, und es kam wiederholt zu Massendemonstrationen für eine Wiedervereinigung.

In der Türkei wurde Denktasch in jüngster Zeit nur noch von der Demokratischen Linkspartei (DSP) Bülent Ecevits unterstützt, der 1974 die Intervention türkischer Truppen in Zypern angeordnet hatte, sowie von der islamisch-fundamentalistischen Glückseligkeitspartei (SP) Necmettin Erbakans, der 1974 mit Ecevit in einer Koalition gesessen hatte. Hinzu kamen faschistische Gruppen. All diese Organisationen sind zur Zeit nicht im türkischen Parlament vertreten. Die türkischen Militärs haben zwar Bedenken geäußert, den Annan-Plan aber nicht offen abgelehnt.

Der türkische Regierungschef Recep Tayip Erdogan von der gemäßigt islamistischen AKP unterstützt den Annan-Plan, um die Chancen der Türkei auf einen EU-Beitritt zu erhöhen. Er zeigte sich ungehalten über die Türkei-Tour von Denktasch. Er solle doch in Zypern sagen, was er zu sagen habe. Etwas Derartiges hatte sich Denktasch in den letzten dreißig Jahren von einem türkischen Premierminister nicht anhören müssen.

Auch in Griechenland haben sich nach erheblichem Druck aus Washington und Brüssel Regierung und parlamentarische Opposition für die Annahme des Plans ausgesprochen. In Südzypern treten dagegen Präsident Tassos Papadopoulos sowie ein Großteil der Medien und Parteien, darunter nach einigem Schwanken auch die stalinistische AKEL, die Grünen und die rechte DIKO, für eine Ablehnung des Planes ein. Die griechisch-orthodoxe Kirche verurteilt ihn als "satanisches Machwerk".

Sollte diese Haltung bei der Abstimmung bestätigt werden, hätte sich innerhalb kürzester Zeit ein gewohntes Bild umgekehrt: Bisher schien eine Einigung immer an der türkisch-zypriotischen Seite zu scheitern. Die Hoffnung auf eine Überwindung der tiefen sozialen Probleme, der weit verbreiteten Arbeitslosigkeit und Armut hat sich hier jedoch schließlich als stärker erwiesen als aller Nationalismus. Dagegen scheinen jetzt im griechischen Teil chauvinistische Argumente zu dominieren: Ablehnung irgendwelcher Garantien und Zugeständnisse an die türkische Minderheit oder dumpfe Ängste vor den Kosten für die wirtschaftliche Entwicklung des ärmeren Nordens, der jahrzehntelang international isoliert war, und vor der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt durch türkische Billiglohnarbeiter.

Der Annan-Plan

Die World Socialist Web Site lehnt die chauvinistischen Argumente, mit denen sich reaktionäre Elemente im Norden und Süden gegen die Vereinigung der Insel stemmen, entschieden ab. Doch der Annan-Plan bietet dazu keine Alternative. Ungeachtet aller Propaganda wird er den Chauvinismus nicht schwächen, sondern stärken, die Teilung nicht überwinden, sondern zementieren, die Volksgruppen nicht vereinen, sondern trennen. Sein eigentliches Ziel besteht darin, auf einem geostrategischen Knotenpunkt im östlichen Mittelmeer stabile Verhältnisse zum Aufbau eines wirtschaftlichen Sprungsbretts und eines militärischen Stützpunkts für Interventionen der USA und EU in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten zu schaffen.

Das neue Staatsgebilde soll sich zwar "Vereinte Republik Zypern" nennen, ehrlicher wäre allerdings der Name "Getrennte Republiken von Türkisch- und Griechisch-Zypern". Es wird zwar eine gemeinsame Bundesregierung, Flagge und Hymne geben, aber zwei Sub-Staaten, von denen jeder seine eigene Außen- und Wirtschaftspolitik betreiben darf und seine eigene Sub-Staatsbürgerschaft hat.

In der Verfassung ist in Artikel 3 ausdrücklich festgelegt, dass die Ausübung politischer Rechte an die ethnische Zugehörigkeit - an den so genannten "Status der inneren Teilstaatsangehörigkeit" - gebunden ist: "Mit Ausnahme der Wahl der Senatoren, die griechische Zyprioten und türkische Zyprioten in getrennter Wahl bestimmen, werden politische Rechte auf Bundesebene gestützt auf den Status der inneren Teilstaatsangehörigkeit ausgeübt. Politische Rechte auf Teilstaats- und lokaler Ebene werden am permanenten Wohnsitz ausgeübt." Es darf also niemand als Zypriot politisch tätig werden, er muss sich erst als Türke oder als Grieche definieren.

Auch das Aufenthaltsrecht soll an die ethnische Herkunft gebunden sein und bleiben: "Zypern darf das Recht griechischer Staatsangehöriger, in Zypern wohnhaft zu werden, einschränken, wenn ihre Anzahl 5 Prozent der Anzahl zypriotischer Bürger mit dem Status griechisch-zypriotischer innerer Teilstaatsangehörigkeit erreicht, oder das Recht türkischer Staatsangehöriger, in Zypern wohnhaft zu werden, wenn ihre Anzahl 5 Prozent der Anzahl zypriotischer Bürger mit dem Status türkisch-zypriotischer innerer Teilstaatsangehörigkeit erreicht.

[...] während einer Übergangsperiode darf ein Teilstaat gemäß Verfassung die Niederlassung von Personen einschränken, die aus dem anderen Teilstaat kommen. Zu diesem Zweck kann er bis zum fünften Jahr nach Inkrafttreten der Gründungsvereinbarung ein Moratorium verhängen, danach sind Einschränkungen erlaubt, falls die Zahl der Niedergelassenen, die aus dem anderen Teilstaat stammen, zwischen dem 6. und 9. Jahr 6% der Bevölkerung eines Dorfes oder einer Gemeinde, zwischen dem 10. und 14. Jahr 12% und danach 18% der Bevölkerung des betreffenden Teilstaats erreicht hat. Das gilt bis zum 19. Jahr oder bis zum türkischen EU-Beitritt, je nachdem, was früher eintritt. Nach dem zweiten Jahr gelten derartige Beschränkungen nicht für frühere Einwohner über 65 Jahre in Begleitung eines Ehepartners oder Geschwisters und nicht für frühere Einwohner ausdrücklich genannter Dörfer."

Hierbei sollte man nicht vergessen, dass Zypern historisch nicht in einen "türkischen Norden" und einen "griechischen Süden" aufgeteilt war. Dies geschah erst als Folge der Flucht und Vertreibung Hunderttausender auf beiden Seiten in den 60er und 70er Jahren, die von Griechenland und der Türkei aktiv vorangetrieben und von den USA und der "Garantiemacht" Großbritannien stillschweigend unterstützt wurde.

In weiteren Artikeln des Annan-Plans ist genau festgelegt, welche Nationalität wie viele Abgeordnete in die beiden Kammern des Parlaments entsendet, und welcher Stimmenanteil aus beiden Nationalitäten für eine Entscheidung notwendig ist: "Jede Kammer besteht aus 48 Mitgliedern. Der Senat setzt sich aus der gleichen Zahl griechischer Zyprioten und türkischer Zyprioten zusammen. Die Abgeordnetenkammer setzt sich proportional zu den Personen zusammen, die über den Status der inneren Teilstaatsangehörigkeit beider Teilstaaten verfügen, vorausgesetzt, dass jeder Teilstaat über mindestens einen Viertel der Sitze verfügt.

Parlamentsentscheidungen erfordern die Zustimmung beider Kammern mit einfacher Mehrheit, wobei mindestens ein Viertel der abstimmenden Senatoren beider Teilstaaten zustimmen müssen. Für besondere Angelegenheiten ist die Zustimmung von zwei Fünfteln der anwesenden Senatoren aus beiden Teilstaaten erforderlich."

Noch komplizierter ist die Regelung über den "Präsidialrat", der die Exekutivgewalt ausüben soll und in dem jeder Sub-Staat faktisch ein Veto-Recht hat.

Während offiziell erklärt wird, diese Verfassung sei an das Vorbild der Schweiz und Belgiens angelehnt, erinnert das Ganze eher an Bosnien oder das Karfreitagsabkommen in Irland: Jeder Bürger wird zunächst gezwungen, sich definiert über Rasse oder Religion zu einer Nation zu bekennen. Die so bestimmten Nationen werden dann kunstvoll gegeneinander austariert - und wenn es sein muss, mit militärischer Gewalt auseinander gehalten.

Imperialistische Interessen

Es kursieren bereits Presseberichte, wonach die USA die Möglichkeit prüfen, "Friedenstruppen" nach Zypern zu schicken. In einer Analyse der Asia Times heißt es dazu: "Washington will jetzt seine seit einem halben Jahrhundert bestehende geheimdienstliche Präsenz auf der Insel zu einer vollen Militärbasis aufwerten, wenn - und falls - die griechischen und türkischen Zyprioten der Wiedervereinigung zustimmen... Die Nutzung Zyperns als logistische Basis gäbe dem Pentagon mehr Flexibilität bei der Planung von Einsätzen im Nahen Osten und verliehe ihm eine bessere Kontrolle über die ölreichen Regionen des Nahen Ostens, Nordafrikas und des Kaspischen Meers, dies insbesondere zu einem Zeitpunkt, an dem die Rehabilitation Libyens in der internationalen Gemeinschaft an Schwung gewinnt. Außerdem würde sie die Überwachung regionaler Seewege erleichtern und die amerikanische Präsenz in Dschibuti, die den südlichen Zugang zum Suez-Kanal überwacht, durch eine Präsenz in der Nähe des nördlichen Ausgangs ergänzen."

Hinzu kommt, dass der Nordzipfel von Zypern nur 70 km vom türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan entfernt ist, dem Endpunkt der Ölpipeline, die in Baku am Kaspischen Meer beginnt und deren Bau schon von US-Präsident Bill Clinton gefördert wurde.

Zwei Landstücke auf Zypern - Akrotiri und Dhekalia - dienen seit langer Zeit als britische Militärbasen und sind sogar britisches Hoheitsgebiet. Akrotiri ist eine der größten Basen der britischen Luftwaffe überhaupt. Für die USA ist Zypern seit Jahrzehnten Zentrum geheimdienstlicher Aktivitäten. Von hier aus koordinierte die CIA ihre Aktivitäten in Afrika und dem Nahen Osten und hörte arabische Sender ab.

Der Annan-Plan sieht nicht nur den Erhalt der britischen Basen vor, sondern auch den Status von Großbritannien, dem früheren Kolonialherrn der Insel, als "Garantiemacht" neben der Türkei und Griechenland. Die Bevölkerung selbst soll entwaffnet werden, aber gleich drei schwer bewaffnete Armeen auf ihrer Insel als faktische Besatzungsmächte dulden müssen. Die Armeen der Türkei und Griechenlands sollen dann schrittweise reduziert werden, so dass langfristig die einzig bedeutende militärische Präsenz von den USA und Großbritannien ausgeübt würde.

Tatsächlich tragen gerade diese beiden Länder historisch die Hauptverantwortung für das Leid der türkischen und griechischen Volksgruppe.

Die britischen Kolonialherren reagierten auf den Unabhängigkeitskampf in den 50er Jahren, indem sie gezielt türkische Zyprioten als Hilfspolizisten anwarben und diese gegen ihre griechischen Landleute einsetzten. Gegenüber den Aktivitäten der nationalistischen türkischen TMT, die vom türkischen Geheimdienst vom Festland aus aufgebaut wurde, drückten sie zunächst nicht nur ein Auge zu, als sie gegen griechische Zyprioten vorging. Sie tolerierten auch, dass sie systematisch die türkische Arbeiterbewegung terrorisierte, ihre Führer ermordete und ihre Mitglieder einschüchterte, besonders um sie daran zu hindern, sich mit ihren griechischen Kollegen zusammenzuschließen.

Erleichtert wurde ihr dies durch die Politik der stalinistischen AKEL, der größten Partei Zyperns überhaupt, von der auch die Gewerkschaftsbewegung dominiert wurde. Die AKEL übernahm den nationalistischen Schlachtruf der "Enosis" (Vereinigung mit Griechenland) und scheute nicht davor zurück, mit dem Bollwerk der Reaktion schlechthin, der orthodoxen Kirche, zusammenzuarbeiten.

Konsequentester Befürworter der Enosis war die EOKA von Georgios Grivas, einem fanatisch antikommunistischen und nationalistischen Offizier, die eine terroristische Kampagne gegen die Briten, die griechische Linke und türkische Zyprioten führte. Die EOKA erhielt wegen ihres Antikommunismus Schützenhilfe aus den USA. Bis 1967 unterstützte Washington in der Regel diplomatisch eine "Lösung" auf Grundlage der Enosis, wobei die Türkei eine militärische Basis auf Zypern erhalten sollte. Danach erhielt die Türkei entsprechend ihres gestiegenen geostrategischen Marktwerts eine größere Rolle zugesprochen.

Es ist zumindest nahe liegend - und einige Autoren haben dafür starke Anhaltspunkte zusammengetragen -, dass 1974, im Jahr der Spaltung, sowohl der rechtsradikale Putsch, der den EOKA-Gangster Nikos Sampson kurzzeitig an die Macht brachte, als auch die darauf folgende türkische Invasion grünes Licht aus Washington erhielten. Jedenfalls entsprach das Ergebnis durchaus den Interessen der USA und Großbritanniens: Eine Teilung der Insel zwischen rechten, chauvinistischen und antikommunistischen, aber pro-westlichen Kräften, kontrolliert von zwei NATO-Ländern.

Frei, vereint und Teil Europas kann Zypern nur sein, wenn sich die arbeitende Bevölkerung über religiöse und ethnische Grenzen hinweg, entsprechend den ursprünglichen Idealen der zypriotischen Arbeiterbewegung, zusammenschließt und für ein vereintes sozialistisches Zypern im Rahmen Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa kämpft. Der Annan-Plan muss ebenso zurückgewiesen werden wie der griechische und türkische Chauvinismus. Alle fremden Truppen müssen abgezogen und alle westlichen Militärbasen geschlossen werden.

Siehe auch:
Regierungswechsel nach Wahlen in Nordzypern
(7. Januar 2004)
Kriegspläne gegen den Irak behindern Lösung des Zypernkonflikts
( 23. Januar 2003)
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