Volksbegehren zur Abwahl des Berliner Senats

Ein Volksbegehren ohne Perspektive

In Berlin hat sich in den letzten Monaten eine Reihe von sozialen Bündnissen und Initiativen gegründet, um gegen die Politik des rot-roten Senats zu protestieren. Diese lassen es zwar nicht an medienwirksamen Protestaktionen mangeln, doch nach einer weiterführenden politischen Perspektive sucht man bei ihnen meist vergeblich.

Ein Beispiel dafür ist die Initiative "Volksbegehren Soziales Berlin". Seit Juni diesen Jahres sammelt sie im Bündnis mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Unterschriften für die Durchführung eines Volksentscheides, der zur Auflösung des Berliner Abgeordnetenhauses und zu Neuwahlen führen könnte.

Dazu müssen innerhalb von sechs Monaten 50.000 wahlberechtigte Berliner den Antrag auf die Durchführung eines solchen Volksbegehrens unterschreiben. Da bereits seit dem 4. Juni gesammelt wird, läuft diese Frist Anfang Dezember ab - die aktuelle Zahl der Unterschriften liegt bei circa 32.000.

Werden rechtzeitig genug Unterschriften gesammelt und werden diese vom Senat anerkannt, wird ein Volksbegehren durchgeführt, das erfolgreich ist, wenn sich mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten in entsprechende Listen bei den Bezirksämtern eintragen. Dann kommt es innerhalb von 4 weiteren Monaten zum letztendlich entscheidenden Volksentscheid. Dieser würde zu Neuwahlen führen, wenn mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten teilnehmen und die Mehrheit zustimmt.

So hoch der bürokratische Aufwand, einen Volksentscheid überhaupt zu ermöglichen, so gering ist gleichzeitig die Aussicht auf seinen Erfolg. Bereits die 80.000 Unterschriften, die Ende vergangenen Jahres zum Erhalt der Berliner Symphoniker eingereicht worden waren, konnten den Senat nicht davon abhalten, die ersatzlose Streichung der Zuwendungen wie geplant durchzusetzen.

Und auch die im Frühjahr 2002 gegründete "Initiative Berliner Bankenskandal", die ebenfalls den Weg eines Volksbegehrens beschritten hatte, konnte diese Erfahrung machen. In ihrem Fall wurden die eingereichten Unterschriften zwar anerkannt, das Volksbegehren aber dennoch vom Senat abgelehnt. Gegen die fadenscheinige Begründung, ein Volksbegehren, das den Haushalt tangiert, sei durch die Berliner Verfassung nicht gedeckt, hat die "Initiative Berliner Bankenskandal" inzwischen beim Verfassungsgericht Berlin Einspruch eingelegt. Eine Entscheidung kann aber frühestens Ende dieses Jahres erwartet werden.

Das eigentliche Ziel der "Initiative Volksbegehren Soziales Berlin" ist aber auch gar nicht die Abwahl von SPD und PDS. Vielmehr soll mit den gesammelten Unterschriften und der Androhung von Neuwahlen auf den rot-roten Senat Druck ausgeübt werden, um diesen zu einer sozialeren Politik zu zwingen. Die ganze Perspektive basiert also auf Hoffnungen in die Reformierbarkeit der beiden Senatsparteien. Neuwahlen sind dabei nur das letzte Druckmittel.

Es stellt sich auch die Frage: Was sollen Neuwahlen bewirken? Die SPD sitzt heute zusammen mit der PDS im Berliner Senat, weil sich die CDU in Berlin durch die Verwicklungen in den Skandal um die Bankgesellschaft völlig diskreditiert hat. Wenn Neuwahlen also zu einer Änderung der Landesregierung führen sollen, kann das eigentlich nur bedeuten, die CDU wieder mit ins Boot zu holen.

Diesem Einwand begegnet die "Initiative Volksbegehren Soziales Berlin" mit dem Argument, dass der rot-rote Senat bei den regulären Wahlen 2006 ohnehin abgewählt würde. Wenn diese Abwahl allerdings schon vorher unter dem Druck einer sozialen Bewegung geschehe, dann wäre es - so die Einschätzung der Initiative - auch für eine CDU-Regierung nicht mehr möglich, eine unsoziale Politik zu verfolgen.

Die Idee, man könne die Landesregierung zu einer sozialeren Politik zwingen, spiegelt sich auch in den Forderungen der Initiative wider. Diese umfassen die Rücknahme der Kürzungen im Sozial-, Bildungs-, und Kulturbereich sowie den Stop der Privatisierungsvorhaben bei den Landesbetrieben. Außerdem soll das Risikoabschirmungsgesetz für die Bankgesellschaft zurückgenommen und das Land Berlin wieder in den kommunalen Arbeitgeberverband zurückgeführt werden.

All das sind legitime Forderungen. Das Problem ist nur, dass die Landesregierung immer wieder deutlich gemacht hat, dass sie ungeachtet der Proteste an ihrer unsozialen Politik festhält und dem Druck von unten nicht nachgeben wird. Ein Blick auf die Entwicklung der letzten drei Jahre in Berlin macht das sehr deutlich.

Rot-Roter Sozialabbau

Als Ende 2001 im Schatten des Bankenskandals die alte Landesregierung aus CDU und SPD aufgelöst und Neuwahlen angesetzt wurden, setzten viele Berliner Hoffnungen darauf, dass ein Regierungsbündnis aus SPD und PDS eine bürgerfreundlichere und sozialere Politik durchführen werde. In den Ostbezirken der Stadt entfiel damals beinahe die Hälfte aller abgegebenen Stimmen auf die PDS. Auf die gesamte Stadt verteilt waren es immerhin noch über 20 Prozent.

Doch diese Hoffnungen wurden sehr schnell enttäuscht. Seit Regierungsantritt im Januar 2002 hat der rot-rote Senat den schärfsten Sozialabbau in der deutschen Nachkriegsgeschichte durchgeführt und dabei nicht selten auch eine Vorreiterrolle für die sozialen Angriffe auf Bundesebene gespielt.

Die Folgen dieser Politik sind bereits heute verheerend. Das Land Berlin ist massiv verschuldet, jeder sechste Berliner lebt in Armut und die offizielle Arbeitslosenquote beträgt fast 20 Prozent. Gleichzeitig erhalten die Vorstände der landeseigenen Betriebe astronomische Gehälter, werden überteuerte Berateraufträge vergeben und erzielen die Anleger der Immobilienfonds der Bankgesellschaft nach wie vor garantierte, durch Steuergelder finanzierte Gewinne.

Die zahlreichen Proteste und Demonstrationen, an denen sich in den letzten drei Jahren in Berlin Hunderttausende beteiligten, konnten die Politik des Senats nicht ändern. Die einzige erkennbare Reaktion bestand in Überlegungen, das Versammlungs- und Demonstrationsrecht in der Hauptstadt weiter einzuschränken, um damit die Proteste aus dem Stadtzentrum zu verbannen.

Selbst Michael Hammerbacher, führendes Mitglied der "Initiative Volksbegehren Soziales Berlin", gelangt in der Aktionszeitung der Initiative zu der Einsicht: "Zehntausende demonstrierten in Berlin gegen die Kürzungen im Bildungs-, Kultur- und Sozialbereich. 70% der Berliner lehnen die unsoziale Senatspolitik zu Lasten der Normalverdiener und Einkommensschwachen ab. Der Senat setzt trotzdem diese Politik unvermindert fort."

Und auch Eberhard Schönberg, Vorsitzender der GdP Berlin, und Ulrich Thöne, Vorsitzender der GEW Berlin, erklären übereinstimmend, dass es seit 1989 keinen Senat gegeben habe, "an dem Gesprächs- und danach Protestversuche so nachhaltig abgeprallt sind, wie an dem Rot-Roten Senat" (Schönberg), und dass der Senat "bei den Gesprächen Anfang des Jahres jede Korrektur an den Haushaltsentscheidungen kategorisch abgelehnt" hat (Thöne).

Doch trotz dieser Erkenntnisse erklärt die Initiative, dass sich PDS und SPD jetzt endlich entscheiden müssten, ob sie zu sozialer Politik zurückkehren oder den Protest der Bevölkerung zu spüren bekommen wollten. Das ist absurd. Anstatt die längst widerlegten Hoffnungen und Illusionen endlos wieder zu beleben, ist es notwendig, der Realität ins Auge zu blicken und die Frage zu beantworten, woher diese Unnachgiebigkeit des Senats kommt.

Ganz sicher liegt es nicht nur an den handelnden Personen, auch wenn die politische Verantwortungslosigkeit von Klaus Wowereit (SPD) als Regierender Bürgermeister, die hemmungslose Bereicherung der Wohlhabenden durch Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), die Inkompetenz und Wirtschaftshörigkeit der Sozialsenatorin Heidi Knacke-Werner und des Wirtschaftssenators Harald Wolf (beide PDS) sehr ausgeprägt sind.

Es handelt sich offensichtlich nicht um ein Problem, das auf die Berliner Landespolitik beschränkt ist. In anderen Bundesländern ist es nicht anders, und auch die rot-grüne Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass weder Stimmenverluste bei Wahlen noch Massendemonstrationen dazu führen werden, dass sie ihre Politik ändert. Diese politische Rücksichtslosigkeit, die in jedem Land Europas - egal ob sozialdemokratisch oder konservativ - vorherrscht und weltweit zu beobachten ist, hat weitreichende Ursachen.

Länger als in vielen anderen Ländern herrschte in Deutschland eine Politik vor, die - wenn auch in immer beschränkterem Umfang - auf sozialen Ausgleich ausgerichtet war. Unter diesen Bedingungen reagierten Regierungen auf den Druck von unten und versuchten einen "tragbaren Kompromiss" zu finden.

Doch die Zunahme der internationalen Konkurrenz, die sich unter den Bedingungen der Globalisierung der Produktion stark verschärfte, hat dieser Politik ein jähes Ende gesetzt. Heute können die riesigen internationalen Konzerne ihre Produktionsstätten in kürzester Zeit von einem Land in ein anderes verlagern. Dadurch sind sie in der Lage, den nationalen Regierungen die Bedingungen zu diktieren, unter denen sie in einem bestimmten Land produzieren wollen.

Damit ist die Epoche des Sozialreformismus unwiderruflich beendet. Heute konkurrieren Bundes- und Landesregierungen nur noch darum, den internationalen Unternehmen die günstigsten Standortfaktoren zu bieten - geringe Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Steuern. Überall in Europa werden die sozialen Sicherungssysteme abgebaut. In Deutschland geschieht das über die Agenda 2010 und die jüngsten Angriffe durch die Hartz-Gesetze.

Die "Initiative Volksbegehren Soziales Berlin" ignoriert diese Entwicklung jedoch völlig. In einer Zeit, in der immer breitere Teile der Bevölkerung sich von den sozialreformistischen Parteien abwenden, setzt sie ihre ganzen Hoffnungen in genau diese politisch bankrotten Parteien.

Eine wirkliche Alternative zu der herrschenden Politik in Berlin, wie auch in anderen Ländern, kann nur mit einer internationalen sozialistischen Perspektive aufgebaut werden. Nur ein politisches Programm, das nicht auf Verbesserungen im Rahmen des Kapitalismus beschränkt ist, sondern eine Gesellschaft anstrebt, in der die Bedürfnisse der Bevölkerung den Profitinteressen der Wirtschaft übergeordnet werden, kann dem weit verbreiteten Unmut über die Regierungspolitik eine tragfähige Orientierung geben.

Doch genau davor weichen die Organisatoren der "Initiative Volksbegehren Soziales Berlin" zurück. Daher kommt ihr ständiges Zögern und Zaudern und die Schwäche ihres Protests.

Siehe auch:
Die soziale Spaltung der Hauptstadt
(12. Juni 2004)
Haushaltkrise und Umverteilung in Berlin
( 5. Dezember 2004)
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