Streikende demonstrieren in Hannover

"Wir hoffen dass die Gewerkschaft keinen faulen Kompromiss schließt"

Am Montag rief die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Hannover die streikenden Arbeiter und Angestellten zu einer Demonstration und Kundgebung in der Innenstadt auf. Etwa 3.000 Streikende zogen von den Verdi-Höfen zum niedersächsischen Finanzministerium, dem Amtssitz von Hartmut Möllring (CDU), der zugleich auch Vorsitzender der Tarifkommission der Länder (TdL) ist. Obwohl der Streik in einigen Bundesländern bereits in die dritte Woche geht beharrt Möllring kompromisslos auf seiner Forderung nach genereller Einführung der 40-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst. Gleichzeitig verlangt er scharfe Einschnitte beim Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Die Teilnehmer der Demonstration kamen vor allem aus den bestreikten Kindertagesstätten, den Krankenhäusern, verschiedenen Landesbehörden und städtischen Ämtern sowie den Müllentsorgungsbetrieben. In Hannover, wo der Streik am Montag nochmals ausgeweitet wurde, befinden sich inzwischen rund 4.500 Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes im Ausstand. Zudem ließen die Arbeiter des privatisierten städtischen Verkehrsbetriebes üstra aus Solidarität während der Kundgebung für eine Stunde ihre Arbeit ruhen.

Die Gewerkschaftsspitze des Verdi-Bezirkes Hannover hatte nur mit ein paar Hundert Teilnehmern gerechnet und die Kundgebung bloß als "Mittagspausenaktion" angekündigt. Angesichts der großen Resonanz und der hohen Streikbereitschaft der Beschäftigten griff sie nun aber zu markigen Sprüchen auf der knapp einstündigen Abschlusskundgebung.

Brigitte Horn, Gewerkschaftssekretärin für den Bereich Gesundheit, sagte, "wir lassen uns nicht über den Tisch ziehen" und erklärte, der einwöchige Streik "sei erst der Anfang, wenn Möllring stur bleibt". Sie wandte sich auch gegen die Hetze in der Lokalpresse und von Seiten der Chefärzte der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), die den Streikenden vorgeworfen hatten, Menschenleben aufs Spiel zu setzen, da notwendige Operationen angeblich nicht durchgeführt werden konnten. Trotzdem erklärte sich Verdi bereit, den Streik an der MHH für zunächst zwei Tage auszusetzen.

Martin Peter, Verdi-Funktionär im Bezirk Hannover, appellierte zwar wiederholt an die notwendige Solidarität der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und machte Stimmung gegen Hartmut Möllring und Bernd Wilkening, dem Geschäftsführer des kommunalen Arbeitgeberverbandes Niedersachsen. Er bezeichnete die geforderte Arbeitszeitverlängerung und Einbußen bei Löhnen und Gehältern als "Schwachsinn", erklärte aber auch klipp und klar, dass Verdi kompromissbereit sei: "Wir lassen mit uns reden, wenn ein Angebot auf dem Tisch liegt, das verhandelbar ist."

Der Unterschied zwischen der Kompromissbereitschaft der Gewerkschaftsfunktionäre, die den Streik auf Sparflamme halten und den Arbeitern, die sich an der Demonstration beteiligten, war sehr auffallend. Für die große Mehrheit der Beschäftigten ist die gewerkschaftliche Forderung die unterste Grenze. Sie wollen angesichts gesunkener Realeinkommen und ständig unsicherer werdender Arbeitsplätze von einem Kompromiss nichts wissen.

Thomas S. vom Heimverbund, einer städtischen Beratungsstelle für Jugend und Familie, sagte gegenüber der World Socialist Website: "Wir streiken gegen die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche und gegen die damit verbundenen Kürzungen. Es geht nicht einfach darum, 18 Minuten mehr zu arbeiten, es geht um viel mehr. Ich habe einen Sohn, der macht gegenwärtig eine Ausbildung zum Erzieher und der hätte keine Zukunft mehr. Deswegen stehe ich hier auf der Straße, denn die Verlängerung der Arbeitszeit würde bedeuten, Personal abzubauen. In den letzten Jahren hat bereits ein massiver Stellenabbau stattgefunden. Bei uns sind in den letzten zwei Jahren rund 30 Stellen gestrichen worden.

Mehr arbeiten, auch über 40 Stunden hinaus, mache ich sowieso jede Woche. Aber die Teilzeitkräfte würden besonders unter der Einführung der 40-Stunden-Woche leiden, da sie direkte Einbußen hinnehmen müssten.

Die Wut der Beschäftigten hat sich seit Jahren angestaut, die ganze Problematik wird immer mehr auf die Spitze getrieben. Wir demonstrieren jetzt auf der Straße für den Erhalt der 38,5-Stunden-Woche. Besser wäre es wir würden für eine weitere Arbeitszeitverkürzung, dh. für die 35-Stunden-Woche kämpfen.

Ich gehe relativ selten auf die Straße, aber jetzt ist es notwendig und macht richtig Sinn. Was mich aber ärgert und zwar auch an der Gewerkschaft, ist die negative Medienpräsenz. Es wird keine ausreichende Werbung nach außen gemacht. Auch wenn viele Leute Verständnis haben, muss ich immer wieder erklären, warum wir eigentlich im Streik sind und auf die Straße gehen. Natürlich habe ich auch Befürchtungen, dass die Gewerkschaftsspitze einknickt, das haben wir alle, aber genau deswegen sind wir auch auf der Straße, damit die keinen faulen Kompromiss eingehen."

Auch Daniel, Angestellter an der Universität Hannover, sieht die Rolle der Gewerkschaft Verdi eher kritisch: "Es ist richtig für den Erhalt der 38,5-Stunden-Woche auf die Straße zu gehen, aber besser wäre die Forderung nach einer 35-, 30- oder sogar 28-Stunden-Woche, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber Verdi wird wohl auch einen faulen Kompromiss eingehen. Als Gewerkschaft brauchen sie den Flächentarifvertrag um den eigenen Bestand zu erhalten. Sie werden auch etwas unterschreiben, was den Beschäftigten nicht gefällt. Ich war in der ÖTV und bin 1992 ausgestiegen, als Monika Wulf-Mathies [damalige Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV)] gegen den Willen der Basis genau dem Tarifkompromiss zustimmte gegen den wir gestreikt hatten."

Auch er ist der Auffassung, das die Gewerkschaft viel stärker die Anliegen des Streiks nach außen vertreten müsste. In der Lokalpresse in Hannover war der Arbeitskampf als völlig unangemessen und überzogen dargestellt worden, ohne dass die Gewerkschaft dagegen in die Offensive gegangen wäre. "In den Medien, gerade auch in der Lokalpresse, findet eine Hetze gegen das Anliegen des Streikes statt. Die Form der beispielsweise die Arbeiter und Angestellten der Medizinischen Hochschule angegriffen werden, ist extrem. Dabei geht es um völlig berechtigte Forderungen."

Siehe auch:
Der Streik im öffentlichen Dienst entwickelt sich zu einer Konfrontation mit der Großen Koalition
(15. Februar 2006)
Im Öffentlichen Dienst hat der größte Streik seit 14 Jahren begonnen
( 8. Februar 2006)
Berliner Senat erpresst Belegschaft von Vivantes
( 27. April 2004)
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