Kanzler Schröder auf Handelsreise in den Golfstaaten

Kaum hatte US-Präsident George W. Bush seine viertägige Europatour beendet, startete der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder am vergangenen Wochenende zu einer siebentägigen Rundreise auf die arabische Halbinsel. Sieben Golfstaaten standen auf dem Besuchsplan, fünf davon hatte bisher noch kein deutscher Regierungschef besucht.

Schröders Reise wirft ein grelles Licht auf die Ursachen für die wachsenden Spannungen zwischen den USA und Deutschland, die auch beim jüngsten Bush-Besuch in Mainz nur übertüncht, aber keinesfalls überwunden wurden. Es geht um nackte wirtschaftliche und strategische Interessen - und nicht um Frieden, Stabilität, Freiheit oder Demokratie, wie die offizielle Propaganda beider Seiten wahr haben will.

Am Golf finden sich nicht nur die weltweit größten Vorräte an Erdöl, des wichtigsten strategischen Rohstoffs für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts. Die Golfstaaten gehören dank den Milliardensummen, die aufgrund des hohen Ölpreises in die Kassen der regionalen Machthaber fließen, auch zu den finanzkräftigsten internationalen Investoren und Käufern westlicher Produkte.

Schröders Reise zielte darauf ab, die deutschen Vorbehalte gegen den Irakkrieg und gegen die Nahostpolitik der USA in klingende Münze umzusetzen. Er wilderte gewissermaßen im Jagdrevier der USA, die sich bemühen, die Region wirtschaftlich und politisch fest unter ihren Einfluss zu bringen. So gingen die Milliardenaufträge zum Wiederaufbau des kriegzerstörten Irak gingen fast ausschließlich an amerikanische - und in geringerem Maße an britische - Firmen.

Bemerkenswert an Schröders Golftour war die Schamlosigkeit, mit der er seine Ziele offenbarte. Er gab sich nicht die geringste Mühe, den wirklichen Zweck seiner Reise durch die üblichen diplomatischen Floskeln und Artigkeiten zu verdecken. Mit einem Tross von 70 führenden deutschen Wirtschaftsvertretern reiste er "im Schweinsgalopp durch die Wüste", wie es einer der begleitenden Manager ausdrückte, biederte sich den herrschenden Despoten an, eröffnete Fabriken "made in Germany", bettelte um Investitionen, unterzeichnete Kaufverträge und bot marktschreierisch deutsche Produkte an - vom Transrapid über den Bau von Fabriken und Flughäfen bis hin zu einem Sortiment modernster Kriegswaffen.

Ein mitreisender Journalist verglich den Kanzler mit einem "Handelsvertreter, der an der Haustür den unverwüstlichen Kobold-Stabsauger von Vorwerk verkaufen will". Schröders nachdrücklich Botschaft, so Ulrich Schäfer in der Süddeutschen Zeitung, lautete: "Unser Staubsauger kann alles. Die deutsche Wirtschaft saugt alles weg."

Viele arabische Regime sind durch das aggressive Vorgehen der USA in der Region zutiefst verunsichert. Sie fürchten um den Verlust ihrer Macht, falls die USA die Region noch mehr destabilisieren oder weitere "Regimewechsel" herbeiführen - wie sie es derzeit im Libanon, in Syrien und in Iran versuchen. Auch die enge Zusammenarbeit der USA mit Israel gibt Anlass zu ständigen Spannungen.

Indem Schröder den Golfstaaten den Kauf deutscher Produkte, Investitionen in deutschen Firmen und die Umschichtung ihrer Geldanlangen vom Dollar in den Euro anbietet, lockt er gleichzeitig mit einer anderen strategischen Orientierung - weg von den USA und hin zu Deutschland.

Die Bundesregierung messe der Region eine "große strategische Bedeutung" bei, berichtet die Korrespondentin des Handelsblatts, die den Kanzler auf seiner Reise begleitete.

Ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung wird noch deutlicher. "Der Kanzler nutzt die Wirtschaftsmacht der deutschen Unternehmen noch für ein zweites Anliegen", heißt es dort. "Er will die Bundesrepublik Deutschland als Mittelmacht der Weltpolitik verankern. Aus der ökonomischen Stärke des Landes, dem Titel des Exportweltmeisters und dem Ruf der Unternehmen aus Germany leitet Schröder politische Stärke und politische Ansprüche ab. Deshalb wagt er es auch, die deutschen Anliegen lauter und deutlicher zu formulieren als alle seine Vorgänger."

Die Ergebnisse der Kanzlerreise waren allerdings gemischt. Vor allem in Saudi-Arabien, der ersten Station seiner Reise, erreichte er außer verbalen Versprechungen wenig. Das despotische und korrupte saudische Königshaus fürchtet zwar die Folgen der amerikanischen Politik, es weiß aber auch, dass es sich ohne die Gunst und die Protektion Washingtons keine Woche lang an der Macht halten könnte, und dass weder Deutschland noch eine andere europäische Macht die USA in dieser Hinsicht ersetzen können.

Das Land mit den weltweit größten Ölreserven ist zwar wichtigster deutscher Handelspartner auf der arabischen Halbinsel, doch seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 ging die wirtschaftliche Zusammenarbeit zurück. Nun warb der Kanzler dafür, dass sich "die saudische Wirtschaft mit ihrer großen Finanzkraft in Deutschland engagiert". Er forderte die saudischen Prinzen auf, sich verstärkt am Gesellschaftskapital deutscher Unternehmen zu beteiligen. "Wir haben großes Interesse daran, dass Kapital aus den Golfstaaten nach Deutschland fließt", sagte er.

Dieses Interesse habe auch damit zu tun, dass sich diese Staaten "in der Regel nicht in die Geschäftspolitik der Unternehmen einmischen, solange die Rendite stimmt", ergänzt das Handelsblatt unter Bezugnahme auf "deutsche Regierungskreise". Diese bedauerten, dass sich Thyssen-Krupp auf amerikanischen Druck hin von seinem Kapitalgeber Iran habe trennen müssen.

Im Gegenzug mischt sich die deutsche Regierung nicht in die Innenpolitik der saudischen Königsfamilie ein, die alle Schlüsselpositionen in Politik und Wirtschaft besetzt und das Land mit eiserner Hand regiert. Über entsprechende Mahnungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die Schröder aufgefordert hatte, auch die Frage der Menschenrechte anzusprechen und sich für die Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen, ging der Kanzler schweigend hinweg. Er machte sich lediglich Sorgen, dass die wachsenden sozialen Spannungen im Land deutsche Investitionen gefährden könnten.

Trotz wachsenden Öleinnahmen verschlechtert sich die soziale Lage der saudischen Bevölkerung zusehends. Die Arbeitslosigkeit beläuft sich auf 20 bis 25 Prozent, und immer mehr Saudis leben in Elendsvierteln, wo die Parolen islamistischer Extremisten auf fruchtbaren Boden fallen.

Nachdem westliche Wirtschaftsvertreter in jüngster Zeit wiederholt zum Ziel von Terroranschlägen geworden sind, appellierte Schröder an die saudische Regierung, mehr Rechtssicherheit für deutsche Investoren zu schaffen: "Je besser die Kalkulierbarkeit, desto besser ist das Investitionsklima." Die Forderung, den "Reformprozess" im Land fortzusetzen, verband er mit der Bemerkung, er habe Verständnis dafür, dass gesellschaftliche Verhältnisse, die über Jahrhunderte gewachsen seien, nicht über Nacht verändert werden könnten.

Die Ausbeute des Besuchs in Saudi-Arabien blieb dennoch gering. Die mitreisenden Firmenvertreter unterzeichneten lediglich drei Aufträge im Gesamtumfang von 18 Mio. Euro. Es seien aber noch einige Projekte "in der Pipeline", hieß es in der Umgebung des Kanzlers. Insgesamt will Saudi-Arabien in den nächsten 15 Jahren rund 250 Mrd. Euro investieren, den größten Teil in die Infrastruktur. Es gibt im ganzen Land gegenwärtig nur eine Zugverbindung zwischen der Hauptstadt Riad und Damman im Osten, und die deutsche Industrie macht sich große Hoffnungen beim geplanten Ausbau des Schienennetzes.

Besser liefen die Geschäfte in den kleineren arabischen Scheichtümern, die Schröder besuchte - Kuwait, Katar, Bahrain, Oman und Vereinigte Arabische Emirate (VAE) - sowie in Jemen. Das bettelarme Land an der Spitze der arabischen Halbinsel wird zehn Patrouillenboote der Bremer Lürssen-Werft für 100 Mio. Euro ordern.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben für 100 Mio. Euro ein militärisches Kommunikationssystem der Firma Rohde & Schwarz bestellt und für weitere 160 Mio. Euro 32 Fuchs-Spürpanzer der Firma Rheinmetall, deren Lieferung allerdings noch der Genehmigung durch den Bundessicherheitsrat bedarf.

Die Emirate werden von der Regierung als "strategischer Partner" betrachtet. Deutsche Sicherheitskräfte bilden dort derzeit 420 irakische Soldaten aus, vor allem Logistiker. Auch die Ausbildung von Fachkräften zur Minenräumung wird ins Auge gefasst. Neben der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit setzen die Emirate auch auf verstärkten Tourismus. Sie rechnen bereits in diesem Jahr mit bis zu 500.000 deutschen Besuchern.

In Kuwait, das seit dem ersten Golfkrieg enge Beziehungen zu den USA unterhält, weihte Schröder die letzte Ausbaustufe eines von Siemens errichteten Gasturbinenkraftwerks ein, das zehn Prozent der landesweit benötigten Energie produziert. Während der Kanzler die deutsch-kuwaitische Zusammenarbeit pries, brachte Siemens am Rande des Besuchs einen weiteren Vertrag über die Lieferung von Transformatoren und Schaltanlagen für ein Umspannwerk im Umfang von 70 Mio. Euro zum Abschluss.

Politisch noch bedeutsamer als die Wirtschaftsverträge ist der Start eines arabischsprachigen Fernsehprogramms der Deutschen Welle in Kuwait-Stadt, das drei Stunden täglich in zwanzig Länder ausgestrahlt wird. Schröder sprach von einem "neuen Abschnitt in den deutsch-arabischen Beziehungen".

Sowohl in Kuwait als auch in Katar und Bahrain spielte die Diskussion über den Bau neuer Verkehrsstrecken eine große Rolle. Der Industrieminister von Kuwait, Abdullah Thaweed, brachte Pläne für eine konventionelle Bahnstrecke von Kuwait über Irak nach Iran ins Gespräch, die von deutschen Unternehmen realisiert werden könnte.

In Katar und Bahrain wurde über das Projekt eines "Golf-Transrapid" diskutiert, die die beiden Länder untereinander und mit den Emiraten verbinden soll. Schröder will sich direkt in die Bemühungen um die Realisierung des Projekts einschalten und die drei beteiligten Länder zusammen bringen. Die Regierung hat wieder Hoffnung geschöpft, die Hochgeschwindigkeits-Magnetschwebebahn an den Mann zu bringen, die in Deutschland mit milliardenschweren staatlichen Subventionen entwickelt wurde, deren Bau aber dann an den hohen Kosten, den Umweltproblemen und der Konkurrenz durch das bestehende ICE-Netz scheiterte. Bisher existiert nur in China eine kurze Transrapid-Strecke zwischen dem Flughafen und dem Stadtrand von Shanghai.

Thyssen-Krupp, das zusammen mit Siemens das Transrapid-Projekt betreibt, vereinbarte die Errichtung einer eigenen Repräsentanz in der katarischen Hauptstadt Doha. Für die Magnetschwebebahn käme zunächst die Strecke zwischen Bahrain und Katar in Frage, deren Kosten auf 4,4 Milliarden Euro veranschlagt werden. Die beiden Länder haben bereits den Bau einer 45 Kilometer langen Brücke über den Persischen Golf beschlossen, die Bahrain und Katar verbinden soll.

Eine Machbarkeitsstudie der Regierung Katars soll nach Angaben des deutschen Konsortiums zudem den Bau einer insgesamt 800 Kilometer langen Magnetbahntrasse bis in die Vereinigten Arabischen Emirate prüfen. Für den Bau dieser Strecke werden knapp 10 Mrd. Euro veranschlagt. Es existieren auch bereits Überlegungen über eine 2000 Kilometer lange Strecke zwischen dem Emirat Kuwait im Norden und dem Sultanat Oman im Süden.

Sollten deutsche Firmen beim Bahnbau in der Region Fuß fassen, würde damit an alte Traditionen angeknüpft. Unter deutscher Leitung war vor hundert Jahren (zwischen 1900 und 1908) die berühmte "Hedschas"-Bahn gebaut worden. Die einspurige Linie verband Damaskus mit der Heiligen Stadt Medina. Finanziert aus den Spenden vieler Mekka-Pilger versorgte die Bahnlinie in erster Linie die türkischen Truppen an der Westküste der Arabischen Halbinsel und in der Stadt Medina. Sie wurde im Ersten Weltkrieg zerstört.

Bereits ein Jahrzehnt zuvor hatte der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II die Bagdad-Bahn gebaut. Sie war nicht nur ein außenpolitisches Prestigeprojekt, sondern auch Bestandteil der imperialistischen Expansionspläne des Deutschen Reichs, das Zugang zu den Ölquellen des Nahen Ostens suchte. Sie bot Anlass zu heftigen Spannungen mit den damaligen Rivalen Deutschlands, mit Frankreich und Großbritannien, die sich schließlich im Ersten Weltkrieg entluden. Schon damals spielten Konzerne wie Siemens, Krupp und die Deutsche Bank eine wichtige Rolle bei diesen Projekten.

Schröders Handelsreise durch die Golfstaaten macht deutlich, dass seine Forderung nach mehr Macht und Einfluss für Deutschland, die er im vergangenen Monat auf der Münchner Sicherheitskonferenz aufstellte, durchaus ernst gemeint war. Die Geschichte wiederholt sich zwar nicht - aber die zunehmende Rivalität zwischen den Großmächten beim Kampf um Absatzmärkte und wirtschaftlichen Einfluss muss zwangsläufig zu einem weiteren Anwachsen internationaler Spannungen und zur Zunahme militärischer Konflikte führen.

Siehe auch:
Schröder fordert Weltmachtrolle für Deutschland
(16. Februar 2005)
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