Arbeitskampf bei AEG in Nürnberg

Seit Freitag streiken die Beschäftigten des AEG-Hausgerätewerks in Nürnberg. Der Vorstand des schwedischen Mutterkonzerns Electrolux will 13 der insgesamt 20 westeuropäischen Werke schließen, darunter auch das AEG-Traditionswerk in Nürnberg. Bei der Urabstimmung hatten sich fast 97 Prozent der gewerkschaftlich organisierten AEG-Arbeiter für Streikmaßnahmen ausgesprochen - eine der höchsten Zustimmungen für einen Arbeitskampf in der Geschichte der IG Metall.

Streikposten

Am Samstag besuchten zwei Reporter der World Socialist Web Site die streikenden Arbeiter. An den Werkstoren standen während des gesamten Wochenendes Streikposten, und auch am Montag versammelten sich bei klirrender Kälte wieder über 800 Beschäftigte am Werk. Auch Beschäftigte anderer Unternehmen, wie des ebenfalls von Schließung bedrohten Chip-Herstellers Infineon aus München und von Siemens, waren gekommen um den Streik zu unterstützen.

"Die Belegschaft hier will ihre Arbeitsplätze behalten und nur zweitrangig einen Sozialtarifvertrag", antwortete ein AEG-Beschäftigter auf die Frage nach dem Ziel des Streiks. Ähnlich äußerten sich mehrere türkische Arbeiter: "Wir streiken, weil Electrolux hier dicht macht. Wir kämpfen um unsere Rechte, wir brauchen keine Almosen. Wir alle wollen, dass das AEG-Werk hier bleibt. Wir haben Kinder - was wird aus denen, wenn wir unsere Arbeit verlieren?"

Die Arbeiter stehen damit im Gegensatz zu IG Metall und Betriebsrat: Während sich die Gewerkschaftsvertreter kämpferisch in die Brust werfen und vor den Werkstoren vorgeben, im Namen der Belegschaft zu sprechen, suchen sie nach einer schnellen Einigung mit dem Management.

IG Metall und Betriebsrat fordern nicht den Erhalt der Arbeitsplätze, sondern einen Sozialtarifvertrag, dessen Kernpunkte Abfindungen in Höhe von drei Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr und die Einrichtung einer Auffanggesellschaft bilden. Jürgen Peters, der IG-Metall-Vorsitzende, appellierte im ARD-"Morgenmagazin" an die "Sozialpflichtigkeit des Eigentums" und forderte den schwedischen Electrolux-Konzern auf, seine soziale Verantwortung in Deutschland wahrzunehmen.

Führende Gewerkschafter ließen ihre Bereitschaft erkennen, umgehend an den Verhandlungstisch zurückzukehren, sobald Electrolux ein Angebot vorlegt. Nach wiederholten Drohungen, das Werk zu schließen, hatten die Gewerkschaftsfunktionäre bereits im vergangenen Jahr ein sogenanntes "Zukunftskonzept" erarbeitet, in dem sie freiwillig den Abbau von 700 Arbeitsplätzen und Lohnkürzungen von 16 Prozent für die verbliebenen Beschäftigten vorschlugen. Als Electrolux trotz dieser Kriecherei an den Schließungsplänen festhielt, kamen sie schließlich um einen Streik nicht mehr herum.

Auch während des Streiks nimmt die IG Metall viel Rücksicht auf den Konzern: Nur die Produktionsarbeiter befinden sich im Streik, während die Geschäftsleitung und etwa 600 Beschäftigte mehrerer ausgegliederter Tochterfirmen auf dem Gelände weiterarbeiten. Dafür verzichtet die Geschäftsleitung großmütig darauf, Streikbrecher einzusetzen, und verlangt auch nicht die Einhaltung der üblichen, gesetzlich vorgesehenen Vier-Meter-Gasse.

"Es ist ein blödes Gefühl", sagte eine Kollegin, die am Montag zur Arbeit musste. "Wir sind solidarisch, aber wir dürfen nicht streiken." Viele dieser Beschäftigten haben sich an den Protestkundgebungen der vergangenen Tage beteiligt.

Für diese Betriebe - ehemalige AEG-Abteilungen wie z.B. EDV, Logistik, Kundendienst und Vertrieb -, die vor kurzem in eigenständige GmbHs umgewandelt wurden, soll es durch tarifliche Änderungen bereits im Februar massive Lohnkürzungen von bis zu 45 Prozent geben. Auch hier zeigte sich Electrolux in den Gesprächen zwischen Gewerkschaft und Management unnachgiebig. Seit Montag gelten die Verhandlungen als gescheitert.

Für den Großteil der 1.750 Beschäftigten ist die Schließung des Standortes gleichbedeutend mit langfristiger Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Das AEG-Werk reiht sich in eine Kette vieler namhafter Industriebetriebe ein, die in der Region in den vergangenen Jahren geschlossen wurden: Grundig, Triumph-Adler und Adtranz sind nur einige der Unternehmen, in denen während der vergangenen Jahre Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet wurden.

Die Produktionsarbeiter, die bei AEG an der Muggenhofer Straße Waschmaschinen, Trockner und Geschirrspüler fertigen, sind zu einem beträchtlichen Teil ungelernt und haben die berechtigte Sorge, in der Region keinen vergleichbaren Arbeitsplatz mehr zu finden.

In den Gesprächen vor den Toren kamen diese Sorgen und die Bereitschaft, für die Arbeitsplätze zu kämpfen, klar zum Ausdruck. So erklärten zwei Arbeiter, die beide schon 17 Jahre im Nürnberger Werk arbeiten, viele in der Belegschaft seien seit zwanzig oder gar dreißig Jahren bei AEG beschäftigt und könnten mit über fünfzig Jahren heute nicht mehr auf eine Chance am Arbeitsmarkt hoffen. Andere bemerkten, dass nicht nur die AEG-ler und ihre Familien betroffen seien, sondern auch viele Beschäftigte der Zuliefererbetriebe, wo ebenfalls mit Entlassungen zu rechnen sei.

Alex T.,ein russischer Arbeiter, seit fünf Jahren bei AEG, sagte: "Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Es wird hier gar nicht um die Arbeitsplätze gestreikt. Die wollen unser Werk schließen, aber - was wird dann aus uns? Die Arbeitslage ist ja ganz genau bekannt: Die Betriebe verlagern nach Polen, wo die Arbeitskosten geringer sind, dort kostet eine Arbeitsstunde vielleicht nur 2,50 oder drei Euro.

Alex

In Deutschland sind aber nicht nur die Löhne höher, sondern auch die Mieten und die Preise, die wir beim Einkaufen bezahlen müssen. Ich habe Familie, eine Frau und zwei Kinder.

Natürlich kann man in Polen oder Russland billiger produzieren. Die Konzerne arbeiten europaweit und spielen uns gegeneinander aus. Es wäre wichtig, dass die Arbeiter europaweit zusammenhalten und zusammen kämpfen. Später werden die Preise auch in Polen steigen, und die Arbeiter werden auch dort nicht so weiter leben können."

Jörg, seit 1980 im Betrieb und in der Instandhaltung beschäftigt, erklärte: "Die Chance, doch noch unsere Arbeitsplätze zu verteidigen, müssen wir nutzen. Wenn man sich auf einen Sozialtarifvertrag einlässt, sind die Jobs weg: Man lässt sich damit die Arbeitsplätze abkaufen.

Joerg

Schaut doch mal, was in Deutschland los ist. Wenn wir uns endlich nicht mehr alles bieten lassen, setzen wir ein Signal für andere Belegschaften: Daimler, Opel oder VW. Die Arbeiter könnten eine Riesenkraft sein, wenn sie sich mit andern zusammenschließen: den Ärzten, die jetzt streiken, den Arbeitslosen und Studenten, die ja auch auf der Straße sind."

Auf die Frage, wie er die Politik der Gewerkschaft einschätze, antwortete Jörg: "Es ist schon Kritik vorhanden. So hat zum Beispiel der Neugebauer [Werner Neugebauer, Bezirksleiter der IG Metall] bei der zweiten Verhandlungsrunde einfach von sich aus die Forderungen heruntergeschraubt, ohne dass die andere Seite irgend etwas angeboten hätte.

Auch jetzt, bei diesem Streik, ist hier relativ wenig los. Die haben ein Gentlemen’s Agreement getroffen, dass die Geschäftsleitung rein darf, und die Beschäftigten der fünf GmbHs arbeiten weiter. Das betrifft zum Beispiel die Logistiker. Aber die verlieren ja zuletzt auch ihren Arbeitsplatz, wenn wir alle weg sind. Für was brauchen die dann noch Logistik?

Ich glaube, für Electrolux ist sogar der Streik Teil ihrer Taktik. Sie haben sich von langer Hand vorbereitet. Es ist ja kein Zufall, dass sie die Ausbildung eingestellt und den Kundendienst in Rothenburg zentralisiert haben. Anzeichen waren da, dass eine Schließung schon seit längerem geplant war. Sicher hatten sie auch einen Streik mit einkalkuliert; das ist ein Faktor in ihren Berechnungen, das nehmen sie in Kauf, weil sie sich einiges davon versprechen, den Ostmarkt zu erobern."

Auf die Frage nach einer internationalen, sozialistischen Strategie antwortete Jörg: "Man braucht ein anderes System und eine andere Art Gesellschaft. Aber das sprengt den Rahmen der Gewerkschaft. Es braucht eine internationale Zusammenarbeit - das ist vollkommen klar."

Siehe auch:
Belegschaft des AEG-Werks Nürnberg im Streik
(20. Januar 2006)
Die Schließung des AEG-Werks in Nürnberg und die Rolle der Gewerkschaften
( 11. Januar 2006)
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