Dokument bringt Weißes Haus mit Folter von Gefangenen in Verbindung

Ein Memo aus dem Justizministerium vom August 2002, das der Zeitung Washington Post zugespielt und von ihr am 13. Juni veröffentlicht wurde, stellt einen deutlichen und glaubhaften Beweis dar, dass die amerikanische Regierung im Zusammenhang mit ihrem so genannten "Krieg gegen den Terrorismus" und den Operationen in Afghanistan und im Irak die Anwendung von Folter billigte.

Das Memo widerlegt die offizielle Behauptung, die Verantwortung für den Einsatz von Folter gegen irakische Gefangene durch die Vereinigten Staaten im Gefängnis Abu Ghraib liege bei einigen "schwarzen Schafen" unter den Soldaten und Bewachern. Die Folter an Gefangenen wurde mit Wissen und Zustimmung auf höchster Ebene der Bush-Regierung durchgeführt.

Vertreter des Weißen Hauses entschlossen sich zum Einsatz von Folter, obwohl sie sich gleichzeitig völlig darüber bewusst waren, dass sie damit gegen amerikanisches und internationales Recht verstoßen, nach dem solche Methoden ausdrücklich und seit langem geächtet sind.

Das Memo wurde von Mitarbeitern im Justizministerium für Präsidentenberater Alberto Gonzalez verfasst. Die Washington Post veröffentlichte auf ihrer Website einen Entwurf vom 1. August 2002 mit dem Titel: "Betreffs: Standards für die Durchführung von Befragungen nach USC Paragraph 2340-2340A". Es trägt die Unterschrift des stellvertretenen Justizminister Jay Bybee. Nach Angaben der Post wurde es im Auftrag der CIA erstellt. Doch die Tatsache, dass es an Gonzalez adressiert ist, stellt eine direkte Verbindung zu George W. Bush her.

Das Memo bezieht sich auf Gesetze (Paragraph 2340 und 2340A unter Abschnitt 18 des US-Gesetzbuches), die im Jahre 1994 von der amerikanischen Regierung in Übereinstimmung mit der Anti-Folter-Konvention erlassen worden waren. Die Anti-Folter-Konvention ist ein internationales Abkommen, das unter der Reagan-Regierung ausgehandelt wurde und alle Unterzeichner verpflichtet, Gesetze zur Ächtung von Folter sowie grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe einzuführen.

Der Zweck des Memos besteht darin, einen juristischen Vorwand zusammenzuschustern, um die Anti-Folter-Gesetze zu umgehen und der Regierung einen gewissen rechtlichen Deckmantel für Handlungen zu liefern, die nach dem Völkerrecht als Kriegsverbrechen eingestuft werden. Das Memo vom 1. August 2002 wurde von einem weiteren Memo aus dem Justizministerium begleitet, in dem das Scheinargument vorgebracht wird, mutmaßliche Angehörige der Al Qaida und anderer terroristischer Gruppen würden nicht unter den Schutz der Genfer Konventionen fallen.

Als die ersten Meldungen über das Memo vom August 2002 erschienen, weigerte sich Justizminister John Ashcroft gegenüber dem Rechtausschuss des Senats strikt, den Ausschussmitgliedern Kopien des Dokuments zur Verfügung zu stellen. Die Tatsache, dass das Memo der Washington Post zugespielt wurde und sich die Zeitung dazu entschloss, es zu veröffentlichen, verweist auf die gewaltigen Spannungen, die innerhalb des Staatsapparats und der Bush-Regierung selbst über die Außenpolitik der Regierung im Allgemeinen und die Besatzung des Iraks im Besonderen entstanden sind.

Geltendmachung diktatorischer Befugnisse des Präsidenten

Die Verfasser des Memos verfolgen zwei Ziele. Erstens versuchen sie Folter so eng wie möglich zu fassen, so dass eine ganze Reihe von Handlungen zulässig sind, die traditionell als Verstoß gegen das Völkerrecht und das Folterverbot galten. Zweitens wollen sie eine Blankovollmacht für die Anwendung aller und jeglicher Methoden ausstellen, mit denen Informationen aus mutmaßlichen gefangenen Terroristen gepresst werden können. In diesem Zusammenhang behaupten Rechtsberater des Justizministeriums, US-Gesetze, die Folter verbieten, verstießen möglicherweise gegen die Verfassung. Sie begründen das mit dem Argument, der amerikanische Präsident verfüge als Oberster Feldherr in Zeiten des Krieges über eine uneingeschränkte Machtbefugnis.

Die Konsequenzen dieser pseudo-legalen und pseudo-verfassungskonformen Behauptung können nicht überschätzt werden. Sie impliziert nicht nur, dass die Exekutive unbegrenzte Macht hat, um im Ausland Krieg zu führen, sondern auch das Recht des Präsidenten, mit diktatorischen Befugnissen im Innern zu regieren. Sie missachtet den in der Verfassung festgeschriebenen Schutz von Bürgerrechten und die Kontrolle Legislative und Judikative über die Exekutive.

Die US-Regierung hat mit Unterstützung der Demokratischen und der Republikanischen Partei erklärt, die Vereinigten Staaten befänden sich in einem weltweiten "Krieg gegen den Terror" von unbegrenzter Dauer. Die Behauptung, der Präsident verfüge in Kriegszeiten über ungebundene Machtbefugnisse, ist daher gleichbedeutend mit der Geltendmachung einer permanenten Präsidialdiktatur.

Verteidigung von Folter

Folgt man der Argumentation des Memos, so stellen selbst die unmenschlichsten Formen psychischer und körperlicher Quälerei keine "Folter" dar. Man fragt sich, ob die Verfasser des Memos eine derartige Rechtsverdrehung auch dann vertreten würden, wenn sie selbst den Methoden unterworfen wären, die sie in dem Memo gutheißen.

Sie schreiben: "Körperlicher Schmerz, der als Folter bezeichnet werden kann, muss in seiner Intensität dem Schmerz gleichkommen, der eine ernste Körperverletzung begleitet, so wie Organversagen, Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder sogar Tod. Damit rein psychischer Schmerz oder psychisches Leiden nach Paragraph 2340A als Folter bezeichnet werden kann, muss daraus ein bedeutender psychischer Schaden von bedeutender Dauer resultieren, d.h. einer, der Monate oder gar Jahre anhält."

Laut dem Memo entspringt diese Schlussfolgerung einer Analyse des Wortes "groß" im Wortlaut des Paragraphen 2340A, der Folter definiert als "eine Handlung, die von einer Amtsperson begangen wird und den bestimmten Vorsatz hat, große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zuzufügen".

Weil im Gesetzestext das Wort "groß" nicht näher bestimmt wird, suchten die Verfasser des Memos in anderen juristischen Kontexten - und wurden ausgerechnet in einem Gesetz über Sozialleistungen im Krankheitsfall fündig! Hier wird "schwer" definiert als "(1) ernste Gefährdung, (2) ernste Beeinträchtigung von Körperfunktionen oder (3) ernste Dysfunktion eines Körperorgans oder -teils".

Im Memo heißt es: "Obwohl sich diese Gesetze auf ein wesentlich anderes Thema beziehen als Paragraph 2340A, sind sie dennoch nützlich, um zu verstehen, worin ein großer körperlicher Schmerz besteht. [...] Eine solche Schädigung muss die Ebene des Todes, des Organversagens oder die permanente Beeinträchtigung bedeutsamer Körperfunktionen erreichen."

Nach dem Memo stellt noch nicht einmal das Zufügen großer körperlicher Schmerzen eine Gesetzesverletzung dar, denn die Verfasser behaupten, dass dazu ein "bestimmter Vorsatz" des Individuums, das die Schmerzen verursacht, gegeben sein müsse. "Wenn der Beschuldigte in dem Wissen handelte, dass große Schmerzen oder Leiden ein ziemlich wahrscheinliches Resultat seines Handelns ist, aber mehr nicht, hätte er nur mit allgemeinem Vorsatz gehandelt. [...] Theoretisch stellt sich die Frage daher so dar, dass sich aus dem Wissen allein, dass ein bestimmtes Resultat wahrscheinlich eintritt, kein bestimmter Vorsatz ergibt."

Hinsichtlich der seelischen Folter bemerkt das Memo, dass dies nach dem Gesetz nur auf Fälle zutrifft, die zu "langfristiger geistiger Schädigung" führen, die von vier bestimmten, im Gesetz aufgeführten Maßnahmen verursacht oder hervorgerufen werden.

Die folgenden außergewöhnlichen Formulierungen fassen den Tenor des Memos als Ganzes zusammen: "Ein Beschuldigter muss den bestimmten Vorsatz haben, langfristigen geistigen Schaden hervorzurufen, damit der Vorwurf der Folter zutrifft. Es könnte argumentiert werden, dass ein Beschuldigter nur den bestimmten Vorsatz haben muss, die besagten Handlungen zu begehen, welche langfristigen geistigen Schaden hervorrufen. [...] Wir meinen, dass diese Interpretation im Widerspruch zum Gesetzestext steht. Das Gesetz verlangt, dass der Beschuldigte den bestimmten Vorsatz hegt, schwere seelische Schäden oder Leiden zuzufügen. Da das Gesetz diese bewusste Absicht in Bezug auf das Zufügen schwerer seelischer Schmerzen voraussetzt und weil es schweren seelischen Schaden als langfristige geistige Schädigung definiert, muss diese bewusste Absicht in Bezug auf langfristige geistige Schädigung gegeben sein."

Mit anderen Worten: Folter ist keine Folter, wenn zum Beispiel der bestimmte Vorsatz nur darin besteht, mit Hilfe von bewusstseinsverändernden Substanzen die Persönlichkeit des Individuums zu brechen. Von Folter könnte man demnach nur dann sprechen, wenn der Folterer tatsächlich den bestimmten Vorsatz hegt, eine langfristige Schädigung des Geistes zu erreichen. Wenn derjenige, der diese Tat begeht, im "guten Glauben" handelt, dass es nicht zu einer solchen Schädigung kommt, stellen seine Handlungen auch keine Folter dar.

Der Zweck dieser und anderer Spitzfindigkeiten - die Verfasser legen im Folgenden noch die Begriffe "anderes", "unterbrechen", "tief" und "immanent" aus - liegt auf der Hand: Hiermit soll das juristische Arsenal zur Verteidigung gegenüber Foltervorwürfen verstärkt und die Verfolgung solcher Taten erschwert werden.

Die Verfasser merken an, dass die Anti-Folter-Konvention zwar ihre Unterzeichner auffordert, Gesetze gegen Folter zu erlassen, gegen "andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Maßnahmen" aber nur Schritte und kein Verbot verlange. Da Folter lediglich die "schwerste" Form solcher Maßnahmen sei, folgert das Memo, dass eine große Bandbreite an möglichen Praktiken weder durch das Abkommen noch durch das Gesetz untersagt würden. Die meisten Praktiken, die auf den Fotos aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib zu sehen sind, würden nicht unter die im Memo gegebene Definition von Folter fallen.

Im weiteren liefert das Memo juristische Argumente zur Verteidigung von Folterern, deren Taten so abscheulich sind, dass sie auch nach dieser stark eingegrenzten Definition als Folter gelten müssen. Auch in diesem Fall spricht das Memo für sich selbst:

"Selbst wenn eine Verhörmethode Paragraph 2340A möglicherweise verletzt, wäre das Gesetz verfassungswidrig, wenn es unzulässigerweise die dem Präsidenten von der Verfassung zugesprochene Macht, Krieg zu führen, beschneiden würde. [...] Jeder Versuch, Paragraph 2340A in einer Art und Weise anzuwenden, die mit der Weisung des Präsidenten in solchen Kernfragen der Kriegsführung wie der Inhaftierung und Befragung feindlicher Kämpfer in Konflikt gerät, wäre verfassungswidrig. [...] Der Kongress kann die Möglichkeit des Präsidenten, feindliche Kämpfer gefangen zu halten und zu verhören, nicht stärker regulieren, als er seine Möglichkeit zur Anordnung von Truppenbewegungen auf dem Schlachtfeld regulieren kann."

Weiter heißt es im Memo: "Das wichtigste Ziel, das mit der Verfassung erreicht werden soll, ist die Sicherheit der Nation. Als Hamilton für die Annahme der Verfassung eintrat, erklärte er folgendes: "Da die Umstände, die die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen könnten, sich nicht eindeutig auf einen bestimmten Rahmen reduzieren lassen, muss man konsequenterweise zugestehen, dass es keine Beschränkung der für die Verteidigung und den Schutz des Gemeinwesens verantwortlichen Autorität geben kann, die ihre Wirksamkeit wesentlich einschränken würde."

Und weiter: "Wie wir bereits in anderen Gutachten hinsichtlich des Kriegs gegen Al Qaida deutlich gemacht haben, wurde das Recht der Nation auf Selbstverteidigung durch die Ereignisse des 11. Septembers aktiviert. Wenn ein Verteidiger des Staates einen feindlichen Kämpfer während eines Verhörs auf eine Weise schädigen sollte, die möglicherweise Paragraph 2340A verletzt, täte er dies, um weitere Angriffe des Al Qaida Netzwerks auf die Vereinigten Staaten zu verhindern. In diesem Fall denken wir, dass er argumentieren könnte, seine Handlungen seien durch die verfassungsgemäße Autorität der Exekutive, die Nation vor Angriffen zu schützen, legitimiert."

Dies sind außergewöhnlich Argumente. Nach Ansicht des Justizministeriums kann der Kongress keine Gesetze erlassen, die den Präsidenten bei der Kriegsführung einschränken würden. Da sich das Land angeblich in Folge der Anschläge vom 11. September im Krieg befindet - obwohl es keine Kriegerklärung gegeben hat und nicht einmal der Feind genau feststeht - soll es keine Beschränkungen dafür geben, wie der Präsident im Zuge dieses Krieges gefangene Individuen behandelt. Wenn Folter - oder auch das Abschlachten - von Gefangenen vom Präsidenten für notwendig erachtet wird, um das Kriegsziel zu erreichen, soll weder dem Kongress noch der Bevölkerung das Recht zustehen, sich zu widersetzen.

Tatsächlich ist der Vorbehalt, dass sich das Land im Krieg befinde und die Gefangenen feindliche Kämpfer seien, vollkommen bedeutungslos, da die Regierung sich selbst das Recht erteilt hat, zu bestimmen, wann sich das Land im Krieg befindet und wer dabei der Feind ist. Im Prinzip kann nichts den Präsidenten davon abhalten, die Gefangennahme und Folter oder Ermordung amerikanischer Bürger zu verfügen, wenn sie als "feindliche Kämpfer" eingestuft werden. In der Tat hat sich die amerikanische Regierung bereits selbst das Recht erteilt, US-Bürger festzunehmen und lebenslänglich einzusperren, ohne irgendeine Anklage vorzulegen, ihnen Kontakt zu einem Anwalt zu gewähren oder sie vor Gericht zu stellen, wie in den Fällen von Jose Padilla und Yasser Hamdi geschehen.

Die Veröffentlichung dieses Memos ist ein weiterer Schlag gegen die Vertreter des politischen und medialen Establishments, die den Krieg gegen den Irak als Kampf zur "Befreiung" der irakischen Bevölkerung und zur "Demokratisierung" des Nahen Ostens darzustellen versuchen. Der wahre Charakter der US-Außenpolitik zeigt sich in den Mitteln, mit denen die Regierung ihre Ziele zu erreichen versucht: Folter und Verbrechen.

Diejenigen, die an der Planung dieser Operationen beteiligt sind, sind sich über deren Gesetzeswidrigkeit vollkommen im Klaren. Eben deshalb erachten sie solche pseudo-juristischen Memos für notwendig. Darüber hinaus wirft das aufgetauchte Memo ein Schlaglicht darauf, warum sich die amerikanische Regierung geweigert hat, sich internationalen Rechtsinstitutionen wie dem Internationalen Gerichtshof zu unterwerfen. Diejenigen an der Macht wissen sehr wohl, dass ihre Taten unter die Kategorie der Kriegsverbrechen fallen und sie dafür angeklagt werden könnten.

Die Verantwortlichen für diese Politik sind Kriegsverbrechen und sollten als solche vor Gericht gestellt werden.

Siehe auch:
Bush beharrt auf Gewahrsam für "feindliche Kämpfer"
(22. August 2002)
Ein weiterer Schritt in Richtung Präsidialdiktatur: Bush befiehlt unbeschränkte Militärhaft für US-Bürger
( 19. Juni 2002)
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