Verstärkte Staatsaufrüstung in den Niederlanden

Die niederländische Regierung aus christdemokratischem CDA, rechtsliberaler VVD und Demokraten 66 nutzt weiterhin zielstrebig die Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh, um den Staatsapparat aufzurüsten und demokratische Rechte abzubauen. Van Gogh war am 2. November vergangenen Jahres von einem Niederländer marokkanischer Abstammung erstochen worden.

Das Parlament beschloss am 9. Februar mit den Stimmen der Regierungsparteien einen umfassenden Anti-Terror-Plan der Regierung. Die insgesamt 94 Einzelvorschläge befinden sich nun im Gesetzgebungsverfahren. Viele Details der einzelnen Vorschläge sind den meisten Abgeordneten und der Öffentlichkeit bis heute unbekannt.

Einige der geplanten Regierungsvorhaben betreffen die weitere Aufrüstung des Staates. Bis 2009 werden dem Polizei- und Geheimdienstapparat ein weiteres Mal zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 414 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld wird insbesondere für die Aufstockung des Personals genutzt. Rund 600 Personen sollen die entsprechenden Staatsbehörden einstellen können, allein der Geheimdienst AIVD 107.

Die Ermittlungsbehörden sollen außerdem das Recht bekommen, über eine gerichtliche Verfügung Organisationen aufzulösen und Veranstaltungen zu verbieten. Die bereits in den sozialen Brennpunkten eingeführten Sicherheitszonen mit ausgeweiteten Polizeibefugnissen sollen ausgedehnt werden. Flughäfen und Bahnhöfe werden nun ebenfalls zu permanenten Sicherheitszonen. Hier kann die Polizei ohne Anfangsverdacht Leibesvisitationen und auch Verhaftungen vornehmen.

Die Behörden sollen auch Personen, die vom Geheimdienst AIVD überwacht werden, zwingen können, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizei zu melden und bestimmte Orte und/oder Personen zu meiden. Außerdem soll die Regierung das Recht erhalten, solchen Personen ein Berufsverbot für den öffentlichen Dienst aufzuerlegen. Dafür muss diesen Menschen keine Straftat nachgewiesen werden, nicht einmal ein begründeter Verdacht ist notwendig. In einer Regierungserklärung vom 24. Januar heißt es dazu: "Diese Regeln werden auf Individuen angewandt werden, die als verdächtig aufgrund ihrer Kontakte, Aktivitäten und/oder anderen Hinweisen angesehen werden, auch wenn die Verdachtslage nicht ausreicht, um ein Strafverfahren einzuleiten. Das verdächtige Herumlungern an spezifischen Lokalitäten ist ein Beispiel dafür."

Seit 1. März ist darüber hinaus ein dreistufiges Frühwarnsystem in Kraft, das an das US-amerikanische angepasst ist. Der Alarmstufe gelb (geringe Gefahr) folgen die Alarmstufen orange (mittlere Gefahr) und rot (ernsthafte Gefahr). Das System gilt für öffentliche Einrichtungen wie Bahnhöfe, den Flughafen Schiphol bei Amsterdam, Einrichtungen der Wasser- und Elektrizitätsversorgung und für die Stadt Rotterdam. In Rotterdam leben die meisten Einwanderer und Flüchtlinge in den Niederlanden, in den Stadtteilen Feijenoord und Delfshaven beträgt ihr Bevölkerungsanteil 63 Prozent beziehungsweise 71 Prozent. Der Sinn und Zweck dieses Systems ist eindeutig das Schüren von Angst und Panik sowie die Einschüchterung der Bevölkerung.

In der parlamentarischen Debatte übten die Oppositionsparteien weder an der unzureichenden Information der Parlamentarier noch am Gesetzespaket selbst grundsätzliche Kritik. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PvdA), erklärte, sie werde ein endgültiges Urteil über das Gesetzespaket erst bei genauer Kenntnis fällen.

Dennoch verkündete ihr Vorsitzender Wouter Bos im Parlament, dass alle Gesetze im "Kampf gegen den Terror" nichts brächten, wenn der Staatsapparat nicht gestärkt würde. Die Verantwortlichkeiten müssten in einem Ministerium gebündelt werden. Derzeit ist Innenminister Johan Remkes (VVD) für Polizei und Geheimdienste und Justizminister Piet Hein Donner (CDA) für die Anti-Terror-Politik zuständig. Dieser Zustand der "administrativen Unordnung" müsse geändert werden.

Vor allem aus juristischen Kreisen gibt es viel Kritik an den neuen Gesetzen. Der Niederländische Anwaltsverband (NOVA) warnte, dass nach den neuen Bestimmungen "auch gegen Bürger ermittelt werden kann, gegen die nicht das geringste Verdachtsmoment besteht". Ein Zusammenhang mit einem terroristischen Verbrechen werde nämlich nicht vorausgesetzt. "Eingriffe in den persönlichen Lebensbereich von Bürgern, ohne dass dies durch ein objektiv nachweisbares Verhalten dieser Bürger selbst gerechtfertigt wäre, sind als unzulässig einzustufen", erklärte der Verband.

Die deutsche Anwältin Britta Böhler schrieb in der niederländischen Zeitung de Volkskrant, der Regisseur des Filmes "Minority Report", Steven Spielberg, könne noch einiges von der niederländischen Regierung lernen. In diesem Science-Fiction-Film werden Menschen von einer Elite-Einheit der Polizei gefasst, bevor sie überhaupt ein Verbrechen begehen oder auch nur eines planen. Die Polizeitruppe wertet die Visionen von drei Wesen mit hellseherischen Fähigkeiten aus und schreitet zur Tat - ohne objektive Anhaltspunkte.

Britta Böhler hat unter anderen den Pim-Fortuyn-Mörder Volkert van der Graaf verteidigt und tritt auch als Anwältin des in der Türkei inhaftierten Chefs der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, auf. Ferner verteidigte sie den radikalen Moslemführer Mullah Krekar, dem Beziehungen zur islamischen Terrororganisation Al Qaida nachgesagt werden.

Der Fraktionsvorsitzende der rechtsliberalen Partei für Freiheit und Demokratie (VVD), Jozias van Aartsen,, wies Befürchtungen zurück, das Paket gefährde die Grundlagen der Demokratie. Der Staat müsse zwar seine Grenzen kennen, wenn es um den Schutz der Bürger gehe, sagte er, doch der Staat sei "nicht nur für die Verdächtigen da, sondern auch für diejenigen, die einfach sicher ihrer Arbeit nachgehen wollen". Die Öffentlichkeit müsse sich keine Sorgen machen, dass die Polizei komme, um ihnen die Tür einzutreten.

Die muslimische Bevölkerung der Niederlande kann van Aartsen nicht gemeint haben. Denn diese ist jetzt schon verstärkt Repressionen ausgesetzt. Ende Februar erklärte Integrationsministerin Rita Verdonk vier Imame zu unerwünschten Personen, weil sie angeblich eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und nationale Sicherheit darstellen. Drei von ihnen, die an der Al Fourkaan- Moschee in Eindhoven lehrten, wurde das Bleiberecht entzogen, beziehungsweise eine Aufenthaltsverlängerung verweigert. Laut der Zeitung De Telegraaf ist der vierte Verdächtige, der Imam einer Rotterdamer Moschee, bereits über den Luftweg außer Landes gebracht worden. Der Geheimdienst wirft den Betroffenen vor, Anwerbungen für den Dschihad geduldet zu haben und in ihren Predigten für die Isolation der Muslime von den Niederländern aufgerufen zu haben.

Die Regierung erklärte auch drei Bekannte des van Gogh-Mörders zu "unerwünschten Personen". Bei einem Bekannten ist das Verfahren bereits abgeschlossen. Ihm ist die Aufenthaltsgenehmigung entzogen worden, ohne dass ihm eine Beteiligung an der Bluttat oder deren Billigung nachgewiesen werden konnte.

Bereits im letzten Jahr war das Asylverfahren zu Gunsten eines Schnellverfahrens faktisch abgeschafft worden. Jetzt soll Einwanderern auch der Zugang zur Sozialversicherung weiter erschwert werden. Der Zugang zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung für Einwanderer soll an die Zahlung einer Pauschale gekoppelt werden. Wer diese nicht aufbringen kann, soll keinen oder nur einen minimalen Anspruch auf Leistungen der Sozialversicherung haben.

Der Charakter der Regierungsmaßnahmen wird besonders deutlich, wenn man das Vorgehen der gegenwärtigen Balkenende-Regierung gegen ethnische Minderheiten einem Vergleich mit der früheren Politik in den Niederlanden unterzieht. Beispielhaft kann hierfür der Umgang mit der Bewegung für die Unabhängigkeit der Molukken stehen, die auch vor dem Einsatz von Gewalt nicht zurückschreckte.

In den Niederlanden leben derzeit circa 40.000 Menschen, die von der im Pazifik gelegenen Inselgruppe der Molukken stammen. Sie kamen Ende der 1940er bis Anfang der 1950er Jahre in die Niederlande und gehörten schnell zur ärmsten Gesellschaftsgruppe. Zwischen 1975 und 1977 kam es zu Zugentführungen und der Besetzung des indonesischen Konsulats in Amsterdam. 1977 kamen bei einer Zugentführung zwölf Menschen ums Leben.

Der damalige Regierungschef, Christdemokrat Andries van Agt, reagierte jedoch anders als sein heutiger Nachfolger Jan Peter Balkenende. 1978 erließ die Regierung die so genannte Molukken-Nota. Der ethnischen Minderheit wurden mehr Rechte gegeben und es wurde ein Sofortprogramm aufgelegt, um den Jugendlichen Arbeitsplätze zu verschaffen. Die Gesundheitsversorgung und Betreuung wurde verbessert und den Jugendlichen wurde der Zugang zu den Bildungseinrichtungen ermöglicht. Kurz: Die Regierung akzeptierte, dass die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen eine soziale Ursache hatte und sich nicht aus Abstammung oder Religion speiste.

Mit diesen Integrationsmaßnahmen verlor die naive Perspektive einer unabhängigen Inselgruppe der Molukken an Anziehungskraft und die Gewalt verschwand.

Heute reagiert die Regierung unter Jan Peter Balkenende (CDA) auf die wachsende Armut und Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen aus Einwandererfamilien, mit staatlicher Repression. Der Mord an Theo van Gogh im November 2004 ist ihr wie schon der Mord an Pim Fortuyn im Mai 2002 ein willkommener Vorwand für den Abbau demokratischer Rechte und die Aufrüstung des Staates.

Siehe auch:
Niederlande: Kampagne gegen Ausländer nach dem Mord an van Gogh
(18. November 2004)
Niederlande: Theo van Gogh auf offener Straße ermordet
(9. November 2004)
Niederlande: Trotz heftiger Proteste billigt Parlament Massenabschiebungen
(19. Februar 2004)
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