Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen

Massive Stimmenverluste für CDU und SPD

Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen (NRW) haben den beiden großen Parteien CDU und SPD schwere Stimmenverluste beschert. Die SPD, die bereits vor fünf Jahren ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg erzielt hatte, verlor weiter an Stimmen. Die CDU konnte diesmal nicht von der Schwäche der Sozialdemokratie profitieren, sondern verlor prozentual und absolut noch mehr Wählerstimmen als die SPD.

Anders als früher führte der Stimmenverlust der einen Partei nicht mehr zu einem Stimmengewinn der anderen. Diese Tendenz hatte sich bereits vor zwei Wochen bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen gezeigt. Die Wähler verbinden die Angriffe auf soziale Errungenschaften, insbesondere die Hartz-Gesetzgebung, nicht nur mit der regierenden SPD, sondern auch mit der christdemokratischen Union. Den sogenannten "Volksparteien" läuft das "Volk" davon.

Im einwohnerstärksten Bundesland, das seit 1966 von der SPD regiert wird und wo sich das größte Industriegebiet Deutschlands - das Ruhrgebiet, die sogenannte "Herzkammer" der SPD - befindet, waren 14 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, in 396 Gemeinden, 31 Kreisen und 23 kreisfreien Städten die Kommunalparlamente sowie Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte neu zu wählen.

Bereits 1999 war die Wahlbeteiligung von einst über 80 auf 55 Prozent gefallen. Am Sonntag lag die Beteiligung mit 54,5 Prozent noch etwas niedriger. Die SPD verlor landesweit 2,2 Prozentpunkte oder rund 160.000 Wähler und erhielt 31,7 Prozent der abgegebenen Stimmen, so wenige wie nie zuvor.

Die CDU erreichte landesweit 43,4 Prozent. Das sind 6,9 Prozentpunkte oder eine halbe Million Wählerstimmen weniger als vor fünf Jahren. Damals hatte die Partei einen überraschenden Sieg über die NRW-SPD errungen, die aufgrund der unsozialen Politik der SPD-geführten Bundesregierung und ihrer Verfilzung mit der Wirtschaft eine verheerende Niederlage einsteckte.

Nutznießer der Stimmenverluste von CDU und SPD waren diesmal vor allem die Grünen und die FDP. Die Grünen legten 3 Prozentpunkte zu und erreichten mit 10,3 Prozent ein zweistelliges Ergebnis. Die FDP verbesserte sich um 2,5 Prozentpunkte auf 6,8 Prozent. Rechte Parteien spielten landesweit keine Rolle, konnten aber in einigen Städten Stimmen auf sich ziehen und zogen in die Räte ein, so in Gelsenkirchen und in Köln.

Das Wahlergebnis in Köln, der größten Stadt in NRW, ist bemerkenswert. Der dortigen schwarz-grünen Koalition, der einzigen in einer Millionen-Stadt, droht jetzt das Ende. Die CDU hatte 1999 vor allem wegen einer gewaltigen Spendenaffäre der Kölner SPD über 45 Prozent der Stimmen gewonnen. Nun verlor sie fast 13 Prozentpunkte und erreichte nur noch 32,7 Prozent - nicht zuletzt wegen eines eigenen Spendenskandals. Die mitregierenden Grünen gewannen knapp 1 Prozent und kamen auf 16,6 Prozent. Die SPD legte mit 30,9 Prozent ebenfalls leicht zu. Die FDP errang 7,4 Prozent. CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma, der selbst nicht zur Wahl stand, kündigte an, er werde Koalitionsgespräche mit der SPD, den Grünen und der FDP führen.

In Köln konnten auch ein rechtsextremer Republikaner und das rechtsextreme Bündnis "Pro Köln" mit 4,7 Prozent der Wählerstimmen und 4 Sitzen in den Stadtrat einziehen (die 5-Prozent-Hürde ist 1999 abgeschafft worden). "Pro Köln" hatte einen rassistischen Wahlkampf vor allem gegen den Bau von Moscheen in Köln geführt, wo rund 180.000 Ausländer leben.

Eins ihrer besten Wahlergebnisse fuhren die Sozialdemokraten wie schon vor fünf Jahren in Oberhausen ein, wo sie 50,4 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten. Auch der SPD-Kandidat für das Oberbürgermeisteramt Klaus Heinrich Wehling wurde auf Anhieb gewählt. Der bisherige Amtsinhaber Burkhard Drescher (SPD) hätte zwar beste Aussichten auf die Wiederwahl gehabt, wechselt aber lieber auf einen Managerposten bei der Ruhrkohle AG. Die SPD in Oberhausen hatte demonstrativ auf Wahlhilfe durch SPD-Bundespolitiker verzichtet, um sich von deren Politik abzugrenzen. Ein bereits vereinbarter Wahlkampftermin mit Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wurde ersatzlos gestrichen.

Andere SPD-Oberbürgermeister-Kandidaten verzichteten auf ihren Wahlplakaten sogar auf das SPD-Parteilogo - so die Bonner Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann und Friedhelm Julius Beucher in Bergneustadt im Oberbergischen Kreis. "Ich muss mich vom Negativtrend der SPD abkoppeln", sagte Beucher.

In vielen Kommunen trug aber auch die Politik vor Ort zum Niedergang der SPD bei. In Duisburg verlor die SPD-Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling über 15 Prozentpunkte und muss gegen den CDU-Kandidaten, der 2,5 Prozentpunkte mehr erhielt, in die Stichwahl. Zieling hatte - wie im sozialdemokratischen Ruhrgebiet nicht unüblich - undurchsichtige Großbauprojekte forciert, bei denen reihenweise Investoren absprangen bzw. gar nicht erst gefunden wurden. Der Wuppertaler SPD-Oberbürgermeister Hans Kremendahl muss ebenfalls in die Stichwahl. Gegen ihn läuft derzeit ein Verfahren wegen illegaler Spenden und Korruption.

Dortmunds Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) muss sich zwar auch zur Stichwahl stellen, liegt aber deutlich vor seinem christdemokratischen Herausforderer. Die Dortmunder SPD, Urgestein der Sozialdemokratie und auf absolute Mehrheiten abonniert, hatte vor fünf Jahren spektakulär die Mehrheit im Rat verloren, konnte sie nun aber zurückgewinnen. Sie erreichte 41,3 Prozent und damit 0,3 Prozentpunkte mehr als 1999. Die CDU dagegen musste deutliche Verluste hinnehmen. Sie verlor 9 Prozentpunkte und erreichte nur noch 32,7 Prozent.

In der Landeshauptstadt Düsseldorf bleibt Joachim Erwin (CDU) weitere fünf Jahre Oberbürgermeister. Erwin erzielte 50,4 Prozent, seine Herausforderin Gudrun Hock von der SPD 36,5 Prozent. Stärkste Fraktion im Düsseldorfer Rat wurde ebenfalls die CDU mit 44,5 Prozent (1999: 49,4 Prozent). Die SPD erreichte 30,3 (35,2) Prozent. Die Grünen legten auf 12,3 (7,1) Prozent zu. Auch hier sitzen zukünftig zwei Rechte im Stadtrat.

Lauter "Sieger"

Wie fern die politische Kaste der Bevölkerung steht, zeigte sich auch an der Reaktion von SPD und CDU auf ihre hohen Stimmenverluste. Beide Parteien ignorierten das unmissverständliche Wählervotum, redeten das Ergebnis schön und erklärten sich zum "Sieger".

CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers wertete den Wahlausgang als Signal für einen Machtwechsel an Rhein und Ruhr nach der Landtagswahl im Frühjahr kommenden Jahres. Dann sei "Schluss mit der rot-grünen Landesregierung und Schluss mit Ministerpräsident Peer Steinbrück" (SPD), sagte er in Düsseldorf. Die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel zeigte sich "hoch zufrieden". Ihre Partei sei stärker als SPD und Grüne zusammen.

Auch die SPD zeigte sich in prächtiger Laune, obwohl sie Wahl für Wahl immer neue Minusrekorde aufstellt. Schon bei den Landtagswahlen in Sachsen (9,8 Prozent) und Brandenburg (31,9 Prozent) vor zwei Wochen hatte sie, wie jetzt bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen, das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Trotzdem betonte der SPD-Landesvorsitzender Harald Schartau, die Partei habe wieder "Biss" und "Boden unter die Füße bekommen". Ministerpräsident Peer Steinbrück meinte gleichlautend, die SPD habe "wieder Grund unter die Füße bekommen".

Zufrieden gab man sich auch in Berlin: Mit Blick auf die Landtagswahl 2005 betonte SPD-Chef Franz Müntefering, er sei "jetzt sehr viel zuversichtlicher" als noch vor vier bis sechs Wochen.

Das Problem hier beschränkt sich nicht darauf, dass die Wähler für dumm verkauft werden, wie einige Kommentare meinten. Die Mischung aus Ignoranz und Arroganz, mit der die Spitzen von SPD und CDU auf das Wahlergebnis reagieren, zeigt vielmehr, dass der Wählerwille in ihren politischen Kalkulationen kaum mehr eine Rolle spielt. Ihre Politik wird immer direkter von der Wirtschaft bestimmt. Dass dies von einer breiten Mehrheit abgelehnt wird, die entweder gar nicht mehr zur Wahl geht oder für andere Parteien votiert, wird nicht nur ignoriert, sondern sogar verhöhnt.

Wie auf Bundesebene gleichen sich die Politik von SPD und CDU auch auf kommunaler Ebene wie ein Ei dem anderen. In den vergangenen fünf Jahren hat sich für das Gros der Bevölkerung in den nordrhein-westfälischen Städten nichts geändert. Die Armut und Arbeitslosigkeit ist auch unter CDU-geführten und schwarz-grünen Stadträten gewachsen, die Konzerne bauen weiterhin Arbeitsplätze ab.

Insbesondere im nördlichen Ruhrgebiet hat sich die Armut und Arbeitslosigkeit um keinen Deut gebessert. Im Gegenteil: In Gelsenkirchen liegt nach fünf Jahren Amtszeit des CDU-Oberbürgermeisters Oliver Wittke die Arbeitslosenquote immer noch bei über 18 Prozent. In Essen leben 6,3 Prozent der Einwohner von Sozialhilfe, in den nördlichen Stadtteilen sogar doppelt so viele. Und das, obgleich zwölf der 100 größten in Deutschland ansässigen Unternehmen hier ihre Firmenzentralen haben.

Vor Ort setzen die lokalen CDU- und SPD-Politiker die Angriffe durch, die auf Landes- und Bundesebene von ihren Parteien gemeinsam beschlossen werden. In den Städten und Gemeinden werden soziale Einrichtungen, Schwimmbäder, Bibliotheken, usw. geschlossen, öffentliche Baugrundstücke, Einrichtungen und Betriebe verkauft. Die massive Privatisierung städtischer Aufgaben und Unternehmen ist auch der Boden, auf dem der Filz (in Köln: Klüngel) weiter gedeiht.

Die Kürzungen für Arbeitslose im Rahmen der Hartz-Gesetze tragen alle auch die Unterschrift der CDU/CSU. Dies ist den meisten Wahlberechtigten nicht verborgen geblieben. Das Ergebnis der Kommunalwahl ist die Quittung dafür. So kündet die Abkehr der arbeitenden Bevölkerung von CDU und SPD explosive politische Entwicklungen an.

Siehe auch:
Wahlen in Sachsen und Brandenburg
(22. September 2004)
Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen
( 11. September 1999)
Die Kommunalwahlen in NRW - eine Nachlese
( 18. September 1999)
CDU und Grüne bilden Koalition in Köln
( 8. Februar 2003)
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