Karikatur, Islamfeindlichkeit und Pressefreiheit

Zur Auseinandersetzung über eine Karikatur des Berliner Tagesspiegels

Nach Dänemark hat nun auch Deutschland seinen Karikaturenstreit. Der Berliner Tagesspiegel veröffentlichte am 10. Februar eine Zeichnung, die bei iranischen Fußballfans auf Empörung stieß, einen offiziellen Protest der iranischen Regierung auslöste und gewaltsame Demonstrationen vor der iranischen Botschaft in Teheran nach sich zog.

Die Karikatur unter der Überschrift: "Warum bei der WM unbedingt die Bundeswehr zum Einsatz kommen muss", zeigt vier iranische Fußballspieler, schnauzbärtig, unrasiert und mit umgeschallten Sprengstoffgürteln als Selbstmordattentäter gekennzeichnet, sowie vier verdattert dreinblickende Bundeswehrsoldaten, die ihnen im Fußballstadion gegenüber stehen.

Kritiker sehen darin eine Verunglimpfung der iranischen Bevölkerung, die pauschal mit Terroristen gleichgesetzt werde. Der iranische Botschafter schrieb, die "geschmacklose Zeichnung" löse im iranischen Volk "Abscheu und Empörung" aus und forderte eine Entschuldigung der verantwortlichen Journalisten.

Der Autor der Karikatur, Klaus Stuttmann, verwahrte sich gegen die Vorwürfe. Er habe niemanden beleidigen, sonder lediglich gegen den geplanten Einsatz der Bundeswehr bei der Fußball-WM protestieren wollen. Der Gedanke, dass die Karikatur Empörung auslösen könne, sei ihm beim Zeichnen gar nicht gekommen. Er selbst habe den Karikaturen-Wettbewerb der dänischen Jyllands-Posten, die zur Zeichnung von Karikaturen des Propheten Mohammed aufgerufen und zwölf davon veröffentlicht hatte, als "überflüssige Provokation" betrachtet.

Stuttmann hat zahlreiche E-Mails erhalten, darunter auch Todesdrohungen, und hält sich mittlerweile versteckt

Ähnlich wie Stuttmann argumentieren 50 Karikaturisten, die ihn in einem Brief an den Tagesspiegel verteidigen. Die betreffende Zeichnung habe eine "rein innenpolitische Zielrichtung, die mit der Ironie operierte, ein Szenario darzustellen, das eben gerade nicht der Realität entspricht. Diese Ironie wurde entweder nicht verstanden oder aber bewusst übersehen und fehlinterpretiert," schreiben sie.

Die Redaktion des Tagesspiegel entschuldigte sich halbherzig. "Wir bedauern die iranische Reaktion auf diese Karikatur, wir bedauern ihre Auswirkungen, hier und anderswo," erklärte sie am 15. Februar unter dem Titel "In eigener Sache". "Wir können sie uns nur mit mangelnder Vertrautheit mit der innenpolitischen Debatte in Deutschland erklären. Selbstverständlich wollten weder Klaus Stuttmann noch der Tagesspiegel die Integrität der iranischen Fußballer in Frage stellen."

Gleichzeitig verteidigte die Redaktion die Veröffentlichung der Karikatur. Diese bewege sich "innerhalb der Grenzen dessen, was in diesem Land von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt ist". Die Redaktion bedankte sich bei den Lesern, die dem Tagesspiegel und dem Karikaturisten ihre Solidarität bekundet haben. Einige dieser Solidaritätsbekundungen haben, wie die im Tagesspiegel veröffentlichten Leserbriefe zeigen, einen deutlich rassistischen Unterton.

Während sich die Redaktion des Tagespiegel um eine gewisse Zurückhaltung bemühte, griffen andere Medien das Stichwort der "Presse- und Meinungsfreiheit" auf und versuchten, die Proteste gegen die Karikatur als Reaktion einer intoleranten, islamischen Welt gegen Meinungsfreiheit, Ironie und Humor darzustellen. Sie setzten so die Kampagne fort, die mit der gezielten Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed in der dänischen Jyllands-Posten und anderen europäischen Zeitungen begonnen hatte.

Der Chefredakteur der Berliner Zeitung, Uwe Vorkötter, veröffentlichte unter der Überschrift "Mit Humor, ohne Respekt" einen geharnischten Kommentar. Es sei befremdlich, empört er sich, "dass eine seriöse Zeitung wie der Tagesspiegel sich genötigt sieht (und tatsächlich genötigt wird), eine Veröffentlichung zu erklären und zu rechtfertigen, die keiner Erklärung und keiner Rechtfertigung bedarf."

Den Protest des iranischen Botschafters, die Karikatur sei taktlos, unverantwortlich und unmoralisch, bezeichnet Vorkötter als "Unsinn, gefährlicher Unsinn". "Wir unterwerfen uns nicht den Vorurteilen einer humorresistenten islamischen Geschmackspolizei, der alles Westliche als dekadent, alles Ungläubige als moralisch verkommen gilt," wettert er.

Ähnlich äußerte sich der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit. "Wir als Politiker dürfen der Presse nicht vorschreiben, wo ihre Grenzen sind. Freiheit ist weder geschmackvoll noch geschmacklos," erklärte er.

Wenn etwas Unsinn ist, so der Versuch, die Auseinandersetzung über die Karikatur als Streit für und wieder die Meinungsfreiheit darzustellen. Es geht nicht darum, die Veröffentlichung einer Karikatur zu verbieten, sondern sie zu werten. Das Recht, gegen eine Veröffentlichung zu protestieren und sich darüber zu empören, gehört auch zur Meinungsfreiheit. Wenn sich der Tagesspiegel das Recht nimmt, eine solche Karikatur zu veröffentlichen, so haben andere auch das Recht, sie öffentlich zu verurteilen. Mit Zensur hat dies nichts zu tun.

Stuttmanns Fußball-Karikatur ist nicht so harmlos, wie es der Autor und die Redaktion des Tagesspiegel wahrhaben wollen. Die Darstellung von iranischen Fußballspielern als bärtige Selbstmordattentäter entspricht einem rassistischen Stereotyp, das zahlreiche Iraner als Beleidigung empfinden müssen.

Dieses Stereotyp ist nicht besser als die Darstellung von Juden mit Hakennase, hängender Unterlippe und Kaftan. Solche Darstellungen sind aus deutschen Karikaturen verschwunden, weil es sich um ein antisemitisches Klischee handelt, das auch dann antisemitisch bleibt, wenn die Karikatur eine "rein innenpolitische Zielrichtung" verfolgt und sich nicht unmittelbar gegen Juden richtet. Würde eine solche Karikatur dennoch in einer namhaften Zeitung veröffentlicht, hätte sie entsprechende Proteste und eine Entschuldigung der Redaktion und der Bundesregierung zur Folge.

Die Forderung des iranischen Botschafters nach einer Entschuldigung ist nicht so abwegig, wie sie von vielen Medien dargestellt wird. Man erinnere sich nur an den Vergleich zwischen US-Präsident George W. Bush und Adolf Hitler, den die damalige deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin zu Beginn des Irakkriegs zog. Obwohl der Vergleich inhaltlich völlig gerechtfertigt war und Däubler-Gmelin ihn lediglich mündlich, in einer geschlossenen Gewerkschaftsversammlung geäußert hatte, entschuldigte sich Bundeskanzler Schröder in einem persönlichen Brief bei Bush und Däubler-Gmelin verlor ihr Amt. Damals empörte sich niemand über die Verletzung der Meinungsfreiheit.

Die Todesdrohungen gegen den Karikaturisten sind reaktionär und müssen verurteilt werden. Aber weder einige anonymen Drohungen per E-Mail noch die Tatsache, dass reaktionäre islamistische Kräfte die Empörung für ihre eigenen Zwecke nutzen, können davon ablenken, dass sich viele Menschen durch die Karikatur beleidigt fühlen.

Die anfänglichen Proteste gingen nicht von Islamisten aus, sondern von einer Fußball-Website von Exiliranern, persianfootball.com, die dem Mullah-Regime in Teheran sehr distanziert gegenübersteht. Die Anhänger der iranischen Fußball-Nationalmannschaft fühlten sich durch die Karikatur gekränkt, weil sie ihrer Meinung nach "die letzten im Westen respektierten Iraner - die Nationalmannschaft - mit arabischen Islamisten und dem verhassten Regime gleichsetzt", berichtet die Zeit. "Das geknechtete Volk müsse sich nun für die Mullahs in Geiselhaft nehmen lassen. Und zwar durch Spott auf Fußballspieler, die auch für deutsche Klubs Tore schießen."

Wenn Stuttmann behauptet, er habe sich die Reaktionen auf seine Karikatur nicht vorstellen können, so spricht dies, gelinde gesagt, nicht für ihn als Karikaturist. Ein hohes und kritisches politisches Bewusstsein ist die Grundvoraussetzung für gute Karikaturen. Sonst sinken sie auf das Niveau billiger Witze, die sich auf Kosten anderer lustig machen und rückständige Vorurteile schüren.

Die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen der Jyllands-Posten hatte Millionen Muslime empört, weil sie die Verhöhnung ihres Religionsstifters als Fortsetzung der kolonialen Unterdrückung durch die Großmächte betrachteten, die es auf das Erdöl und andere Schätze abgesehen haben. Sie sahen sie in direktem Zusammenhang mit dem Irakkrieg, der seinen symbolischen Ausdruck in den Folterbildern aus Abu Ghaib fand, und den Kriegsdrohungen und -vorbereitungen gegen den Iran. Es war abzusehen, dass unter diesen Umständen die Fußball-WM-Karikatur des Tagesspiegels als weitere Provokation aufgefasst würde.

Auf der anderen Seite dient die falsche Kampagne für "Pressefreiheit" dazu, den Islam als rückständige Kultur darzustellen, die sich nicht mit "westlichen Werten" vereinbaren lasse. Wie vor hundert Jahren mit der Propaganda über die "gelbe Gefahr" sollen so ideologisch neue Kriege vorbereitet werden, die den Irakkrieg an Grausamkeit und Opfern noch weit übertreffen.

Allein schon die ultrarechten Kräfte, die plötzlich ihr Herz für die "Meinungsfreiheit" entdeckt haben, zeigen den verlogenen Charakter dieser Kampagne. Das gilt nicht nur für Jyllands-Posten, die sich im Dunstkreis der ultrarechten, ausländerfeindlichen Dänischen Volkspartei bewegt.

Als jüngster Vorkämpfer für die freie Meinung hat sich jetzt auch der italienische Minister für Reformen, Roberto Calderoni, geoutet. Das Mitglied der ausländerfeindlichen Lega Nord, die auch schon Demonstrationen gegen den Bau von Moscheen organisiert hat, erschien im italienischen Fernsehen mit einem T-Shirt, auf dem eine der Mohammed-Karikaturen abgedruckt war. Er gab seine Aktion als "Kampf für die Freiheit" aus und verlangte, den Dialog mit der protestierenden islamischen Welt einzustellen und die "scheinheilige Unterscheidung" zwischen einem terroristischen und einem friedfertigen Islam fallen zu lassen.

Siehe auch:
Europäische Medien veröffentlichen moslemfeindliche Karikaturen: Eine üble, kalkulierte Provokation
(7. Februar 2006)
Dänemark und Jyllands-Posten: Die Hintergründe einer Provokation
( 9. Februar 2006)
Bush verurteilt Proteste gegen muslimfeindliche Karikaturen
( 15. Februar 2006)
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