Die iranischen Präsidentschaftswahlen sind ein Vorbote sozialer und politischer Erschütterungen

Die Präsidentschaftswahlen im Iran haben eine tief verwurzelte Abneigung der Bevölkerung gegen die wirtschaftliche, politische und religiöse Elite des Landes deutlich gemacht - eine Abneigung, die der Arbeitslosigkeit, der wachsenden sozialen Ungleichheit entspringt und in Opposition zum enormen politischen und gesellschaftlichen Einfluss der Mullahs steht. Die Wahl hat auch gezeigt, dass in der herrschende Klasse des Iran erbitterte Kämpfe über die Wirtschaftspolitik, die Beziehungen des Landes zu den Vereinigten Staaten, die Verteilung der politischen Macht und die Herrschaftsmethoden geführt werden.

Zur Verwunderung der westlichen Presse und eines Großteils des iranischen Establishments war der Teheraner Bürgermeister Mahmud Ahmadinedschad am 24. Juni als Sieger aus den Präsidentschaftswahlen hervorgegangen.

Ahmadinedschad, der vor seiner Teilnahme am Präsidentschaftswahlkampf außerhalb Teherans kaum bekannt war, schlug den als Top-Favoriten gehandelten ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani aus dem Rennen. Er gewann die Wahl, indem er sich als Tribun der Armen und Besitzlosen darstellte und die Besetzung des Irak ebenso verurteilte wie Washingtons Versuche, den Iran zur Aufgabe seines Nuklearprogramms zu zwingen.

Ahmadinedschad kleidete sich einfach, spielte auf seine niedere Herkunft an - er ist der Sohn eines Schmieds - und bezeichnete sich selbst als "Straßenkehrer und einfachen Diener", der unermüdlich dafür kämpfe, das Los seines Volkes zu bessern und die Korruption zu beenden. Mehrfach versprach er, der "Ölmafia" die "Hände abzuschlagen".

Auch wenn Ahmadinedschad nicht aussprach, wer diese "Mafia" sei, wurde dieser Ausspruch so verstanden, wie er verstanden werden sollte - als Anspielung auf diejenigen, die sich den Löwenanteil des Reichtums angeeignet haben, der dem Iran durch die steigende Ölpreise zugekommen ist, d. h. die wirtschaftliche und politische Elite des Landes.

Als Beleg für seine Bereitschaft, für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen und es mit der iranischen Elite aufzunehmen, verwies Ahmadinedschad auf die Maßnahmen, die er als Teheraner Bürgermeister getroffen hatte, um die Folgen der Massenarbeitslosigkeit und der steigenden Preise abzufedern. Hierzu zählte die Durchsetzung eines neuen Steuergesetzes, das die Reichen stärker belastet, womit billiger Wohnraum und eine verbesserte Infrastruktur in den Elendvierteln von Teheran finanziert werden konnten.

Ahmadinedschads Pose als Außenseiter und Freund der Arbeiter und Unterdrückten ist reine Demagogie. Als ehemaliger Offizier der iranischen Revolutionsgarde und Lehrer der basij - der Miliz, die im Iran den extrem islamistischen Verhaltens- und Moralkodex durchsetzt - ist Ahmadinedschad ein glühender Anhänger und Unterstützer des bürgerlich-nationalistischen Regimes unter klerikaler Führung. Dieses war an die Macht gekommen, nachdem das blutige Regime des Schahs, der mit amerikanischer Unterstützung die Arbeiterklasse und die Linke brutal unterdrückt hatte, durch eine Revolution sein Ende gefunden hatte.

Ahmadinedschad war für den Posten des Teheraner Bürgermeisters angeblich von niemand Geringerem als dem höchsten politischen Führer des Landes Ayatollah Ali Chamenei ausgewählt worden. Seine Bemühungen um das Präsidentschaftsamt genossen die Unterstützung von einem Großteil des klerikalen Establishments und insbesondere des Flügels, der sich gegen jede Änderung an der Staatsordnung stellt, die Chameneis Vorgänger Ayatollah Chomeini nach der Revolution im Jahre 1979 entworfen hatte. Dieses System verleiht den Mullahs eine privilegierte Rolle im Staate und einen großen Anteil an der politischen Macht.

Ahmadinedschad hat Berichten zufolge die Rückendeckung des Wächterrats oder zumindest die Unterstützung eines Großteils seiner zwölf Mitglieder. Dem Rat obliegt die Auswahl der Kandidaten für politische Ämter auf Grundlage der Frage, ob sie wahre Muslime sind. (Er verweigerte mehr als Tausend Iranern das Recht, sich als Kandidat zur Wahl zu stellen.) Der Rat verfügt auch über die Macht, jedes Gesetzesvorhaben, das das iranische Parlament passiert hat, zu stoppen, indem es als unvereinbar mit den Lehren des Islams erklärt wird.

In Einklang mit seiner Rolle als basij -Lehrer hat Ahmadinedschad seine Macht als Teheraner Bürgermeister genutzt, um gesellschaftliche und kulturelle Freiheiten einzuschränken. Doch während seines Präsidentschaftswahlkampfes versuchte er Ängste zu beschwichtigen, dass er eine strikte Einhaltung des islamischen Verhaltenkodexes durchsetzen würde, indem er sich selbst als Gemäßigten bezeichnete und betonte, "das wahre Problem des Landes ist Arbeit und Wohnen".

Rafsandschani und "freie marktwirtschaftliche" Reformen

Mit Rafsandschani hatte Ahmadinedschad den perfekten Gegenspieler für eine populistische Kampagne, um die Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufgrund von wachsender Armut und sozialer Ungleichheit auszunutzen und in seine Bahnen zu lenken.

Rafsandschani war von 1989 bis 1997 iranischer Präsident und ist wohl der bekannteste Vertreter des postrevolutionären klerikal-politischen Establishments des Landes. Es heißt über ihn wie über andere prominente Mullahs, dass er persönlich ein großes Vermögen angehäuft hat und an Ölfirmen, Luftfahrtsgesellschaften, Automobilfirmen, Banken und der Pistazienproduktion beteiligt ist.

Ein Großteil der iranischen Wirtschaftselite unterstützte Rafsandschanis Versuch, ein weiteres Mal ins Präsidentenamt einzuziehen, und erwartete dabei eine Fortsetzung der "freien marktwirtschaftlichen" Reformen, die er während seiner achtjährigen Amtszeit durchgesetzt hatte. Hierzu zählten die Privatisierung zahlreicher Firmen, die nach der Revolution 1979 verstaatlicht worden waren, und deutliche Einschnitte bei den Staatsausgaben.

Die Wirtschaft erwartete von Rafsandschani insbesondere, dass er die Arbeitnehmerrechte drastisch einschränken würde, die noch aus der Revolutionszeit stammen und lange Kündigungsfristen, hohe Abfindungen und regelmäßige Lohnerhöhungen vorsehen. Ebenso verlangt die Wirtschaftselite nach einem Abbau von staatlichen Subventionen für Benzin, Strom, Wasser und Grundnahrungsmittel, was eine drastische Preissteigerung zur Folge hätte.

Ein weiterer Grund, warum die einflussreichsten Teile der iranischen Wirtschaft lieber Rafsandschani als Ahmadinedschad im Präsidentenamt gesehen hätten, ist darin zu finden, dass Ersterer für eine Annäherung an die Vereinigten Staaten eintritt. Von einer solchen Annäherung versprechen sich die iranischen Kapitalisten erhöhte Profite durch amerikanische Investitionen und den Zugang zu US-Märkten. Sie kalkulieren auch, dass Washington ein Verbündeter sein kann, um die Privatisierung von iranischen Unternehmen durchzusetzen, die bislang noch von Staat und Klerus kontrolliert werden.

Rafsandschani reagierte auf seine Niederlage, indem er sich als Opfer einer konzertierten Kampagne darstellte, in der sein Name beschmutzt und die Menschen durch die Mobilisierung der basij gezwungen worden seien, für seinen Gegner zu stimmen. "Alle Mittel des Regimes kamen in organisierter und illegaler Weise zum Einsatz, um in die Wahl einzugreifen", erklärte er.

Der ehemalige Präsident fügte hinzu, dass er das Ergebnis nicht anfechten werde, weil er kein Vertrauen zum Wächterrat habe. "Ich habe nicht vor, bei Juristen einer Beschwerde einzureichen, die bewiesen haben, dass sie nichts tun können oder wollen. Ich überlasse dies Gott."

Rafsandschanis Kommentare erinnern an diejenigen, die nach dem ersten Wahlgang von dem führenden Kandidaten der "Reformer" zu hören waren, der politischen Gruppierung rund um den scheidenden Präsidenten Mohammed Chatami.

Doch weder die Niederlage Rafsandschanis, der nach offiziellen Angaben 10 Millionen Stimmen und damit 7 Millionen Stimmen weniger als Ahmadinedschad erhielt, noch das Ausscheiden der Reformer kann einfach oder auch nur hauptsächlich durch antidemokratische Machenschaften ihrer Gegner im klerikal-politischen Establishment erklärt werden.

Selbst die westliche Presse musste zugeben, dass Ahmadinedschad den Zorn in der Bevölkerung über Arbeitslosigkeit, Inflation und Wohnraummangel ansprach und daher in der Lage war, in Südteheran, anderen Zentren der Arbeiterklasse sowie unter der verarmten Landbevölkerung einen erheblichen Stimmanteil zu gewinnen.

Als ehemaliger Präsident, als Ayatollah, als wohlhabender und mit guten Beziehungen ausgestatteter Geschäftsmann und als Kandidat, der den Großteil der Wirtschaftelite hinter sich hatte, war Rafsandschani keineswegs so machtlos, wie er sich nun darstellt.

Was die Fraktion betrifft, die von den Medien als "Reformer" bezeichnet wird, so verlor sie nicht nur ihre Unterstützung in der Arbeiterklasse, sondern ebenso sehr, und wenn nicht noch stärker, in den Mittelschichten. Dies ist vor allem auf ihr Verhalten während der achtjährigen Präsidentschaft von Chatami zurückzuführen.

Auch wenn sie die konservativen Mullahs kritisierten und ihnen gelegentlich eine Niederlage zufügten, fürchten die Reformer jeden wirklichen Kampf der Bevölkerung weitaus mehr als die Durchsetzung der antidemokratischen politischen Ordnung. Daher suchten sie immer wieder Kompromisse und machten einen Rückzug vor den religiösen Hardlinern, wenn Letztere Oppositionelle einsperrten und liberale Zeitungen verboten.

Dass die Reformer selbst ein Teil der iranischen Elite sind, zeigte sich darüber hinaus an ihrer Sozial- und Wirtschaftspolitik. "Reform" bedeutet in diesem Zusammenhang Privatisierungen und andere marktwirtschaftliche Politik, die das Elend der iranischen Arbeiterklasse und Bauernschaft nur verschärft und die soziale Ungleichheit vergrößert.

Nachdem der wichtigste Reform-Kandidat Mustafa Moin beim ersten Wahlgang nur auf den fünften Platz gekommen war, unterstützte das Reformlager nachfolgend Rafsandschani, den es zuvor noch als Repräsentanten des klerikal-politischen Establishments verspottet hatte.

Soziale Polarisierung und politische Krise

Rafsandschani und die Reformer wurden von der Wählerschaft verschmäht, weil sie von der Bevölkerung am direktesten mit der wachsenden sozialen Polarisierung im Iran in Verbindung gebracht werden. Während eine schmale Elite im Luxus schwelgt - die Öl-Einnahmen des Landes haben sich seit 1999 verdreifacht - ist die große Mehrheit der Bevölkerung mit zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit, einer Inflation von beinahe 20 Prozent und einem chronischen Arbeitsplatzmangel konfrontiert.

Offiziell wird die Arbeitslosigkeit mit 16 Prozent angegeben, aber nach den Aussagen vieler Beobachter liegt sie wohl eher bei 30 bis 35 Prozent. 42 Prozent der unter 25-Jährigen sind ohne Arbeit. Nach inoffiziellen Schätzungen leben 40 Prozent der Iraner unter der Armutsgrenze.

Ahmadinedschad führt zwar große Worte im Mund, er werde das Versprechen von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit wiederbeleben, das in den Jahren 1978/79 Millionen gegen den Schah mobilisiert hatte. Doch dies kann nicht die Tatsache verschleiern, dass er über kein Programm verfügt, um die enorm ungleiche Verteilung von Reichtum und Einkommen im Iran in Frage zu stellen, und dass er als Standartenträger der islamistischen Rechten der jetzige Führer eben jener Kräfte ist, die nach der Revolution am heftigsten alle unabhängigen und sozialistischen Arbeiterorganisationen bekämpften und unterdrückten.

Nach Berichten der Nachrichtenagentur Associated Press hat der neu gewählte Ahmadinedschad bereits damit begonnen, seine Reden mit Begriffen wie "Privatisierung" und "Investitionen" zu schmücken, um das Vertrauen der Wirtschaft zu gewinnen.

Ayatollah Chamenei hat gleichzeitig Rafsandschani aufgefordert, weiterhin eine aktive Rolle im politischen Leben des Landes zu spielen. "Ich danke aufrichtig allen Kandidaten", sagte Chamenei, "insbesondere Haschemi Rafsandschani, der eine Quelle der Revolution und eine prominente Figur ist, und ich hoffe, dass mein teurer Bruder immer in wichtigen Bereichen präsent sein mag."

Hinter Chameneis Aufforderung steht die Angst, dass die Konflikte innerhalb der iranischen Elite diese selbst enorm schwächen könnten, besonders angesichts einer Massenunzufriedenheit von unten und eines verstärkten Drucks von Seiten der Vereinigten Staaten.

Doch die Konflikte in der herrschenden Elite des Irans haben tiefe Wurzeln und können nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Der Iran benötigt dringend einen Zugang zu modernen Technologien. Die kapitalistischen Kräfte sind allerdings entschlossen, größere Zugeständnisse zu machen - darunter eine Senkung der Zölle und der Abbau eines Großteils des nicht-privaten Sektors (vom Klerus und Staat kontrollierter) Betriebe -, um im Gegenzug vom Technologietransfer zu profitieren. Solche Veränderungen würden viele iranische Firmen in ihrer Existenz bedrohen sowie den Reichtum und die politische Macht der Mullahs gefährden.

Im Laufe des Vierteljahrhunderts seit der Revolution hat der Iran enge ökonomische Beziehungen zu Europa, Japan und Russland geknüpft. Ahmadinedschad, der vermutlich Chameneis Beispiel folgt, stellt sich auf den Standpunkt, dass der Iran angesichts dieser Beziehungen und der enger werdenden Verbindungen zu China und Indien - die beide nur allzu bereit sind, die iranischen Öl- und Erdgasvorräte auszubeuten - es nicht nötig hat, sich den Vereinigten Staaten anzunähern.

Rafsandschani und andere wichtige Vertreter der iranischen Elite argumentieren, dass man zumindest herausfinden sollte, ob eine gütliche Einigung mit den Vereinigten Staaten möglich ist. Für eine Annäherung an die USA spricht ihrer Ansicht nach nicht nur der potenzielle wirtschaftliche Nutzen, sondern auch die Gefahr, die erwächst, wenn Washington den Konfrontationskurs beibehält, weiter den Regimewechsel fordert und mit Militäraktionen droht.

Darüber hinaus herrschen gespaltene Ansichten über die Rolle der Mullahs im gesellschaftlich-politischen Leben des Landes. In den vergangenen 25 Jahren haben die Mullahs, die traditionell in enger Abstimmung mit den Basar-Händlern agieren, ihre politische Macht genutzt, um ihren Reichtum zu mehren, ihr Netzwerk von Bildungseinrichtungen und sozialen Diensten zu vergrößern und wichtige Wirtschaftsbereiche unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies hat nicht nur ihre politische Macht gesteigert, sondern sie auch zu einer starken Wirtschaftsmacht werden lassen.

Einige, selbst Teile des Klerus, treten dafür ein, dass das klerikal-politische Establishment seine rigide Kontrolle über Moral, Kultur und die Verbreitung von Ideen und Informationen lockert, und erhoffen sich davon eine größere Akzeptanz des Regimes in der Bevölkerung. Andere argumentieren, dass jede bedeutende Reform die Erwartungen der Bevölkerung wachsen lasse und schnell der Kontrolle seiner Urheber entschlüpfen könne. Diese Gefahr scheint ihnen insbesondere deshalb hoch, da ein Großteil der Bevölkerung unter der klerikalen Herrschaft ächzt und das wirtschaftliche und soziale Ungleichgewicht heute mindestens ebenso groß ist wie im Jahre 1979, als es die Revolution angetrieben hatte.

Die Präsidentschaftswahlen sind ein Vorbote großer gesellschaftlicher und politischer Kämpfe. Nicht der geringste unter den zahlreichen Faktoren, die im Iran eine neue Periode des Aufstands herbeiführen werden, ist das räuberische Interesse Washingtons und der Wall Street an dem Land und seinen Schätzen. Die Bush-Regierung verlor keine Zeit, das Ergebnis der iranischen Präsidentschaftswahl zu verurteilen. "Nichts, was wir gesehen haben", sagte die Sprecherin des Außenministeriums Joanne Moore, "widerlegt unsere Ansicht, dass der Iran nicht Schritt hält mit dem Rest der Region und den Freiheitsströmungen, die im Irak, in Afghanistan und im Libanon so deutlich sichtbar sind."

Es wird der iranischen Elite ebenso wie den einfachen Iranern kaum entgangen sein, dass zwei der drei Länder auf Moores Liste gegenwärtig von den Vereinigten Staaten besetzt sind.

Eine amerikanische Invasion im Iran wäre ein sogar noch rücksichtsloseres und weltweit destabilisierender wirkendes Abenteuer als die Eroberung des Iraks. Trotzdem ist es ein offenes Geheimnis, dass viele in der Bush-Regierung und ihrer Umgebung die Wahl von Ahmadinedschad begrüßen. Sie glauben, dass ihnen dies bessere Voraussetzungen verschafft, das Regime in Teheran zu dämonisieren und internationale Unterstützung für eine amerikanische Aktion zu erhalten, um den Iran für die Beibehaltung seines Nuklearprogramms zu bestrafen.

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