Billiglohnjob Praktikum

Der steigende Druck auf dem Arbeitsmarkt hat unter Akademikern zu einem Phänomen geführt, das in soziologischen Studien als Patchwork-Biografie bezeichnet wird: Befristete Arbeitsverträge oder Honorarverträge - oft schlecht bezahlt - wechseln mit Phasen der Arbeitslosigkeit und Arbeitssuche ab. Was viele tausend Akademiker unter unsicheren Bedingungen ihr Dasein fristen lässt. Am stärksten betroffen von dem sich verändernden Arbeitsklima sind insbesondere Hochschulabsolventen, die gerade von der Universität kommen.

Immer mehr von Ihnen sehen sich gezwungen für geringen oder oft gar keinen Lohn zu arbeiten, in Form so genannter "Praktika", "Volontariate" und "Hospitationen". Was sie dazu treibt, ist die vage Hoffnung auf Einstellung oder zumindest das Ziel, keine Lücke im Lebenslauf zu haben. So werden immer mehr junge Architekten, Wirtschafts-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler, Ingenieure und Juristen als Praktikanten eingestellt, aber faktisch als billige Arbeitskräfte ausgebeutet.

Nach Schätzung des DGB gibt es rund 400.000 Praktikanten in Deutschland. Es handelt sich um ein Phänomen, das bisher kaum weiter untersucht und von Betriebsräten und Gewerkschaften jahrelang ignoriert wurde. Nun will die DGB-Jugend eine erste Studie über Umfang und Art solcher Praktika nach dem Studienabschluss vorlegen. Die ersten Ergebnisse wurden im Februar veröffentlicht. Ausgewertet wurden bisher die Antworten von 89 jungen Hochschulabsolventen, die an der Studie teilgenommen haben. Auch wenn aufgrund der geringen Zahl die Ergebnisse nur als Stichprobe betrachtet werden können, zeigen sie doch deutlich, dass ausbeuterische Praktika mittlerweile ein Massenphänomen sind.

53 Prozent der befragten Absolventen gaben an, bei ihrem Praktikum eine reguläre Tätigkeit verrichtet zu haben. Mit anderen Worten, sie sind wie ganz normale Angestellte des Unternehmens eingesetzt worden.

Knapp die Hälfte der Teilnehmer haben dabei bereits zwei oder mehr Praktika absolviert. Über die Hälfte ist immer noch auf der Suche nach einem Arbeitsplatz, obwohl der Studienabschluss im Schnitt schon zwei Jahre zurückliegt. So entstehen ganze "Praktikakarrieren", in denen der Betroffene sich von Praktikum zu Praktikum hangelt. Zum Leben reicht die Vergütung der Praktika, falls überhaupt etwas bezahlt wird, nicht aus.

40 Prozent der Befragten klagen darüber, trotz Vollzeitarbeit keinen Lohn erhalten zu haben. Wenn Lohn gezahlt wird, dann nur im unteren Hundert-Euro-Bereich. Nur 28 Prozent der Absolventen gaben an, 300 Euro pro Monat oder mehr erhalten zu haben.

So sind die Praktikanten vor allem auf die Unterstützung der Eltern angewiesen, gefolgt von ihren Ersparnissen. Andere halten sich mit Nebenjobs über Wasser.

Dazu stehen die Praktikanten oft unter einem enormen Stress und klagen über Überstunden. Viele Unternehmen ködern ihre Praktikanten mit wagen Versprechungen auf eine spätere Anstellung und setzen die billigen Arbeitskräfte damit unter einen starken Leistungsdruck. Durch den Zwang, immer wieder vollen Einsatz zu zeigen, um dann oft nur neue Enttäuschungen zu erleben, geraten diese in eine sehr belastende psychische Situation. Die Studie kommt hier zu dem Fazit: "Die psychische Belastung ist enorm. Die prekäre Arbeitssituation zieht offenbar eine langwierige Phase von Verunsicherung, Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen nach sich."

Insgesamt lässt sich sagen, dass fast die Hälfte der in der Studie Befragten ihr Praktikum als Ausbeutung bezeichnen. Laut der Studie hat die schlechte Arbeitsmarktsituation zur Folge, "dass ein regelrechter Praktikumsarbeitsmarkt entstanden ist, durch den reguläre Jobs verdrängt werden".

Fakt ist, dass hier ein neuer Niedriglohnsektor entsteht. Die Reaktion der Regierung auf diese Entwicklung ist bezeichnend. Auf eine Anfrage des RBB-Magazins "Klartext", ob Mindestlöhne für Praktikanten festgeschrieben werden sollen, antwortet Gerd Andres, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Arbeit und Soziales: "Ich kann niemanden daran hindern, Sie sind alt genug. Wenn sie verabreden, ich gehe irgendwo umsonst arbeiten. Warum soll der Gesetzgeber sie daran hindern? Wenn Sie das wollen, wenn Sie das machen, machen Sie es doch. Hier geht es um Vertragsverhältnisse, und der schnelle Ruf nach dem Gesetzgeber, den teile ich so nicht."

Die Ignoranz der Regierung hat System. Hat sie doch selber mit den Hartz-Gesetzen, dem großen arbeitsmarktpolitischen Projekt der vergangenen Jahre, einen gewaltigen Niedriglohnsektor geschaffen.

Die Hartz-Gesetze haben keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitslosigkeit steigt im Gegenteil stetig weiter. Stattdessen verdingen sich nun 240.000 Ich-AGs für wenig Geld an Firmen und reiche Privathaushalte. Dazu kommen die Mini-Jobs. Durch sie sparen sich die Unternehmen einen großen Teil der Sozialabgaben. Das hat zu einem Boom der geringfügigen Beschäftigung geführt. Oft wird ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplatz durch zwei Minijobs ersetzt. Ebenso müssen Arbeitslose in Ein-Euro-Jobs im öffentlichen Bereich arbeiten. Dadurch helfen sie, dort Stellen einsparen, gegen eine "Aufwandsentschädigung" von ein bis zwei Euro plus Arbeitslosengeld.

Betrachtet man den Arbeitsmarkt in seiner Gesamtheit, wird die Tragweite der von der Regierung vorangetriebenen Umwandlung der Arbeitswelt offenbar. Nach Zahlen des DGB hat sich die Zahl der Vollzeitbeschäftigten zwischen 1991 und 2004 um fast sechs Millionen Menschen von 29 Millionen auf 23,75 Millionen verringert. Die Zahl der Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten, wie in Minijobs und Praktika, hat sich von 5,5 Millionen auf 11 Millionen verdoppelt. Auch bei der Schein-Selbstständigkeit ist der Anteil von 9 Prozent auf 11 Prozent gewachsen.

Die Voraussetzungen für diese Entwicklung hat im Wesentlichen die rot-grüne Regierung geschaffen. Von Rechts angetrieben durch die Unionsparteien und die FDP. Dies zeigt deutlich, warum die Regierung an der Lage vieler Hochschulabsolventen kein Interesse hat. Die prekären und unsicheren Lebensverhältnisse in denen sich viele junge Akademiker befinden, werden durch eine Politik der Deregulierung der Arbeitswelt und Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme im Gegenteil noch weiter verschärft.

Siehe auch:
CPE à la Merkel: Abbau des Kündigungsschutzes auch in Deutschland
(1. April 2006)
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