Zentrale Wahlveranstaltung der PSG

"Am 18. September steht nur eine Richtung zur Wahl und diese weist nach New Orleans"

Am 3. September fand in Berlin die zentrale Wahlkampfveranstaltung der Partei für Soziale Gleichheit statt. Wir veröffentlichen hier den Redebeitrag von Peter Schwarz, Mitglied des Parteivorstands der PSG und der Redaktion der World Socialist Web Site . Morgen erscheint der Beitrag von Julie Hyland, Vorstandsmitglied der britischen Socialist Equality Party.

Die meisten von Euch werden in den vergangenen Tagen die Ereignisse im Süden der USA mit einer Mischung von Entsetzen und Erstaunen verfolgt haben: Entsetzen über das Ausmaß der Naturgewalten, die Zerstörung, die sie angerichtet, das Leid, das sie über Millionen Menschen gebracht haben; und Erstaunen über den Mangel an Vorbereitung, die Untätigkeit der Regierung, über den Umstand, dass Zehntausende leidende und vom Tod bedrohte Menschen tagelang ihrem Schicksal überlassen blieben.

Die reichste und mächtigste Nation der Welt ist auf eine Naturkatastrophe schlechter vorbereitet, als ein Land der Dritten Welt. Und dies, obwohl der Hurrikan seit Tagen vorausgesagt und vor seinen möglichen Folgen seit Jahren gewarnt wurde. Die Regierung reagierte mit einer Mischung aus Inkompetenz, Gleichgültigkeit, Brutalität und Arroganz, die einem den Atem verschlägt. Die Szenen, die bisher im Fernsehen zu sehen waren, sind unbeschreiblich.

In New Orleans konnten über 100.000 Menschen den Aufforderungen zur Evakuierung nicht Folge leisten, weil sie kein Auto besitzen und die Behörden keine öffentlichen Transportmittel zur Verfügung gestellt haben, weil sie kein Geld haben und sich kein Hotelzimmer leisten können, oder weil sie keine Verwandten im Landesinnern haben, bei denen sie Unterschlupf finden könnten. Man muss sich das vorstellen: Eine Großstadt wird evakuiert, weil eine tödliche Katastrophe naht, und die Behörden überlassen die Armen und Bedürftigen einfach sich selbst!

Viele haben dafür mit ihrem Leben bezahlt. Man weiß nicht, wie viele umgekommen sind. Erst hieß es fast hundert, dann Hunderte, inzwischen Tausende. Und das Sterben hat kein Ende, weil es an den elementarsten Hilfs- und Versorgungsmaßnahmen fehlt. Ganze Familien irren seit Tagen auf den Straßen umher, ohne Essen und sauberes Wasser. Andere sitzen am Straßenrand neben ihren toten Angehörigen, deren Leichen nicht geborgen werden.

Während die Behörden unfähig und nicht willens sind, Leben zu schützen, haben sie der Nationalgarde und der Polizei den Befehl erteilt, Plünderer zu erschießen. Präsident Bush hat in einer Fernsehansprache mit "Null Toleranz" gedroht. Truppen der Nationalgarde, die soeben aus Bagdad zurückgekehrt sind, patrouillieren jetzt unter dem Befehl "Shoot to kill" in den Straßen von New Orleans. Die meisten Polizisten leisten mittlerweile keine Rettungsarbeiten mehr, sondern bekämpfen Plünderungen. Der Schutz des Eigentums hat Vorrang vor der Rettung von Menschenleben.

Überall sterben Leute, weil sie kein sauberes Essen und keine Nahrung haben oder die Schwüle nicht ertragen. Überall liegen Leichen herum. Und Polizei und Nationalgarde haben nicht besseres zu tun, als Leute zu erschießen, die sich in ihrer Verzweiflung das Lebenswichtigste aus überfluteten und geschlossenen Geschäften holen. Einer der am häufigsten "geplünderten" Gegenstände sind Babywindeln.

Im gedeckten Fußballstadion, dass von der Stadt als Zuflucht zur Verfügung gestellt wurde, herrschen verheerende Zustände. Schätzungen zufolge haben dort bis zu 40.000 Menschen Schutz gesucht. Auch jetzt befinden sich noch immer 20.000 Menschen dort. Reporter beschreiben die Situation als "Hölle auf Erden". Es mangelt an der elementarsten Versorgung. Der Strom ist ausgefallen. Es gibt weder Licht noch Klimaanlage. Der Gestank des faulenden Mülls und der überfließenden Toiletten ist kaum auszuhalten. Auch Tote gibt es im überfüllten Stadium. Mindestens ein Mann hat Selbstmord begangen, indem er sich von einem Balkon stürzte.

Das Stadium wird von schwer bewaffneten Polizisten bewacht. Wer einmal drin ist, darf nicht wieder raus. Viele klagen, es sei schlimmer als in einem Gefängnis, sie würden wie Tiere behandelt. Auch hier werden mögliche Plünderungen als Grund genannt. In den umliegenden Luxushotels geht es nämlich noch relativ erträglich zu. Während die Armen um ihr Leben kämpfen, gibt es für die Reichen immer noch erstklassige Menus, wie eine Lokalzeitung berichtet hat.

Die wichtigste Ursache für die Katastrophe, die sich in den USA abspielt, liegt nicht in der Natur, sondern in Politik und Gesellschaft.

Ich will hier nicht auf die Frage eingehen, wie weit die durch CO2-Ausstoß und andere Umweltschäden verursachte Erderwärmung zur Entstehung eines derart verheerenden Hurrikans wie Katrina beigetragen hat. Das ist eine wichtige Frage, aber es geht dabei um Prozesse, die sich über Jahre und Jahrzehnte hinweg auswirken. Gehen wir einmal davon aus, dass Katrina ein rein natürliches und in diesem Sinne unvermeidliches Phänomen war. Warum wurde dann nicht besser vorgesorgt? Und warum erhalten die Opfer so wenig Hilfe?

Es war bekannt, dass die Dämme, die die Millionenstadt New Orleans vor Überschwemmungen schützen, einem Hurrikan dieser Stärke nicht standhalten können. Es war auch bekannt, dass ein derartiger Hurrikan die Stadt früher oder später treffen würde. Es gab ausgearbeitete Pläne der zuständigen Behörden zur Verstärkung der Dämme. Aber es gab kein Geld, um sie zu bauen. Es gab sogar Computersimulationen über die Auswirkungen einer solchen Katastrophe, die, wie sich jetzt zeigt, ziemlich genau waren. Selbst die Zahl von 100.000 Menschen, die die Stadt im Falle einer Evakuierung nicht würden verlassen können, war vorausberechnet worden. Aber es gab keine Notfallpläne und keine Vorbereitungen für den Fall, dass eine derartige Katastrophe tatsächlich eintritt.

Und schließlich wäre, nachdem die Katastrophe nun einmal eingetreten ist, eine gewaltige nationale Kraftanstrengung nötig, um den Opfern zu helfen, das Katastrophengebiet zu evakuieren, weitere Todesfälle zu vermeiden und den Wiederaufbau zu finanzieren. Aber nichts dergleichen geschieht.

Präsident Bush hat klar zu verstehen gegeben, dass von der Bundesregierung, die jeden Monat sechs Milliarden Dollar für den Krieg im Irak ausgibt, kaum Unterstützung und Geld zu erwarten sind. Er hat seinen fünfwöchigen Urlaub erst drei Tage nach der Katastrophe abgebrochen und das betroffene Gebiet erstmals fünf Tage danach besucht.

Die Korrespondentin der Tagesschau hat geschildert, wie es dabei zuging: Einen halben Tag vor Bushs Ankunft kamen Bulldozer und räumten die Gegend auf, damit der von einem Pressetross begleitete Präsident eine schöne Kulisse hatte. Sie sei von der Zerstörung durch den Hurrikan schockiert gewesen, sagte die Korrespondentin, aber mindestens ebenso schockiert sei sie von dem Theater, mit dem der Auftritt des Präsidenten inszeniert wurde.

Der Hurrikan Katrina hat das Endstadium eines gesellschaftlichen Zerfallsprozesses sichtbar werden lassen, der seit einem Vierteljahrhundert andauert. Die Katastrophe im Süden der USA ist das Ergebnis einer Politik, die jede gesamtgesellschaftliche Aufgabe dem nackten Profitstreben einer kleinen Minderheit untergeordnet. Im Namen von "Eigenverantwortung" und "freiem Markt" sind öffentliche Einrichtungen privatisiert, Investitionen in die Infrastruktur zurückgefahren und Sozialleistungen gestrichen worden.

Das Leben und die Sicherheit der amerikanischen Bevölkerung ist den räuberischen Zielen des amerikanischen Imperialismus geopfert worden. So wurde das Budget des Army Corps of Engineers, das für Katastropheneinsätze zuständig ist, im vergangenen Jahr um die Hälfte gekürzt. Und ein großer Teil seines Materials, das jetzt in den USA dringend gebraucht würde, befindet sich im Kriegseinsatz im Irak.

Die zentrale Lehre aus dieser Katastrophe lautet, dass sich die elementaren Bedürfnisse einer Massengesellschaft nicht mit einem Gesellschaftssystem vereinbaren lassen, das jeden Aspekt des sozialen und wirtschaftlichen Lebens der Bereicherung der Kapitalbesitzer unterordnet. Die Folgen des Hurrikans zeigen ein Land, das von tiefen Klassengegensätzen zerrissen ist, in dem das Leben von Millionen Armen keinen Cent wert ist und das von einer korrupten, egoistischen Plutokratie regiert wird, die jede gesellschaftliche Verantwortung ablehnt. Der Mythos vom großen und reichen Amerika ist schwer angeschlagen.

Was hat diese Katastrophe in den USA mit den Bundestagswahlen in Deutschland zu tun? Sehr viel! Führende Politiker von SPD und von CDU erklären immer wieder, es gehe am 18. September um eine "Richtungswahl". Das stimmt. Das Problem ist nur: Es steht nur eine Richtung zur Wahl. Und diese weist nach New Orleans.

Alle zur Zeit im Bundestag vertretenen Parteien - die SPD, die Grünen, die CDU, die CSU und die FDP - vertreten politische Programme, die exakt jene Maßnahmen zum Inhalt haben, die zur Katastrophe von New Orleans geführt haben. Dasselbe trifft auch auf die Linkspartei von Lafontaine und Gysi zu, wie ich noch zeigen werde.

Ihre Antwort auf Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichen Niedergang lautet: Mehr Markt, mehr Eigenverantwortung, Abbau des Sozialstaats, Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen - von Bildung, Gesundheit und Altersfürsorge. Je deutlicher wird, dass die gesellschaftlichen Probleme eine gesellschaftliche Lösung erfordern, desto offener lehnen sie jede gesellschaftliche Verantwortung ab.

Die einzigen Bereiche, in denen sie die Aufgabe des Staates stärken, sind - wie in den USA - innere Sicherheit und Militär. Bei Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr wird nicht gekürzt. Hier findet eine gewaltige Steigerung der Mittel statt, die der Niederschlagung zukünftigen Widerstands aus der Bevölkerung gilt. Diese Entwicklung kann nur in eine gesellschaftliche Katastrophe führen, wie wir sie gegenwärtig in New Orleans erleben.

Als Bundespräsident Köhler den Bundestag auflöste, rechtfertigte er dies unter anderem damit, dass nun der Wähler das Wort habe. Dies sei demokratisch. In Wirklichkeit gibt es für den Wähler überhaupt nichts zu entscheiden - außer ob dieselbe Politik von einem Kanzler Schröder oder einer Kanzlerin Merkel, von einer kleinen oder einer großen Koalition verwirklicht wird.

Der undemokratische Charakter dieser Wahl wird schon an der Art und Weise deutlich, wie es zu dem höchst ungewöhnlichen Schritt einer vorzeitigen Auflösung des Bundestags kam.

Es steht außer Zweifel, dass die Sozial- und Wirtschaftspolitik der gegenwärtigen Regierung von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Das äußerte sich in den Massendemonstrationen gegen die Agenda 2010 im Frühjahr letzten Jahres, zu denen doppelt so viele Teilnehmer kamen, wie der DGB erwartet hatte. Das äußerte sich in den spontanen Demonstrationen gegen Hartz IV im vorletzten Sommer. Und das äußerte sich in den hohen Verlusten, die die SPD in elf aufeinanderfolgenden Landtagswahlen hinnehmen musste.

Auf die letzte und verheerendste dieser Niederlagen - den Verlust der Regierungsmehrheit in Nordrhein-Westfalen nach 39 Jahren - reagierte Schröder mit der Ankündigung vorzeitiger Neuwahlen. Ein Kommentar hat dies als "Selbstmord aus Angst vor dem Tode" bezeichnet. Schröder machte deutlich, dass er unter keinen Umständen - weder unter dem Druck der Wähler noch unter dem Druck der eigenen Partei - von seinem verhassten Kurs abrücken werde. Lieber übergebe er die Regierungsmacht an Union und FDP.

Die wichtigste Botschaft des SPD-Wahlkampfs lautet seither, dass sie unbeirrt an der Agenda 2010 festhalten werde. Die SPD-Kampagne ist ganz auf die Person Schröders abgestimmt. Sie wirbt mit Parolen wie "standhaft bleiben" - standhaft gegenüber den eigenen Parteimitgliedern und Wählern. Mit der vorgezogenen Wahl hat Schröder ein Ultimatum an die Wähler gestellt: Entweder ihr akzeptiert die Agenda 2010 mit allem, was dazu gehört, oder ihr bekommt eine unionsgeführte Regierung, die es noch viel schlimmer treibt.

Die vorzeitige Auflösung des Bundestags begründete Schröder damit, dass er nicht mehr über eine stetige und verlässliche Basis für seine Politik verfüge, also mit der Befürchtung, dass Mitglieder der eigenen Fraktion unter dem Druck der Basis einknicken könnten. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses verfassungsmäßig höchst fragwürdige Verfahren abgesegnet und dabei die Autorität des Kanzlers gegenüber der bisherigen Rechtsprechung erheblich ausgeweitet.

Indem es die Frage, ob er noch über das Vertrauen des Parlaments verfüge, in sein persönliches Ermessen stellte, hat es den Bundeskanzler praktisch in die Lage versetzt, das Parlament nach Belieben aufzulösen. Er bekommt so einen wirksamen Hebel in die Hand, um das Parlament zu disziplinieren und widerspenstige Abgeordnete einzuschüchtern. Mit seinem Urteil hat das Verfassungsgericht, so Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, "einem autokratischen Regierungsstil den verfassungsrechtlichen Segen" erteilt.

Man stelle sich vor, dasselbe Gericht müsste über eine vorzeitige Auflösung des Parlaments beschließen, wenn die Regierungsübernahme durch eine linke Mehrheit droht, die sich auf eine breite Bewegung der Maßen stützt. In diesem Fall hätte das Gericht mit Sicherheit umgekehrt entschieden.

Diese leichtfertige und zynische Haltung der herrschenden Elite gegenüber ihren eigenen legalen Normen ist ein internationales Phänomen. Im Interesse kurzfristiger politischer Ziele - die oft direkt aus den Chefetagen der mächtigsten Konzerne vorgegeben werden - wirft sie legale Grundsätze über Bord, die lange Zeit als Grundlage für die Stabilität der bürgerlichen Ordnung galten. Die herrschende Elite ist entschlossen, die eigenen legalen Grundsätze der Sicherung ihrer Macht unterzuordnen. Sind die geltenden legalen Normen erst einmal gesprengt, entwickelt die Entfaltung autoritärer Herrschaftsformen ihre eigene Dynamik.

Das Paradox der gegenwärtigen Situation besteht darin, dass sich die öffentliche Stimmung weit links von sämtlichen politischen Parteien befindet. Aber das Ergebnis dieser Diskrepanz ist kein politischer Linksruck, sondern eine Entwicklung nach rechts. Auch das ist ein internationales Phänomen.

In Frankreich verfügt die konservative UMP des Präsidenten über eine riesige parlamentarische Mehrheit, die in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Unterstützung in der Bevölkerung steht. In den USA bestimmt eine ultrarechte Clique die Politik. Sie hat den Hohlkopf George W. Bush auf ihren Schild gehoben und stützt die sich auf eine schmale Basis unter der religiösen Rechten. In Großbritannien ist die Regierung Blair zutiefst verhasst, und verfügt dennoch über eine sichere Mehrheit.

Die Ursache für dieses Phänomen liegt im völligen Bankrott der sozialreformistischen Parteien, die in der Vergangenheit von der Mehrheit der Arbeiterklasse unterstützt oder zumindest gewählt wurden - der SPD in Deutschland, der Sozialistischen und Kommunistischen Partei in Frankreich, der Labour Party in England und bis zu einem bestimmten Grade auch der Demokraten in den USA: Unter den Bedingungen der Globalisierung und einer verschärften internationalen Krise des Kapitalismus sehen sich diese Parteien nicht mehr in der Lage, die Klassengegensätze durch soziale Reformen zu dämpfen. Deshalb sind sie ausnahmslos dazu übergegangen, den Kapitalismus auf Kosten bisheriger Reformen zu verteidigen.

Es steht außer Zweifel, dass die rot-grüne Koalition in den vergangenen sieben Jahren Angriffe gegen die arbeitende Bevölkerung durchgesetzt hat, die einer unionsgeführten Regierung nicht gelungen wären, ohne größere Konflikte auszulösen.

Ein unverdächtiges Kompliment in dieser Hinsicht stammt vom britischen Wirtschaftsmagazin Economist, das in einer seiner jüngsten Ausgaben feststellt, dass die deutschen Lohnstückkosten - ein entscheidender Maßstab für die Wettbewerbsfähigkeit - in den vergangenen Jahren gegenüber Frankreich, Italien, Holland und Großbritannien stark gefallen sind. Als Grund nennt der Economist die Bereitschaft der Gewerkschaften, Lohnsenkungen, längere Arbeitszeiten und flexiblere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Es sei daher nicht erstaunlich, dass Profite und Aktienkurse stark gestiegen seien.

Die Möglichkeiten der SPD und der Gewerkschaften, die Arbeiterklasse weiter ruhig zu halten, haben sich allerdings ziemlich erschöpft. Daher sind sie bereit, die Macht wieder an die Union abzugeben, die sich mit Merkels Gesundheitspauschale und Kirchhofs Einheitssteuer auf eine neue Runde von Angriffen gegen die Arbeiterklasse vorbereitet.

Die Übergabe der Macht an die Rechte, wenn sie dem Druck von unten nicht mehr standhalten kann, hat in der Geschichte der SPD eine lange Tradition. Ein bemerkenswerter Unterschied zwischen den sogenannten "linken" bürgerlichen Parteien und den rechten besteht darin, dass erstere die Brocken hinschmeißen, sobald sie unter Druck geraten, während letztere auch dann stur an ihrem Kurs festhalten, wenn sie sich in einer scheinbar auswegslosen Krise befinden.

Die amerikanische Rechte bestätigt das. Die Sturheit und kriminelle Energie, mit dem sie das Impeachment-Verfahren gegen Bill Clinton, den Diebstahl der Präsidentenwahl 2000 und schließlich den völkerrechtswidrigen Irakkrieg in Szene setzte, hat viele ihrer Gegner verblüfft. Es besteht immer die Gefahr, dass man die Skrupellosigkeit und Rücksichtslosigkeit der Rechten unterschätzt.

Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, noch einmal auf das Verhalten der SPD während der größten Katastrophe der deutschen Geschichte zurück zu blicken - der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Bereits 1930 hatte Herrmann Müller, der letzte sozialdemokratische Kanzler der Weimarer Republik, die Macht an den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning abgetreten und dessen gegen die Arbeiter gerichteten Notstandsmaßnahmen unterstützt. Im Sommer1932 kapitulierte die SPD dann kampflos, als die Regierung Papen mit einem Staatstreich ihre letzte Bastion räumte und die sozialdemokratisch geführte Regierung Preußens absetzte. Preußen umfasste damals etwa zwei Drittel des Reichsgebiets.

Obwohl sie mit dem Reichsbanner über eigene bewaffnete Einheiten verfügte und die Arbeiterparteien SPD und KPD zusammen mehr Reichtagssitze als die Nazis hatten, nahm die SPD schließlich auch die Ernennung Hitlers zum Kanzler kampflos hin. Kurt Schumacher, damals ein führender Vertreter des Reichsbanners, riet in einer Rede vor Stuttgarter Vertrauensleuten, sich auf die Verfassung, Reichspräsident Hindenburg und die im Kabinett Hitler vertretenen Barone und Industriellen zu verlassen.

Außerparlamentarische Kampfmaßnahmen müssten bis zum Tag des offenen Verfassungsbruchs aufgespart werden, sagte er. "Diese Abwehr kommt in dem Augenblick, wo die andern den Boden des Rechts und der Verfassung verlassen und mit dem Staatstreich den Raub letzter Rechte vornehmen und ein ganzes Volk dagegen aufsteht." Dieser Augenblick sei noch nicht gekommen, fuhr Schumacher fort. Hitler sei bloßes "Dekorationsstück", eingebunden in eine Regierung, die sich fest in den Händen der klassischen Rechten befinde. Schumacher wörtlich: "Sieben Barone und Industrielle stehen im Kabinett gegen drei braune Dilettanten. Die Reichswehr kommandiert ein Vertrauensgeneral Hindenburgs, die preußische Polizei hat von Papen, die Jugend und die Arbeit der Stahlhelmer Seldte."

Sechs Monate später saß Schumacher im Konzentrationslager, KPD, SPD und Reichsbanner waren zerschlagen. Für den Kampf war es zu spät.

Die Kapitulation der Sozialdemokraten war damit aber noch nicht zu Ende. Einige Gewerkschaftsführer waren schon 1932 vorsichtshalber aus der SPD ausgetreten, und am 1. Mai 1933 rief der ADGB, der Vorgänger des heutigen DGB, offiziell zur Teilnahme an den Maifeiern unter der Hakenkreuzfahne auf.

In Baden-Württemberg löste sich die SPD sogar freiwillig auf. Der Landesvorstand empfahl allen Mandatsträgern der Partei in den Kommunen und im Land sowie sozialdemokratischen Lehrern und Beamten den Parteiaustritt und forderte sie auf, "ihre Tätigkeit in einem Sinne auszuüben, der weder einen Zweifel an ihrer nationalen Gesinnung noch an dem guten Willen zulässt, die politische Neubildung Deutschlands nach den Plänen der nationalen Revolution zu unterstützen".

Betrachtet man diese Geschichte und die sieben Jahre der rot-grünen Koalition, dann ist es offensichtlich, dass die dringendste politische Aufgabe darin besteht, eine neuen Partei aufzubauen, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung, einschließlich der Rentner, Arbeitslosen und Jugendlichen vertritt. Es kann nicht die Aufgabe einer solchen Partei sein, das reformistische Programm der Sozialdemokratie wieder zu beleben, das so offensichtlich Schiffbruch erlitten hat. Hier besteht unsere wichtigste Differenz zur Linkspartei von Lafontaine und Gysi, die behauptet, sie könne dem bankrotten Programm der SPD neues Leben einhauchen.

Wie wir in unserem Wahlprogramm erklären, ist die "Arbeiterklasse in diesen Wahlen nicht nur mit dem Bankrott der rot-grünen Bundesregierung konfrontiert, sondern mit einer historischen Krise des kapitalistischen Systems". Der Kern dieser Krise besteht darin, dass die moderne Massengesellschaft, in der Millionen von Individuen durch die internationale Arbeitsteilung miteinander verbunden und voneinander abhängig sind, nicht mit dem anachronistischen Prinzip des Privateigentums an den Produktionsmitteln und mit den nationalen Grenzen zu vereinbaren ist, auf denen der Kapitalismus beruht.

Die Jagd der internationalen Finanzinstitutionen und Konzerne nach Profit gerät auf Schritt und Tritt in Gegensatz zu den grundlegendsten gesellschaftlichen Bedürfnissen der Menschheit - wie dies in New Orleans so deutlich sichtbar geworden ist. Die soziale Ungleichheit hat ein historisch beispielloses Ausmaß angenommen. 550 Milliardäre besitzen dasselbe Vermögen wie die ärmsten zwei Milliarden Menschen. Ein amerikanischer Topmanager verdient das fünfhundertfache eines Arbeiters in seinem Betrieb.

Der Kampf um Rohstoffe, Absatzmärkte und strategischen Einfluss löst neue imperialistische Kriege aus - wie den Irakkrieg, bei dem es vorrangig um Öl geht. Die amerikanische Regierung ist entschlossen, die Welt im Interesse des US-Imperialismus neu aufzuteilen und eine Weltordnung zu errichten, die auf den schlimmsten Formen kapitalistischer Plünderung und Ausbeutung beruht.

Dieser Entwicklung kann nur durch eine breite politische Massenbewegung der arbeitenden Bevölkerung Einhalt geboten werden. Das erfordert ein Programm, das sozialistisch und international ist. Es ist heute unmöglich, die soziale Lage der arbeitenden Bevölkerung zu verbessern oder auch nur den anhaltenden Sozialabbau zu stoppen, ohne das private Verfügungsrecht über die Produktionsmittel zu beschneiden. Eine sozialistische Regierung würde die Bedürfnisse der Bevölkerung prinzipiell höher stellen, als die Profitinteressen der Unternehmer und Wirtschaftsverbände und auf dieser Grundlage das gesamte Wirtschaftsleben neu gestalten

Kein einziges Problem, vor dem Arbeiter heute hier oder in irgendeinem anderen Land stehen, kann im nationalen Rahmen gelöst werden. Gegen die großen transnationalen Konzerne und Finanzinstitutionen, die einen Standort gegen den anderen ausspielen und die Belegschaften wechselseitig erpressen, gibt es nur eine Möglichkeit der Verteidigung: Arbeiter müssen ihre eigene internationale Strategie entwickeln, die auf Solidarität und Zusammenarbeit basiert.

In Europa bedeutet dies den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa. Die Europäische Union ist unfähig, die nationale und soziale Spaltung des Kontinents zu überwinden. Sie ist ein Werkzeug der mächtigsten Wirtschaftsverbände zur Durchsetzung von Sozialdumping. Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ungleichheit gehen Hand in Hand mit dem Abbau demokratischer Rechte und einer systematischen militärischen Aufrüstung. Europa kann nur auf sozialistischer Grundlage vereint und sozial gestaltet werden.

Die Partei für Soziale Gleichheit beteiligt sich an der Bundestagswahl, um die Grundlage für den Aufbau einer neuen sozialistischen Massenpartei der Arbeiterklasse zu legen. Als deutsche Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale verkörpert die PSG die Tradition der trotzkistischen Weltbewegung, die den Marxismus jahrzehntelang gegen die Sozialdemokratie und gegen den Stalinismus verteidigt hat.

Wir sind entschiedene politische Gegner der Linkspartei. Diese Partei ist durch einen Zusammenschluss von PDS und WASG entstanden. Sie ist nicht das Ergebnis einer Linksentwicklung der Arbeiterklasse, sondern ein gezielter Versuch, eine solche zu verhindern.

Sowohl die PDS, die Erbin der stalinistischen SED, als auch die WASG, deren Führung sich aus langjährigen Funktionären der SPD und der Gewerkschaften rekrutiert, blicken auf eine lange Tradition zurück, jede unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse zu unterdrücken. Mit der Gründung der Linkspartei versuchen sie dies unter Bedingungen zu wiederholen, unter denen die SPD in einer tiefen Krise steckt.

Lafontaine und Gysi greifen zwar viele soziale und politische Missstände auf. Darauf beruht die Resonanz der Partei, die sich in relativ hohen Umfragewerten äußert. Aber sie erklären ihren Wählern nie, was notwendig wäre, um ihre Forderungen zu verwirklichen. Der Begriff Sozialismus kommt im Wahlprogramm der Linkspartei nicht vor. Stattdessen erweckt sie die Illusion, allein durch Druck auf SPD und CDU könnten die sozialen und politischen Angriffe auf die Arbeiterklasse aufgehalten werden. Ihr Programm ist rein national orientiert. Es tritt für eine Rückkehr zur keynesianischen Wirtschaftssteuerung im nationalen Rahmen ein.

Eine solche Orientierung kann die Arbeiterklasse nur lähmen, einschläfern und angesichts der bevorstehenden Gefahren entwaffnen. Sie führt unweigerlich zu neuen Enttäuschungen, von denen ultrarechte Kräfte profitieren können. Sie ist zudem durchsichtig und zynisch. Schließlich sitzt die PDS hier in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern seit langem gemeinsam mit der SPD in der Landesregierung. Und das rot-rot Berlin ist Spitzenreiter beim Angriff auf Arbeitsplätze und Löhne im öffentlichen Dienst, dem Abbau von Kita- und Horstplätzen und Kürzungen in vielen anderen Bereichen, die im täglichen Leben der Bevölkerung von großer Bedeutung sind.

Vor allem die Radikalen, die in der Linkspartei aktiv sind - Linksruck und SAV - behaupten, die Partei werde sich weiter nach links bewegen. Sie entwickle eine Dynamik, die es zu unterstützen und zu fördern gelte. Doch das ist Augenwischerei. Die Arbeiterlasse kann sich nicht mit geschlossenen Augen zum Sozialismus bewegen. Die wichtigste Aufgabe einer sozialistischen Partei besteht darin, die Arbeiterklasse auf die unvermeidlichen Klassenkämpfe vorzubereiten. Sie muss die Dinge beim Namen nennen und allen Illusionen entgegentreten, der Angriff auf soziale und demokratische Rechte könne durch Druck auf die SPD oder andere bürgerliche Parteien gestoppt werden.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein, hat Marx geschrieben. Die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt geht gegenwärtig durch entscheidende politische Erfahrungen. Die Folgen der Hurrikankatastrophe in den USA hat - mehr noch als der Irakkrieg - vielen die Augen über den wirklichen Charakter der kapitalistischen Gesellschaft geöffnet. Unsere Aufgabe besteht darin, diese Erfahrungen ins Bewusstsein zu heben, sie zu verallgemeinern und die politischen Lehren daraus zu ziehen. Wir stützen uns auf die strategischen Lehren aus dem zwanzigsten Jahrhundert - aus den Erfolgen und Niederlagen der Arbeiterbewegung - und machen sie zur Grundlage für die kommenden sozialen und politischen Kämpfe.

Mit der World Socialist Web Site , die sich täglich über eine große Leserschaft in fast allen Ländern der Welt erfreut, verfügen wir dazu über ein hervorragendes Instrument. Ich bin zuversichtlich, dass sich sein Einfluss in der kommenden Periode enorm steigern wird und möchte Euch alle auffordern, an dieser anspruchsvollen und lohnenden Arbeit mitzuwirken.

Siehe auch:
Rege Diskussion bei Zentraler Wahlveranstaltung der PSG
(7. September 2005)
Aufruf der Partei für Soziale Gleichheit zur Bundestagswahl 2005
( 25. Juni 2005)
Wahlwebsite der PSG
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