Streik im öffentlichen Dienst:

Universitätskliniken befürchten Privatisierung

Der Streik im öffentlichen Dienst ist in den ersten Tagen der zweiten Streikwoche weiter ausgedehnt worden. Bundesweit legten am 14. Februar rund 26.000 Beschäftigte die Arbeit nieder, mit Schwerpunkten in Baden-Württemberg und Niedersachsen, bei Universitätskliniken, Straßenmeistereien und der Abfallwirtschaft.

Es geht bei diesem Streik um weit mehr als um die Abwehr von 18 Minuten täglicher Mehrarbeit, wie dies die Propaganda vieler Medien und der Arbeitgeberseite unterstellt. Die Streiks richten sich gegen ständig wachsende Arbeitsanforderungen, sinkende Realeinkommen und weiteren Arbeitsplatzabbau. Nur so ist die hohe Zustimmung bei nahezu allen Urabstimmungen zu erklären, bei denen rund 95 Prozent der aufgerufenen Gewerkschaftsmitglieder für Streik votierten.

Während bei den Ländern und Kommunen der Kampf gegen die Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden und den damit verbundenen Abbau Zehntausender Arbeitsplätze im Vordergrund steht, soll der Streik bei den Uni-Kliniken der fortschreitenden Privatisierung einen Riegel vorschieben. Die Unterwerfung der Gesundheitsversorgung unter die Gesetze von Markt und Profit hat sowohl für die Beschäftigten wie für die Patienten verheerende Auswirkungen.

Konkret fordert Verdi, dass der für die kommunalen Krankenhäuser bereits geltende Tarifvertrag auch bei den Uni-Kliniken übernommen wird. Dafür wird vor allem in Nordrhein-Westfalen (NRW) gestreikt. An den sechs Universitätskliniken des Landes befinden sich rund 2.700 Pflegekräfte und Beschäftigte im Ausstand.

"Hier geht es um Alles oder Nichts", sagte Verdi-Vertrauensmann Stefan Gastmeier, Krankenpfleger an der Uni-Klinik in Essen, gegenüber der World Socialist Web Site. "Wenn dieser Streik verloren geht, sieht es schlecht aus für die Beschäftigten der Uni-Kliniken."

Die Uni-Kliniken in NRW sind 2001 von der damaligen rot-grünen Regierung in Anstalten des öffentlichen Rechts umgewandelt worden. Dies war der erste Schritt zur faktischen Privatisierung. Verschiedene Bereiche der Kliniken, wie beispielsweise die Kantinen, sind jetzt schon ausgegliedert.

Seit 2001 werden die Uni-Kliniken von einem vierköpfigen Vorstand geleitet, lediglich im Aufsichtsrat hält noch ein Vertreter des Landes NRW den Vorsitz. "Doch die Aufsicht und Kontrolle des Landes steht nur auf dem Papier", wie uns Stefan Gastmeier erklärt. In Wirklichkeit würden die Vorstände gemeinsam mit den Chefärzten die Uni-Kliniken wie privatwirtschaftliche Unternehmen führen.

"Nun fordern die Vorstände der Uni-Kliniken als Arbeitgeber nicht nur eine Verlängerung der Arbeitszeit und die Ablehnung der Lohnerhöhung von 50 Euro, sondern eine Abkehr von jeder tarifvertraglichen Bindung", warnt Gastmeier. "Zudem fordern sie von der Landesregierung die Verkleinerung der Vorstände auf nur noch drei Personen, die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden aus den Mitgliedern des Aufsichtsrats und die Übertragung der Gebäude [sie sind immer noch im Besitz des Landes] an die Uni-Kliniken."

Ziel dieser Forderungen sei die endgültige Privatisierung. Der noch vorhandene rechtliche Einfluss des Landes solle gebrochen werden, um so die Kontrolle über einen der wichtigsten Bereiche der Infrastruktur den Vorständen und den Chefärzten zu übertragen.

Das von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) regierte Hessen ist mit der bundesweit ersten Privatisierung der Universitätskliniken in Marburg und Gießen Vorreiter in diesem Bereich. Am 31. Januar 2006 wurde vom Wiesbadener Landtag der Verkauf der beiden Kliniken an einen privaten Konzern beschlossen, nämlich an die Rhön-Klinikum AG. Für die Uni-Kliniken zahlt die AG 112 Millionen Euro, nur ein Bruchteil des eigentlichen Werts von geschätzten 700 Millionen Euro. Doch damit nicht genug. Von den 112 Millionen Euro investiert das Land Hessen 100 Millionen über eine "Stiftung zur Förderung von Forschung und Lehre in der Hochschulmedizin in Gießen und Marburg" postwendend für die "Zukunft der Kliniken".

Laut Gastmeier haben die Vorstände der nordrhein-westfälischen Uni-Kliniken ausdrücklich vor, einzelne Bereiche der Kliniken auszulagern, sprich zu verkaufen. "Mich erinnert dieses Vorgehen stark an die Zerschlagung der Stahlindustrie in den 80er Jahren: Zergliederung, Aufteilung und schließlich Verkauf der profitablen Bereiche sowie Schließung der,unrentablen’ Bereiche."

Die Landesregierung in Schleswig-Holstein denkt ebenfalls über eine Privatisierung der Universitätsklinik Kiel nach, wie Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) bereits im letzten Jahr angekündigt hatte.

Schon lockt das große Geschäft im deutschen Gesundheitssystem Investmentfonds an. Der größte Bereich im deutschen Gesundheitswesen mit einem Gesamtvolumen von etwa 240 Milliarden Euro ist der Krankenhausbereich. Seit 1993 hat sich die Zahl der Krankenhäuser um etwa sieben Prozent reduziert. Diese Entwicklung wird sich weiter beschleunigen, schrieb die Beratungsfirma A.T. Kearney Mitte letzten Jahres. Bis 2012 sei mit einem Rückgang um weitere 15 Prozent zu rechnen.

"Durch die Übernahme großer Kliniken wird dabei der Anteil privater Träger überproportional steigen", prognostiziert die Beratungsfirma. Während sich die Zahl der Krankenhausbetten um 20 Prozent reduzieren werde, rechnet A.T. Kearney bis 2012 mit einer etwa 15-prozentigen Zunahme der Fallzahlen. "Gewinner sind Krankenhäuser, die ihre Auslastung durch geschickte Verträge mit den Kassen und Marketingmaßnahmen steigern", glaubt das Unternehmen. "Dazu zählen insbesondere die privaten Träger, die professionell und renditeorientiert vorgehen und zunehmend die finanziell angeschlagenen öffentlichen Krankenhäuser übernehmen."

"Für Finanzinvestoren ergeben sich nun die Möglichkeiten, durch klassische Buy and Built-Strategien große Ketten zu bilden und damit zweistellige Wertsteigerungsraten zu realisieren", verspricht Dr. Ekhard Popp, Gesundheitsexperte bei A.T. Kearney. "Hier werden Tabus fallen."

Vor allem gegen diese Entwicklung richtet sich der Streik an der Essener Uni-Klinik, an dem sich am Montag mehr als 600 Beschäftigte beteiligten, darunter fast 50 Prozent nicht gewerkschaftlich Organisierte.

Von insgesamt über 5.000 Beschäftigten am Uni-Klinikum Essen sind 3.100 zum Streik aufgerufen. Neben den Ärzten, die sich nicht am Ausstand beteiligten, waren auch die meisten Pfleger und Krankenschwestern zwar gewillt, aber nicht berechtigt, am Streik teilzunehmen. Fast drei Viertel der rund 1.500 Krankenschwestern und -pfleger sind über die so genannte "DRK Schwesternschaft Essen e. V." des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) "beschäftigt". Sie haben als "Vereinsmitglieder" laut Gastmeier keinerlei Arbeitnehmerrechte und sind daher gar nicht erst zum Streik aufgerufen worden. Diese Besonderheit der Uni-Klinik in Essen geht auf den Anfang des letzten Jahrhunderts zurück, als die jetzige Uni-Klinik als "Städtische Krankenanstalten" gegründet wurde.

Die Meinung von Streikenden

Alima, 23-jährige Küchenassistentin, nahm zum ersten Mal an einem Streik teil. Sie ist in Teilzeit seit fünf Jahren in der Klinikum-Küche beschäftigt. "Ich arbeite 3 Stunden und 45 Minuten täglich", sagte sie. "Ich bin überhaupt froh, die Arbeit zu haben. Ich weiß zwar nicht, wie die Arbeitsbedingungen vorher waren, aber meine Kollegen sagen, dass es über die Jahre immer schlechter geworden ist. Nun ist auch die Rede davon, das Weihnachts- und das Urlaubsgeld zu halbieren."

Sylvia, medizinische und technische Forschungsassistentin, ist bereits seit 28 Jahren an der Uni-Klinik tätig. "Wir wollen einen Tarifvertrag", sagte sie. "Wir wollen die Rechte, die jedem Arbeiter an Krankenhäusern zustehen. Warum gelten bei uns andere Regeln? Es ist eine unmögliche Situation. Die Medien berichten auch nicht, worum es hier tatsächlich geht. Daher ist es sehr begrüßenswert und wichtig, dass ihr über uns berichtet.

Als erstes handelt es sich bei uns nicht nur um 18 Minuten unbezahlte Arbeit pro Tag, sondern um eine halbe Stunde. Bei uns wollen sie die 41-Stunden-Woche einführen. Aber es geht hier gar nicht nur um die verlängerte Arbeitszeit, um den Tarifvertrag. Wir protestieren hier auch dagegen, dass die Rechte der Menschen, wie das Recht auf Gesundheitsversorgung, privatisiert werden. Aus der Uni-Klinik droht letztendlich eine Aktiengesellschaft zu werden, die dann nur noch am Profit orientiert ist, nicht mehr an der Gesundheit der Bevölkerung."

Sie selbst habe aufgrund ihrer langen Betriebszugehörigkeit zwar einen unbefristeten Arbeitsvertrag. "Aber während der letzen Zeit wurde niemand mehr mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag eingestellt. Die Arbeitsverträge laufen manchmal nur über ein paar Monate, höchstens aber zwei Jahre."

"Der Trend geht immer mehr zu den Mini-Jobs auf 400-Euro-Basis", sagte Sylvia, "so dass jeder drei Jobs gleichzeitig machen muss, um überhaupt über die Runden zu kommen. Hier wird moderne Sklaverei betrieben, die Verhältnisse wie in den USA erzeugt."

Soweit hätte es überhaupt nicht kommen dürfen, meinte sie. Auch sie beteilige sich daher zum ersten Mal an einem Streik: "Irgendwann gibt es eine Schmerzgrenze."

Sylvia beklagte außerdem die Spaltung zwischen den Kollegen. "Die Krankenschwestern, die zum Deutschen Roten Kreuz gehören, dürfen sich nicht am Streik beteiligen. Die Ärzte, die durch Vertrag mit der Landesregierung verbunden sind, dürfen uns auch nicht unterstützen. Wir Angestellten, Beamten, Ärzte und Arbeiter, die in der Kantine arbeiten und schlecht bezahlt sind, haben alle verschiedene Arbeitgeber und verschiedene Regelungen. Es ist von Anfang an eine gespaltene und geteilte Protestaktion. Unsere gemeinsame Macht als Arbeiter ist so dahin."

Sylvia äußerte sich auch zum Unterschied zwischen den Einkommen der Beschäftigten auf der einen Seite und des Vorstands und der Chefärzte auf der anderen Seite. "Unsere Geschäftsleitung, das Management und die Chefärzte verdienen am Tag, was wir im Monat verdienen. Ich glaube, Geld ist genug vorhanden, dass wir alle angemessen verdienen und unter besseren Bedingungen arbeiten könnten. Aber das Geld ist nicht gerecht verteilt. Aber wenn wir nicht arbeiten, was gibt es für das Management dann überhaupt noch zu managen?"

Jürgen, Krankentransportfahrer und seit 26 Jahren bei der Klinik, stimmt seiner Kollegin zu. "Wir streiken nicht nur, weil es um uns allein geht. Es sind hier viele, die viel riskieren, weil sie den Streik unterstützen wollen. Es geht nicht um paar Stunden unbezahlte Arbeit. Wir müssen jetzt gegen die ganze Entwicklung protestieren. Mit den steigenden Preisen, immer weniger staatlichen Leistungen und andererseits immer neuen Ausgaben wie zum Beispiel Studiengebühren, kann man sich als Familienvater oder -mutter nichts mehr leisten. Wenn wir jetzt nichts dagegen tun, dann machen sie mit uns, was sie wollen. Irgendwann werden sie verlangen, dass die Arbeiter sogar 60 Stunden in der Woche arbeiten. Das sollte nicht zugelassen werden."

Wie seine Kollegin befürchtet er eine vollständige Privatisierung der Klinik. "Hier ist von der Küchenabteilung, dem Bluttransport, dem Krankentransport bis zu den Reinigungsdiensten alles privatisiert worden", berichtet er. "Wir alle sind mittlerweile Arbeitnehmer verschiedener Firmen. Das alles ist innerhalb der letzen fünf Jahre seit 2001 ziemlich schnell und drastisch passiert. Begonnen mit dieser Privatisierungspolitik im Interesse der großen Unternehmen hat die Regierung von SPD und Grünen. Die jetzige von CDU und FDP führt diese Politik weiter."

Siehe auch:
Verdi weitet den Arbeitskampf aus
(15. Februar 2006)
Im Öffentlichen Dienst hat der größte Streik seit 14 Jahren begonnen
( 8. Februar 2006)
Berliner Senat erpresst Belegschaft von Vivantes
( 27. April 2004)
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