50.000 Kosovaren droht die Abschiebung

UN-Interimsverwaltung schließt Abkommen mit der Bundesregierung

Am 19. Mai haben die deutschen Ausländerbehörden wieder damit begonnen, Flüchtlinge massenhaft in den Kosovo abzuschieben. Insgesamt sind rund 50.000 Kosovaren unmittelbar von der Deportation bedroht, darunter etwa 38.000 Angehörige der ethnischen Minderheiten der Roma, Ashkali, Ägypter und Serben. Die Bundesregierung setzt damit die zwangsweise Rückführung von Flüchtlingen aus dem Kosovo fort, die infolge der blutigen ethnischen Unruhen in der südserbischen Provinz im März vergangenen Jahres ausgesetzt worden waren. Bedenken von Menschenrechtsorganisationen angesichts der desolaten sozialen und wirtschaftlichen Lage im Kosovo sowie der anhaltenden Verfolgung ethnischer Minderheiten werden dabei einfach vom Tisch gewischt.

Vereinbart wurde, dass von den 10.000 Ashkali und Ägyptern, die in Deutschland Schutz gesucht hatten, im Mai und Juni 2005 jeweils 300 deportiert werden und dass diese Zahl sich ab Juli 2005 auf monatlich 500 Flüchtlinge erhöhen soll. Von 2006 an soll dann gar keine zahlenmäßige Beschränkung mehr bestehen. Ab Juli 2005 soll auch mit der sukzessiven Abschiebung der 24.000 in Deutschland lebenden Roma begonnen werden, obwohl diese Bevölkerungsgruppe besonders stark Verfolgungen und Diskriminierungen im Kosovo ausgesetzt ist.

Die Abschiebung der Flüchtlinge wird durch ein Abkommen zwischen der Bundesregierung und der Interimsverwaltung der Vereinten Nationen (Unmik) ermöglicht, das nach Informationen der Frankfurter Rundschau am 26. April geschlossen worden ist. Seit März letzten Jahres hatte die Unmik sich offiziell strikt gegen die Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo ausgesprochen.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte die UN-Interimsverwaltung jedoch permanent unter Druck gesetzt, der Abschiebung der Flüchtlinge aus dem Kosovo zuzustimmen. Im November vergangenen Jahres hatte die Innenministerkonferenz der deutschen Bundesländer unter Teilnahme Schilys beschlossen, "wegen der Weiterentwicklung des Rückführungsprozesses für die Minderheiten aus dem Kosovo weiterhin mit den hierfür zuständigen Stellen im Kosovo (...) zügig zu verhandeln". In offener Verachtung für die Sicherheit der Flüchtlinge wurde diese Deportationspolitik damit begründet, dass nur mit der baldigen Rückkehr der Angehörigen von ethnischen Minderheiten den Auswirkungen des Bürgerkriegs und der ethnischen Vertreibungen entgegenzuwirken sei.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl bezeichnet die Wiederaufnahme der Abschiebungen hingegen als einen "humanitären Dammbruch" und erklärt dazu, "angesichts der fragilen Sicherheitslage im Kosovo sind die nun drohenden Abschiebungen von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo nichts anderes als die Fortsetzung einer zynischen Versuchsreihe".

Selbst Vertreter der Berliner Regierungskoalition zeigten sich überrascht. Christoph Strässer (SPD), der im Herbst 2004 die Lage im Kosovo für die Flüchtlinge erkundet hatte, erklärte gegenüber der Frankfurter Rundschau, "es ist völlig ausgeschlossen, Menschen dorthin abzuschieben. Ich habe dort Lager gesehen, da würden sie keinen Hund unterbringen." Ähnliche Kommentare waren auch von Claudia Roth von den Grünen zu vernehmen, aber das kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die rot-grüne Koalition Schilys Kurs der bedingungslosen Abschiebung mitträgt.

Als unerwartet wurde vor allem die Zustimmung der UN-Interimsverwaltung im Kosovo gewertet, da das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) noch im März dieses Jahres die Lage im Kosovo als weiterhin "zerbrechlich und unberechenbar" eingeschätzt hat. Weiter heißt es im Positionspapier des UNHCR, "Angehörige von Minderheitengemeinschaften sind nach wie vor der Gefahr ethnisch motivierter Zwischenfälle ausgesetzt, bei denen Transporte mit Steinen beworfen, einzelne Personen tätlich angegriffen, belästigt oder eingeschüchtert werden. (...) Ein erneutes Umkippen der fragilen Sicherheitslage und der Ausbruch neuerlicher Gewalttätigkeiten kann für das Jahr 2005 nicht ausgeschlossen werden. Interethnische Ausschreitungen in nur einer Gemeinschaft könnten dabei zu einem Domino-Effekt führen und sich binnen kurzer Zeit auf das gesamte Gebiet des Kosovo ausweiten. Sollte es hierzu kommen, so sind erneut zielgerichtete Übergriffe auf ethnische Minderheiten zu befürchten."

Im offenen Widerspruch zu dieser Einschätzung steht dann aber die Bewertung des UNHCR, dass es keine "generellen Sicherheitsbedenken" für die von Abschiebung bedrohten Ashkali und Ägypter gibt. Mit dieser Schlussfolgerung ist die jetzt beginnende Deportation der Kosovo-Flüchtlinge aus Deutschland ermöglicht worden.

Hinter den Abschiebungen stehen jedoch vor allem handfeste wirtschaftliche Interessen, die sich mit der Ausbeutung der Kupfer- und Zinkminen von Trepca im Norden der Provinz sowie weiteren umfangreichen Rohstoffvorkommen verbinden. Die Minen von Trepca, in denen bis in die 1990er Jahre bis zu 20.000 Arbeiter beschäftigt waren, wurden von den Besatzungstruppen der K-For geschlossen - offiziell wegen der Umweltbelastungen, der tatsächliche Grund dürfte aber in den ungeklärten Eigentumsverhältnissen zu finden sein. Rechtlich betrachtet sind die Minen noch im Besitz des Staates Serbien und Montenegro, faktisch übt aber die Unmik die Kontrolle aus.

Für die endgültige Klärung der Eigentumsfrage der Minen ist jedoch die Klärung der offenen Statusfrage des Kosovo zwingend notwendig. Während formal der Kosovo noch Teil von Serbien-Montenegro ist, wird die tatsächliche Verwaltung und Kontrolle der Provinz von der Unmik und den 20.000 Soldaten der internationalen K-For-Truppen ausgeübt. Die Institutionen der kosovarischen Selbstverwaltung unter Präsident Rugowa besitzen hingegen nur sehr eingeschränkte Machtbefugnisse.

Voraussetzung für die Klärung des zukünftigen Status der Provinz, die für Ende 2005 angepeilt ist, ist jedoch eine positive Bewertung der Menschenrechtssituation im Kosovo. Dadurch, dass das UNHCR, die Unmik und die Bundesregierung den Kosovo für Minderheiten als sicher einstufen, werden unter der Hand diese Bedingungen erfüllt.

Mit dem Abkommen zwischen der Bundesregierung und der Unmik im Rücken wird der UN-Gouverneur des Kosovo, der Däne Sören Jesse-Petersen, am 27. Mai im UN-Sicherheitsrat einen Bericht vorlegen, der der Nachrichtenagentur Reuters vorab vorlag. Jessen-Petersen behauptet darin, dass die wichtigsten menschenrechtlichen Standards bereits erreicht worden sind und damit die Voraussetzungen für den Aufbau eigenständiger Institutionen vorliegen.

Die Unmik hat es auch eilig, da Jessen-Petersen bereits im Januar Schürfrechte für die Ausbeutung weiterer Bodenschätze für internationale Investoren ausgeschrieben hat - unter anderem die größten Braunkohlevorkommen Europas und umfangreiche Kupfer-, Chrom und Goldvorkommen.

Tatsächlich wurde in den fünf Jahren der Besatzung durch die westlichen Mächte seit dem Krieg der NATO gegen Jugoslawien jedoch die politische und soziale Krise im Kosovo in keiner Weise gelöst. Die Lage hat sich vielmehr zu einer humanitären Katastrophe entwickelt, wobei die Politik der Besatzungsmächte die ethnischen Konflikte zwischen den nach Autonomie strebenden albanischen Nationalisten und der serbischen Minderheit immer noch weiter angeheizt hat.

Während die Unmik offiziell noch von der Schaffung eines "multiethnischen Kosovo", ausgestattet mit einer substantiellen Souveränität, spricht, verfolgt sie faktisch eine Politik der Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Seit dem Rückzug der serbischen Truppen im Jahr 1999 sind 200.000 Serben aus der Provinz geflohen. Die verblieben knapp 100.000 Serben leben ebenso wie die Roma, Ashkali und Ägypter zum größten Teil in abgeriegelten Ghettos.

Die Unruhen im März vergangenen Jahres waren die bittere Konsequenz dieser Entwicklung. Bei den blutigen Zusammenstößen gerieten auch die Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter ins Visier der albanischen Seperatisten. Die Folge waren mindestens 19 Tote, über 4.000 Menschen flohen aus dem Kosovo, fast 1.000 Häuser wurden abgefackelt, die zum größten Teil von Minderheitenangehörigen bewohnt wurden, während die Unmik und K-For sich völlig unfähig und unwillig zeigten, die Bevölkerung vor den Übergriffen zu schützen.

Das soziale Ausmaß des Desasters legt eine Studie des in Pristina beheimateten Wirtschaftsinstitut Riinvest offen. Bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 2,5 Millionen in der Provinz Kosovo sind offiziell 57 Prozent der Menschen arbeitslos, die tatsächliche Arbeitslosenrate dürfte aber bei rund 80 Prozent liegen. Bei Lebenshaltungskosten, die sich seit 2000 verdoppelt haben und annähernd mit westeuropäischen Standards zu vergleichen sind, beträgt das monatliche Durchschnittseinkommen eines Arbeiters rund 200 Euro. Die Pensionen für Rentner liegen bei 40 Euro. Jeder Dritte Bewohner lebt von weniger als 1 Euro am Tag. Rund 70 Prozent des Einkommens wird über Spenden und durch Rücküberweisungen von Flüchtlingen bestritten. Die infolge der NATO-Bombardierungen weitgehend zerstörte Infrastruktur ist zu großen Teilen noch nicht wieder aufgebaut.

Die jetzt vor der Abschiebung stehenden Flüchtlinge in Deutschland stehen bei einer Rückkehr in den Kosovo wirtschaftlich vor dem Nichts und sind der ständigen Gefahr ethnischer Übergriffe ausgesetzt. Weder von den Vereinten Nationen noch von Deutschland sollen sie im Kosovo weitere Hilfen erhalten.

Dieses menschenverachtende Vorgehen der Bundesregierung zur Wahrung eigener wirtschaftlicher Interessen weckt dabei nicht nur bei den betroffenen Roma Erinnerungen an den Völkermord während der Nazi-Diktatur, als 500.000 Sinti und Roma in ganz Europa von der SS und der Wehrmacht ermordet wurden. Schon damals wurden Zehntausende als "Zigeuner" diffamierte Sinti und Roma aus Deutschland und den besetzten Gebieten Westeuropas und des Balkans in Ghettos und später dann nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager deportiert.

In den Jahren nach der Machtergreifung 1933 kamen die Sinti und Roma schnell in das Visier polizeistaatlicher Maßnahmen. Als Menschen "artfremden Blutes", die aus der "arischen Volksgemeinschaft" auszusondern seien, wurden sie mit den Rassegesetzen von 1935 praktisch aller Rechte enthoben. Sie wurden in vielen Städten und Gemeinden ghettoisiert und durften ihre Aufenthaltsorte nicht mehr verlassen. Sie wurden aus der Arbeitslosen- und Wohlfahrtsunterstützung ausgeschlossen und Opfer willkürlicher Verhaftungen. Im Sommer 1938 begannen die Deportationen der rund 20.000 im damaligen Deutschen Reich lebenden Sinti und Roma, die zunächst in das KZ Buchenwald gebracht wurden.

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde die Verfolgung dann weiter verschärft. Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamtes, ordnete 1939 die Deportation aller sich im Reich aufhaltenden Sinti und Roma in das besetzte Polen an und mit Heinrich Himmlers "Erlaß zur Bekämpfung der Zigeunerplage" vom 16. Dezember 1942 begann die Vernichtung der Sinti und Roma in Auschwitz im dort extra eingerichteten "Zigeunerlager", in dem zwischen Januar 1943 und August 1944 über 21.000 Sinti und Roma ermordet wurden. Als die Rote Armee im Januar 1945 Auschwitz befreite, zählte sie nur vier Überlebende dieses berüchtigten Teillagers.

Auch in anderen Konzentrationslagern wurden Tausende Sinti und Roma Opfer der Nazi-Schergen, Hunderttausende starben zudem durch das barbarische Vorgehen der mobilen Tötungseinheiten des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei sowie der deutschen Wehrmacht in den besetzten Gebieten der Sowjetunion und auf dem Balkan.

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurde von der Geheimen Feldpolizei angeordnet, "Zigeuner unbarmherzig auszurotten", die Zahl der Opfer dieser Erschießungskommandos geht in die Zehntausende.

Ebenfalls im Jahre 1941 wurde Jugoslawien besetzt und zerschlagen. In Kroatien wurde ein Vasallenstaat unter der Führung des Ustascha-Führers Ante Pavelic eingerichtet, der Konzentrationslager für Sinti und Roma einrichten ließ und in Zagreb Massenerschießungen durchführte. Alleine in Kroatien sollen bis zu 90.000 Sinti und Roma ums Leben gekommen sein. Ähnliches gilt für die Satrapenstaaten Ungarn und Rumänien.

In Serbien wurden die Sinti und Roma zusammen mit Juden von der deutschen Wehrmacht als Geiseln im Partisanenkrieg benutzt. Für jeden getöteten deutschen Soldaten wurden jeweils 100 dieser Geiseln erschossen. In den Konzentrationslagern in Nis, bei Sabec und bei Belgrad wurden weitere Zehntausende Sinti und Roma ermordet, darunter auch viele aus dem Kosovo.

Die Minen von Trepca, die heute wieder Begehrlichkeiten bei der deutschen Bourgeoisie auslösen, wurden bereits damals unter direkte Kontrolle der deutschen Wehrmacht gestellt, obwohl der Kosovo der Mussolini-Diktatur in Italien als Beuteanteil zugeschustert wurde.

Es ist bezeichnend, dass 60 Jahre nach Kriegsende und keine sechs Jahre, nachdem der deutsche Außenminister Josef Fischer den ersten Kriegseinsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg mit den Worten "Nie wieder Auschwitz!" begründet hat, erneut deutsche Behörden die Roma mit Deportationen bedrohen, um damit letztendlich nur die eigenen imperialistischen Gelüste zu befriedigen.

Schon in der Nazi-Diktatur wurden die Roma als arbeitsscheu und kriminell stigmatisiert und ihrer Rechte beraubt, die Ghettoisierung, Deportation und Vernichtung wurde sogar als "kriminalpräventiver Akt" angesehen. Jetzt haben sich Otto Schily und die Innenminister der Bundesländer mit der Unmik darauf geeinigt, dass zunächst diejenigen Kosovo-Flüchtlinge abgeschoben werden sollen, die von staatlichen Leistungen - im Schnitt magere 600 Euro im Monat - leben. Die ersten Abschiebungen bei den Roma sollen Flüchtlinge treffen, die in Deutschland straffällig geworden sind - mit den gleichen Vorurteilen wie bei den Nazis soll diese rassistische und menschenverachtende Politik bei der Bevölkerung durchgesetzt werden.

Ebenso sind aber Flüchtlinge für die Abschiebungen vorgesehen, die seit Jahren in Deutschland leben und als vollständig integriert gelten - die einen festen Arbeitsplatz haben, praktisch akzentfrei Deutsch sprechen und deren Kinder hier aufgewachsen oder gar geboren sind.

Siehe auch:
International Commission calls for Kosovo independence
(24. Mai 2005)
Kosovo protectorate "on point of near collapse" after March riots
( 15. September 2004)
Innenminister drängen auf rasche Rückkehr von Flüchtlingen aus dem Irak, Afghanistan und Kosovo
( 21. Mai 2003)
Innenministerkonferenz beschließt verstärkte Ausweisungen und Abschiebungen von Roma und anderen Minderheiten nach Kosovo
( 13. Juni 2002)
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