TV-Duell Schröder-Merkel

Die Wahl zwischen Pest und Cholera

Kaum ein anderes Ereignis des Bundestagswahlkampfs ist mit soviel Spannung erwartet worden, wie das 90-minütige Streitgespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Herausforderin Angela Merkel, das am Sonntag Abend von den beiden größten öffentlichen und privaten Fernsehkanälen gleichzeitig übertragen wurde. Tagelang hatten Meinungsforscher und Medienkommentatoren darüber spekuliert, wie weit das Streitgespräch das Wahlergebnis beeinflussen werde.

Das Ergebnis stand in keinem Verhältnis zu den geweckten Erwartungen. Schröder wie Merkel spulten längst bekannte Wahlkampfparolen herunter. Die Zuschauer waren hinterher nicht klüger als vorher. Vor allem aber stritten Schröder und Merkel nicht um politische Inhalte, sondern darüber, wer dieselben politischen Inhalte besser durchsetzen kann.

Entsprechend waren hinterher die Reaktionen. Politwissenschaftler, Journalisten, ausgediente und aktive Politiker erschienen scharenweise in den Fernsehstudios, um sich darüber zu äußern, wer "das Duell gewonnen" habe - als ginge es um ein Sportereignis oder um einen Schönheitswettbewerb, und nicht um die politische Zukunft des Landes. Über inhaltliche Fragen, die Millionen von Menschen bewegen - Arbeitslosigkeit, sozialer Niedergang und ungewisse Zukunft - war dagegen nichts zu vernehmen.

Bundeskanzler Schröder übte sich erneut in dem Spagat, der den gesamten Wahlkampf von SPD und Grünen kennzeichnet. Einerseits stellte er sich als konsequenter "Reformer" dar, der tiefe Einschnitte ins Sozialsystem vorgenommen und dafür Prügel bezogen habe, andererseits als Garant eines Kurses, der die sozialen Sicherungssysteme erhalte. Zum wiederholten Male stellte er klar, dass die SPD kein Jota von der Agenda 2010 abrücken wird, die zur Abkehr von Millionen Wählern geführt und ihr die niedrigsten Umfragewerte seit Jahrzehnten beschert hat.

Merkel hielt Schröder die Rekordarbeitslosigkeit von fünf Millionen und das niedrige Wirtschaftswachstum vor, um im gleichen Atemzug zu versichern, dass die Union die wichtigsten Aspekte der Agenda 2010 - die Hartz-Gesetze und die Gesundheitsreform - mitgetragen habe, sie beibehalten wolle und ihr Tempo beschleunigen werde.

Im übrigen war die Debatte vom Bemühen beider Teilnehmer geprägt, sich an die Regeln zu halten, die ihnen von ihren Kommunikationstrainern eingebläut worden waren: Schön in die Kamera lächeln, sich nicht aus der Fassung bringen lassen, "Ähs" und Schachtelsätze vermeiden, Überlegenheit demonstrieren. Auf diesem Feld ist Schröder Merkel immer noch deutlich überlegen. Merkel hat aber einiges hinzugelernt.

Betrachtet man die Debatte vom Standpunkt eines Wählers, der nach einem Ausweg aus der sozialen Krise sucht, so bleibt ihm nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Er kann zwischen derselben wirtschaftsfreundlichen Politik in rot-grüner oder schwarz-gelber Verpackung wählen.

Auf die Massenarbeitslosigkeit angesprochen, verwies Schröder auf die Wirksamkeit von Hartz IV. Seit April sei die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze täglich wieder um 1.500 angestiegen. Eine angesichts der Gesamtzahl der Arbeitslosen geringe Zahl, die zudem hauptsächlich auf jahreszeitliche Wirkungen zurückzuführen ist, wie Merkel genüsslich hervorhob.

Merkel selbst wiederholte um x-ten Male den Spruch: "Sozial ist, was Arbeit schafft." Nur wirtschaftliches Wachstum, interpretierte sie ihn, könne Arbeit schaffen. Und dazu seien ein verschärfter Abbau von Arbeitnehmerrechten, Entbürokratisierung - d.h. Entlassungen im öffentlichen Dienst - sowie eine weitere Absenkung der Steuern für Unternehmen und Reiche nötig.

Weder Schröder noch Merkel traten auch nur andeutungsweise für staatliche Maßnahmen - für Arbeitsbeschaffungs- und Investitionsprogramme - ein, um der horrenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Während sie sich um Einzelheiten stritten wie "zwei Regierungsbeamte", die "in der Bundestagskantine um das richtige Steuersystem zanken" (Spiegel-online), waren sie sich in den politischen Grundlinien durchaus einig. Die Arbeitslosigkeit wird als Hebel benutzt, um soziale und arbeitsrechtliche Errungenschaften, die sich die Arbeiterbewegung über Jahrzehnte erkämpft hat, wieder abzuschaffen.

Auffallend war, dass sich Merkel mehr noch als Schröder, wo immer es ging, vor konkreten Festlegungen drückte und mit abgedroschenen Phrasen um sich warf: "Ich bin überzeugt, Deutschland kann es besser", usw. Einzig am Plan, die Mehrwertsteuer um zwei Prozent zu erhöhen, hielt sie fest, was Schröder dann auch nach Kräften ausnutzte.

Diese Unbestimmtheit hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es innerhalb der Union selbst - zwischen Parteizentrale und Länderchefs, zwischen CDU und CSU, zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitikern - heftige Meinungsverschiedenheiten, die im Wahlkampf möglichst wenig sichtbar werden sollen. Vor allem aber will sich Merkel alle Optionen offen halten und die Wähler soweit wie möglich über ihre zukünftigen Pläne im Unklaren lassen - aus Angst, wertvolle Stimmen zu verlieren.

Wie weit sie zu gehen gedenkt, zeigt die Ernennung von Paul Kirchhof zum Finanzexperten im Wahlkampfteam der Union. Kirchhof vertritt ein Steuerkonzept, das die Reichen extrem begünstigt. Er will den progressiven Steuertarif völlig abschaffen und einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent einführen. Das wäre weniger als die Hälfte des Spitzensteuersatzes, der am Ende der Ära Kohl galt.

Die Auseinandersetzung um Kirchhofs Steuerkonzept nahm in der Fernsehdebatte großen Raum ein. Schröder bezeichnete es als ungerecht und warnte davor, die Bürger zum "Versuchskaninchen" für die Pläne des Unionsfinanzexperten zu machen. Krankenschwestern, Schichtarbeiter und Pendler müssten durch Streichung von Pendlerpauschale und steuerbegünstigten Nachtarbeitszuschlägen die Steuersenkungen für Millionäre bezahlen. Gleichzeitig brüstete sich Schröder aber damit, dass unter der rot-grünen Regierung der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt wurde - dass sie also den viel radikaleren Vorschlägen von Kirchhof den Weg bereitet hat.

Merkel versuchte abzuwiegeln, indem sie Kirchhofs Vorschläge als "Vision" bezeichnete. Geltung habe das moderatere Steuerkonzept im Wahlprogramm der Union. Gleichzeitig bekräftigte sie aber, dass Kirchhof in ihrem Kabinett Finanzminister werde, falls die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl dies erlaubten. Der "Visionär" hätte damit einen starken Hebel in der Hand, um seine Steuerpläne in der Tat umzusetzen.

Zu den wenigen sonstigen Punkten, die in der Debatte umstritten waren, gehörte die zukünftige EU-Mitgliedschaft der Türkei.

Merkel bekräftigte den Standpunkt der Union, die eine solche Mitgliedschaft ablehnt und stattdessen eine "privilegierte Partnerschaft" befürwortet. Sie bemühte sich allerdings, die antiislamischen Untertöne zu vermeiden, die viele ihrer Parteifreunde von sich geben. Sie begründete ihre Opposition gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft damit, dass sie die EU wirtschaftlich überfordern und möglicherweise an einem Referendum in Frankreich und anderen Ländern scheitern würde.

Schröder wiederum argumentierte ausschließlich mit - so wörtlich - der "geostrategischen Bedeutung der Türkei" und den "außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands". Diese erforderten unbedingt, dass die in einer kritischen Region gelegene Türkei in die Europäische Union eingebunden werde. Schröder versuchte gar nicht, den rassistisch gefärbten Argumenten der Union entgegenzutreten.

Auch in der Außenpolitik, das zeigen diese Worte Schröders, gibt es nur taktische Unterschiede zwischen SPD und Union. Beide treten dafür ein, die Rolle des deutschen Imperialismus auf der Weltbühne erheblich zu stärken - die SPD eher sogar aggressiver als die Union. Schröder wirbt seit Monaten dafür, Deutschland als "selbstbewusste Mittelmacht zu positionieren", die helfen solle, "die Konflikte in der Welt friedlich zu lösen" - eine Formulierung, die er auch in der Debatte mit Merkel mehrfach benutzte.

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