Der Parteitag der Demokraten und Kerrys linke Verteidiger

Das FleetCenter in Boston, wo die Nominierung von John F. Kerry zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei stattfand, war von einem doppelten, über zwei Meter hohen Metallzaun sowie Tausenden von Polizisten und Sicherheitsleuten umgeben. Es gab allerdings noch eine andere Form des Schutzes für den nationalen Parteitag der Demokraten, die zwar nicht so auffällig, aber mindestens genau so wichtig war.

Diese rechte, unternehmerfreundliche Partei wird auf ihrer linken Flanke von einer Reihe professioneller politischer Demagogen geschützt, die sich alle Mühe gaben, dem reaktionären Parteitag in Boston einen "progressiven" Anstrich zu verpassen. Im Laufe der einwöchigen Veranstaltung gab es mehrere Zusammentreffen dieser Scharlatane mit Teilen der kleinbürgerlichen Protestbewegung, die sich selbst etwa vormachen.

Unter den Erstgenannten finden sich nicht wenige, die Kerry auffordern, mit einem anderen Programm zur Wahl anzutreten und ein Ende des Irakkriegs sowie soziale Reformen im Innern zu fordern. Ein typisches Beispiel für diesen Ansatz ist Nation, eine Zeitschrift, die den Niedergang des amerikanischen Mittelklasse-Radikalismus präzise widerspiegelt. Das Magazin gab eine Sonderausgabe zum Parteitag heraus, in der Dutzende Leute erklärten, was alles noch in das Wahlprogramm der Demokraten aufgenommen werden sollte.

Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass Kerry und die Demokraten deswegen mit einem rechten Programm antreten, weil sie dies aus einer Fehleinschätzung heraus für die richtige Taktik halten, um die Wahl zu gewinnen. Würden sie doch nur endlich begreifen, dass ihnen ein linkeres Programm viel mehr Stimmen einbrächte!

Diese absurde Konzeption dient dazu, den Klassencharakter der Demokratischen Partei und der wichtigsten Wählerbasis von Kerry zu verschleiern. Er und die Demokraten haben nicht deshalb ein reaktionäres Programm angenommen, weil sie es für notwendig halten, um die Wahlen zu gewinnen, sondern weil die Finanzoligarchie, die die beiden großen politischen Parteien im Griff hat, ein solches Programm verlangt.

In diesem Sinne schaltete die Antikriegs- und Protestkoalition United for Peace and Justice eine ganzseitige Anzeige in der Bostoner Wochenzeitschrift Boston Phoenix, in der sie an Kerrys Protest gegen den Vietnamkrieg vor 33 Jahren erinnerte. "Im Jahre 1971 bewiesen Sie Mut", heißt es in dem offenen Brief an Kerry, "aber heute, im Jahr 2004, warten wir und die Welt darauf, dass sie den schweren Schaden verurteilen, den die Besatzung des Iraks den Vereinigten Staaten und der Welt zufügt." In der Anzeige wird Kerrys Unterstützung für die anhaltende Besatzung und die Entsendung weiterer Truppen auf politische "Vorsicht" und "Berechnung" zurückgeführt.

Am Wochenende vor dem Parteitag veranstaltete das Sozialforum Boston, eine Ortsgruppe des Weltsozialforums, eine zweitägige Konferenz auf dem Bostoner Campus der University of Massachusetts, wo Leute wie Angela Davis und der ehemalige Arbeitsminister Robert Reich ausführten, dass es notwendig sei, Kerry nach links zu drücken.

Am Montag versammelten sich die Unterstützer des Kongressabgeordneten Dennis Kucinich - der seine Bemühungen, als Präsidentschaftskandidat der Demokraten nominiert zu werden, aufgegeben und sich hinter Kerry gestellt hat - in der St. Pauls Kathedrale, gegenüber vom Bostoner Unterhaus. Kucinich war die Hauptattraktion des Treffens, aber ihm ging eine Reihe von Sprechern voraus, die für Interessenspolitik, die Politik der Gewerkschaftsbürokratie und gewaltfreie Proteste warben.

Jeder Sprecher wurde immer wieder durch aufbrandenden Applaus, Hurrarufe und Fußgetrampel unterbrochen. Die kleinste Erwähnung einer Frage, die in den vergangenen Jahren Leute aus dem Publikum zu Protesten veranlasst hatte, ließ die Menge von ihren Sitzen aufspringen und in anhaltenden Applaus und Jubel ausbrechen.

Dieser Dunst aus irrationaler Übersteigerung und Selbstbeweihräucherung, der den Bankreihen der Episkopalkirche entstieg, diente offensichtlich dazu, den Gestank der politischen Realität zu überdecken. Die Nominierungskampagne von Kucinich - die von vielen der Anwesenden als wichtigstes Mittel im Kampf gegen den Irakkrieg gepriesen worden war - hat sich in eine "linke" Stütze für einen Kandidaten der Demokraten verwandelt, der sich verpflichtet hat, das Töten von Irakern und die Plünderung ihrer Rohstoffe fortzusetzen.

In der Woche vor dem Parteitag beriefen die Demokraten in einem Ferienort in Florida ihren Wahlprogrammausschuss ein und schusterten ein Dokument zusammen, das Kerrys Politik präzise wiedergibt: Darin verpflichtet er sich, die amerikanische Militärintervention im Irak so lange fortzuführen - und sogar zu steigern - wie es nötig ist, um den Widerstand in der Bevölkerung niederzuschlagen und eine Regierung durchzusetzen, die sich gegenüber Washington loyal verhält.

Kucinich, der in seiner Kampagne den Slogan "USA raus, UN rein" ausgegeben hatte, ließ jede Kritik an dem Wahlprogramm fallen und behauptete, dass bestimmte Formulierungen eingeflossen seien, die den "Einfluss" seiner Kampagne belegten.

Um welche Formulierungen es sich dabei handelte, verriet er nicht. Tatsächlich heißt es im Wahlprogramm an einer Stelle, "Menschen mit gutem Willen sind sich uneins in der Frage, ob Amerika in den Krieg gegen Irak hätte ziehen sollen", und an anderer, dass die Bush-Regierung "nicht ausreichend Soldaten in den Irak geschickt hat, um die Mission erfolgreich zu beenden".

Gegeben wird ein leeres Versprechen: "Sobald andere Länder [...] Truppen beisteuern, werden die Vereinigten Staaten in der Lage sein, ihre Militärpräsenz im Irak zu reduzieren, und wir haben vor, dies im angemessenen Fall zu tun, so dass die militärische Unterstützung, die eine souveräne irakische Regierung benötigt, nicht länger als die direkte Fortsetzung eine amerikanischen Militärpräsenz erscheint."

Kerrys ausdrückliche Einschätzung lautet, dass in seiner ersten vierjährigen Amtperiode als Präsident dieser "angemessene Fall" nicht eintreten wird.

Viele in der Menge waren von Kucinichs Unterstützung für Kerry nicht begeistert, aber die meisten schienen bereit, die Kröte nichtsdestotrotz zu schlucken. Als er nach der Unterstützung seines Kandidaten für die Aussagen des Wahlprogramms zum Irak gefragt wurde, antwortete ein Kucinich-Anhänger aus dem Bundesstaat Washington: "Es ist eine Katastrophe, eine vollkommene Kapitulation vor dem Durcheinander." Er fügte dann aber rasch hinzu: "Aber mit Kerry als Präsidenten werden wir es viel besser haben. Zumindest haben wir einen Fuß in der Tür. Unglücklicherweise können wir nicht mehr als einen Schritt auf einmal machen."

Ein Großteil der Redner in der St. Pauls Kathedrale war gekommen, um Kucinichs Haltung zu verteidigen. James Zogby, Leiter des Arabisch-Amerikanischen Instituts und Vorstandsmitglied der Demokratischen Partei, lobte den ehemaligen Kandidaten, weil "er dem Kampf in der Demokratischen Partei nicht ausgewichen ist". Zogby verurteilte jeden, der Kerry wegen seines Versprechens, den Krieg im Irak fortzuführen, die Unterstützung verweigert, als "Elitären", der "sich den Luxus leisten kann, sauber zu bleiben".

Er verglich Kucinich mit dem früheren Kongressabgeordneten Julian Bond, der im Jahre 1968 nach einem bitteren Kampf auf dem Parteitag der Demokraten "die Hand von Hubert Humphrey hochhielt", nachdem sich letzterer als Präsidentschaftskandidat durchgesetzt hatte. Humphrey gelobte die Fortsetzung des Vietnamkrieges. Der Krieg sollte noch sieben Jahre andauern und die Leben weiterer Hunderttausender Vietnamesen und Zehntausender amerikanischer Soldaten kosten.

Zogby ist nur einer von vielen, die Parallelen zwischen dem derzeitigen Parteitag der Demokraten und dem von 1968 in Chicago ziehen. Beide fanden unter den Bedingungen eines zutiefst unpopulären kolonialistischen Kriegs und in der Atmosphäre polizeistaatlicher Repression statt. Jeder ernsthafte Vergleich zwischen den beiden Parteitagen verdeutlicht jedoch die fortgeschrittene Fäulnis der amerikanischen Demokratie und die scharfe Rechtsentwicklung der Demokratischen Partei in den vergangenen 36 Jahren.

Auf dem Parteitag 1968 erzwangen Gegner des Vietnamkriegs unter den Demokraten eine Debatte über die Mehrheitsposition in der Partei, die die Vietnampolitik der Regierung von Lyndon Johnson unterstützte, und die Minderheitsposition, die ein Ende des Kriegs forderte. Beispielhaft für diese Debatte ist die Intervention von Theodore Sorenson, des Sonderberaters und Redenschreibers von John F. Kennedy, der erklärte: "Wir fordern ein sofortiges Ende der Bombardierungen- sie [Humphreys Anhänger] fordern ein Ende wenn und falls und vielleicht. Zweitens fordern wir den sofortigen beidseitigen Rückzug aller amerikanischen und nordvietnamesischen Truppen. [...] Die Mehrheitsfraktion sagt vielleicht, irgendwann. [...] Drittens fordern wir, [...] dass die Südvietnamesen die Gestaltung ihrer Zukunft selbst bestimmen sollen. Sie fordern, dass die Vereinigten Staaten bleiben und die Vietnamesen unseren politischen und wirtschaftlichen Anforderungen anpassen. Viertens fordern wir eine sofortige Reduzierung der amerikanischen Truppen. [...] Sie fordern eine Reduzierung der Truppen nur für den Fall, dass die südvietnamesische Armee einspringen kann."

Wenn man das Wort "Vietnam" durch "Irak" ersetzen würde, hätte praktisch genau die gleiche Rede auf dem Parteitag der Demokraten in Boston 2004 gehalten werden können. Doch heute gibt es keine Minderheitsfraktion, die die Parteitagsregie durcheinander bringen könnte. Dies verdankt Kerry der politischen Feigheit von Kucinich und seinen nicht allzu radikalen Unterstützern.

Kucinich selbst nutzte die Kanzel in der St. Pauls Kathedrale um eine demagogische Ansprache zu halten. Er rief radikale Phrasen, warf die Hände in die Luft und erklärte seinem jubelnden Publikum: "Wir werden weiterhin den Status quo in Frage stellen, egal, ob der Status von den Demokraten oder Republikanern gesetzt wird." Er versäumte allerdings zu erwähnen, dass er auf dem Parteitag und im Zuge der kommenden Wahlen den Status unangetastet lassen wolle.

Das Treffen endete mit einem Überraschungsauftritt von Jesse Jackson, der frisch von seiner herzlich verlaufenen Begegnung mit George W. Bush auf der Städtebundtagung kam. Jackson, der in den letzten Jahren lukrative Verbindungen zur Wall Street geknüpft hat, hielt eine haarsträubende Rede, in der er jeden Wahlsieg der Demokraten seit 1986 rühmte und dabei die Rolle hervorhob, die er selbst als zweimaliger Bewerber für die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten gespielt hatte.

Jackson nimmt die verbreitete Unzufriedenheit mit dem rechten Charakter des derzeitigen Wahlprogramms der Partei und ihrer Kandidaten sehr wohl zur Kenntnis und stellte die Frage: "Können Kerry und Edwards uns motivieren?" Seine Antwort lautete: "Meine Erfahrung ist, dass Motivation von unten kommt, nicht von oben." Er erinnerte dann an praktisch jede größere soziale Bewegung in der amerikanischen Geschichte, beginnend mit der Bewegung gegen Sklaverei, und ließ die Menge rufen, diese seien "von unten" ausgegangen.

Doch es ist überhaupt nicht die Frage, ob Kerry und Edwards einen Anstoß zur gesellschaftlichen Veränderung geben können. Sie sind der Verteidigung des Kapitalismus verpflichtet, und zwar auf der Basis eines Programms, das einen nie endenden "Krieg gegen den Terrorismus" und Sparmaßnahmen im Innern verspricht, ohne ernsthafte Sozialreformen anzubieten. Die wahre Frage lautet: Wie können diejenigen, die angeblich gegen Krieg nach Außen und Reaktion im Innern sind, solche Kandidaten und ein solches Wahlprogramm unterstützen?

Auf diese Frage hatte Jackson den Versammelten keine andere Antwort zu bieten als seinen typischen Ruf "Haltet die Hoffnung am Leben!"

All das Gerede über den Druck, der auf Kerry ausgeübt wird, und die "kleine Verbesserung", die durch die Wahl eines Demokraten ins Weiße Haus eintreten soll, kann nicht die Tatsache verschleiern, dass diese verschiedenen Vertreter "radikaler" Politik vollständig mit dem Zweiparteiensystem verbunden sind. Letztlich dienen sie als linke Stütze für die bürgerliche Politik als Ganze und als Hindernis für die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse in einem politischen Kampf gegen den Kapitalismus.

Diese Elemente setzen radikale Phrasen zu dem Zweck ein, die Massenopposition gegen die Bush-Regierung hinter Kerry und die Demokratische Partei zu lenken. Sofern sie überhaupt "Druck" ausüben, richtet sich dieser nicht gegen Kerry, sondern gegen jeden, der ihre Politik des "kleineren Übels" zurückweist und es wagt, die Demokraten von links anzugreifen.

Der Wahlkampf der Socialist Equality Party ist den unehrlichen und politisch bankrotten Absichten dieser "linken" Verteidiger Kerrys diametral entgegengesetzt. Wir erklären den Arbeitern, Studenten und jungen Menschen offen, dass es im Kampf gegen Krieg und sozialen Rückschritt keine politische Abkürzung über die Demokratische Partei gibt. Eine neue, unabhängige sozialistische Massenpartei muss aufgebaut werden, um die Kämpfe der amerikanischen Arbeiter mit denen der internationalen Arbeiterklasse zusammenzubringen und dem Kapitalismus ein Ende zu bereiten.

Alle, die eine wirkliche Alternative zur kriminellen Politik der Bush-Regierung und ihrer politischen Komplizen in der Demokratischen Partei suchen, sind aufgefordert, unseren Wahlkampf zu unterstützen. Helft uns, mich und meinen designierten Vizepräsidenten Jim Lawrence sowie unsere Kandidaten für den Kongress und lokale Parlamente auf die Wahlzettel zu bringen, und werdet Mitglied der Socialist Equality Party.

Siehe auch:
Auswertung des Parteitags der Demokraten in den USA
(3. August 2004)
Das große Tabu: Kerrys Vergangenheit als Kriegsgegner
( 31. Juli 2004)
Der Parteitag der Demokraten und die Krise des Zweiparteiensystems
( 28. Juli 2004)
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