Die Karriere der Angela Merkel

DDR - Jugend und Einstieg in die Politik

Die eben gekürte Kanzlerkandidatin der CDU wird gerne als Phänomen im deutschen politischen Betrieb beschrieben. Dies gründet sich zum einen auf Merkmale ihrer Person (geschiedene und in zweiter Ehe wieder verheiratete, kinderlose Frau, Protestantin, Ostdeutsche), die generell als untypisch und Karrierehemmnis in der konservativen Partei angesehen werden. Zum anderen herrscht ein öffentliches Bild von ihr, zu dem sie selbst aber auch ihre Förderer kräftig beigetragen haben, dass sie nach der Wende als Nobody oder völlig unbeschriebenes Blatt in die Politik gekommen sei und ohne Seilschaften und Beziehungen ihren sensationellen Aufstieg in die erste Liga der deutschen Politik vollzogen habe.

Fraglos hat Merkel eine beispiellose Karriere hingelegt, seit sie vor 15 Jahren Mitglied der CDU wurde, was ihr nicht zuletzt auch zahlreiche Feinde in den eigenen Reihen geschaffen hat: Anders als praktisch sämtliche anderen Vertreter der Parteispitze ist Merkel nicht durch jahre- und jahrzehntelange Arbeit in Jugend-, Orts- und Kreisverband der westdeutschen Union gegangen, um sich langsam Beziehungen aufzubauen, auf sich aufmerksam zu machen und sich für einen Listenplatz, ein Mandat und höhere Position zu empfehlen. Merkel ist stattdessen auf der Überholspur an ihren altgedienten westdeutschen Parteikollegen vorbei an die Parteispitze und auf den Posten der Kanzlerkandidatin gerast.

Die Physikerin Merkel hatte sich nach dem Mauerfall 1989 erstmals einer politischen Partei, dem Demokratischer Aufbruch (DA), angeschlossen, wurde jedoch bereits vier Monate später Sprecherin der ostdeutschen CDU-Regierung unter Lothar de Maizière. Nach der Wiedervereinigung 1990 holte Kanzler Helmut Kohl die damals 36-Jährige, die zu diesem Zeitpunkt erst seit einem halben Jahr CDU-Mitglied war, als Ministerin ins Kabinett. Mit der herben Wahlniederlage der Konservativen bei der Bundestagswahl 1998 verlor Merkel ihr Ministeramt, wurde aber noch im selben Jahr zur Generalsekretärin der CDU gewählt.

Ein gutes Jahr später betrieb sie anlässlich der CDU-Spendenaffäre aktiv die Absetzung des Ehrenvorsitzenden der Union, ihres einstigen Förderers Kohl, um im April 2000 selbst den Parteivorsitz zu übernehmen. Auch wenn sie bei der Bundestagswahl 2002 in der Frage der Kanzlerkandidatur noch gegen Edmund Stoiber zurückstecken muss, hat sie seitdem durch Personalentscheidungen und die Übernahme des Fraktionsvorsitzes im Bundestag ihre Machtposition innerhalb der Union weiter ausgebaut und die parteiinterne Konkurrenz in Schach gehalten, so dass ihre diesjährige Kanzlerkandidatur zumindest nach außen unangefochten blieb.

Wie ist dieser rasante politische Werdegang Merkels zu erklären? Was brachte Merkel mit, dass sie nach einem halben Jahr CDU-Mitgliedschaft bereits ein Ministeramt besetzte? Versuche von Biografen und Feuilletonisten, ihre Karriere auf Zufall, Glück oder Charaktereigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und Machtinstinkt zurückzuführen, bleiben hohl, weil sie die politischen und sozialen Interessen und Rahmenbedingungen ignorieren, unter denen ihr Aufstieg stattfand.

Merkel ist unmittelbar nach der Wende in der DDR keineswegs als unbeschriebenes Blatt ohne Beziehungen in die Politik gegangen. Durch ihren Vater verfügte sie über Zugang zu einflussreichen Kirchenkreisen, die enge Verbindungen zu den Spitzen der DDR-Regierung unterhielten und seit den fünfziger Jahren dazu beitrugen, politische Opposition gegen das stalinistische Regime unter Kontrolle zu halten. Während der Wende spielten diese Kirchenkreise eine zentrale Rolle dabei, die Protestwelle in Ostdeutschland in Bahnen zu lenken, die schließlich zur Restauration des Kapitalismus und zum Anschluss an die Bundesrepublik führten.

Herkunft aus DDR-Kirchenkreisen

Geboren in Hamburg als Angela Dorothea Kasner wuchs Merkel im brandenburgischen Templin als Pfarrerstochter auf. Ihr Vater Horst Kasner war nach seinem Theologiestudium im Westen 1954 nach Ostdeutschland zurückgekehrt und leitete dort den "Waldhof", ein Fortbildungszentrum der evangelischen Kirche für Pfarrer und Prediger mit angegliedertem Pflegeheim. Ein geeigneter Ort, um in DDR-Kirchenkreisen Bekanntschaften zu schließen. Auf dem Waldhof lernte unter anderem Rainer Eppelmann, der spätere Gründer der Partei Demokratischer Aufbruch, in der nach der Wende Merkels politische Karriere beginnen sollte.

Merkels Vater zählte zu den Kirchenvertretern, die unter dem Schlagwort "Kirche im Sozialismus" einen Kurs vertraten, der Loyalität zu Regime und Kirche miteinander verband. In den frühen 1950-er Jahren hatte die SED einen "Kampf" gegen den Einfluss der Kirchen geführt, ab 1953 - unter dem unmittelbaren Eindruck des Arbeiteraufstands gegen den stalinistischen Staat - schlug die Ulbricht-Regierung allerdings einen vermittelnden Weg ein, mit dem versucht wurde, die kirchlichen Institutionen zur Herrschaftsstabilisierung einzusetzen und in das Staatssystem zu integrieren. Insbesondere die evangelische Kirche näherte sich dem Regime bald über den "Weißenseer Arbeitskreis" an, in dem auch Horst Kasner mitwirkte. Ab 1971 definierte sie sich schließlich offiziell als "Kirche im Sozialismus" und erhielt dadurch einen öffentlichen Einfluss, der für den gesamten Ostblock beispiellos war.

Mit zunehmender Annäherung zwischen Staat und Kirche und der wachsenden ökonomischen und innenpolitischen Krise der DDR übernahm die Kirche neben der Stabilisierung im Innern auch diskret diplomatische Funktionen im deutsch-deutschen Verhältnis. Über sie liefen seit den frühen 1960-er Jahren der Häftlingsaustausch und wesentliche Teile des finanziellen Transfers - höchst bedeutende politische Ost-Westkontakte, die sicherlich später den DDR-Kirchenkreise den Weg in die gesamtdeutsche Politik erleichterten

Für Verhandlungen, Absprachen und das Austarieren von Konflikten zwischen Kirche und Staat innerhalb der DDR unterhielten beide Seiten Vertreter - eine herausragende Rolle spielten hier der hochrangige evangelische Kirchenfunktionär Manfred Stolpe, einer der politischen Vordenker der "Kirche im Sozialismus", und der Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi, Vater des PDS-Politiker Gregor Gysi. In Gysis Amtszeit konsolidierte sich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche wesentlich und der Kirche wurden zahlreiche Privilegien zugestanden (u.a. kirchliche Sendungen in den Medien, Finanzzuweisungen, Kirchenbauprogramme).

Eine weitere wichtige Mittlerinstanz fiel auch den Rechtsanwälten zu, die christliche Gruppen gegenüber dem Staat vertraten, gleichzeitig aber auch nicht selten Zuträger des Ministeriums für Staatssicherheit waren. Auch hier bekannte Namen: Lothar de Maizière und Wolfgang Schnur waren nicht nur aktive Christen und Stasi-Informanten, sondern später auch Merkels politische Förderer der ersten Stunde.

Aufgewachsen in solchen Kreisen, verfügte Angela Kasner schon früh über Beziehungen, die sie zu ihrem Vorteil einsetzen konnte. So berichtet Wolfgang Stock in seiner autorisierten Merkel-Biografie, dass die Schulklasse der damaligen Abiturientin ihren unbeliebten Lehrer ärgern wollte, indem sie keinen Beitrag zum obligatorischen Kulturprogramm der Schule vorbereitete und schließlich eine improvisierte Vorstellung gab. Die Schüler sollten bestraft werden, doch eine Intervention der Kasners gab dem ganzen eine Wendung: "Eine Petition wird verfasst, die Angela persönlich zu Manfred Stolpe, dem obersten Kirchenjuristen der DDR, nach Berlin ins Stefanusstift bringt. [...] Dank der Kirchenschiene greift ‚Berlin’ ein: Angelas Klassenlehrer wird gemaßregelt, [...] die Schüler bekommen ‚nur’ einen Verweis beim ‚Fahnenappell’."

Nach dem Abitur studierte Angela Kasner Physik, heiratete und wurde an der Berliner Akademie der Wissenschaften aufgenommen, wo sie 1986 promovierte. In ihrer Studienzeit war sie Sekretärin für Agitation und Propaganda der regimetreuen Jugendorganisation FDJ, ein Amt, das sie inzwischen gern als "Kulturbeauftragte" bezeichnet. Ein Stasi-Spitzel am Institut, der vorrangig den Dissidentensohn Ulrich Havemann beobachten sollte, gab auch über seine Bürokollegin Merkel Auskunft. Von einem inneren Widerstand gegen die SED-Herrschaft, den Merkel in ihren autorisierten Biografien und Interviews zu ihrer Geschichte herauszustellen versucht, kann nach der Stasi-Quelle keine Rede sein. So recherchierte die Zeitschrift Stern in den Archiven: "IM Bachmann berichtet nichts politisch Brisantes, im Gegenteil, ein ums andere Mal hebt er Angelas ‚positive politische Grundeinstellung’ hervor. Ansonsten berichtet er vor allem Privates, Persönliches. Aus ihrem kleinen, sicheren Leben eben."

Die wachsende Protest- und Widerstandsbewegung in der DDR des Jahres 1989 interessierte Merkel zunächst offenbar nicht. "Ach, mal gucken, was draus wird", soll sie einem Institutskollegen geantwortet haben, der nicht verstehen konnte, dass jemand in diesen Tagen nicht auf die Straße oder zu politischen Versammlungen ging. Erst als die Mauer geöffnet und der Machtverlust der SED unübersehbar geworden war, begann sie sich politisch neu zu orientieren und begab sich auf die Suche nach einer Partei.

Die evangelische Kirche und ihre Vertreter hatten angesichts des Massenprotestes gegen das Regime eine Schlüsselrolle gespielt, einen offenen Aufstand zu verhindern und die Opposition zu kanalisieren, um eine geordnete Umwandlung der unhaltbar gewordenen politischen Ordnung herbeizuführen. Die so genannten Runden Tische unter kirchlicher Moderation wurden eingerichtet, um den Systemwechsel zu ermöglichen, ohne dass die Arbeiterklasse direkt mit den stalinistischen Schergen abrechnete und sich eigene, unabhängige Vertretungen aufbaute. Die Kirchen riefen zur prinzipiellen Gewaltlosigkeit auf und sorgten sich vor allem um die Wahrung des sozialen Friedens.

Damit leisteten sie nicht nur der SED im Rahmen der altbewährten Kooperationsgemeinschaft Kirche-Staat einen letzten Dienst, sondern handelten auch im Interesse der westdeutschen Bourgeoisie und ihrer politischen Parteien, die wiederum ihre guten Kontakte zu ostdeutschen Kirchenvertretern nutzten, um das Schicksal der DDR schnell und zu Gunsten des westdeutschen Kapitalismus zu entscheiden. Bei allen sonstigen Differenzen zwischen dem politischen Führungspersonal in Ost- und Westdeutschland gab es hier eine grundlegende Gemeinsamkeit, die beide auch mit der Kirche teilten: Eine tiefe Abneigung gegenüber selbstständigen Regungen in der Bevölkerung, die sich aus der Angst vor einer für sie unkontrollierbaren revolutionären Entwicklung in der Arbeiterklasse speiste.

Auch die 1989 neu entstandenen Parteien in der DDR waren größtenteils von Kirchenvertretern oder kirchennahen Persönlichkeiten gegründet worden, ebenso kamen bei der personellen Erneuerung der ehemaligen Staatsparteien zahlreiche Personen mit Kirchenverbindungen an die Spitze.

Der Beginn einer politischen Karriere

Angela Merkel schloss sich im Dezember 1989 dem Demokratischen Aufbruch (DA) an, der von den Pastoren Rainer Eppelmann und Friedrich Schorlemmer sowie dem Vertrauensanwalt der evangelischen Kirche in der DDR Wolfgang Schnur gegründet worden war. Bereits zwei Monate später avancierte sie zur Pressesprecherin des DA, der für die schnelle Einführung des Kapitalismus in Ostdeutschland eintrat und sich politisch an der westdeutschen CDU orientierte.

Bei den ostdeutschen Parlamentswahlen im Frühjahr 1990 trat der DA gemeinsam mit der Ost-CDU in dem von Helmut Kohl initiierten Parteienbündnis "Allianz für Deutschland" an und erfüllte dort im Wesentlichen die Funktion, der Ost-CDU - die wegen ihrer Geschichte als ehemalige Blockpartei und damit Stütze des stalinistischen Regime weitgehend diskreditiert schien - den Anstrich eines Neuanfangs und Bruchs mit alten Traditionen zu verleihen.

Der DA erhielt - nicht zuletzt weil sein Spitzenkandidat Schnur kurz vor der Wahl als langjähriger Stasi-Spitzel enttarnt wurde - lediglich 0,9 Prozent der Stimmen, doch die Ost-CDU, ihr Bündnispartner, wurde wider eigene Erwartungen stärkste Partei. Deren Spitzenmann Lothar de Maizière wurde damit Ministerpräsident der letzten DDR-Regierung, die ihre wichtigste Aufgabe in der Auflösung des Staates und dem Anschluss an die Bundesrepublik sah. Lothar de Maizière war langjähriges Mitglied der Ost-CDU, aber erst kurz vor der Wahl an die Parteispitze getreten. In der letzten SED-Regierung unter Hans Modrow hatte der Jurist das Amt des Ministers für Kirchenfragen inne, gleichzeitig verfügte er über hervorragende Kontakte zur politischen Elite Westdeutschlands: Sein Onkel Ulrich de Maizière hatte nach dem Zweiten Weltkrieg in maßgeblicher Position die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik organisiert und u.a. das Amt des Generalinspekteurs der Bundeswehr bekleidet.

So war es wohl mehr als ein glücklicher Zufall, dass Merkel am Tag der Volkskammerwahl die Wahlparty des DA schnell verließ, um sich auf der Feier der CDU an Thomas de Maizière, Cousin von Lothar und Sohn von Ulrich, mit der Bitte um Postenvergabe in der neuen Regierung zu wenden. "Sie können glücklich sein, dass Sie so feine Kerle wie uns vom ‚Demokratischen Aufbruch’ in der ‚Allianz für Deutschland’ dabeihaben. Ich hoffe doch, dass das bei der Regierungsbildung anständig berücksichtigt wird", hat sie nach eigenem Bekunden dem Vertreter der in Ost und West einflussreichen Familie gesagt, der später selbst CDU-Landesminister in Sachsen werden sollte. Lothar de Maizière, der auch mit Merkels Vater bekannt war, griff Merkels Wunsch nach einem hohen Amt auf und machte sie zu seiner Regierungssprecherin.

Der DA löste sich im August 1990 in die Ost-CDU auf, die sich wiederum anlässlich der Wiedervereinigung im Oktober desselben Jahres in die West-CDU auflöste. Merkels Job war gemeinsam mit der DDR verschwunden, doch die wenigen Monate hatten gereicht, um ihre Kontakte auszubauen und zu festigen. Zum engsten Kreis um Lothar de Maizière gehörte sie gemeinsam mit Günther Krause, der als Parlamentarischer Staatsekretär die Währungs- und Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik aushandelte. Empfehlungen von Krause und de Maizière brachten ihr eine Einladung zu Kohl ins Bonner Kanzleramt. Krause verschaffte ihr als CDU-Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern einen Wahlkreis bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Dezember 1990.

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