Zu den Wahlen in der Ukraine - eine Reportage

"Ein Kampf zwischen Milliardären und Millionären"

Der Oppositionskandidat Wiktor Juschtschenko hat die dritte Runde der Präsidentschaftswahlen gewonnen. Er erhielt 52 Prozent der abgegebenen Stimmen, während sein Gegner Wiktor Janukowitsch auf 44 Prozent der Stimmen kam.

Die Spaltung des Landes bei der Stimmenverteilung blieb weiterhin aufrechterhalten. Bei einer Wahlbeteiligung von rund 75 Prozent stimmten in den westlichen, ukrainischsprachigen Regionen zum Teil weit über 90 Prozent für Juschtschenko, während Janukowitsch in den östlichen Regionen Donezk und Lugansk, die stark mit Russland verbunden sind, ebenfalls derart hohe Werte für sich verbuchen konnte. Ausländische Wahlbeobachter erklärten einhellig, dass es in dieser Runde zu keinen schwereren Verstößen gegen die Wahlgesetze gekommen sei.

Noch am Wahlabend erklärte Juschtschenko auf dem Unabhängigkeitsplatz, auf dem schon seit Wochen für ihn demonstriert wird: "Seit 14 Jahren sind wir unabhängig, aber seit heute sind wir frei." Janukowitsch und sein Wahlkampfteam beraten zur Stunde noch, ob sie die Wahlen akzeptieren oder anfechten werden. Janukowitsch signalisierte aber bereits am Wahlabend ein Einlenken, indem er erklärte, er werde in einer "starken Opposition" arbeiten.

Allem Anschein nach sind die Wahlen damit beendet und der nach der zweiten Runde geschlossene Kompromiss wird umgesetzt. Das heißt, dass das Juschtschenko-Lager die Interessen der ostukrainischen Oligarchen, die Janukowitsch vertritt, zu wahren hat. Im Gegenzug werden sie von ihrer Drohung Abstand nehmen, den Osten des Landes abzuspalten oder über ein Referendum zumindest den Autonomiestatus anzustreben.

Dass beide Parteien mit den Interessen der breiten Mehrheit der Bevölkerung wenig zu tun haben, hat allein schon der Wahlkampf in den Tagen und Wochen vor der letzten Runde deutlich gemacht. Fragen, die den tagtäglichen Überlebenskampf der Bevölkerung in diesem armen Land berühren und den obszönen Reichtum der dünnen Oberschicht in Frage stellen, wurden recht dezent ausgeklammert.

Keine Seite bemühte sich, glaubhaft zu erklären, warum ihr jeweiliges Programm "eine sicherere Zukunft" oder ein Ende der "Umstände in unserem Land, die uns alle beunruhigen", garantieren sollte. Statt dessen wurden platte Parolen getrommelt.

Das Juschtschenko-Lager setzte auf "orange Zeichen" wie Schals, Anstecker, Apfelsinen und andere Devotionalien oder Rockkonzerte mit ukrainischen Pop-Stars und Laser-Shows auf dem Unabhängigkeitsplatz.

Das Janukowitsch-Lager besann sich offensichtlich und zog entsprechend nach. Eine Flut von weiß-blauen Zeichen ergoss sich über das Land, und Pop-Stars, Olympia-Sieger oder Schauspieler wurden engagiert. Als Pendant zur Juschtschenko-CD erschien eine CD für den Janukowitsch-Wahlkampf, und auf öffentlichen Veranstaltung musste der Name Janukowitsch silbenweise und mit dreimaligem auf die Brust Schlagen skandiert werden.

Beide Seiten warfen sich gegenseitig schweren Wahlbetrug, die Finanzierung durch ausländische Mächte und gewaltsames Vorgehen vor. Die Kette derartiger Argumente ist wahrscheinlich genauso endlos, wie diese wahr oder falsch sind.

Diese zynische Art des Wahlkampfs hatte den Effekt, dass auf keiner Seite von einer einheitlichen oder bewussten politischen Bewegung die Rede sein konnte. Man traf auf die unterschiedlichsten Vorstellungen über den Wahlkampf. Am interessantesten waren die Ansichten von Leuten, die für keinen der Kandidaten gestimmt haben. Aber auch in den Argumenten von Anhängern beider Seiten kamen die Sorgen, mit denen die Menschen konfrontiert sind, deutlich zum Ausdruck.

Der Autor dieser Zeilen hat bei den verschiedensten Gelegenheiten Menschen nach ihrer Meinung zur Situation im Land und zu den Wahlen gefragt.

Anja, einer 21jährige Psychologiestudentin, "geht der ganze Wahlkampf mittlerweile auf die Nerven". Ständig werde man von allen Seiten bombardiert. Eigentlich sei ihr Juschtschenko recht sympathisch, aber dass er sich von Julia Timoschenko vor sich her treiben lässt, erweckt in ihr die größten Zweifel über den tatsächlichen Inhalt seiner Politik. Timoschenko ist bekannt dafür, dass sie "über Leichen" geht. Das hat sie gezeigt, als sie sich "die Taschen gefüllt hat".

Sergej, einen 23-jähriger Taxifahrer, geht dieser Wahlkampf nichts an: "Ich bin Ingenieur und lebe vom Taxifahren. Wenn Sie mich fragen, für wen ich bin, kann ich nur sagen, für gar keinen. Ich und die einfache Bevölkerung werden weder von dem einen noch von dem anderen was haben. In Wirklichkeit vollzieht sich hier ein Kampf zwischen Milliardären und Millionären."

Taissa, eine etwa 50-jährige Verkäuferin an einem Stand für Gewürze auf einem Markt nahe dem Zentrum der Stadt, sagt, dass sie entgegen der Mehrheit in der Stadt für Janukowitsch stimmen werde: "Janukowitsch steht für Stabilität und Kontinuität. Was soll uns diese künstliche Orangen-Revolution bringen? Jeder gebildete Mensch muss davon angewidert sein, wie die Juschtschenko-Leute nach dem zweiten Wahlgang einfach ein paar Jugendliche und Studenten, die sie auf der Strasse angetroffen haben, zusammentrommelten und auf den Unabhängigkeitsplatz lotsten. Dort gab es Musik und zu essen, und seit dem haben wir eine ‚Revolution’. Wenn Juschtschenko gewinnt, werden die Steuern für die kleinen Leute angehoben. Hier auf dem Markt werden dann die Standards für die westlichen Produzenten durchgesetzt und wir können dann sehen, wo wir bleiben. Darauf hat uns Juschtschenko noch keine Antwort gegeben."

Gefragt, als was sie zu Sowjetzeiten gearbeitet hat, treten Taissa Tränen in die Augen. Sie arbeitete als Nahrungsmittelprüferin im Ministerium. "Wie auch immer die Entwicklung weitergehen mag. Das Land ist jetzt wesentlich politischer als jemals zuvor, und die Leute werden genauer verfolgen und prüfen, was die Politiker machen."

Für Nikolai, einem knapp 60-jährigen Agrarökonomen aus der Nähe der Industriestadt Dnjepropetrowsk, kommt nur die Wahl von Janukowitsch in Frage. Nur Janukowitsch könne "gegen die Unruhestifter aus dem Westen vorgehen, die unsere Wirtschaft verkaufen wollen". Darauf hingewiesen, dass "unsere Wirtschaft" inzwischen den Oligarchen gehört, sagt er, dass Janukowitsch wie Putin in Moskau mit den Oligarchen aufräumen werde. Nur eine solche Variante könne dem Land weiterhelfen. "Die Leute in der Westukraine kann ich sogar verstehen, sie wollen so leben wie in Ungarn oder Polen, wo das Lebensniveau wesentlich höher ist."

Wassili, ein 32jähriger Fahrer bei der protestantischen Kirche von Kiew, bringt eine weit verbreitete Meinung zum Ausdruck. Er sagt, dass er für Juschtschenko gestimmt hat. "Eigentlich verstehe ich nichts von Politik, aber ich glaube, dass er das kleinere Übel ist. Groß ist der Unterschied zwischen beiden aber nicht."

Natascha, eine 25-jährige Wirtschaftsstudentin, die sich mit einem orangenen Schal als Juschtschenko-Anhängerin ausweist, erklärt, dass "Reformen nötig sind, um die Korruption zu bekämpfen. Nur wenn die Macht der Oligarchen, die alles dominieren - Wirtschaft, Medien und Meinungsfreiheit - gebrochen wird, kann es aufwärts gehen. Dass die USA Juschtschenko unterstützen, stört mich nicht. Hauptsache, die Oligarchen werden überwunden. Auch darüber, dass Timoschenko in seinem Team ist, sollte man hinwegsehen. Sie hat vor einigen Jahren erklärt, dass es falsch war, wie sie sich bereichert hat. Man sollte ihr eine zweite Chance geben."

Siehe auch:
Der Machtkampf in der Ukraine und Amerikas Strategie der Vorherrschaft
(22. Dezember 2004)
Wie internationale Institutionen die ukrainische Opposition beeinflussen
( 2. Dezember 2004)
Wofür stehen Juschtschenko und Janukowitsch?
( 1. Dezember 2004)
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