Große Koalition in Bulgarien

Eine breite Koalition, bestehend aus der Sozialistischen Partei Bulgariens (BSP), der Partei der türkischen Minderheit (DPS) und der Partei des ehemaligen König Simeon II. (NDSW), ist das wenig überraschende Ergebnis der Anstrengungen, nach den Wahlen im Juli eine Regierung in Sofia zu bilden. Neuer Regierungschef ist Sergej Stanischew von der Sozialistischen Partei.

Sieben Wochen lang war der Balkanstaat ohne Regierung, nachdem mehrere Versuche der Sozialistischen Partei, ein Kabinett zu bilden, im Parlament abgelehnt wurden. Erst das dritte Mandat, das Staatspräsident Parwanow zur Regierungsbildung erteilte, führte nach langen und zähen Verhandlungen zum Erfolg.

Die aus der stalinistischen KP hervorgegangene BSP hatte bei der Parlamentswahl im Juni ein Bündnis mit sieben Kleinparteien gebildet und war mit 31 Prozent stärkste Kraft im Parlament geworden. Von Anfang an strebte sie eine Koalition mit der Partei der türkischen Minderheit DPS an, die zur drittstärksten Kraft geworden war, und wollte auch die NDSW in die Regierungsverantwortung einbinden.

Diese Partei des ehemaligen Regierungschefs Simeon Sakskoburggotski, der sich nach wie vor gerne als "Zar Simeon II" titulieren lässt, verlor gegenüber den Wahlen vor vier Jahren mehr als 20 Prozent der Stimmen. Angesichts dieser Stimmenverluste äußerte sich Simeon anfangs zurückhaltend über eine Regierungsbeteiligung. Es dauerte aber nicht lange, dann gab er bekannt, er werde einer von den Sozialisten geführten Regierung nicht beitreten. Nur unter der Bedingung, dass er den Posten des Premierministers behalte, werde er der Bildung einer großen Koalition zustimmen, ließ er mitteilen. Doch die BSP bestand darauf mit Sergej Stanischew ihren eigenen Mann an der Spitze der Regierung zu platzieren.

Auch der darauf folgende Versuch, eine Minderheitsregierung der Sozialisten und der DPS zu bilden, scheiterte. Selbst nach weitgehenden Zugeständnissen an die Parteien der politischen Rechten konnte eine Ablehnung Ende Juli im Parlament nicht verhindert werden.

Daraufhin übergab Staatspräsident Parwanow der zweitstärksten Fraktion, also der NDSW, den Auftrag zur Regierungsbildung. Die NDSW verfügt allerdings gerade mal über 53 der 240 Sitze im Parlament. Aber auch ein Bündnis der konservativen und Rechtsparteien kam nicht zustande. Sowohl die Demokraten für ein starkes Bulgarien (DSB) um den ehemaligen Regierungschef Iwan Kostow, als auch die Bulgarische Volksunion und die Vereinigung der demokratischen Kräfte stehen der NDSW skeptisch gegenüber und sind auch untereinander völlig zerstritten.

Unter massivem Druck kamen Stanischew und Sakskoburggotski dann zu einem Übereinkommen. Ein weiteres Scheitern der Verhandlungen hätte in erneute Parlamentswahlen gemündet, die für beide Parteien vermutlich negativ ausgefallen wären, was eine Regierungsbildung noch schwieriger gemacht hätte. Zudem setzte Brüssel die Parteien in Sofia unter Druck, zu einer Einigung zu gelangen und den EU-Beitritt des Landes im Jahr 2007 nicht zu gefährden.

Im neuen Kabinett stellt die BSP acht, die Zaren-Partei fünf und die DSP drei Minister. Für das Finanzressort wurde darüber hinaus Plamen Orescharski ausgewählt. Der Parteilose ist eine der meist gehassten Figuren des Landes. Als Mitglied der rechten Kostow-Regierung, die Anfang der neunziger Jahre das Land regierte, war er maßgeblich an der Zerschlagung und Privatisierung der bulgarischen Industrie beteiligt, die zu einer bis dahin unbekannten Verelendung der Bevölkerung geführt hat.

Voraussetzungen für EU-Beitritt

"Kontinuität" war die viel beschworene Zauberformel aller Beteiligten an der neuen Regierung. Darunter wird vor allem die Fortführung der rigiden Finanzpolitik verstanden, um unter allen Umständen das Land 2007 in die Europäische Union zu führen. Ihren reaktionären Charakter demonstrierte die Regierungskoalition unmittelbar nach Amtsantritt in ihrer Haltung gegenüber den Opfern der Flutkatastrophe in Bulgarien.

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung waren von den verheerenden Überschwemmungen Anfang August betroffen. Vorsichtige Schätzungen gehen von mindestens 20 Toten und einem Schaden von über 630 Millionen Dollar aus. In mehreren Regionen des Landes wurde die landwirtschaftliche Produktion völlig zerstört. Zehntausende stehen vor dem Nichts, oft ohne ausreichende Nahrung und Medikamente. Nur die wenigsten der Betroffenen werden in den Genuss der staatlichen Hilfe von umgerechnet etwa 500 Euro kommen.

Wie Regierungskreise bereits verlautbaren ließen, wird die ohnehin viel zu geringe Hilfe an die Opfer dazu benutzt, an anderer Stelle zu sparen und Wahlversprechen rückgängig zu machen.

Finanzminister Orescharski nutzte die Flutkatastrophe als Gelegenheit, eine noch härtere Budgetpolitik anzukündigen. Einen Vorschlag des Sozialministeriums, Steuererleichterungen für Spender für die betroffenen Gebiete zu ermöglichen, lehnte er rundheraus ab. Eine angekündigte Rentenerhöhung wird ebenso wie die versprochene 20-prozentige Lohnerhöhung für Angestellte im öffentlichen Dienst nicht erfolgen.

Ende August machten Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Gesprächen mit der neuen Regierung klar, dass die Hilfsleistungen die vom IWF diktierte Haushaltsdisziplin nicht sprengen dürfe, wenn das Land die Vorgaben, die für den Beitritt notwendig seien, einhalten wolle. Regierungsvertreter erklärten sich bereit, der Forderung des Fonds nachzukommen, wonach der momentane Haushaltsüberschuss von etwa 600 Millionen Euro unangetastet bleiben soll.

Wie sein Vorgänger besuchte auch Stanischew zusammen mit Außenminister Kalfin und Meglena Kunewa, die bereits unter Simeon Europaministerin war, umgehend nach Amtsantritt Brüssel. In Gesprächen mit Kommissionspräsident Jose Barroso und dem deutschen Industriekommissar Günther Verheugen versicherte Stanischew, dass seine Regierung in den verbleibenden 16 Monaten alles tun werde, um die Rückstände auf einigen Gebieten aufzuholen.

Der Fortschrittsbericht, den die EU-Kommission im Oktober veröffentlichen wird, dürfte dann endgültig darüber entscheiden, ob der Beitritt 2007 oder doch erst ein Jahr später stattfinden wird.

Die Brüsseler Behörden bestehen darauf, dass das Justizsystem grundlegend reformiert wird und im Agrarbereich und auf anderen Gebieten tief greifende Veränderungen durchgeführt werden. Vor allem das Wirtschaftssystem ist in den Augen der EU-Kommission noch nicht ausreichend liberalisiert. In den kommenden Monaten will die Regierung deshalb rund 30 Gesetze durch das Parlament peitschen.

Um diese Politik, die von den verschiedensten Regierungen seit nunmehr 15 Jahren durchgeführt wird und sich direkt gegen große Teile der Bevölkerung richtet, durchzusetzen, werden auch die Gewerkschaften mit ins Boot geholt. Regierung und Vertreter der beiden großen Gewerkschaftsverbände Bulgariens trafen bereits Vereinbarungen über die Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik, in denen die Gewerkschaften faktisch den geplanten weiteren Sozialabbau im Namen der Stärkung des "Standorts Bulgarien" absegnet haben. Arbeits- und Sozialministerin Emilija Maslarowa (BSP) erklärte, dass diese Vereinbarung mit den Gewerkschaften als eine gute Grundlage für die weitere Zusammenarbeit mit dem IWF diene.

Politische Instabilität

Das breite Bündnis der bürgerlichen Parteien war von Anfang an durch politische Instabilität gekennzeichnet. Konflikte, die auch in einen baldigen Bruch der Regierungskoalition münden können, sind vorprogrammiert.

Die ersten Spannungen kamen bereits bei der Ernennung der 28 Regionalvertreter zum Vorschein. Die NDSW beschuldigte die Koalitionspartner, gemeinsam dafür gesorgt zu haben, dass in den großen und relativ wohlhabenden Bezirken Sozialisten und DPS-Leute die Verwalter stellen, was für zusätzlichen politischen und wirtschaftlichen Einfluss der Parteien sorgt.

Das Verhältnis zwischen Simeons Partei und der DPS ist ohnehin gespannt. In den letzten vier Jahren, in der beide die Regierung stellten, kam es zu teils heftigen Auseinandersetzungen. Es ist hinlänglich bekannt, dass die DPS, die bislang an jeder Regierung seit 1989 beteiligt war, über gute Verbindungen zu türkischen Unternehmern verfügt und deren Interessen vertritt.

Auch Orescharskis radikaler Sparkurs stößt in Teilen der BSP auf Kritik. Die Forderung nach Einmalzahlung eines dreizehnten Monatsgehalts für Angestellte im öffentlichen Dienst, die von den Gewerkschaften und einigen Sozialisten aufgestellt wurde, um drohende Proteste abzuwenden, lehnte der Finanzminister ohne Diskussion ab.

Politische Beobachter gehen davon aus, dass in dieser Situation Simeons NDSW die Rolle der Opposition innerhalb der Regierung spielen könnte und womöglich gezielt einige Projekte der Koalition torpedieren werde, um die Chancen Simeons in den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zu wahren.

Die wachsende politische Krise des Landes ist allerdings kein rein bulgarisches Phänomen. Im Nachbarland Rumänien, das ebenfalls für 2007 den EU-Beitritt anstrebt, herrschen ähnliche Verhältnisse, und manches ist bereits eingetreten, was Bulgarien noch bevorstehen könnte.

In Bukarest konnte die rechts-liberale Regierung unter Calin Popescu-Tariceanu die von Brüssel geforderten Reformen des Justizsystems nicht durchsetzen, woraufhin der erst seit einem halben Jahr im Amt stehende Regierungschef bereits wieder Neuwahlen ankündigte.

Erst auf Druck der EU-Gremien und Präsident Basescu zog Tariceanu seine Ankündigung zurück. Seither taumelt seine Regierung von einer Krise in die nächste. Zu den andauernden Konflikten zwischen Tariceanu und Basescu kamen noch mehrere Umbildungen seines Kabinetts, das zum großen Teil aus Vertretern der schmalen, extrem privilegierten Oberschicht des Landes besteht.

Zudem muss sich die Regierung in Bukarest immer stärkerer Opposition aus der Bevölkerung erwehren. Die für 2006 geplante Anhebung der Mehrwertsteuer von 19 auf 22 Prozent rief bereits heftige Proteste hervor. Mit der Erhöhung soll ein Teil der Steuergeschenke für Unternehmen und Reiche, die von der eingeführten Flat Tax profitieren, ausgeglichen werden. In beiden Ländern, die zu den ärmsten Europas gehören, nehmen die sozialen und politischen Spannungen deutlich zu.

Siehe auch:
Wahlen in Bulgarien: Deutliche Niederlage für Ex-König Simeon II.
(7. Juli 2005)
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