New York Times erhebt neue Vorwürfe gegen den BND

Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) soll den amerikanischen Militärbefehlshabern einen Monat vor Beginn des Irakkriegs eine Kopie von Saddam Husseins Verteidigungsplan für Bagdad übergeben haben. Das berichtete die New York Times am Montag unter Berufung auf einen geheimen Bericht des US-Oberkommandos.

Die Meldung löste heftige Kontroversen aus. BND und Bundesregierung reagierten noch am Montag mit kategorischen Dementis. Ein BND-Sprecher sagte, die in Bagdad stationierten BND-Agenten hätten den Plan weder beschafft noch an die USA weitergegeben: "Beides stimmt nicht, beides trifft nicht zu." Regierungssprecher Ulrich Wilhelm erklärte, der Verteidigungsplan für die irakische Hauptstadt sei den deutschen Agenten nicht bekannt gewesen und habe deshalb auch nicht an die USA weitergegeben werden können.

Die New York Times antwortete am Dienstag mit einer Erklärung ihres Chefredakteurs Bill Keller. Der Artikel, verfasst vom Verteidigungsexperten Michael R. Gordon, stütze sich auf eine geheime Studie des amerikanischen Oberkommandos (Joint Forces Command) über die irakische Militärstrategie aus dem Jahr 2005, schreibt Keller. Diese Studie äußere sich hinsichtlich der deutschen Beteiligung "explizit und ohne Einschränkung".

Keller zitiert dann wörtlich aus der geheimen Studie, in der es heißt, ein "deutscher Verbindungsoffizier" habe dem amerikanischen Militärgeheimdienst DIA am 3. Februar 2003 in Katar eine Skizze der irakischen Verteidigungsstrategie übergeben. Diese sei ans militärische Hauptquartier von General Tommy Franks weitergereicht worden.

Die Skizze soll am 18. Dezember 2002 auf einem Treffen Saddam Husseins mit seinen Militärkommandeuren entstanden sein, auf dem ein neuer Verteidigungsplan diskutiert wurde. "Die Deutschen hatten zwei Agenten in Bagdad vor dem Beginn des Kriegs," heißt es in der Studie des Joint Forces Command. "Die Skizze wurde den Deutschen von einer ihrer Quellen in Bagdad (Identität der deutschen Quelle unbekannt) ausgehändigt."

Der New-York-Times -Verteidigungsexperte Gordon schätzt den Wert dieser Skizze in seinem Artikel sehr hoch ein. "Der Plan gab dem amerikanischen Militär einen außerordentlichen Einblick in die irakischen Überlegungen auf höchster Eben, unter anderem wie und wo Herr Hussein seine loyalsten Truppen zu stationieren plante", schreibt er.

Sollten die Enthüllungen der New York Times zutreffen, dann waren der BND und die rot-grüne Bundesregierung weit tiefer in den Irakkrieg verstrickt, als sie dies bisher zugeben wollten. Bereits in den vergangenen Monaten ist deutlich geworden, dass die Regierung Schröder trotz ihres offiziellen Neins zum Krieg eng mit der US-Regierung zusammenarbeitete.

Im vergangenen Sommer war das Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren, bei dem es um die Befehlsverweigerung eines Bundeswehroffiziers ging, zum Schluss gelangt, dass die Bundesregierung mit ihren Unterstützungsleistungen für den Irakkrieg eine völkerrechtswidrige Militäraktion unterstützt und damit selbst ein völkerrechtliches Delikt begangen habe. Das Gericht bezog sich insbesondere auf die Nutzung militärischer Einrichtungen auf deutschem Boden und auf die Gewährung von Überflugrechten für amerikanische und britische Militärflugzeuge.

Mitte Januar berichteten dann die ARD-Sendung Panorama und die Süddeutsche Zeitung über die Aktivitäten zweier BND-Agenten, die während des Kriegs in Bagdad stationiert waren und dort angeblich Ziele für die vorrückenden amerikanischen Truppen identifiziert haben. Die Regierung gab die Existenz der beiden Agenten und die Weitergabe von Informationen an amerikanische Stellen zu, behauptete aber, es habe sich dabei nicht um Angaben über Kriegsziele, sondern ausschließlich um die Identifizierung schützenswerter Einrichtungen wie Krankenhäuser, Botschaften usw. gehandelt.

Um der Einberufung eines parlamentarischen Untersuchungskommission zuvorzukommen, willigte die Regierung ein, das zur Geheimhaltung verpflichtete parlamentarische Kontrollgremium (PKG) umfassend zu informieren. Am vergangenen Donnerstag schloss das PKG seine Anhörungen ab und die Regierung veröffentlichte selbst einen Teil des Berichts, den sie dem PKG vorgelegt hatte. Darin gibt sie erstmals zu, dass auch Koordinaten von Objekten in Bagdad an die USA übermittelt wurden, was sie bisher strikt bestritten hatte. Sie hält aber ausdrücklich daran fest, dass keinerlei kriegswichtigen Informationen an Washington geliefert wurden.

Der Artikel der New York Times erschien nur vier Tage nach diesem Bericht und ist offensichtlich eine Reaktion darauf. Sollte er sich bewahrheiten, wäre nicht nur die alte, rot-grüne Bundesregierung wegen ihrer aktiven Rolle im Krieg diskreditiert, sondern auch die neue, große Koalition der Lüge überführt. Für den Bericht an die PKG, der jede Unterstützung von Kriegshandlungen abstreitet, ist Kanzleramtschef Thomas de Maizière, ein alter Freund und enger Vertrauter von Kanzlerin Angela Merkel persönlich verantwortlich.

Es gibt viele Hinweise, dass der Bericht der New York Times zumindest teilweise zutrifft. Selbst Wolfgang Bosbach, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, musste zugeben: "Dass der Bericht zu 100 Prozent an den Haaren herbei gezogen ist, das glaube ich nicht."

Und die Frankfurter Rundschau bezeichnet die Zurückweisung des Berichts durch die Bundesregierung als "Dementi der abgezirkelten Art". Die Zurückweisung sei zwar "unmissverständlich und deutlich", habe aber "einen extrem engen Fokus": "Das Wort ‚falsch’ gilt ausdrücklich nur für den Hergang der Dinge, wie ihn Michael Gordon, der Verteidigungsexperte der New York Times, in seinem Artikel dargestellt hat."

Mit anderen Worten, die Bundesregierung bestreitet zwar, dass sich die Dinge exakt so abgespielt haben, wie sie Gordon schildert, nicht aber, dass sie sich in ähnlicher Weise ereignet haben könnten.

Vergleicht man die Darstellung der New York Times mit den bisherigen Erklärungen der Bundesregierung, ergeben sich in der Tat etliche Widersprüche. So sollen die beiden BND-Agenten, die sich während des Krieges in Bagdad aufhielten, nach offizieller Darstellung erst am 15. Februar dort ihre Arbeit aufgenommen haben. Sie können also schlecht schon am 3. Februar ein hochsensibles Papier abgeliefert haben.

Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, ein langjähriges Mitglied des PKG, hat deshalb die Frage aufgeworfen, ob der BND - zumindest vor dem Krieg - nicht auch noch andere Agenten in Bagdad im Einsatz hatte. "Es stellt sich die Frage, zu welcher Zeit wie viel und welche Mitarbeiter in Bagdad tätig waren", sagte er der Welt. Die Anwesenheit zusätzlicher, bisher nicht bekannter BND-Agenten würde einige Widersprüche zwischen dem Bericht der New York Times und der Darstellung der Regierung erklären.

Ströbele hatte schon in der vergangenen Woche in einer "abweichenden Bewertung" den offiziellen Regierungsbericht zu den Aktivitäten des BND einer scharfen Kritik unterzogen und nachgewiesen, dass der BND sehr wohl kriegswichtige Informationen an die USA geliefert hatte.

Inzwischen ist auch bekannt, dass der BND tatsächlich einen Verbindungsmann im US-Hauptquartier in Katar stationiert hatte. Der Agent P., Deckname "Gardist", sei "Adressat für alle Aufklärungswünsche" gewesen, die das US-Oberkommando an die beiden BND-Agenten in Bagdad weitergeleitet haben wollte, berichtet die Süddeutsche Zeitung. "Seine Aufgabe war es, die Anfragen der Amerikaner - angeblich waren es insgesamt 33 - an die BND-Zentrale weiterzuleiten." Von dort seien sie dann als Erkundungsauftrag nach Bagdad gegangen.

Laut New York Times wurde Deutschland, das den Krieg offiziell ablehnte, von den US-Militärs deshalb intern als "nicht der Koalition angehörend, aber kooperierend" eingestuft.

Das parlamentarische Kontrollgremium wird sich am Montag zu einer Sondersitzung treffen, um den Vorwürfen der New York Times nachzugehen. Ob dann neue Fakten auf den Tisch kommen, wird man sehen. Zu erwarten ist dies kaum, haben doch Bundesregierung und BND bisher die Wahrheit nur in kleinen Dosen preisgegeben - wenn es sich absolut nicht mehr vermeiden ließ.

Mittlerweile steht nicht nur der Ruf der Regierung Schröder-Fischer auf dem Spiel, deren Nein zum Irakkrieg immer unglaubwürdiger erscheint, sondern auch die Stabilität der Regierung Merkel, die nicht das geringste Interesse hat, die Machenschaften der Geheimdienste aufzudecken.

Siehe auch:
BND unterstützte USA im Irakkrieg
(25. Februar 2006)
Bundesregierung will BND-Untersuchungsausschuss verhindern
( 24. Januar 2006)
Unterstützung deutscher Geheimagenten für US-Besatzer im Irak
( 14. Januar 2006)
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