CPE à la Merkel: Abbau des Kündigungsschutzes auch in Deutschland

Während in Frankreich Millionen gegen den Abbau des Kündigungsschutzes für Jugendliche auf die Straße gehen, versucht die Große Koalition in Deutschland still und heimlich wesentlich weitergehende Regelungen durchzusetzen.

Bereits im Koalitionsvertrag vom vergangenen Jahr war vereinbart worden, die gesetzlich erlaubte Probezeit von derzeit sechs Monaten auf zwei Jahre auszudehnen.

Während der Probezeit ist eine Kündigung jederzeit ohne Angabe von Gründen mit einer Frist von zwei Wochen möglich. Ein Anrecht auf eine Entschädigung oder Abfindung besteht grundsätzlich nicht. Ist keine Probezeit vereinbart, gilt eine Grundkündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats. Die Kündigungsfrist erhöht sich mit der Beschäftigungsdauer.

Kern des französischen Erstarbeitsvertrags CPE (Contrat première embauche), an dem sich die Protestbewegung gegen die gaullistische Regierung entzündet hat, ist die Abschaffung des Kündigungsschutzes für Jugendliche unter 26 Jahren. Tritt das Gesetz in Kraft, können sie in den ersten beiden Beschäftigungsjahren ohne Angabe von Gründen jederzeit fristlos gekündigt werden.

Die im deutschen Koalitionsvertrag vereinbarte Regelung läuft praktisch auf dasselbe hinaus - mit dem Unterschied, dass sie nicht nur für Jugendliche, sondern für Lohnabhängige aller Altersklassen gilt, die neu eingestellt werden! Mehr als zwei Wochen Kündigungsschutz hat dann nur noch, wer seit mindestens zwei Jahren im selben Arbeitsverhältnis tätig ist. Dem Heuern und Feuern sind Tür und Tor geöffnet.

Die von der Bundesregierung gebetsmühlenartig wiederholte Feststellung, im Gegenzug solle die Möglichkeit entfallen, Arbeitsverträge ohne speziellen Grund zwei Jahre lang zu befristen, ist zum Großteil Augenwischerei. Wer innerhalb von 14 Tagen ohne Grund entlassen kann, benötigt keine befristeten Verträge.

Dass es bisher zu keinen Protesten gekommen ist und die Vereinbarung in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde, ist die Verantwortung der Gewerkschaften. Diese haben die Bildung der Großen Koalition im Grundsatz unterstützt und versuchen alles zu vermeiden, was zu einer Mobilisierung gegen sie führen könnte.

Dennoch hinterlassen die Ereignisse in Frankreich auch in Deutschland ihre Spuren. Zum einen fühlend sich die Unternehmerverbände und Teile der Union durch die harte Haltung der französischen Regierung ermutigt, den Kurs des Sozialabbaus zu beschleunigen und noch einiges auf die bestehende Koalitionsvereinbarung draufzusatteln. Zum andern bekommt die SPD kalte Füße und fürchtet, auch hier könnte sich Widerstand regen, falls sie nicht behutsam vorgeht.

Just an dem Tag, an dem auf Frankreichs Straßen fast drei Millionen gegen den CPE demonstrierten, stoppte Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering (SPD) das Gesetzgebungsverfahren. In einem Beitrag für das Handelsblatt warf Müntefering der CDU/CSU vor, sie habe sich mit weitergehenden Forderungen "Schritt für Schritt" vom Koalitionsvertrag verabschiedet.

Vorangegangen waren Vorstöße der Unternehmerverbände, die die vereinbarten Maßnahmen als ungenügend kritisierten. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hatte schon im vergangenen Jahr behauptet, die Verlängerung der Probezeit bedeute keine effektive Lockerung des Kündigungsschutzes, und verlangt, der Kündigungsschutz solle grundsätzlich erst für Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern gelten.

Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom), verlangte zur gleichen Zeit, die Möglichkeiten der Befristung nicht zu streichen, sondern auf drei bis fünf Jahre auszudehnen. Gerade in der IT-Branche werde oft projektbezogen und mit Spezialisten gearbeitet, da sei dies notwendig.

Große Teile der CDU/CSU schlossen sich diesen Forderungen an. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Volker Kauder, wollte die im Koalitionsvertrag vereinbarte Regelung neu diskutieren. "Regierungsarbeit kann nicht nur darin bestehen, den Koalitionsvertrag umzusetzen", sagte er. Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) gab sich mit der bestehenden Vereinbarung nicht zufrieden und verlangte, "Beschäftigungshemmnisse" - gemeint war der Kündigungsschutz - weiter zurückdrängen.

Bei einem Treffen der Spitzen der deutschen Wirtschaftsverbände mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Rande der Internationalen Handwerksmesse in München am 17. März wiederholten diese ihre Forderung nach einer Lockerung des Kündigungsschutzes.

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Jürgen Thumann sagte, es gebe intensive Gespräche darüber, "was es weiter zu tun gilt im Rahmen der betrieblichen Bündnisse und einer weiteren Lockerung und Vereinfachung auch des Kündigungsschutzes. Wir müssen hier sehen, dass wir vorankommen und dass es hier zu einer Deregulierung kommt."

Für den Chef des Deutschen Industrie- und Handelstags (DIHK) Martin Wansleben reicht das Kompromissmodell des Koalitionsvertrages nicht aus. "Wartezeit [d.h. Probezeit] statt Befristung - das wäre gerade für kleine Unternehmen eine Verschlechterung. Durch den Wegfall der sachgrundlosen Befristung wird es deshalb nicht mehr, sondern eher weniger Arbeitsplätze geben", diktierte er der Financial Times Deutschland. "Wenn die Bundesregierung Bewegung in den Arbeitsmarkt bringen will, dann muss sie beides ermöglichen."

Die Kanzlerin selbst hatte sich schon am Wochenende zuvor für mehr Flexibilisierung beim Kündigungsschutz ausgesprochen. Der Koalitionsvertrag sei nur der Ausgangspunkt, der Aufgaben definiere, erklärte sie.

Die Unterbrechung des Gesetzgebungsverfahrens durch Arbeitsminister Müntefering ist nichts weiter als ein durchsichtiges Manöver. Nachdem er vor wenigen Wochen die vorzeitige Erhöhung des Rentenalters auf 67 und weitere Verschärfungen für Langzeitarbeitslose durchgesetzt hat, versucht er sich nun als Gegner der Unternehmerforderungen darzustellen. Dabei tritt er auch weiterhin für die Einhaltung der Koalitionsvereinbarungen, dass heißt für die Einführung einer zweijährigen Probezeit für alle ein.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich inzwischen in den Koalitionsstreit über den Kündigungsschutz eingeschaltet und mit einem "Machtwort" die Fortführung des Gesetzgebungsverfahrens angeordnet. Im Bundestag bezeichnete sie es als "eine Frage der Verlässlichkeit", dass die Regelungen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden. Ansonsten würden die Menschen nicht mehr verstehen, "was wir denn da eigentlich vor 130 Tagen aufgeschrieben haben".

Siehe auch:
Der Kampf gegen den "Erstarbeitsvertrag" und die Notwendigkeit einer neuen Führung der Arbeiterklasse
(29. März 2006)
Große Koalition schreibt Rentner ab
( 11. März 2006)
Große Koalition verschärft Hartz-Gesetze
( 7. März 2006)
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