Berlusconis neues Justizgesetz:

Maulkorb für die italienische Justiz

Am 1. Dezember verabschiedete das italienische Parlament mit den Stimmen der rechten Regierungsmehrheit die seit langem umstrittene Justizreform der Regierung Berlusconi. Die Reform bedeutet einen drastischen Angriff auf die Unabhängigkeit der italienischen Justiz, auf die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und auf das Recht jedes einzelnen auf einen fairen Prozess.

Das neue Gesetz sieht eine "Trennung der Laufbahnen" von Richtern und Staatsanwälten vor. Sie müssen sich künftig festlegen, welche Laufbahn sie ergreifen wollen. Bisher war der Wechsel zwischen den Ämtern möglich. Außerdem sollen sie durch psychologische Verhaltenstests auf die Eignung für diese Berufe geprüft werden.

Nachdem der Regierungschef regierungskritischen Richtern schon vor Monaten vorgeworfen hatte, sie seien "psychisch gestört" und "anthropologisch anders als der Rest der Menschheit", ist unschwer zu erraten, dass diese psychologischen Tests der Einschüchterung und politischen Zensur dienen sollen.

Weiter beschneidet das Gesetz in krasser Weise das Recht der Richter und Staatsanwälte auf Meinungsäußerung. So ist es ihnen künftig nicht mehr erlaubt, sich politisch zu äußern, in einer Partei oder politischen Organisation aktiv mitzuarbeiten oder sich an Demonstrationen zu beteiligen. Ein Verstoß kann zu einem Disziplinarverfahren des Justizministers führen.

Außerdem soll in Zukunft das Parlament die Priorität der Strafverfolgung bestimmen. Dadurch wird die Unabhängigkeit der Justiz massiv eingeschränkt. Bisher sind in Italien nicht nur die Ermittlungs- und Strafrichter, sondern auch die Staatsanwälte weisungs-unabhängig, d.h. nur dem Gesetz und ihrem Gewissen verpflichtet.

Eine deutsche Juristenzeitung schreibt dazu: "Kein Staatsanwalt [in Italien] ist weisungsabhängig. Für seine Arbeit gilt das Legalitätsprinzip [...]. Entsprechend sind auch die Ermittlungsrichter, die das strafrechtliche Vorverfahren leiten, in der Art und Weise, wie sie dies tun, vollkommen unabhängig. Unter anderem diese Garantien haben dazu geführt, dass die italienische Justiz überhaupt in den letzten eineinhalb Jahrzehnten in der Lage war, einen Teil der politischen und wirtschaftlichen Korruption im Lande aufzuklären, zumindest zur Ermittlung zu bringen. Wir haben von hier aus diese ‚italienischen Verhältnisse’ oft mit Neid, zumindest mit Respekt, betrachtet. Die Frage des Weisungsunabhängigkeit der Staatsanwälte steht nach wie vor auf unserer Forderungsliste. Bevor es damit hier etwas wird, macht Berlusconi in Italien damit Schluss." (Betrifft Justiz, Nr. 67)

Das neue Gesetz markiert einen neuen Höhepunkt im jahrelangen Konflikt zwischen Silvio Berlusconi und der italienischen Justiz. Berlusconis Hass gegen die von ihm als "rote Roben" gescholtenen Richter und Staatsanwälte ist notorisch. Die Unabhängigkeit der magistratura war ihm schon immer ein Dorn im Auge.

Der Premierminister, der gleichzeitig reichster Unternehmer des Landes und Inhaber des größten Medienkonzerns ist, hat seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Sommer 2001 systematisch Gesetze verändern lassen. Mit diesen Gesetzesänderungen verfolgte er zwei Ziele: Sie sollen seinen Konzern und ihn persönlich vor der Verfolgung durch die Justiz schützen und eine weitere Aufdeckung der Korruption und Kriminalität innerhalb der wirtschaftlichen und politischen Elite des Landes verunmöglichen. Zu Beginn der neunziger Jahre hatte die von einigen Staatsanwälten initiierte Aktion "saubere Hände" die Verhaftung und Verurteilung zahlreicher Politiker und Wirtschaftsführer zur Folge gehabt.

Berlusconi ließ Bilanzfälschung als Straftatbestand abschaffen, Verjährungsfristen verkürzen, Gesetze gegen Geldwäsche aufweichen und die Unvereinbarkeit eines Regierungsamtes mit dem Besitz eines Unternehmens aufheben. Vor einem Jahr verabschiedete das Parlament ein Immunitätsgesetz, das Berlusconi persönlich bis zum Ende seiner Amtszeit vor gerichtlicher Verfolgung schützt. Es wurde jedoch im Januar vom Verfassungsrat gekippt.

Seit über zehn Jahren hat Berlusconi eine Reihe von Prozessen wegen Bilanzfälschung, Betrug, Richterbestechung, Korruption und schwarzen Kassen am Hals. Dreimal wurde er schon zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, aber wegen Verjährung oder Gesetzesänderungen wurden die Urteile immer wieder aufgehoben und Verfahren eingestellt.

Berlusconis enger Vertrauter und Rechtsanwalt, Cesare Previti, wurde letztes Jahr wegen Richterbestechung und Korruption rechtskräftig verurteilt. Gegen Berlusconi selbst hat erst vor wenigen Tagen die Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini erneut eine Haftstrafe von acht Jahren gefordert. Das Urteil soll noch in diesem Dezember gesprochen werden.

Zu einem Journalisten sagte Berlusconi vor kurzem: "Ich bin Opfer eines veralteten Justizsystems, an deren Modernisierung wir mit einer tief greifenden Reform arbeiten." Diese Reform ist jetzt mit dem neuen Gesetz Wirklichkeit geworden.

Wegen seiner Angriffe auf die Justiz war Berlusconi auch mit der Europäischen Union aneinander geraten. Die parlamentarische Versammlung des Europarats hatte Italien schon im Juni aufgefordert, seine Gesetzgebung den europäischen Normen von Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz anzupassen.

Konkret wurde damals das sogenannte Cirami-Gesetz beanstandet. Dieses Gesetz führte den Begriff des "legitimen Verdachts" gegen die Justiz ein. Es ermöglicht die Verlagerung eines laufenden Verfahrens an einen anderen Ort, wenn die Angeklagten den Verdacht äußern, die Richter seien befangen. Dieser Verdacht gegen amtierende Richter kann beliebig oft wiederholt werden und führt dazu, dass ein Verfahren an einem neuen Ort jedes Mal wieder von vorne aufgerollt werden muss.

Der Europarat beanstandete, dass die Angeklagten auf diese Weise ihre Richter praktisch selbst wählen können, sofern sie das nötige Geld für derart langwierige Verfahren haben. Es schränkt zudem die Gleichheit vor dem Gesetz ein. Inzwischen hat in der EU-Kommission Franco Frattini, ein Mitglied der Berlusconi-Partei Forza Italia, die Verantwortung für die Justiz übernommen. Berlusconi muss also kaum mehr mit Gegenwind aus Brüssel rechnen.

Die italienischen Richter haben insgesamt drei Mal mit einem Streik gegen die Bedrohung ihrer Unabhängigkeit durch Berlusconis Justizreform protestiert. Am 24. November beteiligten sich kurz vor der parlamentarischen Verabschiedung des Gesetzes nahezu neunzig Prozent aller Justizangestellten, Richter und Staatsanwälte an einem Streik. Luigi Scotti, Präsident am römischen Gerichtshof, verglich die Justizreform mit der Gleichschaltung der Justiz unter Mussolini. "Dieses Gesetz", so Scotti in einem offenen Brief an Justizminister Roberto Castelli, "lässt das Jahr 1923 wieder aufleben, als die Justiz der politischen Macht unterworfen wurde."

Um eine breitere Solidarisierung zu verhindern, nutzte die Regierung die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Justiz, die als schwerfällig, marode und stark verbesserungsbedürftig gilt. Seit Jahren wird in der Bevölkerung über die viel zu lange dauernden Prozesse geschimpft. Unter dem Vorwand, die Professionalität der Justiz durch eine verbesserte Kontrolle zu erhöhen, schafft die Regierung jetzt die Unabhängigkeit der Richter ab und ordnet sie einem bürokratischen parlamentarischen Kontrollgremium unter, das seine Prioritäten je nach Bedürfnis der Regierungsmehrheit festlegen kann.

Die Christdemokraten (UDC), die neben der Berlusconi-Partei Forza Italia, der neo-faschistische Alleanza Nazionale und der separatistischen Lega Nord zur rechten Mehrheit gehören, wurden durch neue Pöstchen enger in die Regierungsarbeit eingebunden: Der UDC-Vorsitzende Marco Follini, der nach dem Erfolg seiner Partei bei den Europawahlen mehrfach als Kritiker Berlusconis aufgetreten war, wurde Anfang Dezember stellvertretender Ministerpräsident, während sein Parteikollege Mario Baccini das Ministerium für den öffentlichen Dienst übernahm.

Die Opposition des Olivenbaums stimmte im Parlament geschlossen gegen das neue Gesetz. Sie hofft jetzt auf ein Veto des Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi.

Die Berlusconi-Regierung verfolgt ihren aggressiven Regierungskurs, obwohl - oder gerade weil - ihre Basis bröckelt. Immer neue Streiks und Protestaktionen zeigen, dass das Land durch soziale Gegensätze zum Zerreißen gespannt ist. In den letzten Wochen gingen erneut Hunderttausende gegen den sozialen Kahlschlag auf die Straße. Am 15. November demonstrierten Schüler und Stundenten gegen die Bildungsmisere, nachdem in allen großen Städten schon die Rentner sowie Arbeiter und Angestellte der privaten und öffentlichen Betriebe massiv gegen die Steuerreform und Rentenpläne der Regierung demonstriert hatten.

Der Hauptfaktor, der Berlusconi an der Macht hält, ist die Zahnlosigkeit der Opposition des Olivenbaums, die sich vor einer Mobilisierung der Arbeiterklasse mehr fürchtet als vor dem offenen Bruch mit dem "Cavaliere" im Regierungspalast.

Siehe auch:
Italien: Verfassungsgericht kippt Berlusconis Immunitätsgesetz
(20. Januar 2004)
Berlusconi in Bedrängnis
( 21. Juli 2004)
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