Vorabend des Republikanischen Wahlparteitags:

Massive Anti-Bush-Demonstration in New York

In New York demonstrierten am Sonntag Hunderttausende in eindrucksvoller Weise gegen die Politik der Bush-Regierung. Sie zogen am Madison Square Garden vorbei, wo diese Woche der Republikanische Wahlparteitag stattfindet.

Die Organisatoren schätzten 400.000 Teilnehmer, was wesentlich glaubwürdiger ist als die grobe Unterschätzung der New Yorker Polizei, die von 120.000 Teilnehmern ausgeht. Als die ersten Demonstranten das Ende der Strecke erreicht hatten, die fast vierzig Häuserblocks in Manhattan umfasste, waren viele Teilnehmer noch nicht losmarschiert. Fünf Stunden lang strömte eine riesige Menge die Seventh Avenue entlang bis zur 34. Straße und auf dem Broadway wieder zurück in die Innenstadt.

Die gewaltige Demonstration war Ausdruck der enormen gesellschaftlichen Opposition, die sich aufgrund des Irakkriegs, der Angriffe auf demokratische Rechte und der sozialen Kahlschlagspolitik gegen die Bush-Regierung angestaut hat. Ihre Kampfbereitschaft stand in scharfem Gegensatz zum vertrockneten Liberalismus und der halbherzigen Opposition der Demokratischen Partei und ihres Präsidentschaftskandidaten John Kerry. Während Kerry den Krieg unterstützt, fühlen sich die Hunderttausenden, die sich an der Demonstration beteiligten - und viele Millionen, die mit ihnen sympathisieren - ohne politische Stimme.

Die hohe Beteiligung war umso bemerkenswerter, als sowohl die Stadtregierung als auch Bundesbehörden wie das Heimatschutzministerium und das FBI im Vorfeld versucht hatten, die Demonstranten mit grobschlächtigen Methoden einzuschüchtern.

So wurden Aktivisten von der Joint Terrorism Task Force überwacht und schikaniert, die New Yorker Polizei drohte mit Massenverhaftungen und der Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, selbst Republikaner und Millionär, verweigerte die Erlaubnis für eine Kundgebung im Central Park im Anschluss an die Demonstration. Außerdem blieb der sogenannte "orange Alarm" über die Stadt verhängt, und fast jeden Tag gab es Warnungen aus Washington vor angeblich drohenden Terroranschlägen.

Tausende Polizisten wurden entlang der Marschstrecke postiert. An der 34. Straße drängte sich eine große Gruppe behelmter Bereitschaftspolizisten, verstärkt durch berittene Polizei, um die Demonstranten davon abzuhalten, ihren Marsch weiter nördlich bis zum Central Park fortzusetzen.

Hunderte weiterer Polizisten - einige mit Maschinengewehren bewaffnet - sowie Angehörige der Nationalgarde und Geheimdienstmitarbeiter drängten sich vor dem Madison Square Garden, wo am Montag der Wahlparteitag beginnt. Die Eingänge zu dem Gebäude waren mit Betonsperren und sandgefüllten Müllwagen versperrt.

Die Demonstrierenden riefen: "Schluss mit Bush", "Stoppt den Krieg, stoppt die Lügen" und: "Keine weiteren Jahre". Viele trugen handbeschriftete Schilder mit Slogans wie: "Unterstützt die Soldaten, bringt sie nach Hause", "Lasst nicht zu, dass die Toten republikanisch wählen, RNC [Republikanischer Wahlparteitag] raus aus New York - wegen dem 11. September ", "Irak heißt Vietnam auf arabisch".

Als eine kleine Gruppe republikanischer Delegierter sich vor ihrem Hotel versammelte, um sich den Marsch anzuschauen, riefen die Demonstranten ihnen zu: "Geht nach Hause!"

Ein Kontingent des Marsches bestand aus tausend mit Flaggen drapierten Särgen, die die Gefallenen US-Soldaten seit Beginn des Irakkriegs symbolisieren sollten.

Unter den Demonstranten, die hier bei fast 35 Grad Hitze auf die Straße gingen, waren Jugendliche aus so weit entfernten Orten wie Los Angeles und Texas, aber auch zahlreiche New Yorker. Viele von ihnen waren Einwanderer, darunter auch Koreaner, Filipinos, Haitianer und Menschen aus Südasien.

Damien N. und Ula B. aus Brooklyn trugen ein Schild mit der Aufschrift: "Polen 1939 - Irak 2003". Damien kommt ursprünglich aus Michigan, während Ula aus Polen stammt.

Auf Nachfrage erklärte Damien: "Mit der Invasion Polens wurde die deutsche Militärmaschinerie entfesselt. Die Deutschen behaupteten, sie müssten in Polen einmarschieren, um ihre Sicherheit zu schützen und Lebensraum im Osten zu schaffen. Ganz ähnlich behaupten die Vereinigten Staaten, der Irak hätte mit seinen ‚Massenvernichtungswaffen' eine Bedrohung ihrer Sicherheit dargestellt. Bei beiden Invasionen hat eine imperialistische Nation eine schwächere Nation angegriffen."

An der Demonstration beteiligten sich viele Veteranen und auch einige aktive Soldaten, die gerade aus dem Irak zurückgekehrt waren und in Uniform mitmarschierten.

Einer von ihnen, Mathias Feurer, sagte, er beteilige sich mit der Forderung an der Demonstration, dass seine Kameraden umgehend aus dem Irak zurückgebracht werden. Als Mitglied der ersten Panzerdivision hatte er an der Invasion des Irak teilgenommen und dort vier Monate verbracht. Nachdem er seinen Militärdienst beendet hatte, versuchte er, die Armee zu verlassen. Sein Dienst wurde jedoch zwangsweise verlängert und er wurde in die USA zurückgeschickt, um dort bei der Nationalgarde zu dienen.

"Als der Krieg anfing, hatte ich unserem Präsidenten vertraut", sagte Mathias, der aus der Bronx stammt, dem WSWS -Reporter. "Ich dachte, er wäre gerechtfertigt, und wir würden wirklich Massenvernichtungswaffen finden, aber es waren keine da."

Er erzählte, wie sehr ihn Armut, Zerstörung und Leid schockiert hätten, die der Krieg über das irakische Volk brachte. "Als wir dort hinkamen, haben die Kinder uns anfangs zugewinkt; aber als ich wieder wegfuhr, ging dort schon alles zum Teufel. Man will uns dort nur noch weghaben. Früher oder später wird das auch passieren, aber zwischenzeitlich werden noch viele Soldaten und Iraker sterben."

Mathias meinte, er würde jedem, der sich überlegt, in die Armee zu gehen, davon abraten. "Es gibt heute junge Menschen, die eigentlich gar nicht kämpfen wollen und sich für etwas anderes melden, wie zum Beispiel als Koch. Aber es wird vor allem Infanterie und Militärpolizei gebraucht, und wenn sie erst einmal drin sind, werden sie einfach rübergeschickt - eine Schar Kinder ohne Ausbildung - und die werden als erste getötet. Das einzige, was alle da drüben noch wollen, ist nach Hause kommen."

Dave Pacella, ein Veteran des ersten Golfkriegs, sagte, er demonstriere für die invaliden Veteranen. "Ich denke, der Krieg im Irak sollte gestoppt werden", sagte er. "Die USA interessieren sich nur für das Öl, aber man kann einen Krieg gegen die Irakis nicht gewinnen, weil sie für Religion und gegen ihre Kolonisierung kämpfen. Die invaliden Veteranen, die aus dem Irak zurückkommen, erhalten keine angemessene Behandlung. Es ist eine Schande, 177 Millionen Dollar am Tag für den Irakkrieg auszugeben, wenn hier in diesem Land Menschen hungern und die Leistungen für die Veteranen gekürzt werden. Wenn die Soldaten aus dem Irakkrieg zurückkommen, brauchen sie Beratung. Ihre Familien brauchen Beratung. Und das bekommen sie nicht. Die psychiatrischen Einrichtungen werden reduziert."

Dave sagte, dass sein Vater, ein Veteran aus Pennsylvania, einmal pro Woche eine psychiatrische Therapie benötige, aber die am nächsten liegende Einrichtung sei geschlossen worden. Jetzt müsse er weit wegfahren und erhalte nur jede zweite Woche einen Termin.

"Ich glaube, sie wollen, dass mehr Leute in die Armee gehen", sagte er. "Aber wenn man seinen Dienst einmal beendet hat, dann wollen sie nichts mehr mit einem zu tun haben, und oft werden medizinische Betreuung und Behandlung eingespart."

Relativ wenige der Demonstrationsteilnehmer trugen Kerry-Buttons, und Transparente zur Unterstützung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten waren äußerst selten. Keine prominenten Demokraten oder gewählte Politiker nahmen an der Demonstration teil.

Ganz offensichtlich will sich die Parteiführung von dieser massiven Äußerung der Opposition gegen den Krieg und gegen die ganze Bush-Politik distanzieren. An der Spitze des Marsches gingen Jesse Jackson, der Filmemacher Michael Moore, der Schauspieler Danny Glover und ein paar vereinzelte Mitglieder des Stadtrates von New York.

Als die Demonstrationsspitze Madison Square Garden erreichte, trat Jackson mit einem Megaphon vor und forderte die ersten Reihen auf, sich hinzusetzen. Darauf nötigte er ihnen einen Wechsel-Singsang mit den Worten auf: "Hoffnung ist in der Luft, Hilfe ist unterwegs". Das war ein Echo auf die Art von Slogans, die auch Kerry und sein Vizepräsidentschaftskandidat, John Edwards letzten Monat in ihren Reden auf dem Wahlparteitag der Demokraten von sich gegeben hatten.

Mitglieder und Sympathisanten der Socialist Equality Party (SEP) verteilten 10.000 Handzettel mit dem Titel "The socialist alternative to Bush and Kerry" (Sozialistische Alternative zu Bush und Kerry), und es ergaben sich zahlreiche Diskussionen mit den Demonstrationsteilnehmern. Viele sagten, sie würden für Kerry stimmen, seien aber keineswegs glücklich damit. Andere zeigten starkes Interesse am Wahlkampf der SEP.

Die WSWS sprach mit Alejandro Urruzmendi, 25 Jahre alt, der aus Los Angeles nach New York gekommen war und unterwegs noch mehrere Freunde abgeholt hatte. Der gebürtige Amerikaner hatte mehrere Jahre mit seiner Familie in Uruguay gelebt.

Er sagte: "Es wird ein gutes Stück Arbeit und Mühe kosten, eine dritte Partei zu schaffen. Leider sehen die meisten Kerry als einzige Alternative. Es wäre schön, wirkliche Demokratie zu haben. John Kerry war auch für die Invasion. Er lässt keine Veränderung der Politik der Bush-Regierung erkennen. Der Grund dafür ist, dass die gleichen Leute, die Bush unterstützen, auch Kerry unterstützen.... Egal wer zum Präsidenten gewählt wird, die Probleme in unserm Land werden nur noch größer werden."

Carey Fay-Horowitz, ein Bäckereiarbeiter, sagte: "Ich bin vollkommen gegen den Krieg im Irak. Er wurde von Anfang an auf Lügen gegründet, und es ist ein Krieg um Öl. Jetzt wird er fortgesetzt aus Loyalität zu den Leuten, die an der Macht sitzen.... Ich bin nicht sehr glücklich darüber, dass Kerry den Krieg unterstützt. Er ist als Alternative nicht so gut. Ich möchte, es würde mit einer anderen Partei funktionieren, aber jetzt ist es zu spät. Aber ich stimme zu, dass es ideal wäre, wenn es eine andere Partei geben würde."

Die WSWS sprach auch mit Herman Bijkerk aus Holland, der gerade eine Woche Urlaub in New York machte. Er hatte ursprünglich geplant, am Samstag heimzufahren, aber als er von der Demonstration erfuhr, hatte er sich entschieden, seinen Besuch zu verlängern.

Herman sagte: "Es ist ungeheuer wichtig für die Demokratie, dass man mehrere Möglichkeiten hat. Aber Bush und Kerry stellen in keiner Weise eine Auswahl dar. In Holland haben wir jetzt fünfzehn Parteien, die eine gewisse Bedeutung haben, darunter vier oder fünf größere.... Wegen Bush erlebt man in Europa immer mehr Anti-Amerikanismus. Freunde und Kollegen in Holland sehen alles Amerikanische schwarz. Natürlich ist das nicht nur wegen Bush, aber wegen der US-Politik im Irak und besonders in Israel."

John, nach eigenen Angaben seit drei Jahren WSWS -Leser, kam mit einem Plakat zur Demonstration, das zur Unterstützung für den Wahlkampf der SEP aufrief und worauf er die Forderungen der Partei aufgeschrieben hatte: Sofortiger und bedingungsloser Rückzug der US-Truppen, sowie Kriegsverbrechertribunale gegen diejenigen, die an der Verschwörung zum Krieg beteiligt waren.

"Ich denke, die Demokraten repräsentieren die gleiche finanzielle und Konzern-Elite wie die Republikaner, mit nur leichten Abweichungen", sagte er. "In der Irakfrage sind sie offensichtlich keine Alternative. Wenn die USA sich nicht sofort zurückziehen, wird es immer neuen Widerstand der Irakis und eine immer stärkere Isolation von Allawi geben. Der Strom der sterbenden US-Soldaten wird nicht abreißen, und auch auf der irakischen Seite wird es immer mehr Verluste geben."

Seit am Freitag die Proteste in der Stadt begannen, wurden schon über vierzig Menschen verhaftet und einige von ihnen in behelfsmäßige Gefängnisse eingesperrt, die die Polizei von New York an einem Pier am Hudson River aufgeschlagen hat. Die meisten Verhaftungen fanden Freitag nachts während einer Protestfahrt von Fahrradfahrern statt, als die Stadtpolizei unprovozierte Festnahmen und massive Gewalt ausübte. Polizeisprecher hatten erklärt, sie seien darauf vorbereitet, während des Wahlparteitags bis zu tausend Menschen pro Tag festzunehmen.

Siehe auch:
The socialist alternative to Bush and Kerry
(28. August 2004)
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