Einwöchige Regierungskrise in Rom

Die Dinge müssen sich ändern, wenn wir wollen, dass sie so bleiben, wie sie sind, erklärt der junge Tancredi in Tomasi di Lampedusas Roman Il Gattopardo. Man fühlt sich an diese Worte erinnert, wenn man das Stück betrachtet, das letzte Woche im politischen Theater von Rom gegeben wurde. Die Schauspieler mussten dabei mit der Nebenbühne Vorlieb nehmen, denn auf der Hauptbühne lief im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit ein anderes Stück - die Wahl des neuen Papstes.

Es begann am Freitag den 15. April damit, dass die christdemokratische UDC ihre vier Minister und die Neue Sozialistische Partei (Nuovo PSI) ihre beiden Staatsekretäre aus der Regierung Berlusconi zurückzogen. Es folgten acht Tage politisches Geschacher, Winkelzüge und Manöver. Es endete damit, dass eine neue Regierung die Amtsgeschäfte übernahm, die - abgesehen von einigen untergeordneten Ministerposten - der alten entsprach. Doch obwohl scheinbar alles geblieben ist, wie es war, zeigt ein genauerer Blick auf die Regierungskrise in Rom, dass sich die Ära Berlusconi rasch ihrem Ende nähert.

Mit dem Rückzug aus der Regierung reagierte die christdemokratische UDC auf die schwere Niederlage des rechten Regierungsbündnisses bei den Regionalwahlen vom 3. und 4. April. Elf der 13 Regionen, in denen gewählt worden war, gingen an die Opposition, darunter traditionelle Bastionen der Rechten im Süden des Landes und die Region Latium mit der Hauptstadt Rom. Als Folge brachen seit langem schwelende Konflikte innerhalb der Regierungskoalition wieder auf. Jede Partei versuchte, sich aus dem Abwärtsstrudel zu befreien, der als böses Omen für die spätestens im kommenden Frühjahr anstehenden Parlamentswahlen gilt.

Der Auszug aus der Regierung hat in Italien Tradition. In der Vergangenheit waren politische Krisen oft auf diese Weise geregelt worden. Üblicherweise trat nach dem Rückzug einiger Minister die gesamte Regierung zurück. Dann begann ein Tauziehen, das schließlich zur Bildung einer neuen Regierung führte, die sich von der vorangegangenen nur wenig unterschied. Einige Ministerstühle wurden verrückt, das innere Kräfteverhältnis neu austariert und die Politik geringfügig verändert. Italien hat auf diese Weise in den sechzig Jahren seit Kriegsende 59 verschiedene Regierungen erlebt.

Ähnlich lief es auch diesmal. Nach dem Rückzug der UDC-Minister meldete sich Silvio Berlusconi für Montag im Quirinalspalast an, dem Amtssitz des Staatspräsidenten, und die Agenturen meldeten, auch er werde seinen Rücktritt einreichen. Doch als der Regierungschef den Quirinal wieder verließ, verkündete er den verblüfften Journalisten, er habe sich "selbst eine Überraschung bereitet". Er sei nicht zurückgetreten und wolle sich stattdessen am Donnerstag einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Offenbar sollten die Koalitionspartner mit möglichen Neuwahlen eingeschüchtert werden, die im Falle eines gescheiterten Vertrauensvotums drohten. Daran konnte nach dem Wahldebakel bei den Regionalwahlen keine Regierungspartei Interesse haben.

Nun drohte auch die postfaschistische Alleanza Nazionale (AN) mit dem Rückzug ihrer Minister, was Berlusconi die parlamentarische Mehrheit gekostet hätte. Am Mittwoch Abend trat er grollend zurück. Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi beauftragte ihn mit der Weiterführung der Amtsgeschäfte, führte die vorgeschriebenen Konsultationen mit allen Parteien durch und beauftragte Berlusconi schließlich am Freitag mit der Bildung einer neuen Regierung, die am Samstag Abend stand. Sie muss noch von beiden Kammern des Parlaments bestätigt werden, was aber angesichts der deutlichen Mehrheit der Regierungskoalition kaum scheitern dürfte.

Dass die Regierung Berlusconi II bis zum regulären Wahltermin in einem Jahr durchhalten wird, ist allerdings höchst unwahrscheinlich, wurden durch die Regierungsumbildung doch weder die inhaltlichen noch die personellen Streitpunkte gelöst. Sie sind eher noch schärfer geworden.

Die christdemokratische UDC und die postfaschistische AN, deren Hochburgen im Mezzogiorno, dem verarmten Süden des Landes liegen, fordern seit langem eine Überprüfung des Regierungsprogramms, in der politischen Sprache des Landes "verifica" genannt. Diese Forderung bekräftigten sie nach dem Debakel bei den Regionalwahlen. Sie verlangten mehr finanzielle Unterstützung für den Mezzogiorno und für sozial schwache Familien.

Die Rechtskoalition hatte die Wahl 2001 mit vollmundigen Versprechen gewonnen - eineinhalb Millionen neue Arbeitsplätze, Steuersenkungen auch für die kleinen Leute, Abbau von Bürokratie und Wirtschaftsförderung im Süden. Doch davon wurde nichts eingehalten. Stattdessen folgten immer neue Angriffe auf soziale Errungenschaften und Grundrechte. Fiat, der größte Konzern des Landes, schloss Werke in Turin und Sizilien, neue Arbeitsplätze entstanden nur im Billiglohn- und prekären Sektor. Mittlerweile stagniert die Wirtschaft, die Preise steigen und breite Teile der Bevölkerung verarmen zusehends.

"Erfolge" konnte die Regierung nur bei der Verabschiedung von Gesetzen vorweisen, die den Regierungschef und sein Firmenimperium vor den Nachstellungen der Justiz schützen. Außerdem hat sie eine Verfassungsreform auf den Weg gebracht, die den Regionen größere Rechte gegenüber der Zentralregierung einräumt. Aus diesem Grund hielt die Lega Nord, die 1994 die erste Regierung Berlusconi zu Fall gebracht hatte, diesmal treu zum Regierungschef. Die Partei, die zeitweise die Abtrennung des reichen Nordens vom Rest des Landes gefordert hatte, will die Verabschiedung der Föderalismusreform auf keinen Fall gefährden. UDC und AN stehen der Reform dagegen mit Skepsis gegenüber.

Seit der Regierungsübernahme Berlusconis vor vier Jahren ist der Widerstand gegen seine Regierung ständig angewachsen. Immer wieder kam es zu massenhaften Protesten gegen seine Wirtschafts- und Sozialpolitik. In den vergangenen beiden Jahren kam der Widerstand gegen die Beteiligung Italiens am Irakkrieg hinzu, die von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. In Rom fanden die größten Antikriegsdemonstrationen in ganz Europa statt. Bereits vor zwei Jahren hatte die Rechtskoalition bei Regionalwahlen empfindliche Stimmenverluste hinnehmen müssen, die sich bei der Europawahl vom vergangenen Jahr noch steigerten.

Das jüngste Wahldebakel ist darauf zurückzuführen, dass sich neben den unteren Bevölkerungsschichten auch jene Teile der Mittelklasse von der Regierung abwenden, die auf Steuersenkungen und eine Ankurbelung der Konjunktur gehofft hatten. Eine repräsentativen Umfrage des Instituts Censis, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, gelangt zum Schluss: "Die Regionalwahlen brachten die Unzufriedenheit der Mittelklassen zum Ausdruck: Zum einen der Lohnabhängigen, die durch die Inflation bestraft werden und pessimistisch in die Zukunft blicken; zum anderen der Händler und Handwerker, die unter dem niedrigen Konsum und dem Scheitern der Steuerreform leiden. Insbesondere Frauen, Junge und Wähler aus dem Süden des Landes sind von der Mehrheit zur Opposition übergelaufen."

Bei der Bildung der neuen Regierung hat Berlusconi der UDC und der AN zwar einige Zugeständnisse gemacht, indem er zusätzliche Hilfen für den Mezzogiorno, für Familien und für notleidende Unternehmen versprach. Zusätzliche Ausgaben dürften aber auf heftigen Widerstand aus der Brüsseler EU-Kommission stoßen, da die italienische Staatsverschuldung schon jetzt weit über dem Maastricht-Kriterium von drei Prozent liegt.

Gleichzeitig hat er mit Giulio Tremonti einen Mann in die Regierung zurückgeholt, den er im vergangenen Sommer nach den Stimmenverlusten bei der Europawahl dem Druck der AN und der UDC hatte opfern müssen. Nun ist Tremonti als Stellvertreter des Premierministers zurückgekehrt.

Der alte Weggefährte Berlusconis und Vizepräsident von Forza Italia hatte von 2001 bis 2004 die Ministerien für Finanzen, Haushalt und Planung in Personalunion geleitet. Er galt als Verfechter einer strikten Haushaltskonsolidierung, einer flexiblen Arbeitsmarktpolitik, von Sozialabbau und Subventionskürzungen. Als Minister zeichnete er für Steuergesetze verantwortlich, die in erster Linie das Firmenimperium Berlusconis begünstigten. Der Wirtschaftsprofessor aus dem Norden genießt wegen seiner betont neoliberalen Einstellung auch das Vertrauen der Lega Nord.

Das oppositionelle Mitte-Links-Bündnis hält sich mittlerweile bereit, im Falle eines Scheiterns der Regierung für die Kontinuität ihrer wirtschaftsfreundlichen Politik zu sorgen. Das garantiert zum einen Oppositionsführer Romano Prodi, der als ehemaliger Präsident der EU-Kommission das uneingeschränkte Vertrauen der italienischen Wirtschaft besitzt, bis hin zum Vorsitzenden des Industriellenverbands Confindustria Luca Cordero di Montezemolo. Der Fiat-Chef rief auf dem Höhepunkt der Regierungskrise recht unverblümt zu Neuwahlen auf. "Das Land kann sich keinen monatelangen Wahlkampf mehr erlauben", sagte er. "Wir brauchen eine Regierung, die regiert. Andernfalls sind Neuwahlen besser."

Der Generalsekretär der Linksdemokraten (DS), Piero Fassino, beteuerte in einem Interview mit dem Corriere della Sera, eine Mitte-Links-Regierung werde weder die Flexibilisierung der Arbeit, noch Privatisierungen und Steuersenkungen für Reiche rückgängig machen."Wir sind keine Gefangene der Vergangenheit", betonte er. "Wir wissen, dass Italien modernisiert werden muss. Berlusconi hat diese Forderung enttäuscht, aber das heißt nicht, dass sie falsch wäre."

Der Chef der Nachfolgeorganisation der Kommunistischen Partei, brüstete sich sogar, sie habe während ihrer Regierungsbeteiligung von 1996 bis 2001 einen konsequenteren Privatisierungskurs verfolgt als Berlusconi: "Die meisten Privatisierungen haben wir durchgeführt. Mitte-Rechts hat damit aufgehört", sagte Fassino. "Italien braucht gleichzeitig mehr Markt und mehr öffentliche Politik: Die Privatisierung städtischer Einrichtungen und öffentlicher Dienstleistungen, die Liberalisierung der Berufsvorschriften und mehr Investitionen in Innovation, Wissen und Infrastruktur."

Siehe auch:
Schwere Niederlage für Berlusconi bei den italienischen Regionalwahlen
(7. April 2005)
Rifondazione schließt sich Prodi an
( 23. März 2005)
Berlusconi in Bedrängnis
( 21. Juli 2004)
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