Große Koalition verschärft Hartz-Gesetze

Im Februar lag die offizielle Arbeitslosenzahl einmal mehr über fünf Millionen. Bei den Arbeitsagenturen waren mit 5,05 Millionen Arbeitslosen 36.000 Menschen mehr registriert als noch einen Monat zuvor. In den ostdeutschen Bundesländern stiegen die Arbeitslosenzahlen erneut stärker als in Westdeutschland.

Die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) reagiert auf die anhaltende Rekordarbeitslosigkeit mit weiteren Kürzungen bei den Arbeitslosen. Die SPD übernimmt dabei die Rolle des Scharfmachers und Einpeitschers. Nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder und der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering vor einem Jahr auf Druck der Wirtschaftsverbände vorzeitige Neuwahlen ausgerufen und den Weg für die Regierungsübernahme durch Angela Merkel geebnet hatten, übernimmt Müntefering nun als Vizekanzler und Arbeitsminister die Initiative bei der Durchsetzung der von der Wirtschaft geforderten unpopulären Maßnahmen.

Mit den Stimmen der Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD verabschiedete der Bundestag am 17. Februar im Eiltempo weitere Kürzungen für Langzeitarbeitslose. Das Gesetzespaket mit dem Namen "SGB-II-Änderungsgesetz" (SGB II = 2. Sozialgesetzbuch) soll bereits zum ersten April in Kraft treten.

Kürzungen für junge Arbeitslose

Am härtesten betroffen sind Arbeitslose unter 25 Jahren. Wer nach dem Stichtag 17. Februar aus der elterlichen Wohnung ausgezogen ist, hat keinen Anspruch mehr auf die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung.

Der Regelsatz für Arbeitslosengeld-II-Empfänger unter 25 Jahren, die bei ihren Eltern leben, wird von 100 auf 80 Prozent, also von 345 auf 276 Euro gesenkt. Außerdem werden sie in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern mit einbezogen. Praktisch bedeutet dies, dass die Eltern für sie aufkommen müssen, wenn ihr Einkommen ein bestimmtes Minimum übersteigt.

Bislang galten 18- bis 24-Jährige als zum Haushalt gehörend, sie bildeten aber eine eigene Bedarfsgemeinschaft und hatten damit Anspruch auf Unterstützung. "Mit der Regelung wird erreicht, dass Vermögen und Einkommen der Eltern nicht wie bisher nur für den Lebensunterhalt minderjähriger Kinder, sondern künftig auch für den Lebensunterhalt von Kindern, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, einzusetzen ist", begründet die Bundesregierung die Änderung, die zum 1. Juli in Kraft tritt.

Einwände der Bundesagentur für Arbeit (BA), die Gesetzesänderung könne aufgrund anhaltender Softwareprobleme erst zum 1. Januar 2007 umgesetzt werden, wischte Arbeitsminister Müntefering vom Tisch. Er sagte, er habe die Software- Problematik zur Kenntnis genommen, gleichwohl habe man aber im Koalitionsausschuss beschlossen, die Kürzungen nicht zu verschieben. Man habe damit den Arbeitsagenturen signalisiert, "Druck zu machen".

Mit demselben Argument, nämlich Softwareproblemen, war erst kürzlich die Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze für die 2,3 Millionen ostdeutschen Langzeitarbeitslosen auf das Westniveau (14 Euro mehr im Monat) um ein halbes Jahr auf den 1. Juli 2006 verschoben worden. Doch wenn Leistungen gekürzt werden sollen, lässt Müntefering dieses Argument nicht gelten. Er rechnet für die sechs Monate bis Ende 2006 mit Einsparungen von 160 Millionen Euro. Insgesamt sollen durch die jetzt beschlossenen Kürzungen bei jungen Arbeitslosen jährlich 600 Millionen Euro eingespart werden.

Der von Müntefering angekündigte "Druck" wird sich auch auf die ohnehin schleppende Vermittlungstätigkeit der Arbeitsagenturen auswirken. Da die Software der Arbeitsagentur nicht in der Lage ist, eine derart umfangreiche Umstellung automatisiert zu bewältigen, müssen die Daten von über einer Million jugendlichen Arbeitslosengeld-II-Empfängern manuell neu eingegeben und berechnet werden. Das wird zahlreiche Mitarbeiter binden, die sonst für Vermittlungstätigkeiten zur Verfügung stünden.

Die neuen Kürzungen treffen vor allem Jugendliche aus armen Familien, die es im Leben aufgrund ihres sozialen Umfelds ohnehin schon schwer genug haben. Sie werden gezwungen, weiterhin in armen und beengten Verhältnissen zu leben und finanziell von ihren Eltern abhängig zu sein, die meist selbst nicht viel besser dran sind als ihre Kinder. Dermaßen provozierte Spannungen und Konflikte in den Familien werden sich auf die eine oder andere Weise entladen. Die Bundesregierung wird darauf mit weiteren Kürzungen sowie staatlichen Bevormundungs- und Unterdrückungsmaßnahmen reagieren.

Wenn SPD-Generalsekretär Hubertus Heil die Einsparungen bei den jungen Arbeitslosen mit der Mitnahmementalität "wohlhabender" Familien begründet, ist das schon dreist. Heil sagte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, es sei eine Fehlentwicklung, dass "junge Leute, auch aus wohlhabenden Elternhäusern, zu Hause ausziehen, weil sie sich mit den Unterkunftskosten finanziell besser stellen".

Zum einen ist die Zahl junger Arbeitsloser, die aus "wohlhabenden" Familien stammen, recht überschaubar, und zum andern sollte allen jungen Menschen ein selbst bestimmtes Leben zugebilligt werden. Das geht nicht, wenn man sie in die Abhängigkeit der Eltern zwingt, egal ob diese arm oder wohlhabend sind.

Wie die gesamte Politik der Bundesregierung dienen auch die jüngsten Kürzungen der ungezügelten Bereicherung der Wohlhabenden. Die soziale Absicherung wird mithilfe ihrer Rückführung in die Familie privatisiert. Hauptleidtragende dieser Politik sind die Armen und hier wiederum vor allem Kinder und Frauen.

Niedrigere Renten und schärfere Regeln für Arbeitslose

Mit dem am 17. Februar beschlossenen Gesetz werden auch die monatlichen Beiträge der Langzeitarbeitslosen zur Rentenversicherung deutlich gesenkt. Statt bisher 78 Euro zahlt die Bundesagentur ab Januar 2007 für jeden Arbeitslosen nur noch 40 Euro in die Rentenkasse ein. Für die Betroffenen bedeuten diese Kürzungen eine niedrigere Rente im Alter, für die gegenwärtigen Rentner geringere Einkommen. Nach den Berechnungen der Bundesregierung reißt allein diese Maßnahme ein zusätzliches Loch von jährlich zwei Milliarden Euro in die Rentenkasse.

Sozusagen in letzter Minute wurde auch noch eine Regelung in den Gesetzentwurf aufgenommen, die EU-Ausländer auf Arbeitssuche vom Arbeitslosengeld-II-Bezug ausschließt.

Die neuen Regelungen für Arbeitslose verschärfen Kürzungen, die bereits von der Regierung Schröder beschlossen worden waren und jetzt in Kraft treten. So haben Jobsuchende über 55 Jahre ab 1. Februar nur noch 18 Monate, unter 55-Jährige generell nur noch ein Jahr lang Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Bislang galten für ältere Arbeitslose Übergangsfristen mit einer maximalen Bezugsdauer von 32 Monaten.

Außerdem gelten ab Februar auch härtere Regelungen bei Sperrzeiten und Eigenkündigungen. Wer innerhalb eines Jahres Sperrzeiten von insgesamt 21 Wochen auferlegt bekommt, verliert seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld vollständig. Ob die einzelnen Sperrzeiten bereits einmal zum befristeten Ausfall des Arbeitslosengeldes geführt haben, ist dabei unerheblich.

Eine Sperrzeit wird seit Januar auch bei Verstößen gegen die Meldepflicht verhängt. Gekündigte Arbeiter müssen sich seit längerem drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses als arbeitssuchend melden. Versäumen sie diese Frist, wird das Arbeitslosengeld für eine Woche ganz gestrichen. Bisher war es in solchen Fällen "nur" gekürzt worden.

Die so genannte Rahmenfrist wird von drei auf zwei Jahre verkürzt. Das bedeutet, dass die für den Anspruch auf Arbeitslosengeld I erforderlichen zwölf Monate sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung innerhalb der letzten zwei anstatt wie bisher der letzten drei Jahre vor der Arbeitslosmeldung geleistet werden müssen.

Hartz IV erhöht die Armutsquote

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II hat die Armutsquote unter Personen in Haushalten, die früher Arbeitslosenhilfe bezogen haben, bereits jetzt von 50 auf 60 bis 65 Prozent erhöht. Das zeigt eine Studie, die die Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Richard Hauser und Dr. Irene Becker im Auftrag der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung erstellt haben.

Die Wissenschaftler analysierten Daten von Haushalten, die im Jahr 2003 Arbeitslosenhilfe bezogen. Das waren damals etwa fünf Prozent der Bevölkerung. Rund 60 Prozent dieser Personen haben durch die Hartz-IV-Reformen Einkommen verloren. Gesamtgesellschaftlich ist die Armutsquote in Deutschland - nach EU-Definition ist arm, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnitteinkommens erzielt - durch die Reform um 0,5 bis einen Prozentpunkt gestiegen.

Bei früheren Arbeitslosenhilfe-Empfängern hat sich das Haushaltseinkommen um durchschnittlich etwa 20 Prozent verringert. Die Bandbreite bei den Einbußen ist groß: Ein Viertel der betreffenden Personen hat den Anspruch auf Unterstützung ganz verloren. Vor allem die verschärfte Anrechnung von Partnereinkommen schlägt sich hier nieder, die insbesondere arbeitslose Frauen trifft. 80 bis 90 Prozent in dieser Gruppe haben durch die Reform Einkommen verloren. Die Bezüge älterer Langzeitarbeitsloser sind häufig aufgrund der Abkopplung der Leistung vom früheren Erwerbseinkommen gesunken.

Die 40 Prozent, deren Lage sich durch die Hartz-Reform gebessert hat, stammen größtenteils aus sehr armen Schichten. Dazu gehören etwa Arbeitslosenhilfe-Empfänger, die keine ergänzende Sozialhilfe in Anspruch genommen haben, und Alleinerziehende.

Langfristig dürften immer mehr Grundsicherungsempfänger unter die Armutsgrenze rutschen, warnen die Frankfurter Armutsforscher. Die nächste Runde von Kürzungen wird noch in diesem Monat gestartet. Ende März kommt das "SGB-II-Optimierungsgesetz" zur ersten Lesung in den Bundestag.

Siehe auch:
Rente mit 67: Altersarmut vorprogrammiert
(1. März 2006)
Studie zieht verheerende Bilanz der Hartz-Reformen
( 3. Januar 2006)
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