Vorgezogene Parlamentswahlen in Japan

Nach Rückschlag der Privatisierungspläne für die Japanische Post ruft Koizumi Neuwahlen aus

Der japanische Premierminister Junichiro Koizumi löste am Montag, den 8. August, das Unterhaus des japanischen Parlaments auf und rief Neuwahlen für den 11. September aus. Die Entscheidung war Koizumis Reaktion auf die Ablehnung der Gesetze seiner Regierung zur Privatisierung der Japanischen Post durch das Oberhaus des Parlaments.

Das Gesetzespaket hat zu einer Spaltung innerhalb der regierenden Liberal Demokratischen Partei (LDP) geführt. Es wurde mit den Stimmen von 22 LDP-Abgeordneten zu Fall gebracht, die mit der Opposition gegen das Gesetz stimmten. Letzten Monat stimmten 37 LDP-Abgeordnete im Unterhaus gegen das Gesetz.

Koizumis Reaktion hat Kritik ausgelöst. Ein Kommentar in der konservativen Yomiuri Shimbun fragte direkt, ob er mit der Ausrufung von Neuwahlen für das Unterhaus "den anerkannten Weg einer verfassungsmäßigen Regierung verletzt" habe, da er die Neuwahlen mit einer Abstimmungsniederlage im Oberhaus begründet hatte.

Der Generalsekretär der wichtigsten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei Japans (DPJ), Tatsuo Kawabata, äußerte Bedenken wegen Koizumis autokratischer Vorgehensweise. Er sagte auf einer Pressekonferenz: "Es ist äußerst unnormal, denjenigen die die Gesetze machen zu sagen: entweder ihr stimmt für die Gesetze oder das Parlament wird aufgelöst."

Nach den Wahlen vom 11. September wird es keine Veränderungen in der Zusammensetzung des Oberhauses geben, so dass eine erneute Abstimmungsniederlage im Zusammenhang mit den Gesetzen zur Postprivatisierung vorprogrammiert ist.

Koizumi beabsichtigt, die Wahlen vorrangig für eine Säuberung seiner Partei und das Ausschalten internen Gegner zu nutzen. Shizuka Kamei und Mitsuo Horiuchi, zwei mächtige LDP-Abgeordnete, deren Fraktionen beachtliche finanzielle und politische Unterstützung von der Postbürokratie und der Belegschaft der Post, die 400.000 Arbeiter und Angestellte umfasst, erhalten, sind gegen die Postprivatisierung. Sie und ihre Unterstützer im Unterhaus, die gegen die Gesetzgebung stimmten, wurden nicht mehr als LDP-Kandidaten nominiert. Koizumi hat in seiner Funktion als LDP-Präsident vor, Gegenkandidaten gegen sie aufzustellen, die für die Postprivatisierung sind.

Die Säuberung stellt einen weiteren wichtigen Schritt in der Umwandlung der LDP dar, die als Regierungspartei Japan während der längsten Zeit in den vergangenen fünfzig Jahren regierte. Seit Koizumi mit der Unterstützung der mächtigsten Vertreter von Finanz- und Kapitalinteressen des Landes im Jahr 2001Premierminister wurde, hat er daran gearbeitet, die eng geknüpften und nepotistischen Fraktionen der LDP aufzubrechen. Die Parlamentarier und andere an der Gesetzgebung beteiligten Spitzenpolitiker stehen jetzt unter extremen Druck, sich einer Linie zu beugen, die nicht von ihren Fraktionen diktiert wird, sondern von Koizumi und seinem zunehmend präsidialen Führungsstil.

Das erklärte Ziel ist die Veränderung der LDP von einer Partei, die sich auf nationale wirtschaftliche Regulierung stützte, in ein politisches Instrument für die Durchsetzung radikaler freier Marktpolitik und entsprechender Umstrukturierungen. Wie im Fall von Kamei und Horiuchi kommt die interne Opposition von LDP-Fraktionsführern und Gesetzgebern, die ihre politische Unterstützung von fest verwurzelten Interessen erhalten haben, die von starker Protektion und Subventionen abhängig waren.

Die Privatisierung der Japanischen Post wird von den herrschenden Kreisen als entscheidend für diese Restrukturierungs-Agenda angesehen. Gemeinsam mit dem Wiederauftreten Japans als globaler Militärmacht und der Förderung des Japanischen Nationalismus, war dies Koizumis wichtigster politischer Schwerpunkt seit er 2001 Premierminister wurde.

Über Generationen hinweg dienten die Japanische Post und ihre Postsparkasse als die vorrangige Bank für Spareinlagen und als Versicherungsunternehmen für die Lebensversicherung von Millionen von Japanern und dadurch als Mechanismus, diese privaten Ersparnisse dem Staat zur Verfügung zu stellen. Während nur niedrige Zinsen bezahlt werden, sind alle Einlagen voll staatlich abgesichert. Die Japanische Post hat über 24.000 Zweigstellen und reicht in jeden Winkel des Landes.

Gegenwärtig verfügt der Bankbereich der Japanischen Post über Einlagen, die 214 Billionen Yen (1,93 Billionen US-Dollars) übersteigen, das Versicherungsgeschäft hat Einlagen von über 100 Billionen Yen. Dadurch ist sie bei Weitem die größte Finanzinstitution des Landes, mit Einlagen, die größer sind als die der vier größten Banken zusammen genommen.

Der Japanischen Post ist es verboten wie andere Finanzinstitutionen zu investieren. Es ist ihr nur erlaubt Staatsanleihen, die von der Regierung heraus gegeben worden sind, zu kaufen. In der Nachkriegsperiode erleichterte das riesige Reservoir von Postspareinlagen die staatliche Unterstützung von Exportindustrien und Japans Wiederbelebung als führende Wirtschaftsmacht.

In den letzten 15 Jahren, unter den Bedingungen von wirtschaftlicher Stagnation, waren Regierungen jedoch in der Lage, die Postspareinlagen zu nutzen, um enorme Haushaltsdefizite zu finanzieren, die größtenteils für öffentliche Arbeitsprogramme wie Straßen- und Brückenbau genutzt wurden. Japans jährliche Ausgaben für öffentliche Arbeiten umfassen fast fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP) - verglichen mit durchschnittlich drei Prozent in anderen industrialisierten Ländern.

In den Augen von Befürwortern des freien Marktes war die Möglichkeit der Regierung, sich billige Kredite von der Japanischen Post zu beschaffen, ein wesentliches Hindernis für die vollständige Deregulierung der Wirtschaft und eine weitreichende Reduzierung der öffentlichen Ausgaben. Selbst nach den Haushaltskürzungen unter Koizumi, ist das Haushaltsdefizit der Regierung immer noch nahe 4,8 Prozent des BIP. Die Staatsverschuldung ist auf die astronomische Höhe von 700 Billionen Yen (6,3 Billionen US-Dollar) oder 164 Prozent des BIP angestiegen.

Am 10. August sprach ein Kommentar in der Japan Times das wichtigste Ziel der Postprivatisierung offen aus. "Geld, das von den Spar- und Versicherungsabteilungen gehalten wurde, wurde genutzt, um Regierungs-Anleihen heraus zu geben... eine Unterbrechung des Geldflusses wurde als wichtiger Schritt angesehen, um die Neigung der Regierung zu begrenzen, sich auf geliehenes Geld zu verlassen und dem finanziellen Verhalten der Regierung Selbstbeschränkung aufzulegen," betonte der Kommentar.

Nach der Verabschiedung der Privatisierungsgesetzgebung, plant das Kabinett von Koizumi, die Ausgaben für öffentliche Arbeitsprogramme zu streichen und die staatlichen Zuzahlungen zur Renten- und Krankenversicherung. Maßnahmen, die bereits 2004 eingeführt wurden, begannen den Prozess, jeden Einzelnen individuell für einen größeren Anteil an seinem Rentenfonds und den Kosten für medizinische Behandlung verantwortlich zu machen.

Der Plan, der vom Parlament zurück gewiesen wurde, schloss die Aufspaltung der Japanischen Post in vier Unternehmen bis 2007 ein, die von einer teilweise staatlichen Holding kontrolliert werden sollten. Die Postbank und die Versicherungsabteilung würden getrennt vom Postdienst funktionieren, mit dem Ziel sie bis 2017 vollständig zu privatisieren. In diesem Prozess würden Zehntausende von Arbeitsplätzen vernichtet und unprofitable Zweigstellen in abgelegenen Gegenden geschlossen.

Die langfristige Auswirkung dieser Maßnahmen wäre die Umleitung von Milliarden von Dollars von staatlichen Investitionen zum privaten Sektor, da die privatisierten Institutionen nach höher verzinslichen Anlagen Ausschau halten als Regierungsanleihen. Die Veränderungen würden also zwei neue finanzielle Schwergewichte schaffen, die japanischen Einfluss auf den Weltmarkt ausüben würden.

Die Wahlen am 11. September stellen für Koizumi einen riskanten politischen Einsatz dar. Gegen die Privatisierungs- und Haushaltskürzungspläne gibt es breiten Widerstand in der Arbeitklasse, da sie zum Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen führen werden. Mit dem Anwachsen der sozialen Ungleichheit haben die Spannungen bereits erheblich zugenommen. Über ein Drittel der japanischen Bevölkerung bezeichnet sich selbst als "lower class" ("untere Klasse") oder arm. Auch gegen Koizumis Entsendung von japanischen Truppen in den Irak und seine Stärkung des rechten Nationalismus, was zu scharfen Spannungen mit China geführt hat, existiert weit verbreitete Opposition in der Bevölkerung.

Die oppositionelle DPJ hat vor, den Wahlkampf unter dem Slogan "es gibt wichtigere Dinge" zu führen. Die Unterstützung für die DPJ hat bei den letzten Unterhaus- und Oberhaus-Wahlen beträchtlich zugenommen. Dies erhöht die Möglichkeit, dass die LDP das zweite Mal in 50 Jahren die Regierungsmehrheit verliert. Der Präsident der DPJ Katsuya Okada erklärte am Montag: "Dies ist unsere Gelegenheit, die Macht von der LDP zu übernehmen. Dies ist die wichtigste Wahl seit dem Ende des zweiten Weltkriegs."

Das Programm der DPJ unterscheidet sich allerdings kaum von dem der LDP. Es befürwortet genauso scharfe Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben und stimmt mit den Plänen für die Postprivatisierung überein, nur zu einem späteren Zeitpunkt. Der Mangel an politischen Alternativen widerspiegelte sich in den Meinungsumfragen durch Asahi Shimbun in dieser Woche. 29 Prozent der Befragten unterstützten die LDP, nur 15 Prozent die DPJ und 38 Prozent waren unentschieden.

Mächtige finanzielle, Unternehmens- und Medien-Interessen versuchen die große Anzahl der Unentschiedenen hinter die LDP zu bringen. Koizumi wird erneut als mutiger Radikaler dargestellt, der bereit ist, es mit den alten Interessenverbänden aufzunehmen und Veränderungen durchzusetzen, während die Fähigkeit der DPJ eine Regierung zu bilden von den Medien in Frage gestellt wird. Der Nikkei Aktienmarktindex in Tokio kletterte diese Woche auf seinen höchsten Wert in fast zwei Jahren unter der Annahme, dass Koizumi sowohl mit der Säuberung seiner Gegner aus der LDP, als auch einem erneuten Wahlsieg Erfolg haben würde.

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