Große Feierlichkeiten für Konfuzius: Peking greift alte imperialistische Ideologie auf

Die große Feier, die die Pekinger Regierung Ende September zu Ehren des 2556. Geburtstages des Philosophen Konfuzius veranstaltete, ist ein weiteres Zeichen der Verknöcherung der Chinesischen Kommunistischen Partei (CKP). Sie sucht eine Ideologie, die dafür taugt, ihre autokratische Herrschaft und ihre Begeisterung für den kapitalistischen Markt zu rechtfertigen. Deshalb lässt sie den schon lange toten Konfuzius wieder auferstehen.

Das Konfuzius-Kulturfestival fand in diesem Jahr in Qufu statt, der Heimatstadt des Philosophen in der östlichen Provinz Shangdong. Die chinesische Regierung erklärte den September zum "Konfuzius-Kultur-Monat". Etwa 2.500 Personen, viele davon Beamte und Akademiker, nahmen an den Feierlichkeiten am Tempel des Konfuzius teil.

Religiöse Rituale, die früher einmal von chinesischen Kaisern praktiziert worden waren, wurden wieder aufgenommen und von Künstlern in der Kleidung von vormaligen Hofbeamten und Priestern zelebriert, um den "Meister" zu ehren.

Peking finanzierte auch in den USA, Deutschland, Südkorea und Japan sowie in Taiwan und Hong Kong Gedenkfeiern anlässlich des Geburtstags von Konfuzius. Bisher hat die Regierung Chinas zehn Milliarden Dollar für das Programm "Chinesische Brücke" bereit gestellt, um die "traditionelle Kultur" zu fördern. Gemeint ist die Förderung des Konfuzianismus durch akademische Aktivitäten und Konfuzius-Gesellschaften in China und im Ausland.

Noch vor 20 Jahren wäre ein solches Programm als Förderung "feudalen Unsinns" gebrandmarkt worden. Im Jahr 2005 jedoch schreibt die staatliche Nachrichtenagentur begeistert: "Man glaubte, es sei eine tote Doktrin, aber der Konfuzianismus hat ein erstaunliches Comeback erlebt ..." Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua begrüßte die Feierlichkeiten zu Konfuzius’ Geburtstag begeistert als bedeutendes Element der Kampagne des Präsidenten Hu Jintao für eine "harmonische Gesellschaft".

Kang Xiaoguang, einer der wichtigsten Fürsprecher des Konfuzianismus an der Akademie für Sozialwissenschaften, ist der Meinung, die Kommunistische Partei solle den Konfuzianismus als offizielle Staatsideologie einführen. Er sagte am 2. Oktober gegenüber Scotland on Sunday, dass für das Überleben Chinas angesichts steigender Kriminalitätsraten, Arbeitslosigkeit, staatlicher Korruption, sozialer Polarisation zwischen Arm und Reich und dem Fehlen von Sozialfürsorge eine neue moralische Basis nötig sei.

"Die chinesische Gesellschaft ist heute in ihrer historisch schlechtesten Verfassung... - eine Mischung aus Kapitalismus und Marxismus-Leninismus. Das Resultat davon ist, dass die Menschen nicht mehr wissen, wie sie miteinander, mit ihren Geschäftspartnern oder mit ihren Freunden und Familien umgehen sollen. Wir haben keinen Maßstab, was ein glückliches Leben ausmacht. Konfuzius bietet traditionelle Werte, die helfen können, unsere moralischen und sozialen Normen wieder aufzurichten", sagte Kang.

Seine Liste sozialer Probleme unterstreicht, dass nach 25 Jahren "Marktreform" Pekings Behauptung, den Sozialismus zu repräsentieren, derart absurd ist, dass etwas anderes gebraucht wird, um inmitten sozialer Spannungen und wachsender Proteste das ideologische Vakuum zu füllen.

Die jüngsten Statistiken zeigen, dass sich das Vermögen der 100 reichsten Chinesen im vergangenen Jahr um 40 Prozent erhöhte. Die 400 reichsten Chinesen besitzen zusammen ein Vermögen von 75 Milliarden Dollar, was etwa 7 Prozent des jährlichen Bruttosozialproduktes des Landes entspricht. Im Vergleich dazu liegt der durchschnittliche Jahreslohn bei 1.100 Dollar, und die ärmsten Bauern verfügen über jährlich 100 Dollar oder weniger.

Peking hat kaum ideologische Optionen. Nur noch Wenige glauben an die hohle "sozialistische" Rhetorik des Staates. Einige protestierende Arbeiter haben sogar die nach wie vor verfügbare marxistische Literatur aufgegriffen, um ihre Forderungen zu untermauern, und die stalinistische Führung wegen Betruges am Sozialismus kritisiert. Die chinesische Führung fürchtet aber auch, dass jeder Aufruf zu mehr "Demokratie" die bereits anwachsenden Proteste der Arbeiter und Bauern stärken und dass es zu Massendemonstrationen wie 1989 auf dem Tiananmen-Platz kommen könnte.

Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sich die Kommunistische Partei formell als "Chinesische Konfuzianische Partei" umbenennt, aber das Wiederaufkommen des Konfuzianismus - einer Ideologie die unbedingten Gehorsam gegenüber der Autorität fordert - entspricht Pekings ideologischen Bedürfnissen. Die Kommunistische Partei weist dabei ihre eigenen Ursprünge aus der Vierten-Mai-Bewegung von 1919 zurück. Damals führten Studenten und Intellektuelle einen erbitterten ideologischen Kampf gegen den Konfuzianismus, den sie als Haupthindernis für das demokratische Erwachen der Massen ansahen.

Die historische Rolle des Konfuzianismus

An Konfuzius, der über die Jahrhunderte hinweg in den Status eines Gottes erhoben wurde, gibt es nichts Mythisches. Er gehörte zu den vielen Philosophen, die ihre Blütezeit während der Östlichen Zhou-Periode hatten (770-221 v. Chr.), die auf die bedeutende Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft infolge des Aufkommens von Eisenwerkzeugen folgte. Alte Formen der Gemeinwirtschaft wurden durch den Erbadel verdrängt, die Städte expandierten und umfangreiche Bewässerungssysteme wurden errichtet.

In dieser progressiven Ära, bekannt für das Aufblühen der "Hundert Schulen", entstand eine gebildete Elite, die Zeit hatte, die chinesischen Klassiker zu studieren, und das Lesen und Schreiben beherrschte. Die konfuzianische Idee, dass "die, die geistig arbeiten, herrschen und die körperlich Arbeitenden beherrscht werden sollen", drückte die Interessen der neuen Klasse des Landadels aus, der die Basis der imperialen Bürokratie bildete.

Dreihundert Jahre nach dem Tode Konfuzius’ wurde seine Doktrin zur offiziellen Ideologie der kaiserlichen Regierung. Der Konfuzianismus wirkte im gesellschaftlichen Leben als strikter Verhaltenskodex. Jedem wurden in der Hierarchie seine persönliche Abhängigkeit und Unterordnung zugewiesen: Der Sohn gegenüber dem Vater, die Frau gegenüber dem Ehemann, der Diener gegenüber dem Herrn, und über allen der Kaiser. Jeder, der gegen seine Stellung rebellierte, konnte erbarmungslos bestraft werden. In den darauf folgenden Jahrhunderten wurden mit den konfuzianischen Dogmen barbarische Praktiken gerechtfertigt, beispielsweise das Füßebinden der Frauen, ein Element ihrer Unterwürfigkeit gegenüber den Männern.

Unter dem Orientalischen Despotismus stagnierten die Produktivkräfte. Obwohl verschiedene Dynastien aufkamen und verschwanden, blieb Chinas soziale Struktur für 2.000 Jahre nahezu unverändert. Unter diesen Bedingungen genoss Konfuzius’ Ideologie eine privilegierte Existenz. Mit ihrer idealistischen und sogar mythischen Auffassung von der göttlichen Ordnung der Gesellschaft wirkte sie als ein Bollwerk gegen die Entwicklung wissenschaftlichen Denkens.

Als in Folge der Unterordnung Chinas unter die europäischen Mächte im 19. Jahrhundert kapitalistische Verhältnisse ins Land getragen wurden, betrachtete die entstehende Intelligenz den Konfuzianismus als ein Hindernis für den sozialen Fortschritt, die Wissenschaft und überhaupt für die moderne Kultur.

Sun Yatsen, der Führer der Chinesischen Nationalistischen Partei (Kuomintang) und der Revolution von 1911, verlangte in seinem Programm zum Sturz der Mandschu-Dynastie und der Errichtung einer demokratischen Republik unter anderem die Abschaffung des Konfuzianismus. Der chinesischen Bourgeoisie war die Abschaffung des Konfuzianismus jedoch unmöglich - genau wie es ihr unmöglich war, eine Landreform durchzuführen, die halbfeudalen Verhältnisse zu beseitigen und allgemeine demokratische Rechte einzuführen.

Radikalere chinesische Intellektuelle wie Chen Duxiu, die später die Kommunistische Partei gründeten, standen der Revolution von 1911 kritisch gegenüber. Inmitten eines allgemein explodierenden Interesses für westliche Literatur, politische und ökonomische Theorien und Naturwissenschaften führten sie eine Bewegung für "neue Kultur" an, die dem Konfuzianismus den Krieg erklärte. Alte Traditionen wie der Zopf für Männer, das Füßebinden für Frauen oder der Brauch, sich Nebenfrauen zu halten, wurden angeprangert und für das "neue Leben" verworfen.

Chen und seine Genossen setzten sich auch für eine Literaturreform ein, um die "gestelzte, gepuderte und unterwürfige Literatur der wenigen Aristokraten zu überwinden und eine ehrliche, einfache und expressive Literatur des Volkes" zu schaffen. Auf diese Weise wurden die Grundlage für die moderne chinesische Sprache gelegt und den Massen fortgeschrittene Ideen zugänglich gemacht.

Der entscheidende Wendepunkt war die Revolution von 1917 in Russland. Im Mai 1919, nach dem Ende des ersten Weltkrieges, beschlossen die Siegermächte, Deutschlands Besitz in China an Japan zu übertragen. Diese Entscheidung löste breite antiimperialistische Proteste unter Studenten und Arbeitern aus. Die Fortschrittlichsten unter ihnen wandten sich dem Bolschewismus zu und gründeten zwei Jahre später die Kommunistische Partei Chinas.

Der britische Philosoph Bertrand Russel, der sich nach der Vierten-Mai-Bewegung in China aufhielt, erinnerte sich später: "Sie alle (seine Studenten) waren Bolschewiken, ausgenommen der Neffe des Kaisers. Sie waren bezaubernde junge Menschen, unverdorben und intelligent, begierig die Welt zu verstehen und den Fesseln der chinesischen Traditionen zu entkommen ... es gab keine Grenze und kein Opfer, das sie nicht für ihr Land gebracht hätten. Die Luft war elektrisiert von der Hoffnung auf das große Erwachen. Nach Jahrhunderten des Schlafes wurde sich China der modernen Welt bewusst."

Aber während der zweiten chinesischen Revolution von 1925-1927 betrog die aufkommende stalinistische Bürokratie auf kriminelle Weise die sozialistischen und internationalistischen Bestrebungen, auf deren Grundlage die Kommunistische Partei Chinas entstanden war. Das hatte tragische Konsequenzen. In den 1930er und 40er Jahren, unter der Diktatur Tschiang Kaischeks, wurde die Verehrung für Konfuzius als Bestandteil der politischen Reaktion gegen den Kommunismus wiederhergestellt. Bis heute hat er sich in Taiwan erhalten, wohin die besiegten Armeen Tschiang Kaischeks 1949 geflohen waren.

Das neue Regime in China gründete sich nicht auf den Marxismus, sondern auf die reaktionären Dogmen des Stalinismus. Um kritische Gedanken unter Arbeitern und Intellektuellen zu unterdrücken, förderte die Führung den Personenkult um Mao Tsetung und ländliche Rückständigkeit verbunden mit Vorurteilen gegen Wissenschaft und "bürgerliche" Kultur. Ihren zerstörerischsten Ausdruck fand diese Entwicklung in der "Kulturrevolution" von 1966 bis 1976.

Obwohl Mao den Konfuzianismus zusammen mit anderem chinesischen und westlichen Kulturerbe verurteilte, förderte er Werte, die im Grunde dem Konfuzianismus entsprachen -Selbstaufopferung, moralische Regeln und die Unterdrückung eigener Wünsche -, um damit das Regime zu stärken. Andererseits hatte die stalinistische Bürokratie ihre eigene Moral, die sich mit der Hinwendung zum kapitalistischen Markt Ende der siebziger Jahre in wachsender Korruption und Profitmacherei äußerte und von Deng Xiaopings in der Parole zusammengefasst wurde: "Reich werden ist ehrenhaft."

Die Integration Chinas in die kapitalistische Weltwirtschaft untergrub Pekings Anspruch, sozialistisch zu sein. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann die stalinistische Bürokratie Chinas bewusst nach einer neuen Ideologie zu suchen, die ihr die Unterstützung von Teilen der Mittelschichten sichern würde. Ein internes Dokument von 1991 "Realistische Antworten und strategische Möglichkeiten für China nach der Auflösung der Sowjetunion" sprach sich offen für ein neues System aus, das auf Nationalismus und "traditioneller chinesischer Kultur" beruht.

Nach dem Massaker 1989 auf dem Tiananmen-Platz floss viel ausländisches Kapital ins Land, eine Anerkennung von Pekings Entschlossenheit, gegen jede Opposition der Arbeiterklasse durchzugreifen. In den vergangenen 15 Jahren haben sich die sozialen Spannungen in dem Maße verschärft, wie der Graben zwischen Arm und Reich tiefer wurde. Alle gesellschaftlichen Übel des "alten China" sind in neuer Größe zurückgekehrt: Sweatshop-Arbeit, die nicht selten unter Einsperrung der Arbeiter stattfindet, Drogensucht, Unterdrückung der Frau, Prostitution und das Halten von Konkubinen, staatliche Korruption und ländliche Armut.

Es ist daher nicht überraschend, dass Pekings Führung eine Kampagne startete um die Ideologie des Konfuzianismus neu zu beleben. Damit verleugnet sie sogar ihr vormaliges, rein verbales Festhalten an der Vergangenheit der Kommunistischen Partei.

Siehe auch:
Chinesische Führung will gestürzten Partei-"Reformer" ehren
(8. Oktober 2005)
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