Bundesregierung will Arzneimittelzulassung privatisieren

Patientensicherheit in Gefahr

Die rot-grüne Bundesregierung plant, die Arzneimittelzulassung ab 1. Januar 2006 zu privatisieren. Nach einem Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums soll das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in eine Bundesagentur nach privatem Recht umgewandelt werden. Es soll die Bezeichnung Deutsche Arzneimittelagentur (DAMA) tragen.

Dem BfArM als nachgeordnete Behörde des Bundesgesundheitsministeriums kommen zentrale Aufgaben im Bereich der Zulassung und Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten zu. Es ist zuständig für die Zulassung von Fertigarzneimitteln und für die Zulassung und Registrierung homöopathischer Arzneimittel. Ferner obliegt ihm auch die Risikoermittlung, Risikobewertung und Risikoabwehr bei Medizinprodukten und Arzneien.

Eine Privatisierung der Zulassung von Arzneimitteln würde bedeuten, dass wirtschaftliche Interessen wichtiger werden als Patientensicherheit und Risikoabwehr und dass die neue Agentur zu einem reinen Dienstleister für die pharmazeutische Industrie verkommt.

Der Präsident der Bundesärztekammer Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe kritisiert im Deutschen Ärzteblatt Online den Gesetzentwurf. Er schreibt: "In dem Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums ist ohne Umschweife vom Wirtschaftsstandort, von hoher Wertschöpfung, Exportquoten und Wettbewerbsfähigkeit die Rede. Die Zulassung von Arzneimitteln wird als Kerngeschäft bezeichnet. Die Begriffe Patient und Arzt kommen bemerkenswerter Weise in der Begründung kein einziges Mal vor. Bei einer solchen Agentur, die sich im Wettbewerb mit anderen europäischen Zulassungsstellen behaupten soll, besteht zwangsläufig die Gefahr, dass Anträge nicht ausreichend geprüft und Wirkstoffe vorschnell zugelassen werden."

Noch deutlicher wird Prof. Dr. med. Bruno Müller-Örlinghausen. Als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) kritisiert er die Zielsetzung: "Der Gesetzesentwurf hat eindeutig und exklusiv zum Ziel, die Behörde in eine Agentur umzuwandeln, die sich als Dienstleister der pharmazeutischen Industrie versteht."

Mit anderen Worten, die rot-grüne Bundesregierung will die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, damit die deutsche Pharmaindustrie auf Kosten der Gesundheit der Patienten eine höhere Profitrate im internationalen Konkurrenzkampf erzielt. Die beschleunigte Zulassung von Medikamenten dient daher fast ausschließlich den kommerziellen Interessen der Industrie. Die Interessen der Ärzte und Patienten bleiben außen vor.

Laut dem Marktforschungsunternehmen IMS Health ist der weltweite Markt für Pharmaprodukte im letzten Jahr um sieben Prozent auf 550 Mrd. Dollar gewachsen. In den vergangenen sechs Jahren war dies der niedrigste Anstieg. Im Jahre 2003 waren es noch 10 Prozent Wachstum.

Der Kampf um Marktanteile in der Pharmabranche wird sich daher weiter verschärfen und eine Schließung deutscher Fabriken und Labore kann nicht ausgeschlossen werden. "Wenn sich die Gesundheitspolitik nicht ändert, könne wir keine Garantien geben", sagte Sanofi-Aventis-Chef Jean-Francois Dehecq im Dezember.

Mit der Umwandlung der Zulassungsbehörde für Arzneimittel in eine marktorientierte Agentur wird zum einen den Interessen der Pharmaindustrie voll Rechnung getragen. Die Bearbeitungszeit für die Zulassung neuer Medikamente soll auf ein Minimum beschränkt werden, damit diese schneller auf den Markt kommen. Zur Zeit werden die Medikamente im Durchschnitt erst nach 26 Monaten genehmigt; nach den Plänen der Bundesregierung soll dieser Zeitraum auf sieben Monate schrumpfen.

Die Sicherheit bleibt da auf der Strecke. Selbst Experten der in London ansässigen Europäischen Agentur für die Bewertung von Arzneimitteln (Emea) bezweifeln, ob eine Privatisierung der Zulassungsbehörde außer zu kürzeren Verfahren auch zu sicheren Medikamenten führe. Bereits privatisierte Einrichtungen in Großbritannien und Schweden prüften nicht nur schnell, sondern auch großzügig, um Kunden zu gewinnen und zu halten.

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Industrie sich davon eine stärkere Position in Europa erhofft. Derzeit sind in Europa 42 unterschiedliche Institutionen mit Prüf- und Zulassungsverfahren befasst. Ende des Jahrzehnts werden nach den Erwartungen der Pharmabranche sechs bis zehn übrig bleiben. Es werden sich "centers of excellence" herausbilden, zu denen nach den Vorstellungen der deutschen Industrie auch das BfArM gehören soll.

Im Rahmen des europäischen Zulassungsverfahrens der gegenseitigen Anerkennung als so genannter reference member state ("Erstzulasser") rangiert die deutsche Zulassungsbehörde nur noch auf Rang fünf, was für die deutsche Industrie nicht akzeptabel ist. "Innerhalb eines internationalen Konzerns verliert die deutsche Niederlassung damit enorm an Bedeutung", erklärte dazu Dr. Elmar Kroth vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller. Für eine gute Platzierung des deutschen Instituts auf EU-Ebene plädiert auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller. Die fehlende Nähe zu einem führenden Zulassungsinstitut werde sich sonst negativ auf Forschung und Entwicklung auswirken.

Ein aus zwei Mitgliedern bestehender Vorstand wird die Agentur führen und leistungsbezogen bezahlt. Die Dienstverhältnisse sind auf fünf Jahre befristet. Hierbei kann auch der Bock zum Gärtner gemacht werden. Es wäre keineswegs ausgeschlossen, dass ein Vorstandsmitglied der Agentur direkt aus der Pharmaindustrie kommt, d.h., dass die Pharmaindustrie sich die Arzneimittel selbst zuließe. Vertreter der Ärzteschaft fordern, dass diese Möglichkeit definitiv ausgeschlossen sein muss.

Das BfArM ist zurzeit mit einem Budget von rund 57 Millionen Euro ausgestattet. Zwei Drittel seiner Ausgaben werden durch Gebühren der Industrie refinanziert. Die künftige Agentur soll eine eigene Finanzhoheit besitzen

Die Arzneimittelzulassung soll sich dann ausschließlich durch Gebühren der Pharmaindustrie finanzieren. Das heißt, dass die Agentur darauf angewiesen wäre, möglichst viele Zulassungsaufträge von der Pharmaindustrie zu erhalten. Viele Aufträge wird sie aber dann erhalten können, wenn sie im Interesse der Industrie "gut", d.h. vor allem schnell arbeitet, und die Zulassung innerhalb der vorgegebenen sieben Monatsfrist erteilt. Zuschüsse vom Staat gibt es nur noch für eine Übergangszeit bis Ende 2009.

Die Pharmakovigilanz (Arzneimittelüberwachung), die Bundesopiumstelle sowie die Bundesstelle für Medizinprodukte werden weiterhin staatlich finanziert.

Welche negative Folgen eine Umstrukturierung haben kann, kann man in den USA beobachten. Der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) wird nach der Umstrukturierung vom Harvard Professor Jerry Avon starke Verbundenheit mit der Pharmaindustrie vorgeworfen. Diese enge Verbundenheit führt dazu, dass die Behörde z. B. Medikamenten die Zulassung nur sehr zögerlich (d.h. quasi nur im äußersten Notfall) versagt. Erst im März diesen Jahres musste nach dem Tod eines Patienten ein Multiple-Sklerose-Präparat vom Markt genommen werden, das die FDA im Eilverfahren zugelassen hatte.

Siehe auch:
Gesundheit wird zur Ware
(23 Mai 2000)
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