USA verteidigen durch Folter erlangte "Beweise" bei Anhörung von Guantanamo-Häftlingen

Am 5. Januar wurde Gonzales als künftiger Justizminister vor dem Rechtsausschuss des US-Senats angehört. Er bemühte sich, sich als vehementen Gegner von Folter darzustellen. Nur wenige Tage zuvor hatte das Justizministerium offiziell einen neuen Rechtsstandpunkt verkündet, wonach sich die US-Regierung weiterhin an nationale und internationale Folterverbote halten würde. Dieser neue Standpunkt änderte die Position des Justizministeriums von 2002 ab, wonach der Präsident in Kriegszeiten solche Beschränkungen ignorieren könnte.

Die wirkliche Position der US-Regierung in der Frage der Folter konnte man jedoch bereits einen Monat vorher sehen. Zu dieser Zeit gab es Anhörungen vor Bundesgerichten wegen Klagen gegen willkürlichen Freiheitsentzug, die von 54 Gefangenen in der US-Militärbasis Guantanamo Bay (Kuba) eingebracht worden waren. Die Gefangenen fechten ihre bereits drei Jahre ohne Anklageerhebung währende Haft an.

Die Regierung vertrat bei diesen Anhörungen den Standpunkt, dass bei der Entscheidung darüber, ob ausländische Verdächtige als "feindliche Kämpfer" im "Krieg gegen den Terror" unbegrenzt festgehalten werden können, durch Folter erlangte Beweise benutzt werden können.

Im Juni 2004 hatte der Oberste Gerichtshof der USA im Fall Rasul geurteilt, dass die Häftlinge die Möglichkeit haben müssen, auf irgendeine Art ihre Inhaftierung anzufechten. Im gleichzeitig entschiedenen Fall Hamdi urteilte der Gerichtshof aber, dass ein Militärtribunal ausreichend sein könnte, um festzustellen, ob ein US-Bürger als feindlicher Kämpfer festgehalten werden darf.

Als Reaktion auf diese Entscheidungen richtete das US-Militär Tribunale zur Überprüfung des Status von Guantanamo-Häftlingen ein. Diesen Verhandlungen sitzen drei Militäroffiziere im Range eines Obersts vor und entscheiden über die Behauptung der Regierung, dass die Inhaftierten Mitglieder oder Unterstützer von Al Qaeda, den Taliban oder anderen "terroristischen" Gruppen sind. Die Gefangenen haben vor diesen Tribunalen kein Recht auf einen Anwalt. Die Regierung weigert sich zudem, ihnen Einsicht in Beweismaterial zu geben, das sie als geheim einstuft.

In Guantanamo werden über 550 Häftlinge festgehalten. Im Dezember 2004 wurde der Status von 450 von ihnen überprüft. Nur bei einem wurde entschieden, dass er kein feindlicher Kämpfer und deshalb freigzulassen sei.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom Juni 2004 ließ offen, in welchem Ausmaß den Häftlingen in den Verhandlungen zur Bestimmung ihres Status die üblichen Prozessgrundrechte zustehen. In ihren Klagen, die in der Hauptstadt Washington anhängig sind, machen die Gefangenen nun geltend, dass die Tribunale kein effektives Mittel sind, ihre Einstufung durch die Regierung als feindliche Kämpfer anzufechten. Die Regierung beantragt Klageabweisung.

Anwälte von einigen der Häftlinge haben argumentiert, dass ihre Mandanten im wesentlichen auf der Grundlage von durch Folter erlangten Aussagen inhaftiert worden seien. Auf einer Anhörung am 1. Dezember fragte Bezirksrichter Richard J. Leon den Rechtsanwalt der Regierung, ob eine Inhaftierung ausschließlich auf der Grundlage von durch Folter erlangten Beweisen illegal sei, weil in den Worten des Richters "Folter illegal ist. Wir alle wissen das."

Der stellvertretende Justizminister Brian Boyle antwortete, dass, wenn ein Tribunal zur Überprüfung des Gefangenenstatus zu dem Entschluss komme, dass solche Beweise trotzdem verlässlich seien, "nichts in der Bestimmung über einen fairen Prozess (in der Verfassung) es verbietet, sich darauf zu stützen".

Richter Leon fragte weiter, ob es irgendeine Grenze bei dem Einsatz von durch Folter erlangten Beweisen gebe. Boyle erklärte, dass die USA niemals eine Politik einführen würden, die den Gebrauch von Informationen deshalb beschränke, weil sie mittels Folter durch einen ausländischen Staat erlangt wurden.

Dieser Wortwechsel zeigt die wirkliche Haltung der Bush-Regierung zu Folter.

In seinem Wortwechsel mit Richter Leon behauptete Boyle, die US-Politik sei gegen Folter, und entsprechende Anschuldigungen würden entlang der Befehlskette verfolgt. Boyle versicherte des weiteren, dass "in Guantanamo nichts passiert ist, was im Entferntesten mit Folter zu tun hat". Nur zwei Tage vorher hatte das Internationale Komitee des Roten Kreuzes erklärt, dass es einen vertraulichen Bericht an die Bush-Regierung geschickt habe, in dem der physische und psychische Zwang in Guantanamo als "der Folter gleichkommend" beschrieben wurde. Die Amerikanische Union für Bürgerrechte hat seitdem Dokumente erhalten, in denen diese Anschuldigungen bestätigt werden.

Seit mehr als 70 Jahren werden Beweise, die unter Folter erlangt wurden, in US-Gerichten nicht zugelassen. Ursprünglich hatten die Gerichte dies damit begründet, dass solche Beweise höchst unzuverlässig seien, da Gefolterte oft alles sagen würden, um ihre Pein zu beenden. Später fällte der Oberste Gerichtshof Urteile, die sich darauf stützten, dass es inakzeptabel sei, Aussagen auf dermaßen brutale und unfaire Art zu erlangen. Das Gericht betonte, dass Geständnisse nur auf freiwilliger Basis einen Wert hätten.

Boyles Erklärungen zeigen, wie umfassend die US-Regierung langjährige Garantien gegen willkürliche Inhaftierung zurückweist. Er unterstrich diese Position bei einer ähnlichen Anhörung, die am 30. November vor der Distriktsrichterin Joyce Hens Green stattfand. Bei ihr sind die meisten Klagen der Häftlinge von Guantanamo anhängig. Boyle argumentierte, dass die Häftlinge "keine verfassungsmäßigen Rechte haben, die in diesem Gerichtshof durchsetzbar sind". Diese Erklärung kommt einer Zurückweisung des Urteils des Obersten Gerichtshofs im Fall Rasul vom Juni 2004 gleich. Sie zeigt, dass der exekutive Zweig des Staates sich weigert, die Bindungswirkung von Urteilen über verfassungsrechtliche Fragen durch die Judikative anzuerkennen.

Michael Ratner, ein bekannter Menschenrechtsanwalt vom New Yorker Center for Constitutional Rights, reagierte umgehend auf die Aussagen von Boyle: "Nie in meinen 30 Jahren als Anwalt für Menschenrechte hätte ich gedacht, dass es einmal so weit wie jetzt kommen würde."

Der Status des feindlichen Kämpfers ist selbst eine dubiose und unklare Einstufung, die sich die Bush-Regierung unter Federführung von Gonzales ausgedacht hat. Zugrunde liegt hierbei ihre Weigerung, die Garantien der Genfer Konventionen und anderer internationaler Verträge anzuwenden, die die Menschenrechte schützen. Die Regierung maßt sich das Recht an, einen beliebigen Ausländer unbegrenzt einzusperren, ob diese Person in feindliche Handlungen gegen die USA verwickelt war oder nicht, oder sogar nur angeblich eine Bedrohung von US-Interessen darstellt.

Bei den Anhörungen vom 30. November zeigte sich Richterin Green skeptisch angesichts des Fehlens jeder ernsthaften Begrenzung der Definition eines feindlichen Kämpfers. Sie fragte Boyle: "Wenn eine alte Dame in der Schweiz einen Scheck für eine Organisation ausschreibt, von der sie glaubt, dass sie sich um afghanische Waisenkinder kümmert, die aber in Wirklichkeit ... Al Qaeda unterstützt, ist sie ein feindlicher Kämpfer?" Boyle bejahte. Mit anderen Worten, die langjährige rechtliche Voraussetzung des Vorsatzerfordernisses bei der Begehung eines Verbrechens wird bei der Einkerkerung von jemandem nicht mehr benötigt.

Auf eine weitere hypothetische Frage von Richterin Green versicherte Boyle, das Militär könne durchaus einen muslimischen Lehrer einsperren, nur weil in dessen Klasse ein Mitglied einer Familie mit Verbindungen zu den Taliban sei. Boyle vertrat auch die Ansicht, die Regierung könne einen Mann inhaftieren, der seinen Verdacht nicht melde, dass sein Cousin ein Mitglied von Al Qaeda sein könne. Richterin Green wies darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof im Fall Rasul das Militär ausdrücklich nur zu dem Zweck ermächtige, Leute in Haft zu nehmen, um deren Rückkehr auf das Schlachtfeld zu verhindern und sie so daran zu hindern, den Krieg fortzusetzen. Was die Häftlinge in Guantanamo anging, von denen die Regierung zugab, dass sie in Ländern wie Großbritannien, Bosnien oder Sambia verhaftet oder verschleppt wurden, fragte Green: "Wozu wird jemand festgenommen, der nie Tausend Meilen an das Schlachtfeld herangekommen ist? An der Rückkehr zu welchen, ich zitiere,,Schlachtfeldern’, wollen die Vereinigten Staaten die Gefangenen hindern? An der Rückkehr nach Afrika? Der Rückkehr nach London? Der Rückkehr auf irgendein Stück Ackerland irgendwo auf der Welt?" Boyle erwiderte, dass es im Krieg gegen Terrorismus keine Grenzen gibt.

Der rote Faden, der durch alle Argumente der Exekutive läuft, ist die ständig wiederholte Behauptung, dass sie selbst derjenige ist, der alle Fragen entscheidet, die normalerweise von der Rechtssprechung entschieden werden, dass also die Entscheidung der Regierung, jemanden als Terrorist abzustempeln und unbegrenzt einzusperren, nicht Gegenstand gerichtlicher Überprüfung sein sollte. Damit werden praktisch Beschränkungen der willkürlichen Verhaftung weggerissen, die bis zur Magna Charta zurückreichen.

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