Starke Spannungen beherrschen G8-Gipfel

Der britische Premierminister Tony Blair nutzte seine Funktion als Gastgeber des aktuellen G8-Gipfels der großen Industrienationen in Schottland, um das öffentliche Ansehen seiner Regierung aufzupolieren und die Aufmerksamkeit auf seine Vorschläge eines Schuldenerlasses für Afrika und verdoppelte finanzielle Hilfeleistungen zu lenken. Unterstützt wurde er dabei von mehreren Demonstrationen und Rockkonzerten, die unter dem Motto "Live-8 - Make Poverty History" [Lasst die Armut Geschichte werden] den öffentlichen Blick auf das Elend der Armen zu richten versuchten.

Je näher die Zeit für Entscheidungen heranrückt, desto stärker entlarvt sich dieser Anspruch als leere Rhetorik, und desto weniger ist es möglich, den Anschein einer ehrlichen Sorge um Afrika oder um die Umwelt aufrechtzuerhalten.

Hinsichtlich einer Erleichterung der Schuldenlast Afrikas ist der G8-Gipfel kaum darauf ausgerichtet, viel zu erreichen, und noch weniger, was das zweite angebliche Hauptthema der Diskussion betrifft, den Klimawandel.

Stattdessen werden ein paar armselige Schuldenreduzierungen und einige noch kümmerlichere Hilfsverpflichtungen - die alle bisher nur auf dem Papier stehen - aufgebauscht, als wären es weltverändernde Taten. Außerdem hat sich gezeigt, dass das Gerede von der Handelsliberalisierung eine Einbahnstraße ist: die Westmächte fordern von Afrika, seine Märkte für die großen Konzerne zu öffnen, während die Vereinigten Staaten, Europa und Japan ihre eigenen Märkte für Agrarprodukte durch Zölle und Subventionen abschirmen.

Ganz ähnlich sieht es mit der Diskussion über die drohende Erderwärmung aus: Sie hat bisher nur zu einem Resolutionsentwurf geführt, der das Thema derart verwässert, damit es der Bush-Regierung genehm ist. Zum Beispiel wird darin die Weigerung Washingtons schamhaft verschwiegen, der Kyoto-Vereinbarung über die Begrenzung des CO2-Ausstoßes beizutreten.

Der Focus auf Afrika dient zum großen Teil der Vernebelung und soll die Aufmerksamkeit von den wirklich drückenden Sorgen der G8 ablenken, die bis zum Hals in der Krise stecken.

Die G8-Nationen - die Vereinigten Staaten, Japan, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien und Russland - sind stärker gespalten als je zuvor. Die Wunden, die der Irakkrieg in die diplomatischen Beziehungen geschlagen hat, sind nicht verheilt. Der zunehmend unilaterale Kurs, den Washington sowohl an der militärischen als auch der ökonomischen Front einschlägt, und die wachsenden Schwierigkeiten der globalen Wirtschaft haben die Spannungen zwischen allen imperialistischen Mächten verschärft. Dies könnte dazu führen, dass sich der Gipfel im luxuriösen Gleneagles-Hotel nahe Edinburgh, unabhängig von dem Anschein in der Öffentlichkeit, innerlich als noch zerstrittener und gespaltener als alle seine Vorgänger erweisen wird und kein gemeinsames inhaltliches Abkommen zustande bringt.

Ursprünglich waren diese alljährlichen Gipfeltreffen die Antwort auf den Zusammenbruch der Dollar-Gold-Konvertibilität und festen Wechselkurse von 1971 und auf die darauf folgende Ölkrise und globale Wirtschaftsrezession Anfang der siebziger Jahre. Unter Führung der Vereinigten Staaten traten die G-6 (denen sich später Kanada und Russland hinzugesellten) erstmals im Jahr 1975 zusammen und arbeiteten eine gemeinsame Position zu weltwirtschaftlichen Problemen aus.

Eine solche Koordination ist heute nicht mehr möglich. Das Ende des Nachkriegsbooms in Verbindung mit dem Kollaps der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges hat die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen des relativen Gleichgewichts untergraben, das damals für die Beziehungen zwischen den USA und ihren europäischen und asiatischen imperialistischen Partnern charakteristisch war und beinahe die ganze zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts andauerte.

Noch nie seit der Gründung der Atlantischen Allianz in den vierziger Jahren haben sich die Beziehungen zwischen den USA und ihren nominellen Verbündeten in Deutschland und Frankreich als so gespannt und verbittert erwiesen wie heute. Die unilaterale und militaristische Politik Washingtons ist der destabilisierendste Faktor des globalen Zeitgeschehens.

Die Vereinigten Staaten verfolgen ganz offen eine Strategie der Weltherrschaft und haben sich von der Unterstützung der europäischen Integration abgewandt - der allgemeinen Linie, der alle Nachkriegsregierungen Amerikas, Demokraten wie Republikaner, gefolgt waren. Heute schürt die Politik der Bush-Regierung Spaltungen innerhalb Europas und richtet sich damit ausdrücklich gegen Frankreich und Deutschland.

Diese Wende in der amerikanischen Politik, die unter aktiver Beteiligung Englands erfolgte, hat die Europäische Union in eine beispiellose Krise gestürzt. Kurz vor dem G8-Gipfel dieser Woche haben die Referenden in Frankreich und Holland der EU-Verfassung entscheidende Niederlagen zugefügt, und danach scheiterten auch noch die Gespräche über den EU-Haushalt, wodurch die Existenz der EU und sogar die gemeinsame europäische Währung, der Euro, in Frage gestellt wurden.

Nach wie vor toben im Irak und in Afghanistan Kriege unter Führung der USA, ohne dass ein Ende abzusehen wäre. Und schon bereitet Washington neue Provokationen gegen weitere mögliche Ziele militärischer Aktionen vor, so gegen den Iran, Nord-Korea und Syrien.

Die Weltwirtschaft ist von finanzieller Instabilität und wachsenden Anzeichen einer Stagnation gezeichnet. Diese Probleme werden von steigenden Ölpreisen begleitet.

Unmittelbar am Vorabend des G8-Gipfels warnte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) vor einem "wachsenden äußeren und inneren Ungleichgewicht" in der Weltwirtschaft - wobei sie sich auf die globale Verschuldung und Konflikte über Handels- und Zinspolitik bezog.

Sie warnte, das Anwachsen des US-Zahlungsbilanzdefizits stelle ein "ernstes Langzeitproblem" dar, und könnte "schließlich zu einer unkontrollierten Dollarabwertung führen, begleitet vom Chaos auf anderen Finanzmärkten und schließlich einer Rezession und dem erneuten Auftauchen protektionistischen Drucks."

Während Europas Volkswirtschaften am Rande einer Rezession stehen, sind die Verhandlungen über den Welthandel, die seit Dezember 2001 geführt werden, praktisch auf Eis gelegt, weil die großen Mächte sich weigern, Subventionen und andere protektionistische Maßnahmen abzubauen. Diese sollen nun auf einem Treffen in Hong Kong im Dezember 2005 erneut auf den Prüfstand gestellt werden.

Keine dieser drängenden Fragen steht im Mittelpunkt der offiziellen Tagesordnung des G8-Gipfels, obwohl die Staatenführer immerhin zugestimmt haben, das Ansteigen des Ölpreises zu diskutieren. Der Kommuniqué-Entwurf erwähnt die Ölpreise nicht ausdrücklich, aber an einem Treffen in London haben die G8-Finanzminister im vergangenen Monat gewarnt: "Anhaltend hohe Energiepreise geben Anlass zu ernster Sorge, weil sie das globale Wirtschaftswachstum behindern."

Eine weitere Streitfrage ist die Forderung an China, den Yuan neu zu bewerten, der, wie Washington behauptet, angeblich künstlich niedrig gehalten wird. Die USA drängen sehr darauf, dies in Gleneagles zu diskutieren, und Bush bestand darauf: "Wir werden über unsere Volkswirtschaften sprechen. Dabei gibt es immer eine nette Diskussion über Währungen, was zum Beispiel ein interessanter Teil des Dialogs ist."

Kanzler Gerhard Schröder fordert außerdem die globale Regulierung der Hedge-Fonds - hoch-spekulativer Investitionsinstrumente, die in den USA keiner Kontrolle unterliegen, aber gleichzeitig, wie Deutschland argumentiert, die Stabilität einiger deutscher Konzerne bedrohen.

Was das Thema von Afrikas Schulden angeht, beschwerte sich Steve Tibbett von Action Aid: "Es ist schockierend, dass die Regierung Millionen armer Menschen benutzt, um einen PR-Coup zu landen. Schaut hinter die Rhetorik, und die Realität bleibt weit hinter dem Anspruch zurück.... Bis jetzt hat Großbritannien hauptsächlich heiße Luft produziert."

John Hilary von War on Want sagte: "Der armselige Deal am grünen Tisch von Gleneagles ist eine Beleidigung für die armen Völker der ganzen Welt." Die Hilfsorganisation erklärte, eigentlich wären 125 Mrd. Dollar - und nicht 25 Mrd. Dollar - an zusätzlicher Hilfe nötig, um die Entwicklungsziele zu erreichen. Die G8 jedoch würden sich höchstens verpflichten, den Schuldendienst zu reduzieren, aber die Schulden selbst nicht erlassen.

Der Vertrag, der im letzten Monat abgeschlossen wurde, bietet Erleichterungen nur für die Schulden, die gegenüber der Weltbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bestehen. Es geht um etwa zwei Milliarden Dollar jährlich, betrifft jedoch nur an die 18 ärmsten Länder, die insgesamt Schulden von etwa vierzig Mrd. Dollar haben und sich strikt an die Forderung halten, in ihrem Land "freie Marktwirtschaft" zu praktizieren, was auf lange Sicht Armut und Verschuldung nur verschlimmert.

Im Umfeld des G8-Gipfels hat die Diskussion immer wieder deutlich gemacht, welche Differenzen und Konflikte unter den Großmächten bestehen. Blairs Hoffnungen, als Gegenleistung für Englands Teilnahme am Irakkrieg Bush dafür gewinnen zu können, seine Vorschläge zu Afrika und der globalen Erwärmung zu unterstützen, zerplatzten noch ehe der Gipfel begann. Bush erklärte dem Fernsehsender ITV: "Wenn ich zur G8 gehe, dann nicht, um ihn [Tony Blair] gut oder schlecht zu machen, sondern ich gehe zur G8 mit einer Tagesordnung, die meiner Meinung nach für unser Land am besten ist.... Ich sehe unsere Beziehungen wirklich nicht als ein Quid pro Quo. Tony Blair hat Entscheidungen getroffen, was seiner Meinung nach das Beste ist, um den Frieden zu erhalten und den Krieg gegen Terror zu gewinnen, so wie ich das auch gemacht habe."

Die amerikanischen Afrika-Initiativen fordern eine größere Rolle für den privaten Sektor, besonders bei Pharmazeutika, und haben vor allem bei Nahrungsmitteln viele Hilfsgelder an den Kauf von US-Produkten gebunden, was einer weiteren Form von Subventionierung der US-Agrarwirtschaft gleichkommt. Diese Bedingungen sind in einem solchen Maß restriktiv, dass bisher von vier Milliarden Dollar Verpflichtungen (die sich angeblich auf acht Milliarden Dollar verdoppeln sollen) nur 400.000 Dollar die afrikanische Subsahara tatsächlich erreicht haben. Nur vier Länder konnten sich dafür qualifizieren.

Als man Bush dazu drängte, US-Märkte für Afrika zu öffnen, erwiderte er, er würde US-Agrarsubventionen nur aufgeben, wenn die Europäische Union bereit sei, ihre Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) aufzugeben. Dies ist nicht nur zynisch, sondern soll gleichzeitig der Forderung nach einer GAP-Reform, die Blair gegen seine französischen und deutschen Rivalen erhoben hat, den Rücken stärken.

Akute Spannungen bestehen aber auch unter den europäischen Staaten, nachdem der Ratifizierungsprozess der EU-Verfassung gescheitert ist und auch kein EU-Haushalt verabschiedet werden konnte. Präsident Jacques Chirac zeigte sich offen feindlich gegen Blair, den er beschuldigt, durch seine Forderung, den französischen Bauern die Agrarsubventionen zu streichen, die Haushaltsdiskussion sabotiert zu haben. Wenige Tage vor dem Gipfel in Gleneagles traf sich Chirac mit Schröder und dem russischen Regierungschef Wladimir Putin. Vor laufender Kamera sagte er über die Briten: "Man kann niemandem trauen, der so schlecht kocht wie sie", und er fügte hinzu, das einzige was die Briten zur europäischen Agrarwirtschaft beigetragen hätten, sei der Rinderwahn.

Deutsche Politiker haben ihrerseits Blair beschuldigt, den Gipfel zu benutzen, um sein innenpolitisches Image aufzubessern. Schröder weigert sich, Berlins Hilfsbudget für Afrika von jährlich 1,8 Mrd. Euro auf 2,4 Mrd. Euro aufzustocken, und Italien und Kanada haben ebenfalls ablehnend auf die Forderungen reagiert, die Blair ihnen abverlangte.

Ein weiteres Anzeichen für Konflikte hinter den Kulissen sind die Äußerungen der britischen Regierung, die Erarbeitung eines Zeitplans für das Auslaufenlassen von Agrarexportsubventionen sei gescheitert, weil immer entweder die Franzosen oder die Amerikaner dagegen waren.

Bush wiederum erklärte dem Sender ITV zum Thema Erderwärmung, er werde alles ablehnen, was dem UN-Kyoto-Protokoll von 1997 ähnlich sehe und was nicht von den USA ratifiziert sei. Das Kyoto-Protokoll hatte damals feste Verpflichtungen über eine Reduzierung der Kohlenstoffemissionen beinhaltet. Bush sagte: "Wenn es wie Kyoto aussieht, dann ist die Antwort Nein.... Der Kyoto-Vertrag hätte unsere Wirtschaft zerstört, wenn ich offen sein kann."

Er fügte hinzu, dass die G8-Führer "über die Kyoto-Debatte hinaus" gehen und neue Technologien als Mittel zur Reduzierung der Emissionen in Erwägung ziehen sollten.

Dabei zielen die aktuellen G8-Vorschläge zum Klimawandel im Kern schon darauf ab, die USA ins Boot zu holen. So fordern sie Entwicklungshilfe für Länder wie Indien und China, die damit in saubere Energie investieren könnten. Die Forderung nach sauberer Energie geht stark in die Richtung, eine Hinwendung zur Nuklearenergie anstelle fossiler Brennstoffe mit all den damit verbundenen Gefahren zu forcieren.

Die Regierungen sämtlicher in Schottland versammelter Regierungschefs sind krisengeschüttelt und bei ihrer Bevölkerung unbeliebt. So ist Präsident Bush mit wachsender innenpolitischer Opposition gegen die Irak-Besetzung konfrontiert. Seine Regierung hat es geschafft, eine in der Geschichte einmalige, weltweite Feindschaft gegen Amerika zu schüren. Blair hat sich im Mai nur mit Mühe an der Macht halten können, als er das historisch niedrigste Wahlergebnis erzielte. Frankreichs Präsident Jacques Chirac musste erleben, wie seine gesamte Regierungsstrategie durch das "Nein"-Votum beim Referendum über die EU-Verfassung rundheraus abgelehnt wurde. Und in Deutschland sah sich Schröder gezwungen, die Parlamentswahlen vorzuziehen, weil er eine ganze Reihe von Niederlagen bei Landes- und Kommunalwahlen hatte einstecken müssen.

Was für ein Hass gegen diese Politiker schwelt, und wie sehr sie von den Sorgen und Nöten der Weltbevölkerung isoliert sind, kann man schon daran erkennen, dass der Gipfel einmal mehr einem waffenstarrenden Lager gleicht, bei dem sämtliche Zufahrtsstraßen zum Konferenzzentrum Gleneagles abgeschnitten und durch einen dreifachen Polizeikordon von Checkpoints gesichert sind.

Siehe auch:
Blair droht dem Europaparlament: "Wandelt euch oder sterbt"
(25. Juni 2005)
Streit um Haushalt spaltet die Europäische Union
( 21. Juni 2005)
Die zunehmende Bedeutungslosigkeit des G8-Gipfels
( 23. Juni 2004)
Der G8-Gipfel und die Kluft zwischen Realität und Rhetorik
( 6. Juni 2003)
G8-Gipfel lehnt Hilfe für Afrika ab
( 6. Juli 2002)
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