SPD schließt Abweichler aus

Die Schiedskommission der bayerischen SPD hat beschlossen, vier Initiatoren der Gruppe "Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (ASG) aus der Partei auszuschließen; der Ausschluss eines weiteren Beteiligten ist noch nicht entschieden.

Die bislang Betroffenen sind Thomas Händel, Klaus Ernst, Peter Vetter und Gerd Lobodda. Der fünfte, dessen "Fall" zunächst offen blieb, ist Günther Schachner. Alle waren seit mehr als dreißig oder sogar vierzig Jahren Mitglieder der SPD und haben führende Funktionen in der Industriegewerkschaft Metall inne. Händel, Ernst, Vetter, Lobodda und Schachner leiten die Verwaltungsstellen der IGM in den Städten Fürth, Schweinfurt, Kempten, Nürnberg und Weilheim.

Die jetzt Ausgeschlossenen hatten Kritik an der Politik der Schröder-Regierung, insbesondere an der "Agenda 2010", geübt und die Möglichkeit eines neuen Wahlbündnisses in Aussicht gestellt. Die SPD-Spitze reagierte postwendend, indem sie wegen drohender "schwerer Schädigung der Partei" ihre Mitgliedschaft ruhen ließ und Ausschlussverfahren einleitete.

Die bayerische IG Metall lehnte es ausdrücklich ab, ihre Funktionäre zu verteidigen. Deren politisches Engagement habe nichts mit der Gewerkschaft zu tun, hieß es, sie hätten "als Privatpersonen" gehandelt. Die IG Metall bekräftigt damit die Unterstützung der Politik Schröders gegen ihre eigenen Mitglieder.

Die Initiative ASG war am 10. März dieses Jahres, wenige Tage vor dem Sonderparteitag der SPD am 21. März, mit einem Aufruf im Internet erstmals an die Öffentlichkeit getreten.

Darin warf sie der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung vor, sie habe sich entgegen ihrer Wahlversprechen von 1998 und 2002 von ihren Grundsätzen verabschiedet und "sich zur Hauptakteurin des Sozialabbaus und der Umverteilung von unten nach oben entwickelt. Niemand von uns hätte erwartet, dass eine Partei mit so großer sozialer Tradition in so kurzer Zeit zum Kanzlerwahlverein mutiert, dessen aktuelle Politikziele nahezu alles negieren, wofür diese Partei in über hundert Jahren stand."

Die Agenda 2010 sei in der Partei in einer Art und Weise durchgepeitscht worden, von der Gerd Lobodda bei anderer Gelegenheit sagte: "Wenn dies der neue Parteistil ist, dann Gnade uns Gott."

Die anschließenden Ausschlussverfahren zogen sich hin, beide Seiten taktierten und mehrere Termine platzten, weil sich die SPD-Schiedskommission weigerte, die Gewerkschafter als Gruppe vorzuladen, sondern Einzelgespräche führen wollte.

Die ASG, die mittlerweile mit der "Wahlalternative 2006" zusammenarbeitet, hat stets betont, dass nicht sie, sondern die SPD-Spitze unter Schröder und Müntefering gegen das bisherige Parteiprogramm verstoßen würde. "Wir sind nicht links von der SPD", erklärte Lobodda in einem Interview mit der Jungle World vom 2. Juni 2004. "Ich hätte nie geglaubt, dass jemand, der sich an die Programmatik der Partei hält, von denen ausgeschlossen wird, die das Programm mit Füßen treten."

"Man dringt in dieser Partei nicht mehr durch", erklärte die ASG in einer Presse-Erklärung vom März, in der sie ihre Initiative begründete. "Jeder von uns hat sich in den vergangenen Jahren im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht. Schlüsselerlebnis für uns war der Top-down-Stil, mit dem über die Regionalkonferenzen im letzten Jahr die Agenda 2010 ‚durchgestellt' wurde. Selbst bedeutendere Sozialdemokraten wie wir haben mittlerweile resigniert und sich in die innere Immigration zurückgezogen. Wiederum andere - noch aktive - sagen, eine Rückbesinnung der SPD sei nur noch von außen zu bewerkstelligen."

Es gehe darum, Druck auf die SPD auszuüben, damit sie wieder zu einer sozialen Politik zurückfinde: "Wir glauben: Wenn sich die zusammentun, die diesen Sozialstaat verteidigen und zukunftsfähig machen wollen, dann können sie Druck auf die derzeitige ‚Einheitspolitik' in Berlin ausüben und verhindern, dass die Lebensumstände der Menschen völlig einer Politik nach Wirtschaftsinteressen und Kassenlage unterworfen werden."

Das überaus arrogante und kaltschnäuzige bürokratische Vorgehen der SPD-Spitze gegen diese innerparteilichen Kritiker unterstreicht allerdings, dass die Hoffnung, man könne diese Partei wieder zu einer Reformpolitik zurücktreiben, völlig vergeblich ist. Vom Standpunkt der ASGler und ihrer Perspektiven aus gesehen war die Gründung einer Initiative außerhalb der SPD-Strukturen ein Eingeständnis wider Willen, dass sich durch Druck innerhalb der Partei nichts mehr bewegen ließ. Es gibt aber keinen Grund für die Annahme, dass Druck von außerhalb wirkungsvoller sein werde.

Der Ausschluss ausgewiesener Sozialreformer aus der SPD ist ein entscheidender Einschnitt. Die SPD folgt den Fußstapfen der britischen New Labour Party unter Tony Blair, die sich restlos von ihrer reformistischen Vergangenheit und ihrer ehemaligen Basis im Arbeitermilieu abgekoppelt hat und nur noch als Neuausgabe der Tories wahrgenommen wird.

Der Ausschluss unterstreicht die Tatsache, dass eine neue Partei, die in der Lage ist, die Interessen der Arbeiter zu verteidigen, nicht auf einer reformistischen, sondern auf einer revolutionären marxistischen Programmatik basieren muss. Er ist außerdem eine Warnung an die gesamte arbeitende Bevölkerung und alle Opfer des Schröderschen Sozialraubs, mit welcher Rücksichtslosigkeit die SPD jegliche Opposition von unten behandeln wird.

Siehe auch:
Die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit - ein bürokratisches Manöver
(16. Juni 2004)
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