Entlassungsklage gegen Opel vor dem Berufungsgericht

Mehr als ein Jahr nach dem einwöchigen Arbeitskampf der Bochumer Opelarbeiter gegen den massiven Stellenabbau und die Stilllegungspläne von General Motors werden die Ereignisse vom Herbst 2004 in einem Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (Nordrhein-Westfalen) neu aufgerollt.

Die General-Motors-Tochter Adam Opel AG hatte unmittelbar nach dem Abbruch der Protestaktionen den Lagerarbeiter Richard Kaczorowski fristlos entlassen und auch gegenüber dem Betriebsratsmitglied Turhan Ersin eine fristlose Kündigung ausgesprochen. Doch während letzterer als Betriebsratsmitglied Kündigungsschutz genießt und Opel die Wirksamkeit der Kündigung erst vor dem Arbeitsgericht durchsetzen muss, konnte Richard Kaczorowski sofort vors Tor gesetzt werden. Er ist seinerseits gezwungen, einen langwierigen Prozess zu führen, um die Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit seiner Kündigung feststellen zu lassen.

Die Bochumer Belegschaft hatte am 14. Oktober letzten Jahres die Arbeit niedergelegt und sich zu Informationsveranstaltungen an den Werkstoren versammelt, nachdem über den Betriebsrat, die Vertrauensleute und auch die öffentlichen Medien bekannt geworden war, dass der Opel-Chef von Europa, Fritz Henderson, gegenüber der Presse die Stilllegung ganzer Werke angedroht hatte. Die Arbeitsniederlegung dauerte mehrere Tage, führte zum Stillstand der gesamten Produktion und wurde von der ganzen Bevölkerung mit Sympathie begleitet.

Am dritten Tag, einem Samstag, an dem eigentlich ohnehin keine Fertigung stattfinden sollte, war eine Gruppe der Streikenden, darunter Richard Kaczorowski, von der Informationsveranstaltung am Tor in ihre Werkshalle gegangen, um dort die Karosseriemodule des neuen Zafira in Augenschein zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit kam es zu einem kurzen Wortwechsel mit einer Gruppe von vier anderen Arbeitern und einem leitenden Angestellten, die dort, in einer Ecke der ansonsten völlig leeren und ruhigen Halle der Endmontage, an diesen Modulen herumwerkelten und gerade dabei waren, Einrichtungsarbeiten zu beenden. Wie bei allen anderen zahllosen Diskussionen, die in jenen Tagen im Werk, auf den Versammlungen an den Toren oder zuhause von Tausenden von Arbeitern geführt wurden, ging es um die Zukunft der Beschäftigten, die Zukunft ihrer Familien und darum, weshalb es wichtig sei, die Protestaktionen und Informationsveranstaltungen zu den geplanten Massenentlassungen zu unterstützen.

Diese Diskussion hatte die Geschäftsführung dann zum Vorwand für die fristlose Kündigung Richard Kaczorowskis "wegen erheblicher Störung des Betriebsfriedens" genommen. Er habe die Kollegen beschimpft, bedroht und beleidigt.

Richard Kaczorowski hatte sowohl bei den "Vernehmungen", welche die Opel-Geschäftsführung selbst geführt hatte, als auch in seinen Schriftsätzen und Aussagen für das Gericht diese Behauptungen stets als unwahr und frei erfunden zurückgewiesen. Und selbst die von Opel benannten Belastungszeugen hatten in der Verhandlung der 1. Instanz vor dem Arbeitsgericht in Bochum diesen Angaben der Geschäftsführung widersprochen. Alle fünf, selbst der leitende Angestellte W., hatten zu Protokoll gegeben, dass sie sich nicht bedroht gefühlt hatten. Der Vorsitzende Richter hatte darauf hin geäußert, dass die Zeugen, die der Kläger Richard Kaczorowski für seine Darstellung des Sachverhalts benannt hatte, ja wohl nicht mehr gebraucht würden, so dass viele Prozessbeobachter schon glaubten, die Klage des Arbeiters habe Erfolg.

Doch beim nächsten Termin im Juli hatte der Richter dann zur Überraschung der zahlreichen im Zuschauerraum versammelten Kollegen Richard Kaczorowskis verkündet, die Klage sei abgewiesen. Die Kündigung sei wirksam, nicht als fristlose, aber als fristgerechte. Zuvor hatte er eine Abfindung in Höhe von 20.000 Euro als Grundlage für eine Einigung ohne Urteil vorgeschlagen - ein Vermittlungsvorschlag, der von dem klagenden Arbeiter eher als provokativ empfunden und abgelehnt worden war.

In der schriftlichen Urteilsbegründung hatte der Richter dann Argumente zur Rechtfertigung der Kündigung angeführt, die der Opel-Geschäftsführung nicht in den Sinn gekommen waren und die sie auch in dem Kündigungsschreiben nicht angeführt hatte: Kaczorowski habe nicht nur den Betriebsfrieden, sondern auch den Betriebsablauf, d. h. den technischen Fertigungsprozess empfindlich gestört und sich zweitens mit seinem Verhalten weit über das Maß der anderen Streikbeteiligten hinaus der Pflichtverletzung schuldig gemacht, indem er andere Mitarbeiter zum Vertragsbruch aufgefordert habe.

Das Berufungsverfahren

Richard Kaczorowski legte Berufung gegen das Urteil ein, über die jetzt in Hamm verhandelt werden soll. Dieses Berufungsverfahren hat Aussicht auf Erfolg, kann aber im Falle einer Niederlage sehr teuer werden: Immerhin kommen dann auf den Kläger Gerichtskosten in Höhe von mehr als 10.000 Euro zu, darüber hinaus trägt er ohnehin seine eigenen Anwaltskosten. Die von der Gewerkschaft gestellte Anwältin agierte nicht in seinem Interesse, daher musste er bereits vor der zweiten Verhandlung in erster Instanz auf eigene Rechnung einen fähigen und gründlichen Rechtsanwalt engagieren.

Dieser begründet die Berufung mit zahlreichen formalen Rechtsmängeln sowohl des Kündigungsverfahrens der Adam Opel AG als auch des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens und Urteils.

So sind bei der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung nicht all die Vorwürfe genannt worden, mit denen jetzt vom Gericht die Entlassung gerechtfertigt wird. Außerdem ist der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß über die Tatsache informiert worden, dass Richard Kaczorowski 24 Jahre lange ohne jede Beanstandung bei Opel gearbeitet hat.

Was die Rechtsmängel des Bochumer Verfahrens und Urteils angeht, so war es für alle Beteiligten und Beobachter auffallend, dass die vom Kläger benannten Zeugen ohne jede Begründung einfach nicht gehört worden waren. Und sofern in der schriftlichen Urteilsverkündung auf die protokollierten Aussagen der vernommenen, von Opel benannten Zeugen Bezug genommen wird, werden sie inhaltlich schlicht ins Gegenteil verkehrt. Darüber hinaus stützt sich das Urteil auf Argumente, die weder in den Kündigungsschreiben noch in den mündlichen Verhandlungen vorgebracht worden waren.

Aber nicht nur formalrechtliche, sondern auch inhaltliche Gründe führt Richard Kaczorowski gegen das Urteil an. Bezüglich des Vorwurfs der "erheblichen Störung des Betriebsablaufs" und seines angeblich "pflichtwidrigen Verhaltens", das "weit über das der anderen gegen einen Personalabbau demonstrierenden Mitarbeiter" hinaus gegangen sei, betont er, dass es angesichts der tagelangen Arbeitsniederlegung von über 6.000 Beschäftigten überhaupt keinen Betriebsablauf gegeben habe, den er "erheblich" hätte stören können. Davon abgesehen hat er nicht, wie vom Richter behauptet, andere Mitarbeiter zum "Streik" oder "Vertragsbruch" aufgefordert, sondern eine Diskussion geführt, wie sie seit Beginn der Protestaktionen zu Tausenden geführt worden waren.

Es hat den Anschein, als ob das Landesarbeitsgericht in Hamm sich auf Grund der schriftlichen Begründung der Berufung tatsächlich veranlasst sieht, nochmals eine gründliche Tatbestandsaufnahme vorzunehmen, so wie sie der Amtsrichter der ersten Instanz nicht durchgeführt hat. So wurden alle Zeugen nochmals vorgeladen, auch die von Richard Kaczorowski benannten. Außerdem forderte es nach Angaben des klagenden Arbeiters ihn selbst und auch das beklagte Unternehmen auf, zahlreiche Fragen zu den fraglichen Ereignissen während der Protestaktionen vorab schriftlich zu beantworten.

Die Opel-Geschäftsführung soll zum Beispiel Stellung dazu nehmen, warum nur Richard Kaczorowski entlassen worden ist und kein einziger anderer seiner Begleiter. Auch soll geklärt werden, ob für den fraglichen Samstag überhaupt eine ordnungsgemäße schriftliche Genehmigung für die Arbeiten eingeholt worden war, die an den Zafira-Karosseriemodulen durchgeführt worden waren.

Betriebsrat und Gewerkschaft

Diese Frage wirft natürlich eine weitere Frage auf, die vielleicht die Urteilsfindung selbst nicht so stark beeinflussen mag, jedoch von entscheidender Bedeutung dafür war, dass Richard Kaczorowski als einfacher Arbeiter überhaupt gezwungen ist, einen so langwierigen Prozess über zwei Instanzen zu führen, um seine Rechte und seinen Arbeitsplatz zu verteidigen.

Die Frage ist: Was war überhaupt die Rolle des Betriebsrats und der Gewerkschaft bei den Protestaktionen im Herbst 2004, was ist ihre Rolle seitdem?

Für eine Antwort genügt es, sich drei Fakten vor Augen zu führen:

Die fristlose Kündigung ist erst dadurch möglich geworden, dass Betriebsrat und Gewerkschaft den Arbeitskampf gegen den Willen vieler Beschäftigter und ohne irgendein greifbares Ergebnis beendet hatten. Dabei hatten sie es auch unterlassen, mit der Geschäftsleitung den Ausschluss von Maßregelungen zu vereinbaren, wie es sonst seit drei Jahrzehnten bei ähnlichen betrieblichen Kämpfen üblich gewesen war. Grünes Licht also für die Art von Strafexpeditionen, die zweifellos von der internationalen Konzernleitung angeordnet und vom Management in Deutschland unmittelbar nach dem Streikabbruch gegen Richard Kaczorowski und Turhan Ersin in die Tat umgesetzt worden sind.

Was den umstrittenen Vorfall in der Endmontagehalle bei den Zafira-Modulen betrifft, so hatte der Betriebsrat entweder der Samstagsarbeit mitten während der Arbeitsniederlegung formell zugestimmt - oder sie stillschweigend ohne ordnungsgemäße Genehmigung geduldet. Mehr noch: nach Angaben von Beschäftigten hat der stellvertretende Betriebsratvorsitzende Lothar Marquart, früher ein langjähriges DKP-Mitglied, höchstpersönlich am Vorabend die beiden Zafira-Module durch die Reihen der am Tor versammelten Arbeiter geschleust, um diese Arbeiten am Samstag zu ermöglichen. Dies hatte nicht nur heftige Proteste und viele Diskussionen unter der streikenden Belegschaft ausgelöst. Die Geschäftsleitung musste sich durch dieses Vorgehen zu jeder Art von Provokationen geradezu eingeladen fühlen.

Ein Jahr nach seiner Kündigung immer noch arbeitslos, unterliegt Richard Kaczorowski inzwischen den Regeln von Hartz IV, d. h. er bekommt keinen Cent Arbeitslosengeld. Da seine Frau arbeitet - für einen sehr bescheidenen Lohn -, ist ihm jede Unterstützung gestrichen worden, obwohl sein Sohn seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen hat und noch zuhause wohnt. Ungeachtet dieser äußerst angespannten persönlichen Lage Kaczorowskis war der Betriebsrat trotz zahlreicher Aufforderungen nicht bereit, ihm etwas von den Geldern zukommen zu lassen, die von der Bevölkerung der ganzen Region während des Arbeitskampfes speziell für solche Notfälle gespendet worden waren und seitdem vom Betriebsrat unter Verschluss gehalten werden. Auch lehnt es die örtliche Verwaltung der IG Metall bis heute ab, die Gerichtskosten durch die gewerkschaftliche Rechtsschutzversicherung bestreiten zu lassen, in die Kaczorowski als Gewerkschaftsmitglied seit 24 Jahren eingezahlt hat.

Endstation Hartz IV

Nicht nur der entlassene Richard Kaczorowski, auch alle seine Kollegen sind damit konfrontiert, dass der Betriebsrat und die Gewerkschaftsbürokratie hinter dem Rücken der Beschäftigten eng mit der Geschäftsleitung zusammenarbeiten und immer neue Zugeständnisse machen.

Wenige Wochen nach dem Abbruch der Arbeitsniederlegung hatte der Betriebsrat mit der Geschäftsleitung ein Abkommen mit dem zynischen Titel "Zukunftsvertrag" getroffen. Nach dieser Vereinbarung vom Dezember 2004 werden 10.000 Arbeitsplätze abgebaut. Zu diesem Zweck sollen in Bochum 2.820, in Rüsselsheim rund 3.500 Beschäftigte durch Abfindungen dazu gebracht werden, sich "freiwillig" in so genannte "Transfer- oder Beschäftigungsgesellschaften", d.h. auf Abstellgleise mit der Endstation Hartz IV abschieben zu lassen. Betriebsrat und Gewerkschaft handeln dabei als Co-Manager der Geschäftsleitung, um den Abbau der Arbeitsplätze durchzusetzen.

Der Geschäftsführer der in Bochum eingerichteten Beschäftigungsgesellschaft BAQ, der IG-Metall-Justitiar und Rechtsanwalt Horst Welkoborsky, hatte gegenüber dem ARD-Fernseh-Magazin Monitor zugeben müssen, dass von den Hunderten von Ex-Opelanern "nur ein, zwei Hand voll" in eine neue dauerhafte Beschäftigung vermittelt werden konnten. Dennoch gilt nach dem "Zukunftsvertrag": wer sich nicht freiwillig für einen solchen Transfer in die Arbeitslosigkeit meldet, dem droht die betriebsbedingte Kündigung.

Doch diese massiven Angriffe sind erst der Auftakt. Die Massenentlassungen und Werksschließungen von General Motors in den USA, die 60-prozentige Lohnsenkung bei der dortigen ehemaligen GM-Tochter Delphi und die Massenentlassungen zahlreicher anderer Unternehmen in ganz Europa zeigen, was die globale Strategie des obersten GM-Managements und anderer großer Konzerne und Finanzhäuser ist.

Vor diesem Hintergrund muss die gerichtliche Auseinandersetzung um die Entlassung eines einzelnen Opel-Arbeiters in Bochum gesehen werden. Für den Weltkonzern sind die exemplarische Abstrafung Richard Kaczorowskis und ihre rücksichtslose Durchsetzung durch alle Gerichtsinstanzen von strategischer Bedeutung. Mit ihr sollen die Belegschaften wirkungsvoll eingeschüchtert und der Widerstand gegen seine Pläne gebrochen werden. Darauf deutet allein schon der Umstand hin, dass General Motors für diesen Prozess mit Baker & McKenzie eine internationale Anwaltskanzlei engagiert hat, die ihn bei einem Stundensatz zwischen 220 und 280 Euro vermutlich mehr kostet als zwei Jahreslöhne für den entlassenen Arbeiter.

Mit seiner Klage vor dem Arbeitsgericht und nun der Berufung hat sich Richard Kaczorowski mutig dem Konzern und seinen gewerkschaftlichen Co-Managern entgegengestellt. Um diese wirksam und dauerhaft zu besiegen, genügt allerdings ein gerichtliches Verfahren nicht - selbst wenn es, was zu wünschen wäre, mit einem gerechten, für Richard Kaczorowski positiven Urteil endet.

Dazu ist es notwendig, der systematischen Erpressung von Seiten der Geschäftsleitung und deren Handlanger in der Gewerkschaft eine internationale Strategie der Arbeiter entgegenzustellen, die darauf ausgerichtet ist, alle Arbeiter an allen Standorten auf der Grundlage eins sozialistischen Programms zu mobilisieren. Die prinzipielle Verteidigung und Unterstützung für Richard Kaczorowski und Turhan Ersin muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Die Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm beginnt am Montag, den 19. Dezember 2005 um 9:00 Uhr.

Der nächste Verhandlungstermin beim Arbeitsgericht in Bochum in der Sache Turhan Ersin ist auf Freitag, den 13. Januar verschoben worden.

Siehe auch:
General Motors: Schließung von neun Werken und Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen in Nordamerika
(29. November 2005)
Opelarbeiter klagt gegen Streikmaßregelung und Kündigung
( 7. Juni 2005)
Prozess Opel/General Motors gegen Turhan Ersin in Bochum eröffnet
( 3. Mai 2005)
Opel Bochum: Führungswechsel im Betriebsrat bereitet Entlassungen vor
( 23. Dezember 2004)
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