Juschtschenko gewinnt Wahl in der Ukraine

Wiktor Juschtschenko wird aller Voraussicht nach neuer Präsident der Ukraine. Bei der Wahlwiederholung am 26. Dezember erreichte der Kandidat der Opposition 52 Prozent der Stimmen. Sein Gegner, der beurlaubte Regierungschef Wiktor Janukowitsch, kam auf 44 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 75 Prozent, etwas geringer als bei der ursprünglichen Stichwahl vom 21. November.

In absoluten Zahlen gewann Juschtschenko etwa 850.000 Stimmen hinzu und erreichte mit 15,1 Millionen dasselbe Ergebnis wie Janukowitsch vor fünf Wochen. Dieser verlor dagegen rund 1,5 Millionen Stimmen.

Die Wiederholung der Wahl war vom Obersten Gericht angeordnet worden, nachdem das ursprüngliche Wahlergebnis, das Janukowitsch knapp vorne sah, auf massiven Druck aus dem Westen und wochenlange Massenproteste in Kiew gestoßen war. In den Hochburgen des Regierungschefs im Osten des Landes, so die Opposition, sei das Wahlergebnis massiv gefälscht worden. Vergleicht man das Ergebnis der beiden Wahlgänge in den Regionen, lässt sich diese These allerdings kaum belegen.

Janukowitsch konnte alle seine Hochburgen verteidigen. Wie schon am 21. November entschieden sich zehn der insgesamt 27 Regionen mit deutlicher Mehrheit für ihn. Er erreichte dort wieder denselben Stimmenanteil oder verlor maximal 2 bis 3 Prozentpunkte. In seiner Heimatregion Donetsk kam er auf 94 statt 96 Prozent der Stimmen, allerdings bei einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung. Donetsk ist das Zentrum der ukrainischen Schwerindustrie und mit 3,5 Millionen Wahlberechtigten die weitaus größte Region des Landes.

Juschtschenko erreichte in Donetsk diesmal 4 statt 2 Prozent, eine geringfügige Verbesserung. Dafür konnte er in seinen Hochburgen im Westen des Landes teilweise über 10 Prozentpunkte hinzugewinnen. Hier lag er durchwegs über 70 Prozent. In vier Regionen erreichte er mehr als 90 Prozent, in der Region Ternopol sogar 96 Prozent. Insgesamt entschieden sich 17 Regionen im Westen und der Mitte des Landes für Juschtschenko - dieselben wie am 21. November. In der Hauptstadt und der Region Kiew kam er auf etwa 80 Prozent, 5 Prozent mehr als beim ursprünglichen Wahlgang.

Warum Juschtschenko vor allem in seinen bisherigen Hochburgen Stimmen hinzugewann, lässt sich nach den vorliegenden Informationen nicht beurteilen. Eines ist jedoch klar: Juschtschenko verkörpert nicht, wie er noch in der Wahlnacht behauptete, die "ukrainische Nation". Diese Nation ist noch tiefer gespalten als vor fünf Wochen. Ein großer Teil der Bevölkerung des Landes misstraut dem zukünftigen Präsidenten.

Im Osten des Landes, wo sich die Metall- und Schwerindustrie konzentriert und ein großer Teil der Bevölkerung russisch spricht, war Janukowitsch der eindeutige Wahlsieger. Neben Donetsk erzielte er auch in Lugansk, Sewastopol und auf der Krim Ergebnisse über 80 Prozent. In anderen Großstädten - Saporoschje, Charkow, Odessa und Dnjepropetrowsk - erreichte er Stimmenanteile zwischen 60 und 70 Prozent.

Diese Ergebnisse sind umso beachtlicher, wenn man bedenkt, dass ein Teil der politischen und wirtschaftlichen Elite seit dem 21. November die Seiten gewechselt hat. So hat der bisherige Präsident Leonid Kutschma seinen vormaligen Schützling fallen gelassen und die Pose der Neutralität eingenommen. Janukowitsch hat Kutschma deshalb "Verrat" vorgeworfen und ihn öffentlich beschuldigt, er habe den "orangenen Coup" organisiert. Orange ist die Farbe der Opposition. In einer Fernsehdebatte vor der Wahl warf Janukowitsch Juschtschenko sogar vor, er sei "Kutschmas Kandidat" und dessen "Lieblingskind".

Auch wenn dazu keine genauen Untersuchungen vorliegen, lassen die Wahlergebnisse vermuten, dass etliche Wähler lieber zu Hause geblieben sind oder ungültige Stimmzettel abgegeben haben, als für Juschtschenko zu stimmen. Vor allem Arbeiter in der Schwerindustrie befürchten Stillegungen und Entlassungen, wenn der streng marktwirtschaftlich orientierte Juschtschenko das Präsidentenamt übernimmt.

Der Korrespondent des britischen Guardian zitierte einen 36-jährigen Bergarbeiter aus der Region Donetsk mit den Worten: "Er zerstörte die Bergwerke. Als er Premierminister war [1999-2001], haben wir unsere Löhne und Renten nicht bekommen; Janukowitsch hat beides erhöht. Wenn Juschtschenko gewinnt, zerstört er uns. Er will polnische Kohle importieren. Und wir können Hühner verkaufen."

Im zum großen Teil russischsprachigen Süden und Osten des Landes herrscht außerdem die Angst vor Diskriminierung. Juschtschenko hatte sich gegen Ende der Kampagne zwar bemüht, diese Ängste zu dämpfen. Er traf sich demonstrativ mit Vertretern russischer Organisationen und versicherte, er habe "keineswegs die Absicht, russische Schulen und Zeitungen zu schließen". Das war aber auch alles. Den Vorschlag, Russisch zur zweiten Amtssprache zu machen, lehnte er strikt ab. Für viele, die des Ukrainischen nicht mächtig sind, bedeutet dies eine deutliche Diskriminierung. In einer TV-Debatte der beiden Kandidaten sprach Janukowitsch vorwiegend russisch, Juschtschenko dagegen ausschließlich ukrainisch. Er beschuldigte seinen Kontrahenten, er würde ein "Präsident Moskaus" sein.

Wer ist Juschtschenko?

Juschtschenko erklärte sich noch am Montag Morgen zum Wahlsieger. "Heute hat das ukrainische Volk gewonnen", rief er Tausenden jubelnden Anhängern zu. Das Land sei zwar seit 14 Jahren unabhängig, aber nicht frei gewesen. "Das ist jetzt Vergangenheit. Heute beginnt ein neues Kapitel in der ukrainischen Politik."

Auch die westlichen Medien stellten Juschtschenkos Wahlsieg fast durchgehend als "Sieg für die Demokratie" dar. Dieser Darstellung widerspricht nicht nur die tiefe Spaltung des Landes, die im Wahlergebnis zum Ausdruck kommt, sondern auch das Programm und der Charakter des Juschtschenko-Lagers. Dieses vertritt nicht die "Herrschaft des Volkes", sondern internationale imperialistische Interessen, die sich die Abscheu gegen ein korruptes und autoritäres Regime zunutze gemacht haben, um in ein geostrategisch bedeutsames Gebiet einzudringen und es aus dem Einflussbereich Russlands herauszulösen.

In Kiew findet nicht so sehr ein Machtwechsel statt, als eine außen- und wirtschaftspolitische Neuorientierung eines Regimes, das aus der Auflösung der Sowjetunion und der Einführung des Kapitalismus hervorgegangen ist. Juschtschenko hat oft behauptet, er wolle die Herrschaft der Oligarchen und das "System Kutschma" beenden. Tatsächlich ist er selbst eng mit beiden verbunden.

Der 1954 geborene Juschtschenko wurde in den 70-er Jahren Funktionär der Staatsbank und trat aus Karrieregründen der Kommunistischen Partei bei. Nach der Auflösung der Sowjetunion machte ihn Kutschma 1993 zum Gouverneur der Zentralbank und 1999 zum Premierminister. Zuvor hatte Juschtschenko das Angebot der Opposition abgelehnt, im Präsidentschaftswahlkampf gegen seinen Mentor anzutreten.

Er fuhr einen strikt neoliberalen Wirtschaftskurs, der steigendes Wirtschaftswachstum auf Kosten des Großteils der arbeitenden Bevölkerung brachte. Zahlreiche Zechen wurden stillgelegt, Renten und Reallöhne sanken. Damit einher ging eine repressivere Amtsführung Kutschmas, deren Gangstermethoden durch die Ermordung des Journalisten Gongadse symbolisiert wurde. Erst nachdem Kutschma Juschtschenko im Frühjahr 2001 fallen gelassen hatte, wurde dieser zum Oppositionellen und gründete ein Jahr später das Bündnis "Unsere Ukraine". Deren Bandbreite reicht von Wirtschaftsliberalen über Christdemokraten bis zu extrem rechten Nationalisten.

Die Kehrtwende von Juschtschenko fiel zusammen mit einem aggressiven Vorpreschen des US-Imperialismus auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Zunächst errichteten die USA in verschiedenen zentralasiatischen Republiken Militärbasen, dann wurde 2003 in Georgien mit der "Rosenrevolution" ein US-freundliches Regime an die Macht gebracht. Wie die Bush-Regierung mittlerweile zugegeben hat, zahlte sie in den letzten zwei Jahren 65 Millionen Dollar "zur Förderung der Demokratie" an verschiedene Gruppen, die Juschtschenkos "orangene Revolution" unterstützten. Weitere Millionen kamen von europäischen Regierungen und privaten Stiftungen wie der Soros-Foundation.

Hauptfinancier von Juschtschenkos Wahlkampagne ist der "Schokoladenkönig" Petro Poroschenko, ein Oligarch wie er im Buche steht. Er produziert nicht nur Süßigkeiten sondern ist auch Chef des Mischkonzerns Ukrprominvest mit einer Reihe von Werften, Textil- und Maschinenbauunternehmen. Sein erstes Kapital machte er in den neunziger Jahren mit dem Auf- und Wiederverkauf von Konkursmassen. Ein weiterer Unterstützer Juschtschenkos ist David Schwanja, der mit Kernbrennstäben handelt.

Auch die zweite Galionsfigur der Oppositionsbewegung, Julia Timoschenko, verdankt ihre Karriere Kutschma und den Oligarchen. Geboren 1960 in Kutschmas Heimatstadt Dnjepropetrowsk, durchlief sie dank ihrer Verbindung zu Petro Lasarenko, dem Gouverneur der Region, einen rasanten gesellschaftlichen Aufstieg.

Lasarenko wurde 1996 Ministerpräsident und verschaffte dem von Timoschenko geführten Unternehmen Vereinigte Energiesysteme der Ukraine praktisch eine Monopolstellung beim Handel mit Erdgas - eine Lizenz zum Gelddrucken. Die "schöne Julia" soll in dieser Zeit 100 Millionen Dollar (andere Quellen sprechen von einer Milliarde) unverzollt ins Ausland verschoben haben. Während Lasarenko inzwischen wegen Erpressung, Betrug und Geldwäscherei in einem amerikanischen Gefängnis sitzt, ging die Karriere seiner Komplizin weiter steil nach oben. Juschtschenko ernannte die Gasmillionärin zur Vizeministerpräsidentin - zuständig für Energie!

Timoschenko wandelte sich nun, nachdem sie ihre Millionen im Ausland in Sicherheit gebracht hatte, zur Vorkämpferin gegen Korruption und Nepotismus und für wirtschaftliche Liberalisierung - ganz im Sinne des internationalen Kapitals, das Rechtssicherheit für sein Eigentum verlangt, bevor es sein Geld in der Ukraine anlegt. Das brachte Timoschenko in Konflikt mit jenen Oligarchen, die nach wie vor von der Protektion des Staates gegenüber der ausländischen Konkurrenz leben. Sie wurde "Demokratin" und gründete die Partei Batkiwschtschina (Vaterland) - eine Symbiose von ukrainischem Nationalismus und Unterstützung für den amerikanischen Imperialismus.

Timoschenko wird von der russischen Staatsanwaltschaft gesucht und ist bei Interpol ausgeschrieben. Auch die ukrainische Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2001 wegen Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung gegen sie - doch das sind jetzt alles "Angriffe auf die Demokratiebewegung", als deren Verkörperung sich Timoschenko betrachtet.

Während sich Juschtschenko bemühte, die Gegensätze im Land zumindest in Worten zu besänftigen, goss Timoschenko unentwegt Öl ins Feuer. So drohte sie, Donetsk im Falle eines Wahlsiegs "mit Stacheldraht" zu umzäunen.

Im Wahlkampf spielten programmatische Fragen allerdings kaum eine Rolle. Das soziale Programm der beiden Lager wurde wenig diskutiert, stattdessen die Dioxin-Vergiftung Juschtschenkos und ganz allgemein autoritäre Herrschaft und Korruption. Befindet sich Juschteschenko aber erst einmal im Amt, wird der soziale Charakter seines Regimes schnell deutlich werden. Ähnlich wie in Serbien, Georgien und vielen osteuropäischen Ländern, wo rechte Regimes gestützt auf eine sogenannte Demokratie-Bewegung an die Macht gelangt sind, wird hinter der Maske der Demokratie bald der repressive Charakter der kapitalistischen Herrschaft sichtbar werden.

Siehe auch:
Der Machtkampf in der Ukraine und Amerikas Strategie der Vorherrschaft
(22. Dezember 2004)
Wie internationale Institutionen die ukrainische Opposition beeinflussen
( 2. Dezember 2004)
Wofür stehen Juschtschenko und Janukowitsch?
( 1. Dezember 2004)
Loading