Die zunehmende Bedeutungslosigkeit des G8-Gipfels

Das erste Gipfeltreffen der kapitalistischen Großmächte, seit der Einbeziehung Russland als G8 bezeichnet, fand 1975 in Frankreich statt. Der Anlass für dieses Treffen war der Ölpreisschock von 1973-74 und die tiefste Wirtschaftsrezession seit den 30-er Jahren.

Der damalige und die nachfolgenden Gipfel hatten koordinierte, wenn auch begrenzte Maßnahmen gegen die Probleme der kapitalistischen Weltwirtschaft entwickelt. Doch das gehört längst der Vergangenheit an. Der in der vergangenen Woche auf Sea Island vor der Küste Georgias abgehaltene Gipfel wurde in einer Zeit steigender Ölpreise einberufen. Es gibt Befürchtungen, dass dieser Anstieg Auswirkungen auf die Weltwirtschaft hat, die sich vorwiegend auf die wachsende Verschuldung der USA und den Boom in China stützt.

Diese Fragen wurden auf dem Gipfel jedoch kaum erwähnt, geschweige denn diskutiert. Darin zeigt sich, wie bedeutungslos die G8-Gipfel aufgrund der Unfähigkeit und Unwilligkeit der großen kapitalistischen Staaten, ein koordiniertes ökonomisches Programm zu entwickeln, geworden sind. Der Sea Island-Gipfel war kaum mehr als ein Phototermin, eingequetscht zwischen den Feierlichkeiten zum Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie und der Beerdigung Ronald Reagans.

Noch bevor der Gipfel begann, hieß es in einem Leitartikel der Financial Times, dass die Weltwirtschaft zwar ganz oben auf der "Sorgenliste" der Regierungschefs stehe, die G8 aber "außer beobachten und hoffen, dass der Anstieg der Ölpreise die erwartete weltwirtschaftliche Erholung nicht aus dem Gleis wirft", wenig tun könnten.

Sobald der Gipfel begonnen hatte, drängte Bush auf ein größeres Engagement der NATO im Irak. Er versuchte, Nutzen aus der Entscheidung des UN- Sicherheitsrats zu ziehen, der unmittelbar davor beschlossen hatte, die von den USA eingesetzte Interimsregierung zu legitimieren. Die Antwort des französischen Präsidenten enthüllte jedoch die weiterhin bestehenden Differenzen. Chirac sagte: "Ich denke nicht, dass es die Aufgabe der NATO ist, im Irak zu intervenieren. Meinem Eindruck nach würde dies nicht notwendigerweise auf Akzeptanz treffen. Ich stehe einer solchen Initiative sehr zurückhaltend gegenüber."

Einige der ökonomischen Differenzen hinsichtlich des Irak wurden deutlich, als es um die Frage des Schuldenerlasses für das Land ging. Da der Irak keine Schulden gegenüber den USA hat, schlug die Bush-Regierung vor, man solle dem Land die etwa 120 Milliarden Dollar Schulden gegenüber anderen Ländern erlassen. Sie argumentierte, dass die Schulden, weil sie unter der Diktatur Saddam Husseins aufgelaufen seien, gelöscht werden sollten. Ein derartiges Argument war in einer früheren Periode strikt zurückgewiesen worden: nach der Oktoberrevolution verlangte man von den Bolschewiki, dass sie die Schulden des zaristischen Regimes zurückzahlen.

Im Fall des Irak ist es der Bush-Regierung natürlich lieber, wenn die Gewinne aus dem Ölgeschäft nicht an Gläubigerstaaten wie Frankreich und Russland, sondern in den Wiederaufbau des Landes fließen, von dem US-Firmen die lukrativsten Aufträge erwarten. Chirac wandte ein, dass die USA dem Irak weit großzügiger als den höher verschuldeten und stärker verarmten Staaten Afrikas entgegenkämen. Diesen wurden vom Gipfel keine neuen Schuldenerlasse oder Handelserleichterungen gewährt.

Ein russischer Vertreter machte deutlich, worum es wirklich ging. Er gab im Namen Putins bekannt, dass Russland 65 Prozent der Schulden erlassen werde, wenn umgekehrt Russlands Wirtschaft Zugang zum Irak erhalte. Er zitierte Putin mit den Worten, dass "unsere Flexibilität von Ihrer Flexibilität und von den Möglichkeiten unserer Wirtschaft im Irak abhängt".

Als man auf die Weltwirtschaft zu sprechen kam, verlief die Diskussion im Rahmen dessen, was auf dem Treffen der Finanzminister im Mai bereits gesagt worden war. Damals wurde herausgestellt, dass die Erholung der Weltwirtschaft "schnell vor sich gehe". Man pries die Entwicklung hin zu mehr Flexibilität der Arbeitskräfte, der Produkt- und Kapitalmärkte und bekannte sich zum "Erfolg und baldigen Abschluss der Doha-Runde" der WTO, ohne irgendwelche besonderen Verpflichtungen einzugehen.

Einen Streitpunkt gab es jedoch. Die USA hoben hervor, dass die Wachstumsraten in der Eurozone hinter denen der anderen G8-Staaten und der "Wachstumsmärkte" her hinken. Darauf antwortete Chirac, dass das US-Defizit das Wachstum der Weltwirtschaft gefährde. Er und einige andere Staatschefs seien besorgt über "die möglichen zukünftigen Konsequenzen des großen Defizits im US-Haushalt und in der US- Handelsbilanz, besonders für die Zinsentwicklung".

Es gibt in der Tat vieles, über das man besorgt sein kann. Die nach dem Gipfel veröffentlichten Zahlen zur Entwicklung der USA weisen einen Rekord des monatlichen Handelsbilanzdefizits von 48 Milliarden aus - weit mehr als erwartet. Die Wirtschaftsdaten sind nur der schärfste Ausdruck für die beispiellosen historischen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, deren Wachstum durch die zunehmende Verschuldung der USA aufrechterhalten wird. Diese Verschuldung wiederum wird durch die Ankäufe amerikanischer Finanzanlagen durch asiatische Zentralbanken finanziert.

Aber diese Fragen überging man auf dem Gipfel. Man stellte stattdessen Einigkeit zur Schau, indem die Regierungschefs in High-Tech-Golfmobilen gemeinsam über die Insel fuhren. Bush posierte mit dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder vor Kameras und Chirac und Bush tauschten Nettigkeiten über die Qualitäten der amerikanischen Küche aus, in der besonders der Cheeseburger ein Highlight sei.

Es scheint, als hätte es auf dem Gipfel so etwas wie eine umgekehrte Proportionalität gegeben. Je ernsthafter die Fragen sind, mit denen die Weltwirtschaft konfrontiert ist, desto weniger können sie diskutiert, geschweige denn durch gemeinsames Handeln angepackt werden. Zwei Prozesse widerspiegeln sich darin. Auf der einen Seite zeigt sich, dass das Finanzkapitals zunehmend außerhalb der Kontrolle von nationalen Regierungen oder Gruppen nationaler Regierungen agiert. Auf der anderen Seite wird sichtbar, dass es große Gegensätze zwischen den kapitalistischen Mächten gibt.

Siehe auch:
"Überhitzung" in China bedroht Weltwirtschaft
(7. Mai 2004)
Die US-Regierung rechnet mit einem Haushaltsdefizit von einer halben Billion Dollar
( 11. Februar 2004)
WTO-Welthandelskonferenz scheitert am einbrechenden Handelssystem
( 25. September 2003)
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