CDU-Wahlparteitag in Dortmund

Ein abstoßendes und reaktionäres Spektakel

Der CDU-Wahlparteitag, der am vergangenen Wochenende in der Dortmunder Westfalenhalle stattfand, markierte ein neues Stadium im allgemeinen Niedergang der Politik, der diesen Wahlkampf kennzeichnet.

Über 10.000 Anhänger hatte die CDU in dieser größten Halle der Ruhrmetropole zusammengekarrt, mehr "Klatschvieh" als je zuvor, wie eine Zeitung kommentierte. Vor der Halle wurde in Zelten Freibier ausgeschenkt, sowie orangefarbene T-Shirts, Fähnchen und Schilder mit der Aufschrift "Angie" und "Wechsel wählen!" verteilt. Drinnen dröhnte Rockmusik der Gruppe Mayqueen. Akrobaten gaben Showeinlagen zum Besten.

Zwischendurch gaben die Ministerpräsidenten der zehn von CDU und CSU regierten Bundesländer kurze Statements ab, die an banalen Phrasen nicht zu überbieten waren. Einer nach dem anderen pries Angela Merkel als Hoffnungsträgerin und Rettung für Deutschland. Ein Moderator rief: "Angela Merkel - unsere Hoffnung, die Lösung, die Zukunft für unser Land." Von den Rängen schallte es tausendfach: "Angie! Angie!"

Aus den Lautsprechern dröhnte "We are the champions" und eine überdimensionale Laser-Lightshow tauchte die Halle in bizarres Licht, als die Kanzlerkandidatin mit ihrem Tross einmarschierte. Das Sympathiegetöse von den Rängen schwoll zu einem minutenlangen ohrenbetäubenden Lärm an. Angela Merkel erhob sich mehrmals von ihrem Platz, um, ganz nach der Art amerikanischer Parteitagsmanie, die Huldigung entgegenzunehmen.

Das abstoßende Schauspiel, das an die düstere Vergangenheit der politischen Massenhysterie erinnerte, diente vor allem dazu, jedes ernste politische Nachdenken zu unterdrücken, während gleichzeitig die reaktionärsten politischen Kräfte mobilisiert werden. Seit Propagandaminister Joseph Goebbels 1943 im Berliner Sportpalast den fanatisierten Massen zurief: "Wollt ihr den totalen Krieg?", hat es in diesem Land keine derart provokative Inszenierung gegeben.

Rechtes Programm

Eine von ihr geführte Bundesregierung werde "von einer Erneuerung des Vaterlandes" geprägt sein, sagte Angela Merkel in ihrer 50-minütigen Parteitagsrede. Vor ihr hatte bereits der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Stoiber über "konservative Grundwerte wie Heimat und Patriotismus" doziert.

Merkel betonte ihr Nein zu einer EU-Mitgliedschaft der Türkei und begründete dies damit, dass die Aufnahme des Landes mit einer überwiegend islamischen Bevölkerung die Integrationsfähigkeit der Europäischen Union überfordern würde. Sie versuchte damit dem Vertreter des rechten Parteiflügels, Roland Koch, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Koch hatte einen aggressiven Wahlkampf gefordert, der die Türkeifrage ins Zentrum stellt. Er erinnerte daran, dass er die Landtagswahlen in Hessen vor sechs Jahren mit einer ausländerfeindlichen Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gewonnen hatte.

Jeder zweite Satz von Merkel wurde mit Angie-Angie-Rufen und rhythmischem Applaus quittiert. Das änderte sich auch nicht, als sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Jahreswechsel ankündigte und die Unionspläne zur Lockerung des Kündigungsschutzes erläuterte. Das Publikum - in dessen Reihen nicht wenige saßen, die schon bald von den drastischen Sozialkürzungen einer unionsgeführten Regierung betroffen sein werden - hätte in der aufgeheizten Stimmung an diesem Nachmittag alles und jeden beklatscht.

Deutlich wurde das auch an dem Beifallssturm für Paul Kirchhof, der von Merkel auf dem Parteitag als "finanzpolitischer Visionär" und von Stoiber als "Glücksfall für Deutschland" bezeichnet wurde. Der parteilose Steuerrechtler, der früher Richter am Bundesverfassungsgericht war und jetzt eine Professur in Heidelberg innehat, wurde als Fachmann für Finanz- und Haushaltspolitik in das so genannte Kompetenzteam der Union aufgenommen.

Mehr als irgendjemand sonst in der Unionsführung verkörpert Kirchhof den Rechtsschwenk der Union in Richtung einer aggressiven, neoliberalen Politik, die sich uneingeschränkt an den Interessen der privilegierten Elite und der internationalen Finanzmärkten orientiert. Während das CDU-Wahlprogramm vorsieht, den Spitzensteuersatz, der zur Zeit der Kohl-Regierung vor sieben Jahren noch 53 Prozent betrug und von der Schröder-Fischer-Regierung auf 42 Prozent gesenkt wurde, um weitere drei Prozentpunkte zu senken, strebt Kirchhof eine radikale Umwälzung des ganzen Steuersystems an.

Nach seinen Konzeptionen sollen der Spitzensteuersatz schnellst möglich auf 25 Prozent gesenkt und alle Steuervergünstigungen - Abschreibungen, Pendlerpauschale, Steuerfreiheit von Nachtarbeitszuschlag usw. - abgeschafft werden. Die Einführung einer solchen einheitlichen "Flat tax" würde die bereits seit Jahren stattfindende finanzielle Umverteilung von unten nach oben stark beschleunigen. Pendler und Nachtschichtarbeiter müssten auf Steuervergünstigungen verzichten, um die Steuergeschenke für Besserverdienende und Superreiche zu finanzieren.

Darüber hinaus bedeutet der Ausstieg aus der Steuerprogression das endgültige Ende der "Sozialen Marktwirtschaft", die nach dem Zweiten Weltkrieg vom späteren CDU-Kanzler Ludwig Erhard propagiert und trotz aller Sozialkürzungen bisher von CDU/CSU und SPD vertreten wurde.

Um zu verstehen, welche Rechtswende CDU und CSU auf dem Angie-Jubel-Parteitag in Dortmund hinter der Fassade aus Show und Lärm vollzogen haben, ist es notwendig, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Bisher galt im deutschen Sozialversicherungs- und Steuersystem das so genannte Solidarprinzip. Bezieher hoher Einkünfte sollten stärker zur Kasse gebeten werden als die unteren Einkommen. Die großen sozialen Probleme - Krankheit, Arbeitslosigkeit und Altersvorsorge - sollten in solidarischer Weise gelöst werden.

Die Beitragshöhe der Sozialversicherung richtete sich daher nach dem individuellen Einkommen, während gleichzeitig allen Versicherten, unabhängig von der Höhe ihres Beitrags, dieselben Leistungen zustanden. Familien wurden besonders begünstigt, indem Ehepartner und Kinder kostenlos mitversichert werden konnten. Nach dem "Paritätsprinzip" zahlten Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils die Hälfte in die Kranken-, wie auch in die Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ein. Die Grundform dieser Art staatlichen Sozialversicherung war bereits in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter dem ersten Reichskanzler Otto von Bismarck eingeführt worden, und zwar mit der Absicht, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu stabilisieren.

Bereits auf dem Leipziger Parteitag 2003 hatte die CDU beschlossen, mit dieser Tradition Schluss zu machen. Die damalige Entscheidung, die Krankenversicherung durch eine so genannte Kopfpauschale von 169 Euro im Monat zu finanzieren - und zwar völlig unabhängig von der Höhe des Einkommens -, wird nun durch die geplante Abschaffung der Steuerprogression ergänzt. Beides dient dazu, die Reichen und Superreichen zu entlasten und alle gesellschaftlichen Probleme der Arbeiterklasse aufzubürden.

Schon jetzt sind viele Kommunen finanziell ausgeblutet und warnen davor, dass rückläufige Steuereinnahmen zu einem vollständigen Zusammenbruch sozialer Einrichtungen in vielen Regionen führen werden. Mit anderen Worten: die Angie-Jubelshow in Dortmund diente dazu, eine durch und durch reaktionäre und unsoziale Politik in Szene zu setzen.

Zwei Einsichten sollten im Dortmunder Parteitags-Spektakel nicht untergehen:

Erstens: Die Union ist entschlossen, alle Register der Propaganda und Demagogie zu ziehen, um eine Politik durchzusetzen, die sich gegen die Interessen der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung richtet. Die Art von Hysterie, die in Dortmund erzeugt wurde, gibt einen Vorgeschmack darauf, wie eine künftige Merkel-Regierung den dumpfen Bodensatz der Gesellschaft mobilisieren wird, als hätte es den Reichspropagandaminister nie gegeben.

Zweitens: Verantwortlich dafür, dass die reaktionärsten politischen Kräfte mit ihrem Motto "Bereichert die Reichen!" derart hemmungslos auftreten können, sind SPD und Grüne. Sie waren es, die nach 17 Jahren CDU-Regierung in kürzester Zeit alle Hoffnungen auf Besserung enttäuschten und sich heute damit brüsten, dass sie Sozialkürzungen und Kriegseinsätze durchgeführt haben, wie sie die Kohl-Regierung nie gewagt hatte. Angesichts des wachsenden Widerstands in der Bevölkerung sind die Sozialdemokraten nun bereit, die politische Macht an die CDU zurückzugeben, und zwar an Leute, die weit rechts von Helmut Kohl und Norbert Blüm angesiedelt sind.

Siehe auch:
Das Wahlprogramm von CDU und CSU
(30. Juli 2005)
Die Karriere der Angela Merkel - 1
( 23. Juni 2005)
Die Karriere der Angela Merkel - 2
( 24. Juni 2005)
Loading