Nach Toten in Ceuta und Melilla

EU beschließt Lagersystem für Flüchtlinge

Teil 2

Die Initiative zur Errichtung von weltweiten Flüchtlingslagern geht auf den britischen Premierminister Tony Blair zurück, der 2003 eine "Neue Vision für Flüchtlinge" vorstellte. Blair propagierte den Aufbau "Regionaler Schutzprogramme" in den Herkunftsregionen, wie sie nun von der EU beschlossen worden sind. Diese sollten durch Flüchtlingslager in den Transitstaaten in Nordafrika und an der Ostgrenze der EU flankiert werden.

Im Sommer 2004 schloss sich der deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) der Initiative Blairs an, nachdem im Mittelmeer Hunderte von Flüchtlingen ertrunken waren. Schily plädierte für die Errichtung von Flüchtlingslagern in Nordafrika, in denen die Flüchtlinge und Migranten "vorsortiert" werden. Einigen wenigen soll dann die Einreise in die EU ermöglicht, der überwiegende Teil in die Herkunftsländer zurück deportiert werden.

Seither hat die EU diese Pläne immer weiter konkretisiert. Im September 2004 beschloss der EU-Gipfel im Haager Programm die engere Kooperation mit den Herkunftsstaaten und Drittländern und die Zusammenarbeit mit dem UNHCR. Damit wurden der Aufbau von Lagern und Abschiebeabkommen mit den betroffenen afrikanischen Staaten vorbereitet.

Zusätzlichen Schub bekamen die Pläne durch die Aufforderung der EU-Kommission, einzelne Staaten sollten in Pilotprojekten erste Lager in Nordafrika errichten. Insbesondere die italienische und deutsche Regierung preschten voran und intensivierten die Zusammenarbeit mit Libyen und Tunesien.

Die Konzeption der Flüchtlingslager konkretisierte der scheidende deutsche Innenminister Otto Schily schließlich auf dem informellen Treffen der EU-Innenminister Anfang September dieses Jahres im britischen Newcastle.

Das Papier mit dem zynischen Titel "Effektiver Schutz für Flüchtlinge, wirkungsvolle Bekämpfung illegaler Migration" spricht offen aus, dass mit den Flüchtlingslagern das Recht auf Asyl faktisch begraben wird. In den Lagern soll die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge in einem "Screening-Verfahren" geprüft werden. Damit ist kein normales Asylverfahren gemeint, es soll vielmehr "dem Verfahren nachgebildet werden, wie es der UNHCR in Drittstaaten durchführt". Jeglicher Rechtsanspruch seitens der Flüchtlinge wird dabei ebenso unter den Tisch fallen, wie die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention.

Für die Flüchtlinge, deren Schutzbedürftigkeit festgestellt wird, sollen sichere Drittstaaten gefunden werden - außerhalb der EU. Denn die EU-Mitgliedsstaaten sollen nur "ersatzweise auch im Rahmen von humanitären Aufnahmeprogrammen" Flüchtlinge aufnehmen, eine verbindliche Aufnahme wird es nicht geben.

Schily will sich die Hände rein waschen, indem die Abschiebung von Flüchtlingen, denen keine Schutzbedürftigkeit zugestanden wird, an die so genannten "Sitzstaaten" der Lager delegiert wird. Dabei ist es, wie Schily weiter ausführt, nicht erforderlich, dass diese "Sitzstaaten" die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben, es genügt eine vage Einhaltung von deren Standards.

Schilys Papier ist damit direkt auf Libyen gemünzt, das bislang keine international rechtsverbindlichen Abkommen zum Flüchtlingsschutz unterzeichnet hat. Das kommt Schily und der EU zupass. Sie möchten die Flüchtlinge in rechtsfreien Räumen halten, in denen sie ausgeschlossen von jeglicher öffentlichen Kontrolle abgewiesen und in die Herkunftsländer deportiert werden können.

Libyen erfährt derzeit bei den Regierungen in Rom und Berlin die größte Aufmerksamkeit bei der Flüchtlingsbekämpfung. Das Regime Muammar al Gaddafis hatte der EU noch bis vor kurzem als Unterstützerstaat für Terroristen gegolten und war mit einem Embargo belegt worden. Doch durch die großen Öl- und Erdgasvorkommen - Libyen ist nach Nigeria der zweitgrößte Ölproduzent Afrikas - hat das Land gerade auch im Zuge der Besetzung des Irak an wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung gewonnen.

Libyen, das dringend auf ausländische Investitionen angewiesen war, um die marode Erdölindustrie zu modernisieren, konnte zudem dem wirtschaftlichen Druck immer weniger standhalten. Durch die öffentlichkeitswirksame Entschädigung der Opfer des Flugzeugattentates von Lockerbie konnte es sich schließlich die Aufhebung des EU-Embargos im Oktober 2004 erkaufen.

Seither kooperiert die EU bei der Flüchtlingsbekämpfung sehr eng mit dem nordafrikanischen Staat. Im Herbst letzten Jahres begann Italien mit der regelmäßigen Massendeportation von Flüchtlingen nach Libyen, oftmals ohne jegliche Prüfung der Fluchtgründe. Ab Juni 2005 setzte dann das deutsche Innenministerium eine Task-Force ein, die Libyen mit Hightech-Equipment beim Grenzschutz unterstützt und begonnen hat, erste Flüchtlingslager aufzubauen.

Wiederbelebung des Kolonialismus

Hinter den Flüchtlingslagern steckt noch mehr. Der für Migrations- und Asylfragen zuständige EU-Kommissar Franco Frattini hat seit seinem Amtsantritt im Herbst 2004 Pläne für eine gesteuerte legale Einwanderung in die Europäische Union vorangetrieben, bei denen den Flüchtlingslagern und "Regionalen Schutzprogrammen" eine bedeutende Rolle zukommt. In einem Grünbuch der EU-Kommission "über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration" werden Überlegungen zur Selektion von Arbeitsmigranten vorgestellt.

Dabei geht es vor allem darum, aus Drittstaaten passende Bewerber auszusieben, die kurzfristig auf dem europäischen Arbeitsmarkt gebraucht werden. In Ausbildungs- und Trainingszentren in den Herkunftsländern sollen die Arbeitsmigranten vorbereitet werden. Dort soll auch ein Qualifikationsprofil erstellt werden, das in einer gemeinsamen EU-Datenbank gespeichert wird.

Es bietet sich für die EU dabei geradezu an, die von ihr unterhaltenen Flüchtlingslager in Afrika und Osteuropa für die Selektion von Arbeitsmigranten zu benutzen. Im Herbst 2004 ließ Rocco Buttiglione, damals Anwärter auf den Posten des EU-Kommissars für Justiz und Inneres, entsprechende Pläne nach Gesprächen mit dem italienischen Industriellenverband Confindustria verlautbaren.

Die Aufenthaltserlaubnis für die selektierten Migranten würde dabei streng an die Arbeitserlaubnis gekoppelt, Nach Beendigung der befristeten Arbeitsverhältnisse würden sie wieder abgeschoben. Auf diese Art und Weise würden die Flüchtlingslager sich in Arbeitslager verwandeln, deren historische Vorbilder in den Exzessen der Kolonialzeit und des Naziregimes zu suchen sind.

So steht hinter den Flüchtlingslagern in Afrika auch eine Wiederbelebung des Kolonialismus. Otto Schily hat nicht zufällig gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vorgeschlagen, "dass einzelne EU-Mitgliedsstaaten jeweils Patenschaften für afrikanische Staaten" übernehmen, "um deren wirtschaftliche und soziale Notlage zu überwinden". Schily hat dabei die Anknüpfung an "bestimmte traditionelle Verbindungen in Afrika" im Sinn, wie er bereits im August 2004 gegenüber der Süddeutschen Zeitung bemerkte.

Ganz in diesem Sinne ist auch die Ankündigung der Europäischen Kommission zu verstehen, die Finanzhilfen für Afrika bis zum Jahr 2010 aufzustocken. Insgesamt sollen in den nächsten Jahren etwa 20 Milliarden Euro zusätzlich nach Afrika fließen. Doch damit soll weder die Armut bekämpft noch die völlig unterfinanzierten Gesundheits- und Bildungssysteme gestärkt werden. In der Absichtserklärung heißt es lapidar: "Im Rahmen der Infrastrukturpartnerschaft würde die EU Programme fördern, die die Interkonnektivität des Kontinents und damit Handel, Integration, Stabilität und Entwicklung in der Region voranbringen."

Gemeint sind damit vor allem der Ausbau von Straßen- und Schienenetzen sowie der Strom- und Wasserversorgung. Mit diesen Maßnahmen wird der Zweck verfolgt, die Rohstoffe Afrikas noch effizienter auszubeuten und gleichzeitig den Kontinent als Absatzmarkt für die Produkte der europäischen Wirtschaft zu sichern.

Die EU will sich zudem durch die Förderung einer so genannten "Governance-Initiative" auch direkt in die Staatsführung einmischen. Im Blick hat die EU dabei, wie Kommissionspräsident Manuel Barroso ausführte, die "heranwachsenden afrikanischen Führungseliten, die sich alle mit Überzeugung für eine verantwortungsvolle Staatsführung" einsetzen. Es sind die Schichten, die sich ihre führende Stellung in den ökonomisch rückständigen Staaten Afrikas durch ihre guten Beziehungen zu den Großmächten und transnationalen Konzernen sichern können.

Es geht der EU nicht darum, das Elend der Bevölkerung zu bekämpfen. Die "Governance-Initiative" zielt vor allem auf die Durchsetzung der Diktate des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gegen die Arbeiterklasse und die Bauernschaft. Alleine die afrikanischen Länder südlich der Sahara haben Auslandsschulden in Höhe von 230 Milliarden Dollar. Für jeden Dollar Entwicklungshilfe müssen sie drei Dollar an Zinsen und Tilgung an die Banken, Institutionen und Regierungen Westeuropas und Nordamerikas zurückführen.

Die Aufstockung der Afrikahilfe wird also die Not, die Menschen unter Einsatz ihres Lebens in die Flucht treibt, nicht lindern. Barroso stellte zudem das ganze Vorhaben unter den Vorbehalt, dass sich die Europäische Union noch in diesem Jahr auf einen Finanzrahmen bis 2014 einigt. Das ist keineswegs sicher, nachdem der letzte EU-Gipfel an dieser Frage scheiterte. Sollten die Regierungschefs der EU sich nicht auf einen Haushalt verständigen können, müssten sogar bestehende Hilfen für Afrika gestrichen werden, wie Barroso erklärte.

Siehe auch:
EU beschließt Lagersystem für Flüchtlinge - Teil 1
(27. Oktober 2005)
Spain: refugees killed survivors abandoned in Moroccan desert
( 22. Oktober 2005)
Young African workers killed in Spanish enclave
( 3. Oktober 2005)
EU entwickelt die "Festung Europa"
( 20. Januar 2005)
EU-Innenminister beschließen Pilotprojekte für Flüchtlingslager in Nordafrika
( 12. Oktober 2004)
Erstes Flüchtlingslager der EU soll schon bald in Libyen entstehen
( 24. August 2004)
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