Die gesellschaftlichen Wurzeln der Tsunami-Katastrophe

Die Verwüstung, die der asiatische Tsunami geschaffen hat, war nicht unvermeidlich. Im Gegenteil, sie ist eine fürchterliche Bestätigung des irrationalen und inhumanen Charakters des Profitsystems. Es ist wahr, dass die unmittelbaren Ursachen in Naturkräften liegen, die gegenwärtig noch nicht von der Menschheit beherrscht werden können. Es lag aber sehr wohl innerhalb der Möglichkeiten der modernen Technologie, den größten Teil des Leidens, des Todes und der Zerstörung abzuwenden, die der Welle folgen.

Hätten sich das Erdbeben und der Tsunami im Pazifischen Ozean ereignet, die Folgen hätten ganz anders ausgesehen. Ein technisch hoch entwickeltes Warnsystem, das insbesondere zum Schutz der Küsten von Nordamerika und Japan entwickelt wurde, ist seit Jahrzehnten in Betrieb. Die ersten Warnungen wären innerhalb von Minuten nach dem ersten Beben ausgegeben worden. Während sicher viele Menschen betroffen worden wären - vor allem die Armen, die am wenigsten geschützt sind -, hätten die Mehrheit und die lebenswichtige Infrastruktur das Naturereignis unbeschadet überlebt.

Kein solches Warnsystem hat jedoch in den Ländern existiert, die am Indischen Ozean angrenzen. Der Tsunami hat daher eine Bevölkerung getroffen, die vollkommen unvorbereitet war. Die verwundbarsten Schichten waren Dorfbewohner, die aus Armut gezwungen waren, direkt an der Küste in Hütten zu leben, die nicht den geringsten Schutz boten. Sie wurden nicht nur nicht gewarnt, die Behörden hatten ihnen auch niemals erklärt, wie man die Zeichen der nahenden Gefahr einschätzt. Ganze Dörfer und Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht und ihre Einwohner weggeschwemmt, bevor irgend jemand auch nur wusste, was überhaupt los war.

Das furchtbare Leid der Millionen Menschen in ganz Asien und Teilen Afrikas ist durch das Fehlen grundlegender Infrastruktur verschlimmert worden. In allen betroffenen Ländern gab es solch elementare Dinge wie Transport, Elektrizität und Wasser bestenfalls völlig unzureichend. Nach dem Desaster waren Notfall- und das Krankensystem vollkommen überfordert. Hunderttausenden Menschen fehlen die grundlegendsten Dinge zum Leben. Fast vier Wochen nach der Katastrophe haben Helfer immer noch Probleme, einige der entfernteren Gegenden zu erreichen.

Die ersten Reaktionen aus den wichtigsten Hauptstädten der Welt demonstrierten die Verachtung und Gleichgültigkeit der herrschenden Eliten gegenüber dem Schicksal der Massen in der so genannten Dritten Welt. Im Gegensatz zu dem Ausbruch von Mitgefühl und Großzügigkeit von Seiten der einfachen Bevölkerung hielten es weder Bush noch Blair für notwendig, auch nur ihre Urlaubspläne zu ändern. Ihre verspäteten Erklärungen gaben sie erst ab, als ihre Gleichgültigkeit einen ernsthaften politischen Gesichtsverlust mit sich zu bringen drohte.

An dieser Reaktion war nichts Zufälliges. Sie widerspiegelte vielmehr die grundlegenden Wirtschaftsbeziehungen, die täglich zwischen unterdrückenden und Unterdrückernationen zum tragen kommen. Der enorme Reichtum, der von einer kleinen privilegierten Elite in den imperialistischen Zentren angehäuft wird, ist ein direktes Produkt der Profite aus der Ausbeutung der Billiglohnarbeit in Asien, Afrika und anderswo. Der extravagante Lebensstil der politischen, der Industrie- und Finanzeliten in den entwickelten Ländern ist vollkommen von der ständigen Verarmung von Millionen in den ärmsten Ländern abhängig.

Es gibt viele Statistiken, die diese Beziehung belegen. Die jährliche Rangliste der Zeitschrift Forbes über die Milliardäre der Welt hat letztes Jahr eine Rekordzahl von 587 erreicht, von denen die Hälfte in den Vereinigten Staaten lebt. Ihr Reichtum beträgt zusammengenommen 1,9 Billionen Dollar - mehr als das Bruttosozialprodukt der ärmsten 170 Länder der Welt. Im Gegensatz dazu hat ein UNO-Bericht im Jahr 2003 ergeben, dass mindestens eine Milliarde Menschen in "extremer Armut" lebt, ohne die grundlegendsten Dinge zum Leben, und dass ihre Lebensbedingungen sich verschlechtern.

Was die USA, Großbritannien und andere imperialistische Zentren angeht, so sind die Dorfbewohner und Fischer von Sri Lanka und Indonesien, die alles verloren haben - Familienmitglieder, Häuser, ihre Lebensgrundlage - für das globale Kapital kaum von Bedeutung. Das ist der Grund, warum ihr Schicksal als unwichtig betrachtet wird. Jeder weiß, dass Asien regelmäßig von Naturkatastrophen heimgesucht wird. Kein Jahr vergeht ohne größere Hochwasser und Taifune, aber nichts wird getan, um die Opfer besser zu schützen.

Die Finanzpresse der Welt hat ihre Haltung mit einem Seufzer der Erleichterung über die Auswirkungen des Tsunami zusammengefasst. Größere Investitionen, wie die Öl- und Gasfelder von Aceh, blieben unberührt, und die Versicherungen mussten nur wenig bezahlen - weil kaum eines der Opfer sich eine leisten konnte. Der Tourismus litt Schaden - aber der konnte schnell behoben werden. Die Börsen rund um den Globus - darunter die der asiatischen Region - haben das Ereignis kaum registriert.

In den vom Tsunami betroffenen Ländern hat nur eine dünne soziale Schicht - diejenigen, die sich an der Ausbeutung der örtlichen Bevölkerung durch die transnationalen Konzerne beteiligen - vom Anwachsen der ausländischen Investitionen profitiert. Für die Mehrheit der Bevölkerung jedoch hat sich durch die dauernden wirtschaftlichen Umstrukturierungen, Privatisierungen und Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des IWF der Lebensstandard verschlechtert.

Die wirtschaftliche Ausbeutung geht Hand in Hand mit politischer Repression. In ganz Asien ist die nationale Bourgeoisie nur in der Lage, diese Beziehungen und ihre eigene Position aufrechtzuerhalten, indem sie Militärdiktaturen errichtet oder die Bevölkerung entlang religiöser oder ethnischer Linien gegeneinander aufgewiegelt hat.

Hinter den Versprechen von "Hilfe"

Nachdem sie die Katastrophe eine Woche lang praktisch ignoriert hatten, vollzogen die Großmächte plötzlich eine abrupte Kehrtwendung. Ein internationaler Gipfel in Jakarta versprach rund 5 Milliarden Dollar an Hilfe und Unterstützung - immer noch ein jämmerlicher Betrag verglichen mit den Budgets der Geberländer und dem was die Tsunami-Opfer brauchen. Aber bedeutender ist noch, dass die USA und Australien neben anderen Ländern Militär entsandten, um an den "Hilfs"-Operationen in zwei der am schlimmsten betroffenen Ländern teilzunehmen - Sri Lanka und Indonesien.

Dieser scheinbare Sinneswandel entsprang ganz handfesten Klasseninteressen. Zum einen organisierten Bush, Blair, Howard und andere damit eine große PR-Kampagne, die ihre anfänglich unübersehbare Gleichgültigkeit überdecken sollte. Sie gelangten aber auch zum Schluss, dass die Katastrophe für ihre eigenen wirtschaftlichen und strategischen Ziele ausgenützt werden könne. Für das Weiße Haus bot sich die Chance, dem US-Militär, das in die illegale, neo-koloniale Besetzung des Irak verwickelt ist, ein "menschliches Antlitz" zu verpassen.

Bei einer Anhörung des außenpolitisches Ausschusses des US-Senats anlässlich ihrer Ernennung zur Außenministerin durch George Bush erklärte Condoleezza Rice, dass der Tsunami "eine wunderbare Gelegenheit" darstelle, "um zu zeigen, welch großes Herz nicht nur die US-Regierung, sondern das amerikanische Volk hat". "Und ich denke, das hat sich für uns hervorragend ausgezahlt", fügte sie hinzu.

Die Katastrophe lieferte den Vorwand für die größte US-Militärpräsenz in Südasien seit dem Vietnam-Krieg - was die Bush-Regierung seit ihrem Amtsantritt im Jahr 2001 angestrebt hat. Bis jetzt allerdings war sie mit ihrem "Krieg gegen den Terrorismus" kaum in der Lage, dieses Ziel zu erreichen, weil die Regierungen der Region Angst vor der Reaktion der Öffentlichkeit hatten. Aber jetzt stehen US-Truppen in Sri Lanka und Indonesien. Beide Länder liegen an wichtigen Seelinien zwischen dem Mittleren Osten und dem asiatisch-pazifischen Raum, den Militärstrategen der USA seit langem als lebenswichtig ansehen.

In Indonesien hat der Tsunami es Washington ermöglicht, wieder an ihre alten engen Beziehungen zur indonesischen Armee (TNI) anzuknüpfen. Jetzt arbeiten US-Soldaten in Aceh Hand in Hand mit TNI-Einheiten zusammen, obwohl letztere ihren Vernichtungskrieg gegen die separatistischen Rebellen und die Bevölkerung von Aceh fortführen.

Was die Finanzhilfe betrifft, so ist jeder Dollar an Bedingungen geknüpft. Große Baufirmen stehen bereits Schlange für die lukrativsten Aufträge beim Wiederaufbau. Die australische Regierung hat darauf bestanden, dass ihre 1 Milliarde Dollar Hilfe von den eigenen, in Jakarta stationierten Beamten kontrolliert und verteilt werden, die nicht mit der UNO, sondern direkt mit ihren indonesischen Kollegen zusammenarbeiten. Ein Grund dafür besteht darin, sicherzustellen dass australische Unternehmen die Hauptnutznießer sind.

Sorge um die Opfer steht an letzter Stelle. Die unausgesprochene Behauptung hinter der ganzen Hilfsoperation lautet, dass die Überlebenden gefälligst dankbar zu sein haben, was immer sie bekommen. Bedingungen, die man in den entwickelten Ländern Tieren nicht zumuten würde - überfüllte und dreckige Flüchtlingslager ohne anständige sanitäre Einrichtungen und Trinkwasserversorgung - werden als angemessene Unterkunft für die Flüchtlinge über den Zeitraum von zwei Jahren oder länger angesehen. Danach sollen sie sich dann glücklich schätzen, wenn sie zu ihrem früheren Dasein - einem Leben von der Hand in den Mund unter erbärmlichen Bedingungen - und höchstwahrscheinlich auch zu den gleichen gefährdeten Küstenregionen zurückkehren können

Im Indischen Ozean mag nun ein Warnsystem eingerichtet werden. Aber es wird nichts an den Umständen ändern, durch die jedes Jahr viele Menschen wegen Überflutungen, Zyklonen und anderen Naturkatastrophen sterben müssen.

Die Tragödie vom 26. Dezember hat wieder einmal unterstrichen, was für ein Gegensatz zwischen den enormen Fortschritten der Wissenschaft im letzten Jahrhundert und der Rückständigkeit besteht, in der Millionen Menschen immer noch leben müssen. In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Globalisierung der Produktion die wirtschaftlichen Ressourcen der Menschheit enorm erweitert und die Bedingungen dafür geschaffen, durch rationale Planung und Verteilung den Menschen in allen Erdteilen ein anständiger Lebensstandard zu ermöglichen.

So lange das Profitsystem besteht, ist das allerdings unmöglich. Der gewaltige soziale Gegensatz zwischen Arm und Reich ist ein letztlich unvermeidbares Ergebnis des Kapitalismus selbst. Um die soziale Ungleichheit zu überwinden, muss die Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage revolutionär umgestaltet werden, so dass die drängenden sozialen Bedürfnisse der überwältigenden Mehrheit Vorrang vor den Profitinteressen der Wenigen haben.

Siehe auch:
Der asiatische Tsunami: Warum es keine Warnung gab
(18. Januar 2005)

( 7. Januar 2005 )
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