Großbritannien: Gewerkschaften gründen Aktionsgruppe gegen Blair

Am Sonntag, dem 3. Juli versammelten sich rund 350 Delegierte am Hauptsitz des britischen Gewerkschaftsbundes TUC in London zum Gründungskongress einer neuen Gruppierung, die sich Labour Representation Committee, zu deutsch etwa "Arbeitervertretungsausschuss" nennt.

Der Name lehnt sich an das historische Labour Representation Committee an, das am 27. Februar 1900 von Vertretern der Independent Labour Party, der Social Democratic Federation, der Gesellschaft der Fabier und der Gewerkschaften gegründet wurde. Den damaligen Angriffen der herrschenden Klasse auf das Streikrecht und das Assoziationsrecht begegnete das LRC mit der Forderung, dass die Gewerkschaften eine eigene Partei, die Labour Party gründen sollten. Sie sollten ihre bisherige Unterstützung für die Liberale Partei aufkündigen und eine eigene parlamentarische Vertretung für die Arbeiter ins Leben rufen. Die folgende Gründung der Labour Party im Jahr 1906 war der erste Schritt der britischen Arbeiter zum Aufbau einer unabhängigen politischen Partei.

Doch diese Partei war von Anfang an nicht sozialistisch. Das Programm der Labour Party, die von den Gewerkschaften finanziert wurde, beschränkte sich auf die Forderung nach Sozialreformen, mit denen die schlimmsten Auswüchse der kapitalistischen Ausbeutung gemildert werden sollten. Die Globalisierung der Produktion und der intensive Konkurrenzkampf um Märkte und Ressourcen hat dazu geführt, dass die Labour Party mittlerweile dieses Ziel aufgegeben und sich in eine Partei verwandelt hat, die ausschließlich die Interessen des Großkapitals vertritt.

Mit dem Namen LRC versucht das neue Bündnis die so genannte "glorreiche Vergangenheit" der Labour Party wachzurufen. Diese historische Analogie ist allerdings fehl am Platze. Denn im Gegensatz zu den früheren Pionieren des LRC bestand das Anliegen der Konferenz im TUC-Hauptquartier nicht darin, den Arbeitern eine eigenständige Vertretung gegenüber den Parteien des Kapitals zu verschaffen. Sie wollte vielmehr gewährleisten, dass die Arbeiter an die heutige Lieblingspartei des Kapitals - die Labour Party - gefesselt bleiben. Ihre Teilnehmer möchten das politische Monopol über die Arbeiterklasse, das dieser bürokratische Monolith ausübt, absichern und wieder befestigen. Zu diesem Zweck verbreiten sie die Illusion, die Labour Party könne zu ihrem ursprünglichen Reformprogramm zurückgebracht werden.

Der Gründungskongress wurde zwar als Versammlung der "Basis" dargestellt, seine Teilnehmer setzten sich jedoch hauptsächlich aus altgedienten Bürokraten zusammen, wie z. B. dem Labour-Veteranen Tony Benn, den Parlamentsabgeordneten John McDonnell, Alice Mahon und Alan Simpson sowie dem früheren Regierungsmitglied Michael Meacher. Hinzu kamen einige Gewerkschaftsführer, unter ihnen Billy Hayes (Gewerkschaft der Kommunikationsbranche) und Mick Rix (ehemaliger Generalsekretär der Lokführergewerkschaft ASLEF).

Unterstützt wurde er von einigen Gruppen, die sich als links bezeichnen: von der stalinistischen Kommunistischen Partei, von Labour Left Briefing und der Socialist Campaign Group. Was diese Organisationen vereint, ist ihre beharrliche Opposition gegen jeden Bruch der Arbeiter mit der Labour Party. Der bloße Gedanke daran löst bei ihnen die immer gleichen Klagegesänge aus: "Sektierertum", "Größenwahn", und die gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung, Blairs Partei stelle ob ihrer Verbindung zu den Gewerkschaften nach wie vor die "Massenpartei der Arbeiterklasse" dar.

Es ist mittlerweile zehn Jahre her, seit die Labour Party unter dem damals neu gewählten Vorsitzenden Tony Blair ihre traditionelle Bindung an die Gewerkschaften und ihre Basis in der Arbeiterklasse kappte, indem sie die Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel aus ihrem Programm strich. Seither hat sie sich offen zu einer Partei des Großkapitals gemausert.

Während ihrer nunmehr siebenjährigen Regierungszeit hat sie ein Programm von Privatisierungen und Sozialkürzungen durchgesetzt, das viel weiter geht, als die vorherigen Maßnahmen der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher. Entsprechend wuchs die soziale Ungleichheit.

An der Seite der USA betrieb die Labour Party eine Politik neokolonialer Eroberungen und militärischer Aggressionen. Sie beteiligte sich an Kriegen auf dem Balkan, im Mittleren Osten und in Afrika.

Keiner dieser Schritte hatte die Kritiker Blairs, die sich jetzt unter dem Dach des TUC trafen, zu irgendeiner Gegenwehr veranlasst. Im Gegenteil, sie waren im schönsten Einvernehmen mit den TUC-Gewerkschaften erfolgt. Die heutigen Kritiker wurden erst aktiv, als die Labour Party infolge ihrer rechten Politik jegliche Unterstützung verlor und als sich Blair taub stellte gegenüber den Appellen der Gewerkschaftsbürokratie, bestimmte Aspekte seines Rechtskurses abzuschwächen, um eine Rebellion ihrer Mitgliedschaft zu verhindern.

Bei den Kommunalwahlen und den Europawahlen im Juni war Labour auf Platz 3 zurückgefallen und hatte selbst traditionelle Hochburgen wie Doncaster in South Yorkshire verloren.

Die offizielle Mitgliederzahl der Partei ist auf weniger als 250.000 gesunken und liegt in Wirklichkeit noch tiefer. Der Schwund fiel derart drastisch aus, dass einige Mitglieder sogar eine Gruppe namens "Save the Labour Party" gründeten, um zu verdeutlichen, dass die Organisation praktisch nicht mehr in der Lage ist, öffentliche Unterstützung zu mobilisieren.

Wie ihr Gründungskongress zeigte, besteht das Ziel des LRC darin, diesen Ausblutungsprozess aufzuhalten, indem der Anschein erweckt wird, dass in dem Labour-Leichnam doch noch ein Funken Leben stecke.

Es gehe, so wurde erklärt, nicht um die "Rückeroberung" der Partei (wie vorgeblich linke Kritiker der Labour-Führung früher stets behauptet hatten), sondern um ihren "Wiederaufbau".

Nun trifft es zweifellos zu, dass keiner der LRC-Initiatoren innerhalb der Labour Party noch etwas bewegen könnte, denn wer immer sich noch einen letzten Rest an Grundsatztreue oder gar sozialistischen Überzeugungen bewahrt hatte, ist längst ausgetreten. Doch die Beteuerung, dass man einen Wiederaufbau der Partei anstrebe, sollte auch die Labour-Größen davon überzeugen, dass das LRC nur ihr Wohl im Auge habe.

Das LRC möchte "den Sozialisten innerhalb unserer Bewegung Hoffnung machen, dass Labour mit einem radikalen sozialistischen Programm eine dritte Amtszeit erreichen kann". Doch eine Wunschliste für ein entsprechendes "radikales" Wahlmanifest, das Hayes der Konferenz vorlegte, enthielt keine Forderung gegen imperialistische Kriege und verlangte nicht einmal einen Kampf gegen die anhaltenden Versuche der Labour-Regierung, unverzichtbare öffentliche Dienstleistungen wie das Gesundheits- und Bildungswesen zu privatisieren - eine Politik, die katastrophale Folgen für Arbeiterfamilien hat und Zehntausende Arbeitsplätze bedroht.

Hayes' Vorschläge zur "Demokratisierung" der Partei beschränkten sich auf die Forderung, dass auf Jahreskonferenzen Abänderungsanträge zu den politisch-programmatischen Dokumenten der Parteiführung gestellt werden dürfen. In dieser inhaltlichen Leere zeigt sich der wahre Charakter der angeblichen Opposition der Gewerkschaftsbürokratie gegen Blair.

In den vergangenen Monaten hat die Gewerkschaft der Feuerwehr der Labour Party die Gefolgschaft aufgekündigt, und die Transportarbeitergewerkschaft wurde von Labour ausgeschlossen, weil sie ihren Ortsgruppen gestattet hatte, sich auch anderen Parteien anzuschließen.

Die Gewerkschaft GMB (General Municipal and Boilermakers Union), die Beschäftigte der öffentlichen Versorgungswerke organisiert, weigerte sich, Beiträge in Höhe von 744.000 britischen Pfund (rund 1.122.000 Euro) an die Labour Party abzuführen, und die Transportarbeitergewerkschaft TGWU, der auch Blair selbst angehört, drohte an, 750.000 Pfund (rund 1.300.000 Euro) einzubehalten. (Aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte als parlamentarische Vertretung der Gewerkschaften führen diese traditionell Beiträge an die Labour Party ab.)

In einem Beitrag für die Tageszeitung Guardian erklärte der GMB-Vorsitzende Kevin Curran, die Kritik der Gewerkschaft richte sich in erster Linie gegen ihren Ausschluss von Macht und Einfluss. Sie "entzündet sich daran, dass wir überhaupt nicht mehr gefragt werden... Eine selbsternannte Gruppe von Leuten berät im stillen Kämmerlein - und von uns allen wird erwartet, dass wir anschließend die Weisheit ihrer Beschlüsse preisen. Das ist der allzu häufige Politikstil des Premierministers. Wir werden nicht in die Entscheidungsprozesse einbezogen. Wir erfahren überhaupt nichts von solchen Prozessen, obwohl wir die Arbeitnehmer vertreten, die davon betroffen sind. Wir werden erst dann unterrichtet, wenn wir sie unterstützen sollen - und wenn wir das nicht tun, wirft man uns Illoyalität vor."

Siehe auch:
Vernichtende Niederlage für Labour bei Kommunalwahlen
(16. Juni 2004)
Drastischer Mitgliederschwund der britischen Labour Party
( 22. April 2004)
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