Grubenunglück in den USA fordert zwölf Todesopfer

Zwölf Bergleute starben am 2. Januar in Tallmansville, West Virginia, infolge einer Gasexplosion in der Kohlegrube Sago. Ein Dreizehnter überlebte schwer verletzt.

Diese entsetzliche Nachricht wurde bekannt, nachdem wenige Stunden zuvor die Familien der Bergarbeiter die Auskunft erhalten hatten, alle Kumpel außer einem seien am Leben und in Sicherheit - eine Falschmeldung, die auch über CNN verbreitet wurde.

Der erste, falsche Bericht über die angeblich glückliche Rettung löste in der Bergbausiedlung unbändigen Jubel aus. CNN brachte sogar Bilder von Rettungsfahrzeugen, die scheinbar die Überlebenden in die nächstgelegenen Krankenhäuser transportierten.

Doch nur drei Stunden später wurde den Familien mitgeteilt, dass zwölf Bergleute ihr Leben verloren hätten und der einzige, schwer verletzte Überlebende in kritischem Zustand sei.

Ben Hatfield, Direktor des Bergbaukonzerns International Coal Group, versuchte sich zu rechtfertigen: "Der erste Bericht der Rettungsmannschaft an die Zentrale sprach von mehreren Überlebenden. Diese Information der Einsatzzentrale verbreitete sich wie ein Lauffeuer, das im Nu außer Kontrolle geriet."

Die Falschmeldung über die angeblich Geretteten verursachte doppeltes Leid, als die Nachricht vom Tod der Bergleute schließlich eintraf.

Die Katastrophe wurde durch eine Gasexplosion ausgelöst, als am Montagmorgen nach der Neujahrspause die erste Schicht in die Grube eingefahren war.

Präsident Bush ging am Dienstag beiläufig darauf ein und erklärte, die Nation bete für die Männer. Er versprach bundesstaatliche Hilfe für die Rettungsmaßnahmen und sagte: "Gott segne die Eingeschlossenen".

Der heuchlerische Charakter seiner Äußerungen wird deutlich, wenn man bedenkt, welche Rolle seine Regierung dabei spielt, die Sicherheitsinspektionen in den Gruben abzubauen und den Stellenabbau, die Deregulierung und die Profitmacherei voran zu treiben. All dies hat zur Tragödie beigetragen.

Viele, die vor der Grube Sago ausharrten, äußerten sich bitter über das Los der Arbeiter in den verarmten Kohlegebieten der Appalachen. Wenn sie ihre Familien durchbringen wollten, seien sie täglich gezwungen, ihre Knochen aufs Spiel zu setzen und dem Tod ins Auge zu sehen.

Während der vergangenen fünf Jahre gab es in den USA 149 Todesfälle in Gruben. In West Virginia waren es 38, davon 27 bei Unfällen unter Tage. Obwohl die Tätigkeit derart gefährlich ist, sind die Arbeiter gezwungen, in diesem Wirtschaftzweig zu arbeiten, weil es nichts anderes gibt.

Samantha Lewis, deren 28-jähriger Ehemann zu den Verschütteten gehört, erklärte, die Arbeit im Bergwerk habe es ihrem Mann ermöglicht, des Nachts zu Hause zu sein und die drei Töchter zu betreuen, während sie einen akademischem Abschluss für die Gesundheitsverwaltung mache. "So konnten wir gut zurechtkommen, bis sich etwas anderes gefunden hätte", sagte Lewis. "Wenn man nicht im Bergwerk arbeitet oder einen Hochschulabschluss hat, gibt es nirgendwo etwas zu verdienen."

Mac Davis, ein ehemaliger Bergmann, der auf Nachricht über einen verschütteten Verwandten wartete, erzählte, der Schlendrian mit den Sicherheitsbestimmungen, der während des gegenwärtigen Kohlebooms noch zugenommen habe, sei ein Grund dafür gewesen, dass er seine Arbeit im Bergwerk quittiert habe. "Wenn sie nichts unternehmen, wird es noch viele solche Unfälle geben", erklärte er der Charleston Gazette.

Daniel Meredith, Schwiegersohn eines verschütteten Kumpels, erzählte, der 61-Jährige habe dieses Jahr in Rente gehen wollen. "Wenn er nach Hause kam, betete er jeden Tag für die, die einfahren mussten", sagte Meredith, der vor dem Zechengelände wartete.

Mehr als vier Jahrzehnte, nachdem Michael Harrington in seinem Buch The Other Amerika (Das andere Amerika) die hoffnungslose Lage der Arbeiter in den Appalachen geschildert hat, gehört West Virginia immer noch zu den ärmsten Staaten Amerikas. West Virginia hat das niedrigste Durchschnittseinkommen der USA und gehört zu den sechs Staaten mit der höchsten Armutsrate (17 Prozent). Im Upshur County, wo die Zeche Sago liegt, leben mehr als zwanzig Prozent der Bevölkerung unter der offiziellen Armutsgrenze.

Sago ist beileibe keine Ausnahme. Die Art und Weise, wie die Besitzer mit ihrer Grube umgehen, ist nachgerade typisch für die Praxis in den Revieren. In den letzten Jahren gab es in diesem Bergwerk eine Reihe von Stolleneinbrüchen und schwerwiegenden Verstößen gegen Sicherheitsbestimmungen, wie das amerikanische Amt für Bergwerkssicherheit und -gesundheit (MSHA) angibt. Die Unfallrate ist dreimal so hoch wie in andern amerikanischen Bergwerken von vergleichbarer Größe.

Allein im vergangenen Jahr erhielt die Eigentümerin der Grube, die International Coal Group (ICG), aus diesem Grund 205 Beanstandungen, davon 46 bei der letzten Inspektion der Zeche Sago, die von Anfang Oktober bis Ende Dezember durchgeführt wurde. Nach Berichten der Washington Post bezeichneten die Inspektoren 96 Punkte als "schwer und substanziell", d.h. die MSHA ging von der Gefahr schwerer Unfälle mit Verletzten oder Toten aus. Es handelte sich um Versäumnisse bei der vorgeschriebenen Stollensicherung und bei der Durchlüftung der Schächte, um eine Konzentration von explosivem Methangas zu verhindern.

Wie die Washington Post berichtet, musste das Bergwerk im Jahr 2005 sechzehn Mal den Betrieb einstellen, weil Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten worden waren.

Die Zahl der Beanstandungen nahm stark zu, nachdem die ICG die Grubenanlage von der bankrotten Anker Energy übernommen und 2004 den Betrieb darin wieder aufgenommen hatte. Die ICG gehört dem New Yorker Milliardär und Finanzier Wilbur Ross, der in den letzten fünf Jahren 4,5 Milliarden Dollar investiert hat, um Stahl-, Textil-, Kohle-, Automobil-, Eisenbahn- und Finanzgesellschaften in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Japan und Korea oft zu niedrigsten Schleuderpreisen aufzukaufen.

Ross, der auf der Liste der 400 reichsten Amerikaner im Forbes- Magazin Platz 278 belegt, hat sich darauf spezialisiert, Stahlwerke und Bergwerke von bankrotten Gesellschaften aufzukaufen und sie wieder profitabel zu machen. Um die Produktivität zu steigern und die Arbeitskosten zu senken, baut er Stellen ab, kürzt Rentenzahlungen und verhandelt Arbeitsverträge neu. Die Zeitschrift Fortune nannte Ross kürzlich "König Bankrott", und Business Week erklärte, Ross stehe einem "wachsenden Imperium der Verdammten" vor.

Viele der Topmanager von ICG, unter ihnen auch der Generaldirektor, Bennett Hatfield, verdienten sich ihre ersten Sporen bei der Energiegesellschaft Massey, die in den achtziger Jahren eine skrupellose Kampagne zur Zerschlagung der Bergarbeitergewerkschaft führte und anschließend zur viertgrößten Kohlegesellschaft in Amerika aufstieg. Als Bush als Präsident kandidierte, steuerte Massey großzügig zu seiner Wahlkampagne bei. Bush förderte im Gegenzug die Kohleproduktion und begünstigte die Deregulierung der Bergwerksindustrie.

Ross ist nur einer unter Dutzenden von Spekulanten und Firmen-Ausschlachtern, die sich an der Zerschlagungs- und Fusionierungsorgie in der Kohleindustrie beteiligen. Um die hohen Kosten für die Erschließung neuer Kohlegruben zu vermeiden und von den hohen Kohlepreisen zu profitieren, vergrößern diese Unternehmer ihren Marktanteil durch den Aufkauf kleinerer Firmen und die Zerschlagung der hart erkämpften Errungenschaften der Bergarbeiter. Dabei bleibt die Sicherheit zwangsläufig auf der Strecke.

Um die Sicherheitsmängel in ihren Gruben zu rechtfertigen, geben Vertreter der Bergwerksgesellschaften ungewollt zu, dass die Sicherheitsstandards im ganzen Industriezweig heruntergefahren worden sind. Gene Kitts, Vizepräsident der ICB, erklärte: "Die Grube ist nicht frei von Problemen, was den Zustand der Stollengewölbe, die Schachteinbrüche und ähnliches betrifft. Aber bei anderen Bergwerken ist es auch nicht anders."

Wenn die Anzahl der Todesfälle im Kohlebergbau in den letzten Jahren abgenommen hat, liegt das nicht an verbesserten Sicherheitsvorkehrungen, sondern an dem enormen Rückgang der Zahl der Bergleute. West Virginia, der zweitgrößte Kohleproduzent der USA, hatte einst 120.000 Arbeitsplätze im Kohlebergbau. Jetzt sind es noch 15.000.

Über ein Jahrhundert lang galt West Virginia als Inbegriff militanter Bergarbeiterkämpfe. Der Widerstand gegen gefährliche Arbeitsbedingungen, wie sie beispielsweise die Staublunge verursachen, war dabei ein zentrales Ziel. 1968 löste eine Explosion und der Tod von 78 Bergarbeitern in der Grube Farmington von Consolidated Coal in West Virginia (nur 80 km von Sago entfernt) zehn Jahre dauernde Kämpfe gegen die Kohlebosse und gegen die Führung der Bergarbeitergewerkschaft (UMWA) unter Tony Boyle aus, die sich an den Unternehmerinteressen orientierte. Diese Kämpfe erreichten 1977-78 ihren Höhepunkt, als die Bergleute ein Streikverbot Präsident Jimmy Carters auf der Grundlage des Taft-Hartley-Gesetzes missachteten, mit dem ein nationaler Streik abgewürgt werden sollte.

Im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts hat die UMWA jedoch einen Streik nach dem anderen verraten, vom Kampf bei A.T.Massey 1984-85 bis zum Streik gegen Pittston 1989-90, und eine Politik der Zusammenarbeit mit der Grubenleitung verfolgt, die Zehntausende von Arbeitsplätzen zerstört und die Lebensbedingungen für Bergarbeiterfamilien auf einen historischen Tiefstand gedrückt hat.

Während des nationalen Kohlestreiks im Jahr 1974 hatte die Bergbaugewerkschaft UMWA noch 120.000 aktive Mitglieder. Heute sind es nur noch 30 bis 40.000. Die UMWA weigert sich, darüber eine offizielle Statistik zu veröffentlichen.

Die Gleichgültigkeit der UMWA-Führung gegenüber den Arbeitern zeigt sich auch daran, dass sie auf ihrer Website nicht einmal eine Stellungnahme zum Unglück in der Zeche Sago abgibt. Auf Telefonanrufe der World Socialist Web Site reagierte die Gewerkschaft nicht.

Die Bush-Administration ihrerseits hat dazu beigetragen, die Sicherheits- und Gesundheitslage in den Bergwerken zu verschlechtern. Das Weiße Haus hat unter anderen Behörden auch das Amt für Grubensicherheit und -Gesundheit mit Wirtschaftsvertretern besetzt, Haushaltsmittel und Stellen gekürzt, die zur Durchsetzung der Vorschriften nötig wären, und entscheidende Sicherheits- und Gesundheitsschutzvorschriften abgeschafft.

Bush berief den früheren Manager von Massey Energy, Stanley Suboleski, in die MSHA-Kontrollkommission, die nach dem nationalen Bergwerksgesetz über alle Rechtsfragen entscheidet. Der derzeitige MSHA-Chef ist Richard Sickler, ehemaliger Manager bei den Beth Energy Bergwerken.

Im vergangenen Monat verwarf ein Bundesrichter alle acht Beanstandungen der MSHA bei der Firma Jim Walters Resources. Sie waren das Ergebnis einer Untersuchung über eine Explosion von 2001, bei der in Alabama in einer Grube dieser Gesellschaft dreizehn Bergarbeiter ums Leben gekommen waren. Der Richter behauptete, die MSHA habe ihre Anschuldigungen nicht beweisen können, und kürzte die Geldstrafen für die Verantwortung am Tod der dreizehn Kumpel auf 3.000 Dollar. Nach Ansicht des Gerichts war also das Leben eines Bergarbeiters gerade mal 230 Dollar wert!

Bushs Vorgehensweise ist nicht außergewöhnlich - sie ist lediglich der Höhepunkt der Politik, die beide großen Parteien auf nationaler wie staatlicher Ebene im Interesse der Wirtschaft verfolgen. In den letzten 25 Jahren stellten die Demokraten 21 Jahre lang den Gouverneur von West Virginia. Sie waren für die Zerstörung von Arbeitsbedingungen und Lebensstandard in diesem Staat verantwortlich und bedienten exakt die gleichen Wirtschaftsinteressen wie die Republikaner.

Siehe auch:
Chinas schlimmste Grubenexplosion seit sechzig Jahren
(10. März 2005)
Tödliche Arbeitsbedingungen in ukrainischen Bergwerken
( 20. Juli 2002)
Russische Bergarbeiter protestieren wieder
( 9. September 2004)
Heftige Proteste der Bergarbeiter im Vorfeld der Wahlen
( 19. August 2005)
Die menschlichen Kosten der Kohle
( 13. August 2002)
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