Visa-Ausschuss: Fischer kuscht vor der Union

Über zwölf Stunden lang sagte Außenminister Joschka Fischer am Montag vor dem Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestags aus. Erstmals in der deutschen Parlamentsgeschichte tagte dabei ein solcher Ausschuss vor laufenden Kameras. Wie zuvor schon die Vernehmung von Ex-Staatssekretär Ludger Volmer übertrug der Nachrichtensender Phoenix den Auftritt Fischers in voller Länge.

Vorausgegangen war ein riesiger Medienrummel. Es wurde sogar über einen möglichen Rücktritt Fischers spekuliert. Doch das mit Spannung erwartete Ereignis erwies sich als belanglos. Fischers Vernehmung förderte nichts Spektakuläres zu Tage. Zu sehen war ein Außenminister, der unterwürfig die sich mit zunehmender Dauer wiederholenden Fragen beantwortete, reumütig seine Fehler eingestand und sich nur ab und zu über die "Skandalisierung der Visapolitik" durch die Oppositionsparteien beschwerte.

Trotz vereinzelter heftiger Wortwechsel war nicht zu übersehen, dass Regierung und Opposition in der Zielsetzung der Visapolitik übereinstimmen. Sie soll möglichst restriktiv sein und nur Leute ins Land lassen, die der Bundesrepublik von ökonomischem oder politischem Nutzen sind. Die Auseinandersetzung im Ausschuss drehte sich nicht um die Zielsetzung der Visapolitik, sondern nur um die Frage, ob dem Auswärtigen Amt bei ihrer Verwirklichung Versäumnisse unterlaufen seien und ob Fischer sein Ministerium ausreichend im Griff habe.

Als ehemaliger katholischer Messdiener in der Beichte erprobt, gestand Fischer zerknirscht einige Fehler: Es sei sein "Versäumnis, dass ich da nicht früher informiert war und früher reagiert habe". Er gestand ein, dass durch zwei Erlasse - nicht jedoch den Fischer-Volmer-Erlass - die Visavergabe "missbrauchsanfällig" geworden sei, und gab damit ein Stück weit den Vorwürfen der Opposition Recht. Gleichzeitig bestritt er aber, dass diese Fehler einen Rücktritt rechtfertigten.

Der Visa-Ausschuss war auf Betreiben der Opposition eingerichtet worden, um zu klären, ob die Visapolitik des Außenministeriums die massenhafte Schleusung von Migranten nach Deutschland und Europa, die Zwangsprostitution von Frauen aus Osteuropa und die illegale Schwarzarbeit von Ausländern begünstigt habe. Mit entsprechenden, inhaltlich haltlosen Vorwürfen, die auch in den Medien ein breites Echo fanden, hatten Union und FDP versucht, die angeschlagene rot-grüne Bundesregierung weiter zu schwächen und - im Falle eines Rücktritts Fischers - einen vorzeitigen Regierungswechsel herbeizuführen.

Gleichzeitig hatte ihre Kampagne gegen die Visapolitik einen eindeutig ausländerfeindlichen Unterton. Durch die maßlose Übertreibung der Kriminalität und illegalen Immigration aus der Ukraine sollen die Sorgen über die Auswirkungen der Billiglohnkonkurrenz aus dem Osten, die nach der Osterweiterung der Europäischen Unon erheblich zugenommen hat, in chauvinistische Kanäle gelenkt werden.

Bezeichnenderweise richtet sich einer der Hauptvorwürfe der Union gegen die Formulierung "in dubio pro libertate" - im Zweifel für die (Reise)-Freiheit -, die sich in einem Erlass des Auswärtigen Amts findet. Ein Rechtsgrundsatz, den man eigentlich für selbstverständlich halten sollte. War nicht die Unterdrückung der Reisefreiheit ein zentraler Vorwurf, der seit dem Mauerbau gegen das DDR-Regime erhoben worden war? Doch seit die Grenzen von der anderen Seite abgeschottet werden, gilt dies offenbar nicht mehr.

Weder Fischer noch die Grünen als Partei traten der Union entgegen, indem sie die Reisefreiheit als demokratisches Recht verteidigten. Vor dem Ausschuss verwahrte sich Fischer sogar ausdrücklich gegen den Vorwurf, die unter seiner Verantwortung eingeführten Erleichterungen seien ideologisch begründet. Es habe sich vielmehr um eine pragmatische Reaktion auf die Probleme der Botschaften bei der Visavergabe gehandelt, die durch aufwändige Verfahren überlastet waren, sagte er.

Es habe ohnehin nur minimale Erleichterungen gegeben, betonte er weiter. Mit dem Satz "in dubio pro libertate" seien nicht die Grenzen für jeden geöffnet worden. Die Erlasse seines Ministeriums hätten vielmehr den "minimalen Spielraum", den das deutsche Ausländerrecht hergibt, ein wenig ausgelotet. Rotgrün habe "keine neue Realität geschaffen".

Soweit Fischer überhaupt ein gewisses Maß an Reisefreiheit befürwortete, begründete er dies - ganz Staatsmann - mit dem außenpolitischen und wirtschaftlichen Interesse Deutschlands. Man könne die wirtschaftlichen und politischen Probleme in den osteuropäischen Staaten nur lösen, wenn "die Menschen, nicht nur die Eliten", die Möglichkeit zu reisen hätten, sagte er. Deutschland könne es sich nicht leisten, dass sich Russland und die Ukraine "in schwarze Löcher verwandeln, in Zonen des Stillstands und der Arbeitslosigkeit". Die orange Revolution, so Fischer, "wäre ohne eine Öffnung der Ukraine nicht möglich gewesen".

Er wies auch auf die wirtschaftliche Bedeutung der Gelder hin, die Migranten in ihre Herkunftsländer überweisen. In Kiew gebe es ganze Siedlungen, die durch derartige Gelder aufgebaut worden seien. Diese Gelder sind in der Tat ein eminent wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Rücküberweisungen von Migranten übersteigen die Entwicklungshilfe um ein Vielfaches. In einigen Ländern machen sie einen zweistelligen Prozentsatz des BIP aus.

Fischer legte auch großes Gewicht auf die Kontinuität seiner Visapolitik zur Politik seiner Vorgänger in der Kohl-Regierung. Schon unter den Außenministern Genscher und Kinkel habe die Visapolitik seit Beginn der 1990er Jahre im Spannungsfeld von Reisefreiheit und Zuwanderungsbegrenzung gestanden. Genscher habe dennoch die zeitweilige Visafreiheit für Polen durchgesetzt. Fischer wörtlich: "Ich finde die ganze Zuwanderungspolitik, Kohl, Genscher, Kinkel richtig... Es war richtig die Grenzen aufzumachen, das Dümmste, was wir machen können, wäre, uns abzuschotten. Ich habe Kohl und Kinkel nichts vorzuwerfen."

Fischer hat seine Haut erst einmal gerettet, indem er vor der Union zu Kreuze kroch und ihr versicherte, er betreibe eine Außenpolitik in ihrem Sinne. Doch das dürfte ihren Appetit eher noch steigern. Während SPD und Grüne nach Fischers Auftritt ein baldiges Ende der Visa-Affäre sahen, ist die Sache für Union und FDP noch lange nicht zu Ende. Sie setzen ihre Hoffnungen auf die Vernehmung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) am 8. Juli, von dem sie erhoffen, dass er nicht mit Kritik an Fischer zurückhalten wird.

Auch für Spiegel Online ist die Affäre noch nicht ausgestanden. Das Magazin weist darauf hin, dass die Union noch viele weitere Vorwürfe gegen Fischer bereit hält: "Justizbehinderung, Zeugenbeeinflussung, möglicherweise fahrlässige Regierungsabsprachen, chaotische Amtsführung - eine ganze Reihe von Vorwürfen sind noch nicht aufgeklärt, geschweige denn ausgestanden." Die Aussage von SPD-Obmann Olaf Scholz, der Skandal sei vorbei, bezeichnet der Spiegel als "reines Wunschdenken".

Siehe auch:
Visa-Affäre: Kampagne und Realität
(12. März 2005)
Konflikte um braune Vergangenheit im Auswärtigen Amt
( 16. April 2005)
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